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Eine Kindheit im Ziegenlederzelt, umgeben von Bergen und Wüste. Schafe alsGefährten. Nicht hinterfragte Gesetze als Norm.Jbara lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in einem winzigen, ärmlichenDorf und rechtet mit Allah, ihrem zugleich einzigen Vertrauten. Die Freiheitfährt zweimal pro Woche im Bus vorbei, doch eines Tages fällt - Allah sei Dank- ein rosa Koffer mit Rollen vom Gepäckdach herunter. Jbaras Aussteuer fürein neues Leben, das sie sich unter vielen Opfern und mit Einsatz ihres Körperserkämpfen wird. Aus Jbara wird Scheherazade, aus Scheherazade schließlichKhadija. Sie verliert ihre…mehr

Produktbeschreibung
Eine Kindheit im Ziegenlederzelt, umgeben von Bergen und Wüste. Schafe alsGefährten. Nicht hinterfragte Gesetze als Norm.Jbara lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in einem winzigen, ärmlichenDorf und rechtet mit Allah, ihrem zugleich einzigen Vertrauten. Die Freiheitfährt zweimal pro Woche im Bus vorbei, doch eines Tages fällt - Allah sei Dank- ein rosa Koffer mit Rollen vom Gepäckdach herunter. Jbaras Aussteuer fürein neues Leben, das sie sich unter vielen Opfern und mit Einsatz ihres Körperserkämpfen wird. Aus Jbara wird Scheherazade, aus Scheherazade schließlichKhadija. Sie verliert ihre Unschuld, ihre Heimat und zwei Zähne, doch nie ihrenderben Humor und den Glauben an Gott.Azzeddines Debüt ist ein tabuloser Monolog, das zornig- zärtliche Gebet einerjungen Frau im Maghreb, ein außergewöhnlicher Bildungsroman.
Autorenporträt
Saphia Azzeddine, 1979 in Agadir, Marokko, geboren, zogmit neun Jahren nach Frankreich. Sie studierte Soziologie,verbrachte ein Jahr in Houston, arbeitete als Diamantschleiferinin Genf und etablierte sich dann als Drehbuchautorinund Schriftstellerin. Ihr erster Roman "Zorngebete"wurde bereits als Theaterstück inszeniert und ins Spanische,Italienische und Schwedische übersetzt. Die Verfilmungihres zweiten Romans "Mein Vater ist Putzfrau" warauch in den deutschen Kinos zu sehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2013

Was der Schleier verbirgt

Saphia Azzeddines "Zorngebete" erzählen vom Drama einer jungen Frau, die in der patriarchalischen Gesellschaft Nordafrikas ums Überleben kämpfen muss.

Die Vergewaltigung durch den Sidi, den Monsieur, geschieht, während das Dienstmädchen Jbara gerade Geschirr spült. Sie ist, wie jede Vergewaltigung, scheußlich, unmenschlich, brutal; nur eine von unzähligen in diesem Buch über die vielen Leben einer Frau aus dem Maghreb. Und immer versucht sie, ihre Würde zu retten. "Ich weiß nicht, was ich machen soll, weinen ist so altmodisch. Außerdem nimmt er sich Zeit. Anschließend zieht er sich seine Hose wieder hoch und geht weg, wobei er unverständliche Dinge vor sich hinbrummelt."

Auf der untersten Stufe einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft ist das Dienstmädchen für den Hausherrn "eine Ameise, wie die tausend anderen, die er auf dem Weg ins Büro jeden Tag tottritt". Was er aber nicht zum Verschwinden bringen kann, ist die Innenwelt. Sie hält Jbara durch diese verschiedenen Leben hindurch aufrecht und bewahrt ihre unverwechselbare Eigenständigkeit. Sie schlägt uns unverblümt entgegen in einer Sprache ohnmächtiger Wut. Diese Sprache ist derb, weil das, was Jbara widerfährt, derb ist. Und sie ist zart, weil man darunter spürt, wie weh das tut.

"Zorngebete" ist der deutsche Titel dieser pochenden "Confidences à Allah" von Saphia Azzeddine, und das trifft es ganz gut: Zornig geht die Erzählerin Jbara mit Allah ins Gericht, der ihr Leben in einem elenden "Rattenloch" beginnen lässt, in einem winzigen, ärmlichen Dorf. Schwanger von einem Hirten, wird sie aus der Großfamilie verstoßen - just zu einem Zeitpunkt, als von dem regelmäßig vorbeifahrenden Touristenbus ein parfümierter Koffer mit Geld herunterfällt, Jbara direkt vor die Füße. Das ist natürlich ein arg forcierter Treibstoff für diese abenteuerliche Geschichte.

Im wirklichen Leben kommt so etwas eben nicht vor. Deshalb gibt es ja Romane wie diese, und so folgen wir dieser noch sechzehnjährigen Jbara mit ihrem rosa Rollkoffer und ein paar Geldscheinen in eine neue, in eine anders elendige Welt. Sie bezieht gegen Sex ihr erstes Zimmer. Sie wird ihr Kind eilig auf der Straße gebären, im Dreck, und weiterziehen. Dann, als Dienstmädchen bei besagtem Monsieur, wird sie sich ihrer selbst, ihrer Schönheit bewusst, als sie im Radio den Schönheitstipps einer prominenten Moderatorin lauscht. Mit wenig Geld glänzt das Haar, und der Schmutz verschwindet. Da weht fast ein wenig westlicher Glamourwind durch diesen Roman.

Aus der Landhirtin, die vormals peinlich genau die gelbliche Kruste in ihrer lappigen Unterhose beschreibt, ist eine Scheherazade geworden, die verführt und verzaubert. Die Türsteher im Casino begrüßen sie schon mit Küsschen, und der Hausherr hat sich in sie verliebt. Zeit zu gehen - in ein neues Leben als Gespielin eines Scheichs. Die Welt der Superreichen jedoch ist ordinär.

Saphia Azzeddine, 1979 in Agadir, Marokko, geboren, wuchs selbst "behütet" auf, wie sie versichert. Seit dem neunten Lebensjahr lebt sie in Frankreich. Sie ist als Schauspielerin bekannt - unter anderem aus dem Film "Fasten auf Italienisch". Zuletzt hatte sie Erfolg mit dem Regiedebüt zu ihrem zweiten Roman "Mein Vater ist Putzfrau" (2011), verfilmt mit François Cluzet, der in "Ziemlich beste Freunde" den gelähmten Philippe spielt. "Zorngebete", ihr Debüt aus dem Jahr 2008, dem bislang drei weitere Romane folgten, wurde vom Theater Avignon auf die Bühne gebracht, was man sich gut vorstellen kann, weil Jbara eine temperamentvolle Erzählerin ist, die alle Klischees einer unterdrückten, verschleierten Frau an die Wand spielt, obwohl sie sich in genau diesem Kontext bewegt.

Der Schleier war das wichtigste Requisit auf der Bühne. Jbara wird ihn am Ende ihrer Geschichte schätzen und hassen; schätzen, weil sie darunter weinen kann; hassen, weil er sie immer noch die Trostlosigkeit des Viertels sehen lässt, in welchem sie mittlerweile als Frau des Imams ein zerbrechliches Glück genießt. Jbaras Lebensbeichte ist trotzig. "Sie brauchen gar nicht ,bäh!' zu sagen. Ich werde keine Poesie hineinlegen, wo keine ist." Und genau so ist es. Jbara, die "Teufelstochter", nennt alles beim Namen. Und so wirkt die Mündlichkeit ihrer Rede, ihre Rückzieher und Vorprescher, ebenso vitalisierend wie bedrückend wahrhaftig.

"Zorngebete" ist die Geschichte einer nordafrikanischen Frau, die sich an die Verhältnisse ebenso schmerzhaft wie wendig anzuschmiegen weiß. Es ist aber auch die Geschichte einer inneren Emanzipation, wie man sie in diesem Tonfall selten hört. Jbara nutzt Freiräume, etwa wenn sie ins Essen der Reichen spuckt, bevor sie es serviert. Vor allem aber werden ihre Zwiegespräche mit Allah zur grundlegenden, tabufreien Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau im Islam; zur Beichte über das, was sich alles aushalten lässt - und wie.

Dass diese Beichte freilich streng vertraulich bleibt, vergisst man dabei nie. "Was ich Dich eigentlich fragen will, Allah: Kann man seinem Schicksal entgehen? Hat ein Mädchen wie ich überhaupt ein Schicksal? Kannst Du mir im Ernst zum Vorwurf machen, dass ich ein Dach überm Kopf der Straße vorgezogen habe, ein bisschen Wärme der Kälte und ein Bett dem Bordstein? Meine Entscheidungen sind absolut logisch. Und natürlich. Wer will schon Bettlerin werden?"

Saphia Azzeddine hat ihrer Figur eine kräftige, vulgäre, anklagende, bisweilen sogar selbstironische Stimme verliehen - nie aber eine jammernde. Sie beschert uns ganz ohne Pathos Einblicke in verschiedene Milieus. Sie ist mit verstörender Direktheit an die Leser gerichtet, und zwar an westlich sozialisierte, für die es extra Erklärungen gibt, unter anderem auch ein Glossar mit Worterklärungen. So persönlich, so grenzwertig genau liest man selten aus einer nach außen gut abgedichteten Welt. Auch wenn es mit Büchern wie "Der letzte Patriarch" von Najat El Hachmi aus dem Jahr 2011 inzwischen Alternativen gibt. Die Welt hinter dem Schleier ist in der Literatur längst kein Tabu mehr.

ANJA HIRSCH

Saphia Azzeddine: "Zorngebete". Roman.

Aus dem Französischen von Sabine Heymann. Wagenbach Verlag, Berlin 2013. 128 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Den Islam denkt sich Rezensentin Claudia Kramatschek um einiges komplexer, als ihn die Autorin Saphia Azzeddine ihr in diesem Buch vermittelt. Authentizität und Aufklärung führen laut Rezensentin bei der Autorin leider nicht zu mehr Subtilität im Umgang mit dem Thema "Frau im Islam", sondern nur zu einer aufgesetzt und vulgär wirkenden Sprache. Und zu einer Handlung, deren Spiel mit westlichen Erwartungen der Rezensentin nicht halb so ironisch erscheint, wie es von der Autorin wahrscheinlich gemeint war.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Wenn man nichts ist, nicht einmal ein Dienstmädchen, dann muss man sich durchschlagen, sich eine eigene Moral erfinden, um existieren zu können. Jbara ist eine wirkliche Feministin, die sich weigert, aufzugeben und sich zu unterwerfen." Jean-François Chalot, Critiques libres