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"Than" ist die Geschichte eines Stummen, der in einem extrem kalten Winter auf eine kleine Insel im Süden Deutschlands kommt. Der Postbote, die Wirtin, der Maler und der Jäger lassen den fremden Mann, der auf ihre Fragen keine Antworten gibt und offenbar eine heimliche Affäre mit der Töpferin hat, nicht aus den Augen. Der Protagonist selbst beharrt auf seiner Perspektive: dem stummen Filmblick. Seltsame Dinge gehen vor sich: Auf einer Eisbahn gerät ein Traktor außer Kontrolle und gefährdet eine Gruppe von Kindern. Ein Junge ist im See verschwunden, und ein kleines Mädchen bricht auf dem Eis…mehr

Produktbeschreibung
"Than" ist die Geschichte eines Stummen, der in einem extrem kalten Winter auf eine kleine Insel im Süden Deutschlands kommt. Der Postbote, die Wirtin, der Maler und der Jäger lassen den fremden Mann, der auf ihre Fragen keine Antworten gibt und offenbar eine heimliche Affäre mit der Töpferin hat, nicht aus den Augen. Der Protagonist selbst beharrt auf seiner Perspektive: dem stummen Filmblick. Seltsame Dinge gehen vor sich: Auf einer Eisbahn gerät ein Traktor außer Kontrolle und gefährdet eine Gruppe von Kindern. Ein Junge ist im See verschwunden, und ein kleines Mädchen bricht auf dem Eis ein. Wo immer Unheil droht, ist Than am Ort. Als er schließlich eine Spur von verwüsteten Kassettenbändern folgt, die im Garten der Töpferin in den Bäumen hängen und zu einer geheimnisvollen Entdeckung führen, wird ihm sein Schweigen zum Verhängnis.
Autorenporträt
Thomas Lang, geboren 1967 in Nümbrecht (NRW), studierte Literatur in Frankfurt am Main. Seit 1997 lebt er als Autor in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2002

Insel der Unseligen
Wie ein Filmriß: Thomas Langs eiskaltes Romandebüt

Auf die an literarische Debütanten gerichtete Frage, was sie im Literaturbetrieb bislang richtig oder falsch gemacht hätten, antwortete Thomas Lang kürzlich: "Falsch: ihn ignoriert. Richtig: ihn nicht ignoriert." Die Auskunft des fünfunddreißigjährigen Literaturwissenschaftlers ist so lakonisch und rätselhaft wie die Geschichte, die seine Figur Moritz Than uns erzählt. Nach einem Unfall im Filmstudio traumatisiert und verstummt, von seiner Freundin betrogen, von Psychiatern und Psychopharmaka sediert, flieht der Sprach-, Obdach- und Hoffnungslose auf eine namenlose Insel in einem bayrischen See - angeblich, um die Geschichte des Klosters zu recherchieren, in Wahrheit aber wohl, um seine Wunden zu lecken. Ein stummer Rekonvaleszent, ein kranker Sündenbock unter einem kalten, nebelverhangenen Himmel und Ureinwohnern von aufreizend vitaler Dumpfheit: das ist ein klassisches Außenseiterdrama. Lang erzählt es - aber nur beiläufig, spröde, fast widerwillig.

Kirche, Kneipe, Postamt, Wald: die Insel gleicht einem Bilderbuch-Idyll, und auch ihre Bewohner scheinen dem Lehrbuch gemütlicher Bestialität entsprungen. Thans Zimmerwirtin ist neugierig und mißtrauisch, ihr Geliebter, der Wilderer und Dorf-Platzhirsch Hiasl, schlägt Tiere und Menschen tot. Der Maler verkauft Folklorekitsch an fotografierende asiatische Touristen; die Wirtshausbrüder sind naturgemäß fremdenfeindlich und brutal, während die Frauen den seltsamen stummen Fisch nicht ungern an Land zögen. Ohne Hintergedanken wird Than nur von der Töpferin, einer Aussteigerin aus der Münchner Boheme, aufgenommen. Aber Ursel hat schon zu viele Enttäuschungen erlebt, um die kalten, hastigen Zärtlichkeiten ihres fischblütigen Liebhabers schätzen zu können.

Than fühlt sich wohl bei ihr, schon weil er an ihrem Silikon-Busen nicht sprechen muß. Die Insel der Unseligen ist für ihn ein Kurort winterlichen Mißvergnügens, eine Schule der Wahrnehmung: "Ich will nicht mehr, als beobachten, wie das Eis wächst und den See versiegelt." Schon als Kabelträger im Filmstudio kam ihm sein Leben "wie eine Kiste voll überzähliger Takes neben dem Schneidetisch" vor; jetzt, da der Film vollends gerissen ist, zappt sich der Statist im Ausnahmezustand passiv und emotionslos durch eine blutige Realität und Ursels Jugendvideos. "Ob ich hier bin oder woanders, ist gleichgültig", sagt sich der "noch nicht ausgereifte Androide". Ähnlich wie Camus' "Fremder", der sich mit "zärtlicher Gleichgültigkeit" gegen die Zumutungen der Existenz panzerte, registriert er sich und seine Umwelt so fatalistisch, monoton und mechanisch, als gingen ihn die Menschen nichts mehr an. Die Kälte von Natur und Gesellschaft kommt seiner chronischen Unterkühlung jedenfalls entgegen. Than übersieht die lauernden Blicke, die heimlichen Haß- und Gewaltexzesse und halluziniert sich in schizophrener Selbstentzweiung als Jäger und Gejagter.

Aber niemand ist eine Insel. Wenn der Fremde ein im Eis eingebrochenes Mädchen rettet, erntet er keinen Dank, sondern neue Verdächtigungen: Ist er etwa ein Pädophiler, ein Mörder gar? Immer zur Stelle, wo sich Nebel und Unheil zusammenbrauen, wird Than nicht nur von den Furien der Erinnerung gejagt, sondern eines Nachts auch von einer Horde von Trunkenbolden übel zugerichtet. Ursel, selber untröstlich nach dem Tod ihrer Tochter, mag Than nicht mehr wie ein Stück Ton kneten und brennen, und so verschwindet er so still und stumm, wie er einst kam, wieder in der Psychiatrie. Im Fieberdelirium gefrieren ihm die Szenen seines Lebens zu Standbildern, die Leinwand wird schwarz, und so kehren unter dem Einfluß der Glückspillen langsam auch Gefühle und Sprache wieder zurück: "Ich will das Schweigen brechen", lautet der letzte Satz.

Lang entzieht sich kühl und selbstbewußt allen Erwartungen, die der Literaturbetrieb an Debütanten richtet. Er wildert weder im Revier sentimentaler Pubertätsgeschichten noch im Ethnopop, sondern taucht, ähnlich wie Georg Klein, Christoph Ransmayr oder zuletzt Henning Ahrens in "Lauf, Jäger, lauf", in eine dunkle, von Sonderlingen und deutschen Mythen bewohnte Parallelwelt hinter der Realität ein. Sein Ich-Erzähler lädt nicht zu gefälligen Identifikationen und Projektionen ein: Than ist eine mysteriöse Leerstelle, verschlossen, unzuverlässig und stumm noch in seiner logopädischen Redseligkeit. Selbst die Insulaner, die man so rasch zu durchschauen glaubt, behalten einen Rest irritierender Unberechenbarkeit.

Langs Sprache ist dabei alles andere als flüssig oder gar bayrisch-barock. Seine Natur- und Menschenbeobachtungen sind teilnahms- und reflexionslos, seine Sätze kurz, manchmal ungelenk und beunruhigend lapidar, so kalt, rauh und brüchig wie das Eis auf dem See. So bildet Lang den Filmriß ab, der Than - der Name geht auf "More Than Words" zurück - die Sprache verschlug und die anderen zu "Sprechmonstern" machte. Thomas Lang läßt die gefrorenen Bilder dieser armen Seele nie schmelzen. Er zersägt und zersingt sie und nimmt ungerührt in Kauf, daß sie wie erratische Blöcke auf dem Marktplatz der zeitgenössischen Literatur herumliegen.

Thomas Lang: "Than". Roman. Wagenbach Verlag, Berlin 2002. 188 Seiten, geb., 16,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2002

Eis, See, Tod
Ein starkes Debüt:
Thomas Langs Erzählung „Than”
Moritz Than gehört zu jenen passiven Naturen, denen alles immer nur zustößt. Seine Freundin hat ihn betrogen und vor die Tür gesetzt. Auf dem Set einer Filmproduktion, wo er als Faktotum zu wirken scheint, verunglückt er schwer. Das Loch im Kopf vernarbt, aber nun ist er stumm. Ein stummer, doch keineswegs sprachloser Ich-Erzähler.
Aus diesem skizzenhaften Leben gerissen, kommt Than zu Beginn des Romans ans Deck eines Bootes, das ihn auf eine Insel im Süden Deutschlands bringen soll. Es ist neblig. Es ist kalt. Bald wird der See zufrieren. Than war schon früher hier. Zusammen mit seiner Freundin. Doch warum kehrt er zurück? Warum mietet er ein Fremdenzimmer und gibt an, eine Arbeit über das alte Kloster zu schreiben?
Die Insel ist überschaubar, eine kleine Welt: Das Fremdenzimmer, der Bauhof, das Postamt. Der Maler, die Fischer, der Unternehmer und Wilddieb Hofer. Asiatische Touristen. Der Jäger, die Töpferin Ursel und ihre Tochter Nicole. Der See. „Der See ist voller Opferblut”, sagt der Postbeamte: „Seit die ersten Menschen hier siedeln, müssen sie einen Blutzoll zahlen.” Ein Junge ist ermordet worden. Ein kleines Mädchen wäre beinahe ertrunken. Than ist ihr Retter. Man würde ihm aber auch einen Mord zutrauen. Eines Nachts wird er zusammengeschlagen, sein Kopf ins eisige Wasser getaucht. Das Eis ist ein Fenster, der See ist ein blinder Spiegel.
Was hat Moritz Than hier zu suchen? Die Töpferin, deren Vorgeschichte schließlich ein Videoband preisgibt, während ihre Tochter schon tot im Nebenzimmer liegt? Die winterliche Vermählung von Eros und Thanatos in Deutschlands Weißbierregion?
Thomas Lang, 1967 in Nürnbrecht geboren, bewegt sich in seinem Erstling auf dem schmalen Grat einer erzählerisch wohlinszenierten Ungewissheit. Auf der einen Seite liegt unter dem Eis ein Meer abgründiger Fragen und Bedeutungen. Und auf der anderen keimt der Verdacht, dass Than nicht nur eine stumme, sondern auch eine nichtssagende Gestalt ist, deren letzte Worte – „Ich will das Schweigen brechen” – ins Leere gesprochen sind.
Zu Beginn der Handlung gerade der Klinik entkommen, liegt Langs Protagonist am Ende wieder im Krankenhaus, hortet Tabletten, die er Bonbons nennt. Als Patienten und Besucher tritt dort auch die Stammbesetzung der Inselgeschichte auf. Sie wirkt kaum realer als die Talkshowrunde auf dem Bildschirm des Krankenzimmers. Gehorcht auch das Leben der Fernbedienung?
Als Komposition aus Eis und Winternebel ist „Than” ein atmosphärisch gelungenes Debüt, auch wenn man sich darin an einer „scharfkantigen” Brustwarze stößt. Thomas Langs Roman lebt von den Fragen, die er offen lässt, und ein leiser Schauder erfasst einen dort, wo sich Antworten andeuten, denen er nicht gewachsen wäre. Die Stummheit seines Helden ist nicht allein klinisch bedingt, sie ist auch Ausdruck eines Lebens im Unverbindlichen.
„Vielleicht werde ich nach und nach unsichtbar?” meint Than: „Das wäre nicht so schlecht. Eine neue Art zu leben. Wie die Engel im Himmel über Berlin. Zuschauen, ab und zu ein Leben retten.” Eine literarische Existenz gewissermaßen, doch am Ende wird die Leinwand schwarz. Than versinkt im Tablettenrausch. Das Leben ist anderswo. Vorhang. Nachdenklicher Applaus.
ULRICH BARON
THOMAS LANG: Than. Wagenbach Verlag, Berlin 2002. 188 Seiten, 16,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit seinem Roman "Than" legt Thomas Lang zur Freude des Rezensenten Ulrich Baron ein "starkes Debüt" vor. Die atmosphärisch dichte Geschichte um Moritz Than, der sich - nach einem Unfall stumm geworden - auf einer winterlichen Insel im Süden Deutschlands ein Fremdenzimmer anmietet und dort verdächtigt wird, einen Jungen ermordet zu haben, bewegt sich nach Einschätzung Barons auf dem "schmalen Grat einer erzählerisch wohlinszenierten Ungewissheit". Baron hebt hervor, dass Langs Roman vor allem von den Fragen lebt, die er offen lässt. Die Stummheit seines Helden ist für Baron nicht allein klinisch bedingt, sondern sie ist auch Ausdruck eines Lebens im "Unverbindlichen". Wenn Than am Ende des Romans im Tablettenrausch versinkt, erscheint dem Rezensenten das Leben in weite Ferne gerückt. Fazit des Rezensenten: "Das Leben ist anderswo. Vorhang. Nachdenklicher Applaus."

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