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Geboren zu Beginn des Ersten Weltkriegs irgendwo an der norddeutschen Küste, erlernt der Maler Karl Gustav Friedrich Prohaska in Berlin das Handwerk des Fotografen und begleitet fortan die nationalsozialistische Todesmaschinerie mit dem unerbittlichen Auge einer Kamera: Für das Reichspropagandaministerium fotografiert und filmt er Szenen des Genozids in Kaunas ebenso wie in Dachau, wo sein jüdischer Freund und späterer Biograf Stelenski interniert ist. Mit Stelenski bleibt er auch nach dem Ende des Weltkriegs in Kontakt - zunächst im spanischen, dann im lateinamerikanischen, schließlich auch…mehr

Produktbeschreibung
Geboren zu Beginn des Ersten Weltkriegs irgendwo an der norddeutschen
Küste,
erlernt der Maler Karl Gustav Friedrich Prohaska in Berlin das Handwerk
des Fotografen und begleitet fortan die nationalsozialistische Todesmaschinerie
mit dem unerbittlichen Auge einer Kamera: Für das Reichspropagandaministerium
fotografiert und filmt er Szenen des Genozids in Kaunas
ebenso wie in Dachau, wo sein jüdischer Freund und späterer Biograf Stelenski
interniert ist.
Mit Stelenski bleibt er auch nach dem Ende des Weltkriegs in Kontakt -
zunächst
im spanischen, dann im lateinamerikanischen, schließlich auch im
japanischen Exil. Und weil Prohaska die zentralen Medien der Moderne beherrscht
- Malerei, Fotografie, Film -, wird er nach der Naziherrschaft zum
künstlerischen Archivar sämtlicher Schrecken des 20. Jahrhunderts, er dokumentiert
die verheerenden Diktaturen in Nicaragua ebenso manisch - und
dennoch stets distanziert - wie das Leiden der Überlebenden von Hiroshima.
Und ständig steht die eine große Frage im Raum: Was ist Kunst - und was darf
Kunst, im Angesicht des Todes?
Autorenporträt
Ricardo Menéndez Salmón wurde 1971 in Gijón geboren und ist bereits jetzt Autor eines beträchtlichen Werks in sämtlichen literarischen Gattungen. Mit der Trilogie seiner ersten Romane (2007-2009), die den Zweiten Weltkrieg ebenso wie die Terroranschläge in Madrid thematisieren, hat sich Menéndez Salmón als einer der wichtigsten Gegenwartsautoren Spaniens etabliert. Mit seinem fünften Roman Medusa wird er nun erstmals auf Deutsch vorgestellt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.05.2014

Der kaltblütige Fotograf
Künstler in Zeiten der Diktaturen: Ricardo Menéndez Salmóns „Medusa“
Nach dem Krieg flüchtet Prohaska nach Spanien, Karl Gustav Friedrich Prohaska, lange Zeit Fotograf und Filmemacher im Dienst der Nazis. In einem Gefängnis in Gijón nimmt er ein Hochzeitspaar auf, zwei republikanische Häftlinge, eingesperrt von Francos Schergen. Er, heißt es, trägt einen unmöglichen Anzug, zusammengeflickt aus Kleiderresten; sie, hochschwanger, eine Art mit Sicherheitsnadeln befestigte Gardine. Beide mit geschorenen Köpfen; sie blicken zu Boden. Es ist das Foto einer Demütigung. Ausgerechnet dieses Foto steht, neben Familien- und Künstlerfotos, auf dem Schreibtisch eines Historikers, der wie besessen davon ist. Denn es entstand in seiner Stadt Gijón, und es erzählt von Spanien, seinem Land. Nie sei Prohaska ihm so nah gekommen. Der Historiker begibt sich auf die Spur des Fotografen. Alles, was er herausgefunden hat, weit weniger als erhofft, enthält der Roman „Medusa“.
Auch der Autor Ricardo Menéndez Salmón ist in Gijón geboren, 1971. Seit ein paar Jahren wird er in Spanien mit Preisen und guten Kritiken bedacht. Mit der Figur des Historikers hat er einen Ich-Erzähler erfunden, der, bewandert in Zeitgeschichte, immer wieder ins Essayistische schweift. Das klappt streckenweise so gut, dass man unweigerlich zu googeln anfängt. Hat es diesen Prohaska wirklich gegeben? Nein, hat es nicht. Längst bilden ausgedachte Romanbiografien ein eigenes Genre. Im Interview mit La Vanguardia verweist Salmón auf W.G. Sebald, Pierre Michon und Enrique Vila-Matas. Erst letztes Jahr ist ein Kurzroman von Alberto Manguel auf Deutsch erschienen, „Ein allzu penibler Liebhaber“. Verkleidet in das Gewand eines Essays, spürt auch dieses Buch den Obsessionen eines vorgetäuscht realen Fotografen nach. Dieser schwärmt für jede Einzelheit des nackten Körpers. Und weil er in einem öffentlichen Bad angestellt ist, knipst er am liebsten durch die Ritzen von Duschkabinen.
  Während Manguel lässig die Augenlust feiert, tut sich Salmón schwer damit. Denn Prohaska, sein Fotograf, dokumentiert nichts als das Grauen. Angeheuert vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, fotografiert oder filmt er die Verbrechen der Nazi-Deutschen: Krieg in Polen, maschinell ausgeführte Exekutionen in Litauen, medizinische Experimente mit Gefangenen im KZ Dachau. Schon 1936 dreht er im Spanischen Bürgerkrieg seinen ersten Film, eine Doku über deutsche Bomberpiloten der Legion Condor. Hier, glaubt der Historiker, zeige sich Prohaskas Genie – „die Welt zu zeigen, wie sie ist, jedoch mit winzigen Abweichungen, minimalen Korrekturen (dem Verzicht auf Ton zum Beispiel, einem bewussten Aufnahmefehler oder einer leichten Unschärfe), die von innen her sprengen, was das Bild suggeriert.“ Mit diesen Worten erhebt er seinen zwielichtigen Helden vom Kriegspropagandisten zum Autorenfilmer.
Im Stillen scheint Salmón zu ahnen, wie brüchig seine Konstruktion ist. Darum bietet er einiges auf, um Prohaska menschlich zu zeichnen. Kindheit an der Nordsee, Skizzen von der Mutter, die Liebe zu seiner Frau, der frühe Verlust des Sohnes. Und als wäre das alles nicht genug, dichtet er ihm noch einen jüdischen Freund an, Jakob Stelenski. Ausgerechnet im KZ Dachau begegnen sie einander wieder, der eine auf Seiten der Täter, der andere auf Seiten der Opfer. Der kaltblütige Doku-Filmer und der geschundene Häftling. Dass diese Freundschaft alles überdauert, muss man schlucken. Nach dem Krieg wird Stelenski zu Prohaskas Mentor. Und während Prohaska durch die Welt flieht, ins Franco-Spanien, ins Somoza-Nicaragua und nach Japan, während er unaufhörlich filmt, fotografiert und malt, Gräuel und Verbrechen, die Leiden der Opfer, unternimmt Stelenski alles, um ihn zu einem berühmten Künstler zu machen.
Es sieht so aus, als hätte Salmón sein Thema nicht ganz gepackt. Eine Künstlerbiografie in Zeiten der Diktaturen. Obwohl völlig klar ist, was er sagen will, versteckt sich lieber hinter moralischer Rhetorik: „Darf man das Werk eines Menschen verteidigen, der Hinrichtungen per Kopfschuss filmte, das Hängen achtjähriger Kinder, tödliche Eingriffe an Schwangeren zu Forschungszwecken, das Eintauchen in Behälter mit eiskaltem Wasser ohne Betäubung, um die Schmerzempfindlichkeit zu untersuchen, und der all das tat, ohne sich ein einziges Mal zu beklagen?“ Salmón stellt diesen Künstler vor extreme Situationen. Warum eigentlich? Weil er es darunter nicht machen will. Aber das rächt sich.
Noch dazu hält der Autor seinen Ich-Erzähler, den Historiker, zu einer Reihe von banalen Reflexionen an. „Abgründe“, ja, „Dunkelheit unseres Daseins“, die Welt ist böse, jaja. Das wirkt angestrengt und verspielt den verwegenen Ansatz des Romans. In „Wakolda“, ebenfalls bei Wagenbach erschienen, hat Lucía Puenzo unlängst vorgemacht, wie man mit monströsen Figuren aus der Nazi-Zeit umgehen kann, eine Josef-Mengele-Fantasie über die argentinischen Jahre, leicht erzählt und so ungeheuerlich, dass einem der Atem stockt. Davon ist „Medusa“ in seiner schwitzenden Gewolltheit weit entfernt.
Dabei hätte der Autor alles, was er braucht, von seiner Figur Prohaska lernen können. Offene Augen, ein kalter Blick, ein heißes Herz. Beim Genre der erfundenen Biografien denkt man natürlich auch an Roberto Bolaño, an die ausgedachten Dichter und die ausgedachten Werke. In „Die Naziliteratur in Amerika“ widmet er den bösen Schreibern ein ganzes Handbuch. Kein Vorwort, keine Erklärung. Darf man? Darf man nicht? Das sind keine künstlerischen Fragen. Die Welt ist alles, was der Fall ist.
RALPH HAMMERTHALER
Ricardo Menéndez Salmón: Medusa. Roman. Aus dem Spanischen von Carsten Regling. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014. 144 Seiten, 15,90 Euro.
Darf man das Werk eines
Menschen verteidigen, der
Hinrichtungen filmte?
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Schwitzende Gewolltheit" attestiert Rezensent Ralph Hammerthaler Ricardo Menéndez Salmóns neuem Roman "Medusa". Eigentlich schätzt der Kritiker nicht nur den spanischen Autor und Historiker, sondern auch das Genre der erfundenen Romanbiografie. Dennoch muss er feststellen, dass ihm Menéndez Salmóns neuer Protagonist, ein Fotograf und Filmemacher, der lange Zeit im Dienste der Nazis stand, zunächst Exekutionen, medizinische Versuche mit Gefangenen und sonstige Leiden der Opfer filmte und fotografierte, um nach dem Krieg verschiedene Grausamkeiten und Verbrechen etwa in Franco-Spanien oder Japan zu dokumentieren, zu seelenlos und konstruiert erscheint. Auch Menéndez Salmóns Idee, dem Fotografen nach Kriegsende einen jüdischen Mentor an die Seite zu stellen, der ihm zum Durchbruch als Künstler verhilft, gerät dem Rezensenten moralisch zu flach. Wenn der Autor schließlich auch noch beginnt, seinem Fotografen allerhand triviale Reflexionen über die Abgründe des Daseins in den Mund zu legen, ist für Hammerthaler das Potential dieses Romans vollends verspielt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Kein anderer Autor seiner Generation kann sich mit Ricardo Menéndez Salmón messen. Wer ihn noch nicht gelesen hat, sollte das schnellstens tun." Ricard Ruiz, Qué leer