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Das Kolosseum kennt jeder. Selbst wer noch nie in Rom war, hat das riesigeGemäuer vor Augen: Es ist der Inbegriff des antiken Rom. Dabei war das monumentaleAmphitheater seit dem Untergang der altrömischen Kultur eine dauerndeBaustelle. Im Mittelalter verwandelte man seine Gewölbe in Wohnungen,Läden und Werkstätten - und einige davon in den Wohnsitz der mächtigenrömischen Adelsfamilie Frangipane. Die Päpste residierten zu dieser Zeit inder nahegelegenen Lateransbasilika, und der Sitz der Frangipane diente ihnennicht selten als strategisch günstiger Fluchtort.Im 16. Jahrhundert setzte sich die…mehr

Produktbeschreibung
Das Kolosseum kennt jeder. Selbst wer noch nie in Rom war, hat das riesigeGemäuer vor Augen: Es ist der Inbegriff des antiken Rom. Dabei war das monumentaleAmphitheater seit dem Untergang der altrömischen Kultur eine dauerndeBaustelle. Im Mittelalter verwandelte man seine Gewölbe in Wohnungen,Läden und Werkstätten - und einige davon in den Wohnsitz der mächtigenrömischen Adelsfamilie Frangipane. Die Päpste residierten zu dieser Zeit inder nahegelegenen Lateransbasilika, und der Sitz der Frangipane diente ihnennicht selten als strategisch günstiger Fluchtort.Im 16. Jahrhundert setzte sich die Idee vom Kolosseum als Leidensort christlicherMärtyrer durch, weshalb der gesamte Bau in eine gigantische Kirche umgewandeltwerden sollte. Die Pläne scheiterten, doch legte man einen Kreuzwegentlang der Arena an und weihte das Kolosseum den frühchristlichen Glaubenskämpfern.Die Grand Tourists des 18. Jahrhunderts erkannten in dem verfallenenGemäuer schließlich eine arkadische Landschaft, die sie dank der auf den Ruinenüppig wuchernden Pflanzen in ihre eigene Ideal-Antike versetzte.Erik Wegerhoff erzählt - und illustriert! - die wechselvolle Geschichte desKolosseums,das man irrtümlicherweise schon zu kennen glaubte ...
Autorenporträt
Erik Wegerhoff, geboren 1974, studierte Architektur in Berlin und London und war Forschungsstipendiat der Bibliotheca Hertziana in Rom. An der ETH Zürich wurde er bei Andreas Tönnesmann promoviert. Seit 2010 ist Wegerhoff wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät für Architektur an der Technischen Universität München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2012

Unsere Matrix
Was wir sehen, wenn wir die Antike sehen - Nachdenken über das Kolosseum und über ganz normale Römer

Herauszufinden, "wie es eigentlich gewesen" ist, das war ja schon immer nur ein frommer Wunsch.

Da ragt es dann plötzlich vor einem auf, in der Senke zwischen Oppius und Palatin; drei übereinander angeordnete Arkadenreihen in rissigem Travertin, von Verkehr umflossen, von Touristenheeren belagert. Das Kolosseum, das prominenteste Bauwerk der Antike. Weniger ein Gebäude als ein archäologisch präparierter Restbestand und eine Projektionsfläche für unsere Bilder der Antike. Und wer Spaß daran hat, kauft beim Andenkenhändler eine jener Postkartensammlungen mit hauchdünnen, bedruckten Folien. Legt man eine Folie über eine Fotografie, sieht man, wie es "wirklich" ausgesehen hat, damals im Jahr 80, als das Amphitheatrum Flavium eröffnet wurde, und danach. Ein Trugbild, aber nicht nur.

Wie es in der Antike denn nun aussah, im Kolosseum und anderswo, wissen wir kaum, wir kennen nur Schwundstufen, geformt vom archäologischen Blick seit dem 19. Jahrhundert, der unserer Wahrnehmung wie eine Matrix vorgeschaltet ist. Andere Jahrhunderte haben das Kolosseum ganz anders gesehen, auf Gemälden, in Reiseberichten, in Piranesis Veduten oder im Entwurf von Carlo Fontana aus dem Jahr 1708, der im Innenraum eine Kirche mit großer Kuppel errichten wollte. Woraus sich natürlich sofort die Frage ergibt, was wir eigentlich sehen, wenn wir die Antike sehen.

Ein kluges, gut geschriebenes Buch von Erik Wegerhoff erzählt von dieser Metamorphose der Ansichten am Beispiel des Kolosseums, das seinen Namen ja selbst erst späteren Überschreibungen verdankt. Das Flavische Amphitheater verschmolz im Mittelalter begrifflich mit der Kolossalstatue des Sonnengottes Sol, die einst vor ihm gestanden hatte - und welche ihrerseits eine Umbildung des monströsen Nero-Standbildes war, das der Princeps auf dem Gelände seiner domus aurea hatte errichten lassen, am späteren Standort des Kolosseums.

Wegerhoff, der seine Dissertation für die Buchveröffentlichung bearbeitet hat, ist Architekt, aber er muss zugleich Sozialhistoriker, Kirchengeschichtler, Kunst- und Kulturwissenschaftler sein, um das Bauwerk und seine wechselhaften Bedeutungen zu vermessen: Wie es nach Ende aller Gladiatorenkämpfe verfiel, um im 12. Jahrhundert zum Besitz und Wohnort der Frangipane-Familie zu werden; wie es zu Zeiten der Gegenreformation zum christlichen Martyriumsort wurde, um dann im 18. Jahrhundert den Grand Tourists als überwucherte arkadische Idylle zu erscheinen, in die auch Goethe sich vom Maler Jakob Philipp Hackert versetzen ließ.

Wegerhoff lässt dabei gezielt das Bewusstsein das Sein bestimmen, wenn er demonstriert, wie über die Jahrhunderte die jeweiligen Neudeutungen und Zuschreibungen den verschiedenen architektonischen Eingriffen vorausgingen. Seine Geschichte des Kolosseums ist eine Geschichte der Umdeutungen und Umnutzungen, die in einer "inszenierten Entfremdung" mündet, wie sie den heutigen Umgang mit der Antike nicht nur im Kolosseum prägt. Man spürt ein leises Bedauern über diese Bereinigung aller historischen Verwendungszusammenhänge, so als wäre da keine Geschichte gewesen. Das ist eine legitime Haltung in einem Buch, das zwar für Interessierte keine bahnbrechenden Neuerungen enthält, aber durch seine Fähigkeit zur Zusammenschau überzeugt, weil es zeigt, dass unser Bild der Antike eben genau das ist: ein Bild, das wir uns gemacht haben, so wie sich die Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts, die gerne nachts bei Fackelschein durch die Ruinenlandschaft streiften, ihr Bild gemacht haben.

Wer auf die Antike, die griechische wie die römische, blickt, muss mit solchen Rekonstruktionen und konkurrierenden Bilderproduktionen leben. Das Kolosseum lässt sich halt auch mit einem gewissen Riefenstahl-Touch darstellen, wie Ridley Scott selbstironisch im DVD-Audiokommentar zu seinem Film "Gladiator" gesagt hat, oder im Maßstab 1:250 wie im berühmten Modell von Italo Gismondi aus den dreißiger Jahren, das im Museo della Civiltà Romana steht und Rom zur Zeit Konstantins, also im vierten Jahrhundert, zeigt. Besenrein und ordentlich liegt es da vor einem: eine sepiagetönte Fortführung jener sandstrahlgereinigten, marmorweißen Antike, wie sie Winckelmann vorschwebte; ein Ideal, das einem ganz selbstverständlich noch aus der 3-D-Computerrekonstruktion in "Rome Reborn" oder bei Google Earth entgegenleuchtet, mit ein paar roten Ziegeldächern garniert.

Solche Ansichten lassen sich zwar leicht entkräften, aber eben nicht durch unumstößliche Gewissheiten ersetzen. Denn was wir wissen, bleibt Bruchstück, speist sich aus vergleichsweise wenigen schriftlichen und steinernen Quellen. Die antiken Autoren, oft noch nicht mal Zeitzeugen dessen, worüber sie schrieben, waren Angehörige der Oberschicht, einer Elite, deren Blick auf die Gesellschaft voller Auslassungen und blinder Flecken war. Robert Knapp, emeritierter Althistoriker aus Stanford, hat daher sein Buch über die "gewöhnlichen Menschen" im Römischen Reich im Original auch "Invisible Romans" genannt. Die deutsche Übersetzung "Römer im Schatten der Geschichte" variiert die Metapher für dieses historisch und ideologisch bedingte Wahrnehmungsdefizit - wobei dieser Schatten natürlich nie einem klärenden Licht weichen wird.

Knapp betreibt, mehr noch als Wegerhoff, eine Höchstleistungshermeneutik, die aus dem wenigen Material alles herauszuholen versucht; die sich auch nicht davon entmutigen lässt, dass das Puzzle trotz aller Anstrengungen unvollständig bleiben muss. Knapp liest Inschriften aus den verschiedenen Zeiten und Regionen des Römischen Reiches, er studiert die Bibel und Romane wie Apuleius' "Goldenen Esel", er durchleuchtet Texte und Fresken, um Aufschlüsse über Alltag und Mentalitäten jener zu gewinnen, die keine eigene Stimme haben: ganz normale Männer und Frauen, Sklaven und Freigelassene, Gladiatoren, Soldaten oder Prostituierte, Bevölkerungsgruppen also, die zum Teil auch das Publikum im Kolosseum stellten. "Die herrschenden Gedanken sind immer die Gedanken der herrschenden Klasse", hat Marx in der "Deutschen Ideologie" geschrieben - und selten wird das treffender bestätigt als beim Studium der Antike.

Knapps Buch ist klar gegliedert, angelsächsisch nüchtern, mit vielen anschaulichen Quellenzitaten. Manchmal wirken seine Schlussfolgerungen sehr kühn, wenn er über Einstellungen, Lebenshaltungen und religiöse Orientierungen spricht - aber wie anders käme man weiter, wenn man von jenen 99,5 Prozent der Bevölkerung im Römischen Reich berichten will, die nicht zur Elite der Wohlhabenden und Gebildeten gehörten? Wie dem Forensiker, wie der Spurensicherung im Kriminalroman ist Knapp kein Detail zu unscheinbar oder banal, und ich musste beim Lesen daran denken, wie der amerikanische Regisseur Michael Mann einmal begründet hat, warum er ein Filmprojekt über die Schlacht an den Thermopylen aufgab: weil es ihm unmöglich sei, sich in die Vorstellungswelt der Menschen zu versetzen, sich auszumalen, wie sie dachten, lebten, liebten und mit welchem Gefühl sie in die Schlacht zogen.

Weil riesige Gebiete dieser alten Welt im Schatten bleiben müssen, neigt Robert Knapp mitunter dazu, die Unterschiede zum Heute zu verringern, was dann darauf hinausläuft, dass die Menschen damals ihre Lebenssituationen auch nicht wesentlich anders zu bewältigen versucht hätten als heute, indem sie sich durchschlugen, anpassten, Freiräume suchten für sich und ihre Angehörigen, weil sie in einer Gesellschaft mit steilen Hierarchien und geringer sozialer Durchlässigkeit lebten. Diese Tendenz zum Allgemeinmenschlichen schmälert jedoch nicht Knapps weit ausgreifenden und imponierenden Versuch, den Alltag in der römischen Welt zu erkunden, der etwa in den Briefen eines Cicero und erst recht bei Geschichtsschreibern wie Tacitus oder Livius allenfalls in Spurenelementen und unabsichtlich sichtbar wird.

Es ist das Tolle und Aufregende an diesen beiden Büchern, dass sie einen noch mal lesen und sehen lehren, dass sie einen auf das stoßen, was man, frei nach Kant, die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung nennen könnte. Sie nötigen einen, erneut zu reflektieren, wie es kommt, dass wir so auf die Antike blicken, wie wir es tun; aus welchen Quellen sich diese Sicht speist, was eingeflossen ist aus Gemälden, Sandalenfilmen, archäologischen Freiluftinszenierungen oder Museumsarrangements. Sie erinnern an die Matrix, die unser Bild der Antike zu einem historischen macht, das sich von alternativen Sichtweisen nicht notwendig durch einen höheren Grad an Wahrheit abhebt.

Und das ist, auch und gerade beim Blick auf unsere Gegenwart, keine schlechte Sehhilfe, weil Gewissheiten erschüttert und Projektionen als solche kenntlich gemacht werden. Was nun aber nicht heißt, dass unsere Sicht der Dinge ein freihändiger Entwurf der Phantasie sei; man sollte die archäologisch dominierte Sicht bloß nicht für die Sache selbst halten. Rankes Forderung, der Historiker müsse aufzeigen, "wie es eigentlich gewesen" ist, war ja schon immer nur ein frommer Wunsch und ein hermeneutisches Missverständnis. Doch wenn man das nächste Mal vor dem Flavischen Amphitheater steht, weiß man nicht nur, dass hier wohl nie ein Märtyrer von Bestien zu Tode gehetzt wurde; man hat auch ein schärferes Bewusstsein von dem, was wir alles nicht sehen, wenn wir die Antike sehen.

PETER KÖRTE

Erik Wegerhoff: "Das Kolosseum. Bewundert, bewohnt, ramponiert". Verlag Klaus Wagenbach, 240 Seiten, 24,90 Euro

Robert Knapp: "Römer im Schatten der Geschichte. Gladiatoren, Prostituierte, Soldaten: Männer und Frauen im Römischen Reich". Aus dem Englischen von Ute Spengler. Klett-Cotta, 398 Seiten, 24,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Gustav Seibt findet die Geschichte des römischen Kolosseums durchaus spannend, mit dem Buch von Erik Wegerhoff hat er jedoch seine Probleme. Man erfahre darin zwar viel Interessantes, aber der Autor habe versäumt, die einfachen Fragen zu berücksichtigen: Wann wurde das Kolosseum gebaut und wie lange wurde daran gearbeitet? Wie viele Menschen passen hinein? (72 nach Christus, acht Jahre, fünfzigtausend). Wegerhoff beschäftige sich stattdessen mit der Nutzung des Gebäudes durch die Jahrhunderte. Das Amphitheater wurde im Mittelalter zum gewaltigen Mietshaus, zur Festung, zur Herberge katholischer Kapellen und zum Ziel neugieriger Bildungsreisender. Seibt lobt allerdings Wegerhoffs Auswahl von Zitaten aus klassischen Texten, mit denen er seine Beschreibungen bestückt. Schade sei aber, dass man das Buch nur mit Nachschlagewerken lesen könne, wenn man nicht schon vorher gut mit Roms Geschichte und Stadtplan vertraut sei.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.09.2012

Der imperiale Showpalast
Erhabener Schauer von Größe und Verfall: Erik Wegerhoff berichtet detailreich vom Kolosseum in Rom
Das Bauwerk, nach dem seit dem frühen 20. Jahrhundert Tausende von Kinos und Unterhaltungspaläste benannt wurden und an dessen Fortbestehen eine frühmittelalterliche Weissagung das Fortleben der Welt knüpfte – solange das Kolosseum steht, steht Rom und solange Rom steht, besteht die Welt, sagte sie –, hieß erst einmal gar nicht so. Es war einfach das „Amphitheater“, so wie viele andere römische Städte auch eines hatten, genauer das „flavische Amphitheater“, benannt nach der Dynastie von Vespasian und Titus, die 69 nach Christus in Rom die Macht erobert hatte und die den Riesenbau nahe einer von Nero aufgestellten Kolossalstatue des Sonnengottes errichten ließ.
  Erst in der mittelalterlichen Phantasie wanderte der Name vom „Koloss“ aufs „Kolosseum“ über, um die beiden Denkmäler dann zu einem heidnisch-magischen Sonnentempel zu verschmelzen; da fanden dort schon lange keine Tierhetzen, Hinrichtungen oder imperiale Shows für die hauptstädtischen Massen mehr statt. Längst hatten sich Bewohner in den parzellierten Gewölben der Umgänge eingenistet, eine Adelsfamilie, die Frangipani, verwendete die langsam abbröckelnde, aber immer noch imposante Ruine als Festung im innerrömischen Machtkampf, um dann im Spätmittelalter einer Mönchsgemeinschaft den Platz zu überlassen.
  Die Geschichte dieses Baus, erklärt der Kunsthistoriker Erik Wegerhoff, ist ebenso literarisch wie materiell. Materiell hat er seine Schicksale als steinernes Überbleibsel, das jahrhundertelang immer weiter ausgeweidet, vernutzt und der Natur überlassen wurde, aber doch zu einem guten Drittel erhalten ist und ein Musterstück römischer Ingenieurskunst darstellt. Literarisch, ja phantastisch ist die Geschichte seiner Bedeutungen für eine Nachwelt, die es seit 1500 Jahren nicht mehr im ursprünglichen Sinne verwendet. Nach seiner feudal-adeligen Umwidmung zur Burg und zum vermietbaren Konglomerat – Dutzende hochmittelalterliche Mietverträge für einzelne „Krypten“ liegen in den römischen Archiven – entdeckten die Renaissance das Kolosseum als vorbildlichen Musterbau für klassische Fassadengestaltung und die barocke Gegenreformation als schaurig-blutige Stätte der Märtyrer, die hier abgeschlachtet worden seien.
  Um 1700 wurde von Carlo Fontana sogar eine barocke Kirche für das Innere des Ovals entworfen, im 18. Jahrhundert ließ Papst Benedikt XIV. dann eine Via Crucis dort einrichten – samt Kapellen -, auch um die weitere Ausschlachtung zu stoppen. Da hatten längst vor allem nordeuropäische Bildungsreisende das Kolosseum entdeckt, als zwiespältiges Zeugnis für Größe und Verfall, als Anlass für den pathetisch erfahrenen Schauer des Erhabenen und als heroisch-idyllische Landschaft, die mit einer bald sogar liebevoll beschriebenen Fauna von Blumen und Gräsern geschmückt war. Erst die moderne Archäologie und der Nationalismus jäteten das Unkraut und warfen die katholischen Nachnutzer wieder hinaus. Seither steht das Kolosseum in seiner heutigen Nacktheit da, die noch für Gregorovius einen Schock bedeutete.
  Erik Wegerhoff, dessen reich bebildertes Buch aus einer Dissertation hervorging, erzählt diese Geschichte detailreich und mit vielen schönen Zitaten aus klassischen Texten der Römer und der europäischen Kunstreisenden. Allein, er erzählt sie nicht besonders geschickt. Wann und in wie vielen Jahren wurde das Kolosseum erbaut? Wie viele Zuschauer mögen hier maximal Platz gefunden haben, und in welchem Verhältnis stand diese Zahl zur damaligen Gesamtbevölkerung Roms? So schlichte Fragen beantwortet das Buch nicht. Man rechnet mit einer achtjährigen Bauzeit seit 72 nach Christus und Raum für 50 000 Zuschauer in einer Metropole von mindestens einer Million Einwohner. Das relativiert die von Wegerhoff plausibel entwickelte Funktion, hier habe die römische Gesellschaft in ihren Schichten – mächtig und reich unten, arm oben – sich selbst zur Anschauung gebracht, und hier sei ihr der exotische Reichtum des Imperiums vorgeführt worden, doch beträchtlich.
  Den Abschnitt zum Mittelalter verstehen sowieso nur Leser, die einen groben Überblick bereits haben – die etwa wissen, dass die Stadt um 1300 nur noch 30 000 Einwohner hatte und unter den großen Familien regelrecht aufgeteilt war. Worum es sich bei den gelegentlich erwähnten „Mirabilia“ handelte – Listen des „Staunenswürdigen“ für Pilger –, müsste man ebenso wissen wie die Lage von einem Dutzend Kirchen im römischen Stadtplan, wenn man folgen will. Kunsthistoriker, lernt nicht nur beschreiben, lernt auch erzählen, seufzt man – und versetzt euch in Leser, die nicht bei jeder Seite anderswo nachschlagen wollen.
GUSTAV SEIBT
  
Erik Wegerhoff: Das Kolosseum. Bewundert, bewohnt, ramponiert. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012. 235 Seiten, 24,90 Euro.
Ein Musterstück römischer
Baukunst – und ein Traumgebilde
in heroisch-idyllischer Landschaft
Erst die moderne Archäologie und der Nationalismus jäteten das Unkraut und ließen das Kolosseum nackt zwischen Trümmern stehen – als grünen Landschaftspark malte Rom noch der Russe Fedor Mikhailovich Matveev (1816).
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