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Außer Che Guevara ist kein anderer lateinamerikanischer Freiheitskämpfer so oft abgebildet, verklärt und umgedeutet worden wie Simón Bolívar - höchste Zeit also, Herkunft und Wirkung dieser politischen Ikone zu untersuchen.Norbert Rehrmann unterzieht die ideologischen Grundlagen Bolívars einer kritischen Würdigung, legt dar, wie Bolívar zum Präsidenten von vier Staaten werden konnte, und untersucht die Bolívar-Darstellungen in der lateinamerikanischen Kunst und Literatur.

Produktbeschreibung
Außer Che Guevara ist kein anderer lateinamerikanischer Freiheitskämpfer so oft abgebildet, verklärt und umgedeutet worden wie Simón Bolívar - höchste Zeit also, Herkunft und Wirkung dieser politischen Ikone zu untersuchen.Norbert Rehrmann unterzieht die ideologischen Grundlagen Bolívars einer kritischen Würdigung, legt dar, wie Bolívar zum Präsidenten von vier Staaten werden konnte, und untersucht die Bolívar-Darstellungen in der lateinamerikanischen Kunst und Literatur.
Autorenporträt
Norbert Rehrmann ist Professor für Kulturwissenschaften an der Technischen Universität Dresden und lebt in Kassel. Er verfasst regelmäßig Artikel und Rezensionen u.a. für Lettre International und Die Zeit und hat zahlreiche Bücher zu spanischen und lateinamerikanischen Themen geschrieben und herausgegeben. Zuletzt erschien von ihm Lateinamerikanische Geschichte. Kultur, Politik, Wirtschaft im Überblick (2005).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2009

Held für alle
Norbert Rehrmanns kritische Biographie über Simón Bolívar
Auf keinem Kontinent wimmelt es so von Helden wie in Lateinamerika. Kuba hat Che Guevara, Argentinien Evita Perón, Mexiko Emiliano Zapata, Bolivien Tupac Amaru, Nicaragua Augusto Sandino. Alle hatten sie ihren Moment der Glorie, die weit über die Grenzen ihrer Länder hinausstrahlt. Sonstige Gemeinsamkeit: Alle scheiterten jäh und starben früh. Verstoßen, verkannt, ermordet zu werden, scheint zwingender Teil lateinamerikanischer Heldenbiographien zu sein. In gewisser Weise bilden sie damit das Schicksal ihrer Länder ab und deren bipolaren Charakter – stets zu hohen Augenblicksleistungen fähig, aber schwach in der Nachhaltigkeit. Lateinamerika liebt seine Helden trotzdem. Mythen sind sein erfolgreichstes Exportgut.
Urahn aller lateinamerikanischen Helden ist Simón Bolívar, der zwischen 1810 und 1824 in einer gewaltigen militärischen Leistung die Spanier nach 300 Jahren Kolonialherrschaft vertrieb. Das macht ihn zur einzigen Konsensfigur des Kontinents, und – anders als die vorgenannten linken Ikonen – zum Helden für alle. Auf den „Befreier” berufen sich Demokraten genauso wie rechte Caudillos und linke Diktatoren. Gerade ist es Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der seinen Landsmann als Ikone seiner linkspopulistischen „bolivarischen Revolution” vereinnahmt – obwohl der Großgrundbesitzersohn und Elitist Bolívar weder Demokrat noch links und das Gegenteil eines Populisten war. Bolívar fürchtete die Pardocracia, die Herrschaft der „Braunhäutigen”, also der Abkömmlinge von Indios und schwarzen Sklaven, als deren Patron Chávez sich geriert.
Sich ein Bild von Bolívar zu machen fällt angesichts der universellen Vereinnahmung schwer. Die meisten Biographien sind eher monumentale Verherrlichungen als kritische Auseinandersetzungen. Einzig der kolumbianische Nobelpreisträger Gabriel García Márquez versuchte, mit „Der General in seinem Labyrinth” einen Kontrapunkt zu setzen, indem er den gestürzten, depressiven, siechen Bolívar in seinen letzten Lebenswochen beschrieb. In Lateinamerika handelte er sich damit den Vorwurf des Verrats ein, in Europa stieß er auf Unverständnis – weil man hier die vorangegangen Hagiographien nicht kennt.
Es bedarf also womöglich des Zugriffs von außen, um die Fülle der Quellen zu einem verdaulichen Destillat zu konzentrieren. Der Dresdner Kulturwissenschaftler und Autor zahlreicher Lateinamerikabücher, Norbert Rehrmann, tut dies mit seiner flott lesbaren Biographie, deren Titel seine Intention allerdings verschleiert: „Simón Bolívar, der Mann der Lateinamerika befreite”. Denn die These von der Befreiung demontiert der Autor selbst. Rehrmann schildert Bolívar als ruhmsüchtigen Anführer kreolischer, also weißer Großgrundbesitzer, die sich von den spanischen Handelsgesetzen, Steuern und Bevormundungen in ihrem Bestreben darin behindert sahen, von jeder Kontrolle enthoben Reichtümer anzuhäufen. Insbesondere lästig waren die aus schlechtem Gewissen entstandenen kolonialen Gesetze der Spanier, die die Lebensweise der indigenen Bevölkerung rudimentär schützten. Viele Indios und Schwarze erwarteten vom Aufstand ihrer Herren gegen Madrid daher nichts Gutes und schlugen sich auf die Seite der Spanier.
Erst nach seiner zweiten Niederlage erkannte Bolívar sein Versäumnis und startete, was Rehrmann eine sozialpolitische „Schmeicheloffensive” nennt: Er zog die Pardos und Sklaven und die Llaneros, die Reiterheere aus den Tiefebenen Venezuelas, auf seine Seite. Eine laut Rehrmann eher machiavellistische als sozialrevolutionäre Tat, die Bolívar später nicht davon abhielt, sich über die „Horden von Wilden aus Afrika und Amerika” zu mokieren, „die wie Gemsböcke die einsamen Gegenden durchstreifen”. Ethische Konsequenz war Bolívars Stärke nie; die Spanier brandmarkte er als „wilde Monster”, führte jedoch selbst auf eine Weise Krieg, die Rehrmann „terroristisch” nennt. Mit der Wahl mancher Adjektive läuft der Autor Gefahr, in Venezuela Einreiseverbot zu erhalten.
Erst dem älter werdenden General schreibt Rehrmann die Fähigkeiten zu, für die er gefeiert wird: zäher Feldherr, fesselnder Redner, Frauenheld. Dem widmet der Autor vielleicht eine Prise zu viel männerbündlerisches Augenzwinkern. „Soldat am Tag, Liebhaber in der Nacht – niemand mochte dem jungen Witwer verübeln, wenn er nach all den Strapazen (. . .) nun ans Genießen dachte.” Unnötig auch die vielen Vermutungsvokabeln „vielleicht”, „womöglich”, „offenbar”, wenn es darum geht, Bolívars Empfindungen zu beschreiben. Dieses Rüstzeug von Unterhaltungsbiographien ist bei diesem Protagonisten überflüssig, der seine Euphorie, seinen Zweifel und seine Wut in so vielen Briefen dokumentierte. Und es verschwendet Platz in dieser ohnehin fast zu knapp ausgefallenen Würdigung.
Den manisch-depressiven, nomadischen Charakter Bolívars führt Rehrmann auf frühe Verluste zurück; der General war Waise und verlor seine junge Frau. Was also mag ihm übriggeblieben sein, als ständig zwischen La Paz und Caracas hin- und herzureiten? Die neue Weltmacht vom Rio Grande bis Feuerland, von der Bolívar träumte, zerfiel jedoch hinter ihm mit jedem Kilometer, den er zurücklegte. Südamerika zu regieren sei wie Pflügen im Meer, lautete sein berühmtester Stoßseufzer.
Rehrmann schildert Bolívar als einen jener Politiker, die Großes erreichen, es aber nicht festigen konnten. In fiebriger Eile improvisierte er Verfassungen, in denen er Präsidentschaften auf Lebenszeit festschrieb. Er misstraute jedem, vor allem den eigennützigen kreolischen Regionalfürsten, denen es, anders als ihm, nur ums Materielle ging, und die ihn am Ende auflaufen ließen. In „tausend und abertausend” Rücktrittsdrohungen machte Bolívar sich selbst zum Unterpfand seiner einsamen Entscheidungen, stets auf seine Unverzichtbarkeit vertrauend, was schiefgehen musste.
Bei García Márquez findet sich folgende Szene, die die Laune des kranken, verarmten, gestürzten Bolívar auf seiner letzten Reise auf dem Rio Magdalena beschreibt: Vom Ufer springt ein räudiger Hund voller Bisswunden ins Boot und wird von den anderen Kötern an Bord angefallen. Ein Begleiter Bolívars rettet das Tier. „Wie sollen wir ihn nennen?”, fragt er den General. Der antwortet: „Nennen Sie ihn Bolívar.” Lateinamerika sah der nur 47-jährige Bolívar am Ende seines Lebens in einem ähnlich desolaten Zustand wie sich selbst. Nicht einmal die Europäer würden sich die Mühe machen, es zurückzuerobern, schrieb er. Rehrmann urteilt: Die „bittere Bilanz des Todkranken bewegte sich näher an der Wirklichkeit als die kühnen Zukunftsträume des jungen Generals”.
Nach seinem Tode versank Lateinamerika wie von Bolívar vorhergesagt im „postkolonialen Bruderkampf”. Um sich überhaupt an etwas festhalten zu können, holte man den Verstorbenen aus der Versenkung und bastelte sein Gedenken nach Gusto zurecht. Rehrmann schneidet die Hymnen genüsslich gegeneinander. Mit Cäsar, Alexander und Napoleon wurde der „Befreier” nun verglichen, „gleichsam ein älterer Bruder des Che Guevara” oder gar „Wiedergänger Jesu Christi”. In Europa fand Bolívar bei den Nazis Bewunderer, die DDR machte ihn zum „revolutionären Vorkämpfer gesellschaftlichen Fortschritts”. Später erlebt er eine Demokratisierung und die „ideologischen Verrenkungen” des Hugo Chávez, um ihn zum Sozialisten zu erklären. Am Schluss stellt Norbert Rehrmann fest, wo leider das Problem mit den Helden liegt: „Der extreme Personalismus”, den der Bolívar-Kult begründet habe, sei nicht gerade demokratisch. Er war der Ursprung des autoritären Caudillismo, der Lateinamerika bis heute prägt. SEBASTIAN SCHOEPP
NORBERT REHRMANN: Simón Bolívar. Die Lebensgeschichte des Mannes, der Lateinamerika befreite. Wagenbach Verlag, Berlin 2009. 240 Seiten, 19,90 Euro.
Lichtgestalt und Befreier Lateinamerikas – oder rassistischer Terrorkrieger?
Mythen sind Lateinamerikas erfolgreichstes Exportgut: Simón Bolívar (1783–1830). Foto: Getty Images
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In Lateinamerika als multinationaler Held gefeiert, der bis heute gern von politischen Strömungen jeglicher Couleur vereinnahmt wird, sind kritische Biografien von Siman Bolivar, der zwischen 1810 und 1824 die Spanier vertrieb, rar, weiß Sebastian Schoepp. Deshalb begrüßt er erfreut diese Lebensbeschreibung des Dresdner Kulturwissenschaftlers Norbert Rehrmann. Er hat nun eine quellengesättigte, flüssig geschriebene Biografie Bolivars vorgelegt, die sich wohltuend von den hagiografischen Huldigungen des Generals abhebt, wie der Rezensent lobt. Rehrmann verschleiere nicht die Schwächen und Versäumnisse Bolivars und stellt seine herablassende Haltung gegenüber der dunkelhäutigen Bevölkerung Lateinamerikas und seine "terroristische" Kriegsführung so plastisch heraus, dass man ihm das im heutigen Venezuela wohl übel nehmen wird, wie Schoepp vermutet. Weniger angenehm ist ihm das "männerbündlerische Augenzwinkern", das der Autor an den Tag legt, wenn es um die Beschreibung Bolivars als Frauenheld geht und auch die "Vermutungsvokabeln" bei der Beschreibung von dessen Innenleben findet der Rezensent eher überflüssig. Insgesamt aber hat ihn das Buch als Biografie eines Mannes, der viel erreicht hat, seine Erfolge aber nicht langfristig zu befestigen wusste, überzeugt.

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