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Ein gigantisches Vorhaben: Innerhalb von sechs Jahren will Google 15 Millionen gedruckte Bücher scannen und weltweit zugänglich machen. Demokratisierung des Weltwissens oder Diktatur eines angloamerikanischen Kanons? Der Direktor der Bibliothèque nationale de France, Jean-Noël Jeanneney, ruft zum Widerstand auf und wirbt für eine europäische Alternative.

Produktbeschreibung
Ein gigantisches Vorhaben: Innerhalb von sechs Jahren will Google 15 Millionen gedruckte Bücher scannen und weltweit zugänglich machen. Demokratisierung des Weltwissens oder Diktatur eines angloamerikanischen Kanons? Der Direktor der Bibliothèque nationale de France, Jean-Noël Jeanneney, ruft zum Widerstand auf und wirbt für eine europäische Alternative.
Autorenporträt
Jean-Noël Jeanneney ist Absolvent der École Normale Supérieure und Professor für Geschichte. Er unterrichtet Zeitgenössische Geschichte am Institut d’études politiques de Paris. Er war Präsident von Radio France und Radio France Internationale und ebenfalls zweimal Regierungsmitglied als Minister und Staatssekretär. Seit März 2002 ist Jeanneney Präsident der Französischen Nationalbibliothek.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2006

Wider die vergoogelte Welt
Man braucht nur zweihundert Millionen Euro: Jean-Noël Jeanneneys Plädoyer für eine europäische Digitalbibliothek
   Als das Unternehmen Google vor gut einem Jahr bekannt gab, zusammen mit vier amerikanischen und einer britischen Bibliothek fünfzehn Millionen Bücher digitalisieren und über Internet zugänglich machen zu wollen, schwankte die Reaktion zwischen Euphorie, Skepsis, Gleichgültigkeit und Besorgnis. Einer aber war bestürzt. Mit dem Projekt „Google Print” drohe eine einheitlich „vergoogelte” Weltsicht aus anglo-amerikanischen Bibliotheksbeständen auf kommerzieller Basis rund um die Erde, schrieb Jean-Noël Jeanneney, Präsident der Französischen Nationalbibliothek, in einem Zeitungsbeitrag. Europa müsse mit einem gemeinsamen Gegenprojekt diese Monopolisierung unseres Weltverständnisses zu verhindern suchen.
Jeanneneys Paukenschlag führte dazu, dass das Thema weit über Frankreich hinaus in die öffentliche Debatte kam. Präsident Chirac konnte die Idee einer europäischen digitalen Bibliothek einem halben Dutzend Staatschefs nahe bringen. Konkret ist zwar noch nicht viel geschehen. In die vor sich hin dümpelnden, kleinteilig nationalen Digitalisierungsprojekte kam aber Bewegung. Die EU-Kommission wurde eingeschaltet und schrieb im Rahmen des Programms „i2010” einen entsprechenden Ideenwettbewerb aus, weigert sich allerdings bisher, für so ein Digitalisierungsprojekt Finanzmittel bereitzustellen. Das Google-Projekt wiederum kam wegen Urheberrechtskonflikten in Verzug. In dem vor einem Jahr in Frankreich erschienenen Buch zeichnet Jeanneneys prägnant die Hintergründe und Perspektiven der Debatte nach. Ein Vor- und ein Nachwort bringen diese auf den aktuellen Stand.
   Jeanneneys Ausgangsüberlegung ist die, dass Googles vollmundige Rhetorik von der universalen Demokratisierung des Weltwissens einer Illusion des neunzehnten Jahrhunderts aufsitze. Eine „universelle Bibliothek” könne es, so der Autor, gar nicht geben. „Weltwissen” ist auch bei fünfzehn Millionen Bänden zwangsläufig Auswahl - und im Fall des amerikanischen Unternehmens sei klar, welcher Art sie sei.
Als Google die ersten Titel ins Netz stellte, ließ Jeanneney Stichproben machen, was bei Eingabe der Namen Victor Hugo, Dante, Cervantes, Goethe herauskam: praktisch nur englischsprachige Publikationen. Was das bedeuten kann, ist dem Historiker und ehemaligen Verantwortlichen der Feiern zum Jubiläum der Französischen Revolution 1989 auch bekannt: Aus amerikanischer Sicht sei damals fast nur die Perspektive der Schreckensherrschaft, kaum die befreiende Wirkung vor 1792 dargestellt worden, schreibt Jeanneney. Solche bewusste oder unbewusste Verzerrung würde uns über das Googlesche Weltwissen auch in anderen Zusammenhängen drohen.
   Hier könnte man nun, wie Klaus-Dieter Lehmann, der ehemalige Generaldirektor der Deutschen Bibliothek und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das im Nachwort dieses Buchs andeutungsweise tut, beschwichtigend einwenden: nur keine Panik, ein Google-Weltmonopol des Wissens steht nicht bevor. Der Wettbewerb sei offen, schreibt Lehmann, und biete auch Platz für andere Projekte wie eben das einer europäischen Digitalbibliothek. Mit einem vielfältigeren und in den Suchmethoden stringenteren Angebot könne diese dort in die Lücke springen, wo der Supermarkt Google mit seinen sachfremden, kommerziellen, auf bloß quantitativer Linkvernetzung beruhenden Auswahlkriterien den höheren Ansprüchen nicht mehr genüge. Tatsächlich stoßen hier zwei unterschiedliche Strategien aufeinander. Die nüchterne Logik Lehmanns, die mit Hochqualität den Riesen mehr ergänzen als bekämpfen will, ist im Kino schon erprobt worden - Hollywood für die Massen, der feine Studiofilm für die Anspruchsvollen.
Ihr antwortet Jeanneney mit seinem zur Dramatisierung neigenden, in Frankreich aber verbreiteten Diskurs: Gerade auf die Masse komme es an. Nur in Konfrontation mit dem Marktführer und in direkter Konkurrenz um die großen Publikumszahlen, nicht als Luxusnische, könne Europa in der Welt bestehen. Jedenfalls kann man mit solcher Konfrontation Debatten auslösen. Der leicht überzogene Tonfall gehört demnach gerade zu den Qualitäten des Buchs.
Ein notwendiger Paukenschlag
   Von europäischer Bescheidenheit verspricht Jeanneney sich in dieser Sache so wenig wie von Einzelinitiativen der Internetbenutzer. Unternehmen wie das Digitalisierungsprojekt www.gutenberg.org seien wunderbar, spielten aber in einer anderen Kategorie. Überdies sei ihre wissenschaftliche Verlässlichkeit zwangsläufig schwankend. Ohne einen starken politischen Willen mit entsprechenden öffentlichen Mitteln, ergänzt durch Privatfinanzierung, kommt das Projekt einer europäischen Digitalbibliothek in den Augen des Autors nicht aus. Zweihundert Millionen Euro müssten dafür doch aufzutreiben sein, meint er. Und am besten sollte diese Bibliothek auch gleich ihre eigene Suchmaschine schaffen. Jeanneney führt dafür drei Gründe an. Erstens sei Google als Ein-Produkt-Unternehmen trotz seiner gegenwärtigen Vormachtstellung als fester Partner zu unsicher. Zweitens könnten demnächst auch Japan und China eigene Suchmaschinen starten. Schließlich sei Google infolge des Rentabilitätsdrucks an der Börse an der wichtigen Frage archivarischer Langzeitkonservierung der Bestände wenig interessiert.
   Als Grundlagenbeitrag zum Thema digitalisierter Weltbibliotheken ist dieses Buch in der Hitze des Gefechts wohl etwas zu sehr auf den Präzedenzfall Google hin geschrieben. Als Überblick zu den Hintergründen einer Debatte ist es hilfreich und nützlich. Kein Land versteht so geschickt Themen in der internationalen Diskussion aufzuwerfen wie Frankreich. Wie sähe eine Bibliothek aus, die nach sinnvolleren Prinzipien aufgebaut wäre als nach dem kommerziellen Algorithmus quantitativer Seitenverlinkung? Wie kann dem kumulativen, mehr auf ganze Werke als auf bloße Schlagworte ausgerichteten Leseakt digital Rechnung getragen werden? Nach dem notwendigen Paukenschlag erwarten wir nun das erste Hauptthema, das Differenzierung mit Lautstärke verbindet.     JOSEPH HANIMANN
JEAN-NOËL JEANNENEY: Googles Herausforderung. Für eine europäische Bibliothek. Mit einem Nachwort von Klaus-Dieter Lehmann. Aus dem Französischen von Sonja Finck und Nathalie Mälzer-Semlinger. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2006. 117 Seiten, 9,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Als "kleine Kampfschrift" würdigt Martina Meister diesen Text über "Googles Herausforderung", den der Leiter der französischen Nationalbibliothek Jean-Noel Jeanneney verfasst hat. Gegenstand des Streits: "Google Print", das Vorhaben der amerikanische Firma Google zusammen mit vier renommierten amerikanischen Bibliotheken und der Universitätsbibliothek von Oxford 15 Millionen Bücher zu digitalisieren. Meister schildert die hitzigen öffentlichen Diskussionen, zu denen das Projekt in Frankreich (anders als in Deutschland) geführt hat: von kultureller Hegemonie sei die Rede gewesen und von der ewigen Dominanz der Amerikaner über die Europäer. Sie versteht das Buch als Plädoyer, die Herausforderung anzunehmen, und Google das Feld nicht allein zu überlassen. Jeanneneys Beschreibung der Konsequenzen einer Digitalisierung des schriftlichen Kulturerbes unter amerikanisch-kommerziellem Monopol findet Meister recht "eindringlich". Einen Erfolg konnte der Autor mit seiner Mahnruf bereits verbuchen, hebt die Rezensentin hervor: Die Europäische Union will eine gemeinsame virtuelle Bibliothek aufbauen.

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