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Die Geschichte eines Waisenmädchens in Venedig: Cecilia spielt virtuos die von Vivaldi für sie komponierten Stücke. Sogar das Frühlingszwitschern einer Schwalbe kann sie auf der Geige nachahmen - doch was nützt das, da sie nicht weiß, wer sie selber ist. Venedig im 18. Jahrhundert. Im Ospedale della Pietà, einem Kloster und Waisenhaus, können Neugeborene abgelegt werden, deren Mütter unerkannt bleiben wollen. So ergeht es einem kleinen Mädchen namens Cecilia. Sie wächst heran und spielt Violine im Orchester des Waisenhauses, das unter den Italienreisenden der Zeit berühmt ist. Als Cecilia etwa…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte eines Waisenmädchens in Venedig: Cecilia spielt virtuos die von Vivaldi für sie komponierten Stücke. Sogar das Frühlingszwitschern einer Schwalbe kann sie auf der Geige nachahmen - doch was nützt das, da sie nicht weiß, wer sie selber ist.
Venedig im 18. Jahrhundert. Im Ospedale della Pietà, einem Kloster und Waisenhaus, können Neugeborene abgelegt werden, deren Mütter unerkannt bleiben wollen. So ergeht es einem kleinen Mädchen namens Cecilia. Sie wächst heran und spielt Violine im Orchester des Waisenhauses, das unter den Italienreisenden der Zeit berühmt ist. Als Cecilia etwa fünfzehn Jahre alt ist, beginnt sie, nach ihrer Mutter, ihrer Herkunft und Identität zu fragen. Nachts durchstreift sie ruhelos die verstecktesten Winkel des Klosters, schreibt Briefe an die unbekannte Mutter und kommt dabei verstörenden Geheimnissen auf die Spur. Ihr Leben ändert sich, als ein neuer Violinlehrer im Waisenhaus eintrifft. Es ist der Komponist Antonio Vivaldi. Er erkennt Cecilias großes Talent, komponiert Sonaten für sie und verspricht, eine gefeierte Musikerin aus ihr zu machen. Sie wird zur Konkurrentin des Meisters. Aber Cecilia entzieht sich und wählt einen anderen Weg: ihren eigenen.
Autorenporträt
Tiziano Scarpa wurde 1963 in Venedig geboren und lebt heute als freier Autor und Journalist in Mailand und Venedig. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen, unter anderem ins Englische, Französische, Spanische und Chinesische, übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2009

Die Musik ist aus Frauen gemacht
Aber die Mutter fehlt. In „Stabat Mater” schreibt Tiziano Scarpa über Weiblichkeit, das 18. Jahrhundert und gewinnt dabei Antonio Vivaldi neue Facetten ab
Lange Zeit wusste Cecilia nicht, was eine Mutter ist. Von Nonnen erzogen und unterrichtet, wuchs sie unter lauter elternlosen Mädchen auf. Erst als sie eines Nachts mit fünf Jahren in der Latrine des weitläufigen Klosters einem Wimmern nachspürte und dort eine junge Frau entdeckte, die unter Qualen ein kleines Wesen aus sich herauspresste, ahnte sie, dass auch sie auf diese Weise zur Welt gekommen sein musste. Das Bild der gebärenden Frau inmitten der Fäkalien war voller Schrecken.
Tiziano Scarpa ist ein Schriftsteller, der sich auf Effekte versteht. Immer wieder wird seine Heldin und Ich-Erzählerin Cecilia von der Zwangsvorstellung eines greinenden Exkrements mit blitzenden Augen heimgesucht: Notdurft und Geburt sind für die mittlerweile Fünfzehnjährige ein und dasselbe. Die drastische Szene steht in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zum Schauplatz des Romans. Scarpas schmaler Band „Stabat mater”, in diesem Sommer mit dem renommiertesten italienischen Literaturpreis, dem Premio Strega, ausgezeichnet, ist nämlich in dem 1346 gegründeten venezianischen Waisenhaus und Kloster Ospedale della Pietà angesiedelt. Es handelt sich um eine jener karitativen Einrichtungen der Serenissima, in der man gesellschaftlich Geächteten eine Möglichkeit zur Eingliederung geben wollte und kleine Mädchen zu Musikerinnen ausbildete.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts sind der Chor und das Orchester des Ospedale della Pietà in ganz Europa berühmt. Dass die Mädchen hinter einem Metallgitter verborgen von einer Empore musizierten, verstärkte ihr Faszinosum noch. Vor allem Antonio Vivaldi, der ab 1703 als Violinlehrer und Hauskomponist wirkte, trug mit seinen neuartigen Kompositionen von den „Vier Jahreszeiten” über das Oratorium „Juditha triumphans” bis zu seinem „Stabat Mater” zum Ruhm der Einrichtung bei. Scarpa macht den Dienstantritt Vivaldis zum Umschlagpunkt seiner Geschichte. Im Grunde erzählt er von einem Kampf um Individuation: Cecilia will mehr sein als ein Stück Fleisch, der in einer Latrine ausgeschieden wird.
Briefe an den Schlangenkopf
Der Titel „Stabat mater” spielt nicht nur auf Vivaldis Vertonung an, sondern benennt auch den Motor der Handlung. Für Cecilia ist die Mutter eine Leerstelle. Um mit ihrer unerklärlichen Abwesenheit zurecht zu kommen, schreibt sie Briefe an die unbekannte „Frau Mutter”. Eine Mischung aus Trauer und Sehnsucht durchdringt die emphatischen Anrufungen, die in kurze Paragraphen unterteilt sind und immer wieder Todesängste zum Gegenstand haben. Die Fünfzehnjährige vergleicht sich mit einem Fisch, der mit glasigem Blick auf dem Wasser treibt; sie spricht von tiefer Dunkelheit, die in sie eindringt und auszulöschen droht. „Es gilt, sich mit letzter Gewalt dort hinzuschleppen, sich in den Winkel zurückzuziehen, der noch in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, und ich zu sagen”, lässt Scarpa seine Heldin räsonieren. Etwas später heißt es: „Wie maßlos das Nichtssein ist”. Aber der Autor skizziert seine Protagonistin als eine widerspenstige Person, die sich mit ihrer Aufgabe als erste Violinistin des Orchesters nicht zufrieden gibt. Stattdessen verfasst sie Briefe und führt Zwiegespräche mit einem mystischen Schlangenkopf, der ihrer Phantasie zu entspringen scheint.
Scarpa, Jahrgang 1963, Romancier, Lyriker, Dramatiker, Librettist und Essayist, probiert seit seinem Debüt 1996 in beinahe jedem Buch etwas Neues aus. Ob japanische Mangas, Horrorfilme, TV-Shows oder hochgestochene Theorie, bei ihm wird alles verwurstet. In „Stabat mater” durchsetzt der Autor den historisierenden Tonfall seiner Protagonistin, zu dem der Pluralis majestatis gehört, mit geschickt platzierten, zeitgenössischen Slangpartikeln, wenn er der Schlange zum Beispiel die Vokabel „Geschwurbel” in den Mund legt oder sie mit einem frechen „Spinnst du?” antworten lässt. Im nächsten Moment operiert Cecilia mit der Metaphorik der Aufklärung und spricht vom Dunkel, das nur Schein sei, während „der wahre Untergrund” aus Licht bestünde. Den gesamten Leibniz hat sie offensichtlich ebenfalls intus. Aber das Hauptthema von „Stabat mater” ist die Musik, eine der großen Leidenschaften Scarpas. Natürlich übersetzt der formal ambitionierte Venezianer nicht einfach Vivaldis Leben in einen süffigen historischen Roman; das wäre ihm zu billig.
Scarpa durchbricht sämtliche Vivaldi-Klischees und arbeitet mit Spiegelungen und Verzerrungen – der Leser nimmt den Komponisten ausschließlich aus Cecilias Perspektive wahr. Don Antonio verstehe es, Weiblichkeit in Klang zu überführen: man spüre eine „unverschämte, ungehörige Glut in den schnellen Sätzen und ein unsägliches, untröstliches Sehnen im Mittelteil”. Und weiter: „Die Musik ist aus Frauen gemacht, wir versprengen in der Luft unseren würzigen Duft, ist es das, was Don Antonio will?” Die körperlosen Musikerinnen sind bei Scarpa der Kontrapunkt zu der im Dreck gebärenden Mutter. Natürlich entzieht sich Cecilia im entscheidendem Moment den Angeboten Don Antonios, der sie für immer an das Orchester binden will und sie dadurch zu einer ideellen weiblichen Existenz verdammen würde. Sie flieht, und das ist die Pointe des Romans, als Mann verkleidet.
Scarpa hat gute Ideen, und die Beschäftigung mit einem historischen Stoff versetzt seinen bisher oft ins Groteske mündenden literarischen Explorationen einen wohltuenden Realitätsschub. „Stabat mater” beeindruckt vor allem durch den eingängigen Tonfall und seine formale Geschlossenheit: Das Textgewebe besteht aus kunstvoll variierten Hauptmotiven, Nebenmotiven und Refrains und erinnert in seinem ornamentalen Charakter an das Eisengitter, hinter dem die Mädchen musizieren. Etwas leblos wirkt allerdings die gendergestählte Weiblichkeitsthematik. Da mag in den Briefen und Dialogen mit der symbolträchtigen Schlange noch so wortreich von Geburt, Monatsblutungen, Ausscheidungen und Körperlichkeit die Rede sein; die Nöte Cecilias bleiben eher abstrakt. Vor allem die Schlusswendung mit dem Geschlechterwechsel ist bloßes Kalkül. Dennoch zählt "Stabat mater" zu den interessantesten italienischen Neuerscheinungen. Dass man Vivaldi mit anderen Ohren hören kann, ist im heutigen Italien fast schon aufsehenerregend.
MAIKE ALBATH
TIZIANO SCARPA: Stabat mater. Roman. Aus dem Italienischen von Olaf Matthias Roth. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2009. 138 Seiten, 16,90 Euro.
Der Chor der Waisenmädchen im Ospedale della Pietà in Venedig, Gemälde (um 1730) von Gabriele Bella. Foto: bpk / Alfredo Dagli Orti
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2010

Die blutige Saite
Gefangenschaft ist der Preis: Tiziano Scarpas Vivaldi-Roman "Stabat mater"

Eine Stadt der Sinnesfreuden muss wissen, wo sie ihre unehelichen Kinder unterbringt: In Venedig gab es vier "ospedali" für verwaiste, kranke und unerwünschte Kinder. Die Serenissima hat daraus Kunst und Kapital geschlagen. Im siebzehnten Jahrhundert erlangten diese Institutionen Ruhm, weil sie ihre weiblichen Zöglinge zu hervorragenden Musikantinnen und Sängerinnen ausbildeten. Im Ospedale Santa Maria della Pietà, dem ältesten Waisenhaus, komponiert und dirigiert Antonio Vivaldi von 1703 und trifft dort das sechzehnjährige Violintalent Cecilia. So jedenfalls erzählt es Tiziano Scarpa in seinem Roman "Stabat mater", der mit dem wichtigsten italienischen Literaturpreis, dem Premio Strega, ausgezeichnet wurde.

Scarpa erzählt schwierige Monate in Cecilias Leben aus ihrer Sicht. Das Mädchen wird zur Frau und stellt sich Fragen zu Identität und Einsamkeit, Liebe und Tod, situationsbedingt in zugespitzter Weise: Schließlich kennt Cecilia ihre Mutter nicht; auf die Bedeutung dieser Leerstelle spielt der Titel an, wenn der Roman auch von einer schmerzerfüllten Tochter handelt. "Stabat mater" präsentiert sich als eine Reihe von Botschaften an die Unbekannte: Nachts, wenn die Angst, "eine schwarze, giftige Flüssigkeit", steigt, steht Cecilia auf und hält Zwiesprache mit ihrem Tod, einer Frau mit Medusenhaupt, die kommt, wann es ihr gefällt; oder sie schreibt ihrer Mutter. Auf Antwort kann sie nicht hoffen, vom Erfahrungsreichtum der Außenwelt ist sie abgeschnitten.

Das alles ist keine leichte Kost. Im Falle Scarpas mag das überraschen, der gewohnt phantasievoll-schnoddrige Ton, mit dem er schon mal von einem verliebten Papst berichtet, weicht hier einem von existentieller Not getriebenen Schreiben. Selten gleitet der Stil ins Meer pathetischer Gefühle ab, fast immer wählt er ein griffiges Bild, einen konkreten Gegenstand, ein aberwitziges Detail, an dem die Sprache Halt findet - auf diesen Pfeilern baut er sein imaginäres Venedig, eine düstere, leidenschaftliche Stadt.

"Stabat mater" ist ein Text im Fluss, dessen Absätze einem ausgeprägten Rhythmus folgen, von Olaf Matthias Roth feinfühlig ins Deutsche übertragen. Das Tempo ist mal grave, mal vivace, von Musik jedoch ist zunächst wenig die Rede. Don Giulio, Komponist des Stifts, ist ein müder Greis; Cecilia hat andere Sorgen und traktiert die Violine ohne Enthusiasmus. Einmal wöchentlich tritt sie mit den anderen in der Kirche auf, spielt auf Emporen hinter vergoldeten Gittern. Manchmal halten Adelige um die Hand der Mädchen an, die müssen sich dann zwischen Musik und Ehe entscheiden, denn tatsächlich war ihnen das Spielen außerhalb der Waisenhäuser verboten.

Ins graue Einerlei bricht ein roter Haarschopf ein: Vivaldi, der "Prete Rosso", bringt die Fülle der Natur mit, seine "Vier Jahreszeiten" sind ein "Windhauch des Universums", der Cecilia aufrüttelt und sie mit dem Orchester verschmelzen lässt. Da macht es nichts, dass der Autor die historische Genauigkeit opfert, die "Vier Jahreszeiten" sind späteren Datums, Scarpa gesteht es im Nachwort: Das Publikum ist begeistert, Cecilia erschüttert, der Leser sind hingerissen. Er wird in die Komplizenschaft zwischen Genie und junger Frau hineingezogen. Cecilia verweigert die Mitarbeit, spielt absichtlich falsch, und Vivaldi durchschaut sie: "Zu einer derartigen Mittelmäßigkeit ist nur derjenige imstande, der perfekt spielen kann." Feinfühlig hält Scarpa die Waage zwischen Enthusiasmus und Distanz, wie auch Vivaldis Bewunderung durchsetzt ist von Eifersucht und Cecilias Verehrung von Zweifel. Vivaldi bietet Cecilia an, seine Virtuosin zu werden. Der Preis: ewige Gefangenschaft, denn will sie musizieren, so muss sie die Heiratsangebote ablehnen und hinter den Gittern der Empore bleiben.

Kunst oder Leben, so lautet die radikale Alternative. Gekonnt kondensiert Scarpa das geforderte Opfer in einem blutigen Bild. Vivaldi verlangt von Cecilia, dass sie ein Lamm schlachtet, um aus dem Darm eine Saite für ihr Instrument zu gewinnen. Sie tut es - und trifft eine Entscheidung. Dieser Roman spiegelt das Leben kraftvoll wider, insbesondere der zweite Teil in seiner atemlosen Beiläufigkeit ist grandios: Musik und Literatur, Leben und Kunst verschmelzen hier zur Fuge und reißen den Leser mit in ein Finale, aus dem es nur ein abruptes Erwachen geben kann.

NIKLAS BENDER

Tiziano Scarpa: "Stabat mater". Roman. Aus dem Italienischen von Olaf Matthias Roth. Wagenbach Verlag, Berlin 2009. 144 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Niklas Bender ist Tiziano Scarpas Roman über Vivaldi und das Waisenmädchen Cecilia, das der Komponist zur Geigenvirtuosin machen will, augenscheinlich ein überaus mitreißendes Lektüreerlebnis gewesen. Die sonst vom italienischen Autor gewohnte schnoddrige Tonlage ist, insbesondere wenn aus Cecilias Sicht berichtet wird, in diesem Roman von "existentieller Not" und der Auseinandersetzung mit dem Tod geprägt, was nicht immer leicht zu lesen sei, wie der Rezensent einräumt. Wenn aber im zweiten Teil mit Vivaldis Auftreten als Komponist und Dirigent des Waisenhauses die Musik Cecilia ergreift, bleibt Bender nicht unberührt und fühlt sich tief hineingezogen in den Konflikt zwischen Kunst und Leben, den das Mädchen für sich entscheiden muss, wie er verrät. Das geht nicht immer völlig pathosfrei über die Bühne, gibt der Rezensent zu, alles in allem aber zeigt er sich von der "atemlosen Beiläufigkeit", mit der Scarpa diese Entscheidung inszeniert, völlig begeistert.

© Perlentaucher Medien GmbH