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Eines unscheinbaren Samstagnachmittags wird Fio Regale, Lebenskünstlerin und Hobbymalerin, in einem Bentley entführt und unverhofft zur Pretty Woman des Pariser Kunstbetriebs.

Produktbeschreibung
Eines unscheinbaren Samstagnachmittags wird Fio Regale, Lebenskünstlerin und Hobbymalerin, in einem Bentley entführt und unverhofft zur Pretty Woman des Pariser Kunstbetriebs.
Autorenporträt
Martin Page, geboren 1975, Studium der Anthropologie. Der Autor lebt bei Paris.Er ist einen Meter achtzig groß, trinkt gerne Tee und achtet nicht auf seine Figur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Vernissage der Vokale
Gift kann man nicht genug kriegen: Martin Page rettet die französische Gegenwartsliteratur vor der Egalität / Von Nils Minkmar

Was war bloß in letzter Zeit mit Frankreichs Literatur los? Postexistentialistischer Nihilismus bei Michel Houellebecq, erotische Beliebigkeit bei Catherine Millet, posenhafter Moralismus bei Frédéric Beigbeder, dem Leser blieb nur die Wahl zwischen Apokalypse und Suizid. Buch um Buch kam wie eine Sahnetorte ins Gesicht, ebenso spektakulär wie folgenlos: alles eins und irgendwie gleichgültig.

Auch Martin Page war alles egal. Und umgekehrt: Die ersten acht Romane, die er seit dem Abitur so zusammengeschrieben hatte, wurden abgelehnt. "Ich habe in langen Jahren ein gewisses Geschick dafür entwickelt, meine Manuskripte zurückgeschickt zu bekommen", sagt er heute. Er arbeitete als Lehrer in einem Internat und pflegte seine erschreckend normalen Hobbys: "Kino, Schwimmen, Musik hören." Nachts und in den Schulferien schrieb er. Bis eines Tages im Oktober 2000 sein Telefon klingelte. Es war der junge, ehrgeizige Verlag Le Dilettante, dessen Logo eine schwarze Katze zeigt, die auf einem aufgeschlagenen Buch schläft.

Der erste veröffentlichte Roman "Comment je suis devenu stupide" (Wie ich blöd wurde) beschreibt, wie ein kluger Mann sein Glück findet, indem er sich nachhaltig dumm stellt. Das Buch wurde ein Bestseller. Seitdem zählt Page, Jahrgang 1975, zum abgezirkelten Bereich der Pariser Literaten. Mitunter erinnert die Geschichte seines Lebens wie seiner Romane an Amélie Poulain. Beide verbinden ein Lob der Bescheidenheit, des Alltags, der unambitionierten, unpariserischen Normalität mit einer mitreißenden, surrealen Poesie.

In dem nun auf deutsch erschienenen Roman "Die Libelle des achten Jahres" geht es um eine junge Frau, deren Lächeln die Jahrhunderte überdauert. Fio wächst als Waisenkind auf, ihre Eltern waren beide berühmte Bankräuber. Kriminalität wird bei Page gern als schöne Kunst betrachtet. Als Fio einen berühmten Kritiker besucht, der sich versehentlich in seinem antiken Schrank eingeschlossen hat und dem die Schlosser nichts anderes anbieten, als das Schloß zu zerstören, beschließt der alte Mann, lieber im Schrank zu sterben. Fio sieht nur sein Auge, die Haushälterin reicht ihm sein Essen per Strohhalm. Er verlangt endlich nach einem Spitzeneinbrecher: "Nur ein Mann der Kunst kann mich befreien, Einbrecher sind die letzten Künstler."

Fio kommt überhaupt erst im Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten zur Malerei. Sie entwickelt nämlich ein Studienförderungsmodell. Sie muß ja beim Studieren auch von etwas leben und kommt eines Tages auf den Gedanken, daß in der großen Stadt Paris jeder etwas zu verbergen hat. Sie schreibt Rechtsanwälten, Geschäftsleuten, Managern und allerlei Berühmtheiten einen Brief mit immer gleichem Inhalt: "Wir wissen, was Sie getan haben." Es folgt die Beschreibung der Geldübergabemodalitäten. Die Summe? Nicht exorbitant, aber immerhin so hoch, daß man sie ernst nehmen muß.

Immerhin einer von zehn Briefen bewegt seinen Empfänger, wirklich zu zahlen, so daß Fio von ihrer "Steuer auf die Lüge" einigermaßen leben kann. Während sie in einem Park auf die Geldübergabe wartet, ist ihre Tarnung die Malerei. Einige Abenteuer später kommt Fio dann ganz groß raus in der Kunstwelt von Paris, bekommt eine eigene Ausstellung im Grand Palais, die selbst von lebenslang entzweiten Kritikern einmütig gepriesen wird.

Die Beobachtungen dieser femina nova über das hohle Werbe- und Imponiergehabe in der Kunst- und Medienwelt machen einen großen Teil des Romans aus, der ganz brillante und unerwartete Momente bringt, zum Beispiel ein Porträt des ehemaligen Kulturministers Jack Langs als ein unermüdlich Begeisterung hervorbringendes Insekt. Leider finden sich auch viele Stereotypen aus dem dreihundert Jahre alten Genre der Kritik am höfischen Leben: wie eitel da alle sind, wie leer die Gespräche, wie oberflächlich die Eleganz. Entschädigt wird man aber auf jeder Seite durch ein oder zwei knappe Sätze, die so prägnant und treffend formuliert sind, daß es einem vorkommt, als habe es die immer schon gegeben: "Die Jahre sind wie Minuten, sie dauern bloß länger." Oder über einen mit psychischen Problemen kokettierenden Dandy: "Er hatte seinen Eltern die glückliche, sorglose Kindheit nie verziehen." Oder die Kürzestzusammenfassung mondäner Partygespräche: "Der ganze Raum schien nur aus Vokalen zu bestehen!"

Es ist allerdings ärgerlich, daß gerade dieser Aspekt des Romans in der Verlagswerbung betont wird. Fio wird keineswegs zur "Pretty Woman" des Pariser Kunstbetriebs. Sie überzeugt gerade nicht durch ihr Aussehen oder ihre erotischen Fertigkeiten - das Fehlen jedweder Liebesszene ist für einen französischen Roman gerade frappierend -, und Julia Roberts malte Richard Gere keine Bilder. Von unwiderstehlichem Charme sind die ganz normalen Ausschweifungen in diesem Buch: Fio und ihre Mitbewohnerin Zora veranstalten regelmäßig sogenannte soirées toxiques, in denen alles in rauhen Mengen konsumiert wird, was verboten und schlecht ist, während sie die schlechte amerikanische TV-Serie "Superballoon" verfolgen.

Es gibt Szenen die gleichermaßen verblüffen und berühren, wenn etwa Fio ihrer toten Eltern gedenkt, indem sie einen uralten Dräger-Beatmungsapparat, den sie vor einer Klinik aufgelesen hat, an die alten Zigaretten ihrer Eltern, die "Popular lights", hält, damit deren Rauch ihr Zimmer erfüllt. "Ihre Eltern waren da, wie Geister, die aus einer Zigarette aufsteigen, die Atmosphäre in Besitz nahmen und sich als graue Rauchspiralen mit ihren roten Haaren vermischten."

Noch ein ganz andere Geist wird hier beschworen, der des großen Boris Vian. Die Mischung aus Gesellschaftskritik, poetischem Einfallsreichtum und bestechender Prägnanz in einzelnen Formulierungen erinnert stark an Vians "Der Schaum der Tage", und wir können für diesen Spuk nur dankbar sein: Durch diese so liebevoll komponierten Seiten, voller Witz und leiser Hoffnung, weht ein Hauch von literarischem, ästhetischem, poetischem Aufbruch, endlich.

Martin Page: "Die Libelle des achten Jahres". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Liz Künzli. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2003. 220 S., geb., 17,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2003

Klischee-Kunst
Martin Pages Roman „Die Libelle des achten Jahres”
Ach, wäre es schön, wenn die Kunstwelt tatsächlich so einfach funktionierte, wie sie sich ein 28-jähriger Schriftsteller vorstellt: mit Künstlern, die den eigenen Erfolg gar nicht wollen, mit Kritikern, die diese Künstler zu Ruhm und Ehre zwingen und vor allem mit Journalisten, die sich immer genau so verhalten, wie es die beiden ersten Interessensgruppen gerade gebrauchen können. Interessen nämlich, und nur Interessen, sind es, die laut Martin Page die Kunstwelt dominieren. So falsch ist diese dennoch triviale Erkenntnis gar nicht, so einfach, wie Page sie in seinem Roman „Die Libelle des achten Jahres” darstellt, allerdings auch nicht. Eine „satirische Parabel” nennt der Verlag die Erzählung, einen „tragikomischen Roman über die Uneigentlichkeit”, gar ein „poetisches Märchen”. Das schmale blaue Büchlein ist nichts von alledem. Es ist vielmehr eine Anhäufung von stereotypen Klischees und Vorurteilen, die in wie zwischen den Zeilen eine abgrundtiefe Verachtung für die zeitgenössische Kunst und ihre Vertreter durchscheinen lässt.
Vordergründig erzählt Page die Geschichte der Hobbymalerin Fio Regtale, die der maßgebliche Großkritiker der Stadt kurz vor seinem Tod in einem Pariser Park beim Malen bemerkt. Allein der Umstand, dass jener Ambrose Abercombrie die junge Frau ausgerechnet durch die Einladung zu seiner eigenen Beerdigung als seine letzte große Entdeckung in die Kunstwelt einführt, verleiht ihr den Nimbus des wandelnden Vermächtnisses. Und dieser Nimbus genügt: Fio Regale wird von Kritiker zu Kritiker zu Journalist zu Künstler weitergereicht – ohne dass sie wirklich versteht, wie ihr geschieht. Schließlich beendet sie sogar ihr Studium, weil sie dafür durch die „hysterische, exzessive Welt der Kunst” keine Ruhe mehr zu finden glaubt. Bis auf belanglose Konversationen mit Künstlern und Kritikern hatte sie zu diesem Zeitpunkt aber noch keinerlei Berührung mit dieser Welt der Kunst.
Das Thema hätte den Stoff für eine feine Satire auf den Kunstbetrieb abgeben können: über die vielen Kritiker, die nur noch für ihre Kollegen schreiben. Über die vielen Kuratoren, die doch eigentlich viel lieber als Künstler Anerkennung fänden und über die vielen Sammler, die die Kunst vor allem als Katalysator fürs eigene Ego lieben. Daniel Kehlmann, gleich jung wie Martin Page, hat mit seiner schlichten und dennoch kenntnisreichen Erzählung „Ich und Kaminski” gerade vorgemacht, wie‘s gehen könnte.
Martin Page dagegen zwingt mit seiner Protagonistin auch seine Leser, todlangweilige Monologe über die Kunst und den Kunstmarkt über sich ergehen zu lassen, die zwanghaft skurril sein und jene ewiggültigen Sätze über die Kunst enthalten wollen, die es nun einmal nicht gibt. Der Künstler trägt schwarz, weil er „um seine naive Beziehung zur Welt und zu den Mitmenschen” trauert. Beim Kritiker löst die „köstliche Oberflächlichkeit, der Anschein von Tiefe und Schönheit, eine intellektuelle Erektion” aus – und den Leser schüttelt es nur noch. Diese Porträts mögen satirisch gemeint sein – am Ende des Buches überwiegt nur noch der erzreaktionäre Tenor ihrer Vorträge. Von Sachkenntnis, gar Urteilsfähigkeit keine Spur: Der dünne Text erliegt jenen Stereotypen, die er doch eigentlich entlarven wollte.
STEFAN KOLDEHOFF
MARTIN PAGE: Die Libelle des achten Jahres. Roman. Aus dem Französischen von Liz Künzli. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2003. 220 Seiten, 17,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit dem Schriftsteller Martin Page sieht Rezensent Nils Minkmar endlich einen Hauch von literarischem, ästhetischem und poetischem Aufbruch durch die französische Literatur wehen, wo der Leser in den letzten Jahren aus seiner Sicht nur noch zwischen Apokalypse und Suizid wählen konnte: "ebenso spektakulär wie folgenlos; alles gleichgültig und irgendwie eins". In den "so liebevoll komponierten Seiten" des Romans findet er Szenen, die ihn gleichermaßen verblüffen wie berühren. Ein Roman, den der Rezensent auch wegen seines Witzes und seiner leisen Hoffnung mag. An manchen Stellen erinnert ihn die Geschichte einer jungen Frau, "deren Lächeln Jahrhunderte überdauert", an Boris Vians "Der Schaum der Tage". Einen großen Teil des Romans über das Mädchen Fio, diese "femina nova" wie der Rezensent sie nennt, machen Beobachtungen über das hohle Werbe- und Imponiergehabe in der Kunst- und Medienwelt aus. Oft gebe es brillante und unerwartete Momente, beispielsweise ein Porträt des ehemaligen Kulturministers Jack Lang "als ein unermüdlich Begeisterung hervorbringendes Insekt". Der Roman birgt zwar auch einige Klischees, aber unser Rezensent fühlt sich letztlich auf jeder Seite durch ein oder zwei prägnante Sätze entschädigt.

© Perlentaucher Medien GmbH