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7 reiste D. H. Lawrence nach Cerveteri, Tarquinia, Vulci und Volterra. Er beschreibt die Orte, die Museen, die Nekropolen, aber auch die Reise selbst, ihre Umstände, eigenartige Mitreisende und Reiseführer. So erfahren wir nicht nur seine spontanen Eindrücke von der Kunst der Etrusker, seine ketzerischen Gedanken über römischen Größenwahn und etruskische Lebensfreude, sondern auch seine Begegnungen mit dem Italien der zwanziger Jahre, seinem Charme, seiner Armut, seinem Freisinn, seiner Höflichkeit. Unsere Ausgabe wurde erweitert um die erstmals ins Deutsche übersetzte Einleitung von Anthony…mehr

Produktbeschreibung
7 reiste D. H. Lawrence nach Cerveteri, Tarquinia, Vulci und Volterra. Er beschreibt die Orte, die Museen, die Nekropolen, aber auch die Reise selbst, ihre Umstände, eigenartige Mitreisende und Reiseführer.
So erfahren wir nicht nur seine spontanen Eindrücke von der Kunst der Etrusker, seine ketzerischen Gedanken über römischen Größenwahn und etruskische Lebensfreude, sondern auch seine Begegnungen mit dem Italien der zwanziger Jahre, seinem Charme, seiner Armut, seinem Freisinn, seiner Höflichkeit.
Unsere Ausgabe wurde erweitert um die erstmals ins Deutsche übersetzte Einleitung von Anthony Burgess und durch bislang unveröffentlichte zeitgenössische Photos.
Autorenporträt
David Herbert Lawrence (1885-1930), Sohn eines Minenarbeiters und einer Lehrerin, arbeitete in London zunächst selbst als Lehrer. Als er an Tuberkulose erkrankte, mußte er seinen Beruf aufgeben und unternahm rastlos schreibend ausgiebige Reisen. Sein Werk, entstanden unter dem Eindruck der Psychoanalyse Freuds, wurde wegen erotischer Freizügigkeiten scharf angegriffen. Neben zahlreichen Romanen und Erzählungen veröffentlichte Lawrence auch Reisebücher, Essays und Lyrik. Er starb 1930 in Vence bei Nizza.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Jede Nekropole eine Metropole des Lebendigen
Und ewig ragen die Phalloi: D. H. Lawrence besucht "Etruskische Orte" und trifft nur seine eigene Passion / Von Heinrich Detering

Eben ist der englische Exilant aus Mexiko nach Europa zurückgekehrt, in die Toskana. Rastlos und neugierig macht er sich nun auf, die Etrusker zu entdecken und mit ihnen eine neue Heimat. Dass er der alten entflohen war, das hatte an John Thomas und Lady Jane gelegen, jenen beiden Unzertrennlichen, die der englische Volksmund nicht einfach Phallus und Vagina nennen wollte und die D. H. Lawrence zu Schutzheiligen seiner lebensphilosophischen Sexualmysterien erhoben hatte. Seinem nach ihnen benannten Roman verdankte er Skandal, Zensur und Exil. Und nun endlich auch die beglückende Entdeckung einer Kultur, in der seine Traumwelt historische Gestalt angenommen zu haben schien. Der Bericht von seiner etruskischen Fahrt, zunächst als Artikelserie in Zeitschriften und dann postum als letztes seiner Reisebücher veröffentlicht, ist jetzt endlich in einer deutschen Übersetzung zu entdecken.

Wer allerdings nach Kenntnissen sucht über die Nekropolen und Museen zwischen Tarquinia und Volterra, sollte besser anderen Reiseleitern folgen. Denn ungeachtet seiner beiläufigen Versicherung, "alle gelehrten Deutungen" gelesen zu haben, frönen Lawrences Spekulationen einem entschlossen subjektiven Dilettantismus. Ungeniert lässt er seinen Assoziationen freien Lauf, findet in etruskischen Grabmalen Gemeinsamkeiten mit Ägypten und Teotihuacan, zitiert im selben Atemzug die Griechen und die Gotik und bekümmert sich überhaupt um die Buchgelehrsamkeit so wenig wie um die banale Faktizität. Nicht auf die Geschichte kommt es ihm eigentlich an, sondern auf die Erfüllung einer geschichtsphilosophischen Sehnsucht.

Die Leidenschaft beflügelt auch sein Reisetempo. Am 5.  Juni 1927 bricht Lawrence zu seiner etruskischen Expedition auf; sechs Tage später ist er schon wieder zu Hause. Nur jeweils knapp einen Tag also hält er sich in Cerveteri, Vulci und Volterra auf, allein in Tarquinia, dem Hauptort des etruskischen Städtebundes, bleibt er doppelt so lange. Die rasche Niederschrift bringt manche stilistischen Nachlässigkeiten mit sich, die selbst in Oswalt von Nostitz' eleganter Übersetzung spürbar bleiben und gegen die sich beispielsweise Rudolf Borchardts "Volterra"-Essay von 1935 als Remedium empfiehlt. Dennoch ist sein Reisebericht reich an Entdeckungen. Denn die Reise führt ins emotionale Zentrum einer Epoche, in ihr Herz und einige damit verbundene Körperteile.

Der Grundsatz ist einfach und wird unermüdlich wiederholt: Bei den Etruskern findet schlechterdings "alles seinen Ausdruck in Begriffen des Lebens, des Lebendigen". Das gilt gerade deshalb so apodiktisch, weil die etruskische Sprache für verloren gelten muss. Je weniger der Reisende weiß, desto freier vermag er - so die Schlüsselworte - seinem Gespür und Instinkt zu folgen. Am Gleichmaß der Proportionen in den Wandgemälden, an Farben und Motiven erkennt er wieder, was schon längst im Zentrum seiner Weltanschauung stand: eine "Lebensreligion". Als "phallisches Bewusstsein" stellt er sie jenem "zerebralen" gegenüber, das uns Moderne verdorben hat.

Am sichtbarsten äußert sich das phallische Bewusstsein der erloschenen Frühzeit naturgemäß in den Phalloi, die es überall als seine eigenen Denkmäler errichtet. Hingerissen und hinreißend preist Lawrence das Symbol, "lang, gewaltig und geschmückt". Da sind zunächst "die phallischen Steine an den vielen Grabeingängen", in denen allenfalls zerebral verblendete Wissenschaftler bloß Säulenstümpfe sehen mögen, sodann ein "doppelter Kegel", der "sicher" - was könnte ein Doppelkegel schließlich sonst darstellen? - ebenso phallisch ist, sowie endlich in den Mauerfugen lauter kleinere Phalloi (zwar "nur 18 bis 20 Zentimeter lang", aber immerhin). Und sind nicht endlich auch die Grabhügel selbst, "mit ihrem hohen phallischen Kegel", lauter "Erdhügel des Genusses", Erektionen für die Ewigkeit? Und ebenso unzweifelhaft offenbart sich hier wieder jener Urmythos, von dem auch die Lingamsteine ostasiatischer Kulte zeugen und den dieser Eingeweihte in allen Vorzeitmonumenten so unfehlbar wieder erkennt wie Bachofen das Matriarchat oder Däniken die Landungsbahnen außerirdischer Besucher: "Hier ist er, groß und klein."

Nicht der Kult des Phallus allein wird hier beschworen, sondern überhaupt derjenige der geschlechtlichen Vereinigung, der orgiastischen Lebensfeier und Fruchtbarkeit; weshalb denn auch jede Mauerlücke, in der ein Stein steckt, an den Schoß erinnert und jede Lade "an den Arche-Noah-Kasten", den Schutzort des überdauernden Lebens. Dieser Schoß - bezeichnet ihn nicht auch "die Bundeslade, die das Geheimnis des ewigen Lebens, das Manna und die Mysterien birgt"? Aber ja, aber natürlich, Erkenntnis über Erkenntnis, hier liegt der Urgrund der Religionen und damit, jetzt ist kein Halten mehr, auch das Movens aller Weltgeschichte. Denn auch in ihr fügt sich nun alles so wunderbar ineinander: "Die "neue Welt" der römischen und jeder ihr folgenden Vernunft musste sich, entfremdet und verfinstert, wie sie in ihrer Herrschsucht und Geldgier nun einmal war, gewaltsam von dieser Welt natürlicher Freiheit befreien. In jeder neuen Epoche wird das etruskische Götterlicht wieder von der Finsternis der römischen Teufel gelöscht. In einem wunderbar schrägen und wie immer entschieden ironiefreien Bild fasst Lawrence diesen Lehrsatz zusammen: "Man kann nicht fröhlich zum Klang der Doppelflöte tanzen und zugleich Völker knechten oder in großen Geldern wühlen."

Mit Recht bezeichnet Anthony Burgess in seinem Vorwort dieses Entweder-Oder als Manichäismus. Die Erstarrung des Lebensflusses in Begriff und System, die Lawrence beklagt - hier vollzieht sie sich als performativer Widerspruch. Man sollte das freilich nicht vorschnell verspotten. Denn in dieser Rigorosität formiert sich Lawrences Gegenbild zu jenem Faschismus, dessen Triumph er auch auf dieser Reise schaudernd erfährt. Die Gleichsetzung von Faschismus und römischem Staatswesen wendet Lawrence gegen ihre Urheber zurück. Darum proklamiert er gegen Mussolinis rabiate Römer seine sanften Etrusker als das wahre Urbild Italiens. Darum empfindet er den "römischen Gruß" im etruskischen Volterra als "Unverschämtheit".

In solchen Notizen wird das heimliche Ziel der etruskischen Reise erkennbar: Eine Gegenwelt gilt es zu finden, jenseits von Staatlichkeit und Nationalität, frei vom Willen zur Macht. Weil die Gegenwart bedrückend ist, "muss es eine herrliche Welt gewesen sein". Die Versponnenheit des Phallognosten entspringt dem Bemühen, auf seine Weise "dem intellectuellen Fascismus den Mythos wegzunehmen" - wie Thomas Mann um dieselbe Zeit sein komplexeres, den etruskischen Sehnsüchten nicht fremdes "Josephs"-Vorhaben bestimmt.

Wem das phallische Bewusstsein die Augen geöffnet hat, der erkennt bald Helenen in jedem Weibe - am Postomnibus zum Beispiel. Da trifft der Reisende auf "ein Dutzend draller, stattlicher Frauen", bei deren Anblick seine Prosa sich zum Hymnus steigert auf diese "Gesichter, die schön sind vom Geheimnis des ungeplünderten Schoßes, reif von phallischer Weisheit und etruskischer Sorglosigkeit." Diese Schönheit ist der letzte Widerschein einer nun von neuem zum Tode verurteilten Kultur. Reizlos und gefühlskalt sind die Menschen, denen er begegnet, totenhässlich und sterbenslangweilig die jeweils neu erbauten Orte, die er durchqueren muss. Weil das gegenwärtige Leben wieder einmal in Todesstarre zu fallen droht, schlägt er die Gegenrichtung ein: "Wir werden nun zu den Gräbern gehen."

Diese Nekrophilie ist mit dem kulturgeschichtlichen Rang der Nekropolen allein keineswegs erklärt. Eher ist sie die Schwester jenes Systemzwangs, der das Unhaltbare fixieren soll: Nur das Schöne muss sterben. Als Gestorbenes aber lebt es ewig, auferstanden in den Gräbern mit ihrer unvergleichlichen Lebenskunst: Jede Nekropole eine Metropole des Lebendigen.

Das gilt auch umgekehrt: der Lebensüberschwang atmet am freiesten erst in den Gräbern. Sie sind der Schutzraum des Evangeliums vom Leben. In den steinernen Fragmenten und verblassten Wandbildern hat die vitalistische Utopie flüchtig Gestalt angenommen. Hier vergisst er für einen Augenblick sogar den phallischen Leib. Auf den vom Frühlingslicht beglänzten Gräbern von Tarquinia singt diese exilierte Seele ihre Hymnen an die Nacht. Was Lawrence von Geistesverwandten wie Wilhelm Reich und Otto Groß trennt und seinen Pansexualismus vor der Paranoia bewahrt, das ist diese poetische Sensibilität. Die Zartheit seiner Beobachtungen hat manchmal etwas Rührendes. "Am Anfang", lautet der erste Satz seines Schöpfungsmythos, "war nicht ein Wort, sondern ein Zwitschern." Dafür hat er ein Ohr, so wie er ein Auge hat für die Asphodelenblüten und für die Nebelkrähen der Maremma. Eine Welt ohne Sündenfall, vom Reisenden bestaunt.

D. H. Lawrence: "Etruskische Orte." Aus dem Englischen übersetzt von Oswalt von Nostitz. Mit einem Vorwort von Anthony Burgess. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999. 192 S., br., 22,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Rührung und Erheiterung bespricht Heinrich Detering dieses letzte Reisebuch des erotischen Schriftstellers - eine Artikelserie, die postum in einem Band zusammengefasst wurde. Man dürfe da nicht objektive historische Informationen über die Etrusker erwarten - um so mehr aber erfahre man über die Obsessionen des "Phallognosten" Lawrence. In einer Zeit, da in Italien die Faschisten triumphierten, habe Lawrence ihnen die "sanften Etrusker" mit ihrer lebensfrohen Feier der Phalloi und der Schöße als das eigentliche Urbild Italiens entgegengestellt. Ein bisschen komisch findet es Detering schon, dass Lawrence in der etruskischen Lebensfeier gleich "das Movens aller Weltgeschichte" entschlüssen will. Aber "man sollte das nicht vorschnell verspotten". Denn vor Plattheit bewahre Lawrence seine "poetische Sensibilität" und die "Zartheit seiner Beobachtungen".

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