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Produktdetails
  • Verlag: Neue Kritik
  • Originaltitel: A Dunaparti Nö
  • Seitenzahl: 364
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 518g
  • ISBN-13: 9783801503550
  • ISBN-10: 3801503550
  • Artikelnr.: 09870462
Autorenporträt
Béla Zsolt (1895-1949) war ein bekannter Publizist der Zwischenkriegszeit Ungarns und Verfasser mehrerer Romane. Er begann seine literarische Laufbahn noch vor dem Ersten Weltkrieg als junger Vertreter der ungarischen 'Décadence'. 1920 zog er von Nagyvárad (Großwardein) nach Budapest, wo er schnell zu einer angesehenen Persönlichkeit des literarischen Lebens wurde. Den Zweiten Weltkrieg erlebte Zsolt an der Ostfront als Zwangsarbeiter, im Gefängnis in Budapest und im Ghetto von Großwardein. Seine Rettung verdankte er der so genannten Kasztner-Aktion. Nach 1945 wurde Zsolt parlamentarischer Vertreter der Radikalen Bürgerlichen Partei und Herausgeber des Parteiorgans 'Haladás' (Fortschritt). Nach längerer Krankheit starb Béla Zsolt 1949.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2002

Ein Tropfen zuviel oder zuwenig, und schon ist alles ganz anders
Ein Spezialist für die feinen Unterschiede: Mit Béla Zsolts Roman "Eine seltsame Ehe" hat die Entdeckung eines großen ungarischen Schriftstellers erst begonnen

Die Zwischenkriegszeit, in der halb Europa von autoritären Regimes regiert wurde, war keine schlechte Zeit für die Literatur. Wohl aber für den literarischen Austausch. So mancher Autor, der ein internationales Publikum verdient hätte, blieb, wenn er überhaupt veröffentlichen durfte, auf Heimatland und Muttersprache beschränkt. Besonders der deutsche Markt war seit Hitlers Machtergreifung der ausländischen Literatur zunehmend verschlossen. Deshalb sind auch heute noch immer wieder erstaunliche Entdeckungen möglich. Der Ungar Sandor Marai ist eine solche. Sein Landsmann Béla Zsolt verdient die Aufmerksamkeit womöglich noch mehr.

Zsolt, Jahrgang 1895, der jüdischen Bourgeoisie entstammend, wuchs in Großswordein (Nagyvarad) auf, einer Kleinstadt mit jener typischen ungarisch-rumänisch-deutsch-jüdischen Mischkultur, die später durch Krieg, wechselnde Besatzer und den Holocaust genauso vernichtet wurde wie etwa, um ein berühmtes Beispiel zu nennen, in Aleksandar Tismas Novi Sad. 1920, nach vier Jahren Kriegsteilnahme, siedelte Zsolt nach Budapest über, wo er schnell eine prominente Figur des literarisch-publizistischen Lebens wurde, das sich unter anderem im Kaffeehaus abspielte. Er leitete die Zeitschrift "Die Feder" und führte selbst eine überaus scharfe, attackierte Rechte und Linke, aristokratische Reaktionäre und Bauernromantiker, war ein unerschütterlicher Verfechter liberal-bürgerlicher Werte und Traditionen. Daneben gewann er literarische Reputation mit Romanen und Theaterstücken.

Als Hitler den Krieg begann und Osteuropa neu verteilte, sahen die Ungarn ihre Chance zur Revision der Versailler Verträge. Sie holten sich "geraubtes Territorium" von der Slowakei und Jugoslawien zurück und verstrickten sich dabei immer mehr in die verbrecherischen Abenteuer der Deutschen. Der Verliererstaat des Ersten Weltkriegs, der eine kommunistische Revolution und deren Niederschlagung erlebt hatte, wurde zum Schurkenstaat im Zweiten. Nur an der "Endlösung" wollte sich die ungarische Regierung, trotz eines urwüchsigen eigenen Antisemitismus, nicht beteiligen. Noch bis 1944 gelang es, "ihre" Juden vor der Deportation in die Vernichtungslager zu bewahren. Dann sorgten Eichmann und seine Schergen dafür, daß noch eine halbe Million ungarische Juden ermordet wurde.

Gut war es ihnen auch zuvor nicht ergangen. Tausende waren zum Arbeitsdienst in der Ukraine geschickt worden. Auch Béla Zsolt war darunter, trotz seiner inzwischen 47 Jahre; als bekannter Oppositioneller war er besonders bösartigen Schikanen ausgesetzt. Mit Hilfe seiner exzellenten Verbindungen gelang es ihm zwar, freizukommen und nach Budapest zurückzukehren. Doch dort wartete schon das Militärgefängnis (wegen "Greuelpropaganda"), dann das Ghetto. Daß er nicht, wie die meisten seiner jüdischen Landsleute, in der Gaskammer sterben mußte, verdankt er einem Wunder: Er gehörte zu den rund eintausendfünfhundert ungarischen Juden, die im Zuge der "Kasztner-Aktion" in letzter Minute freigekauft werden konnten.

Gleich nach dem Krieg, 1945, nahm Zsolt seine politische und literarische Aktivität sofort wieder auf. Er gründete eine Partei der "bürgerlichen Demokraten", für die er 1947 ins Parlament gewählt wurde, und kämpfte in der Zeitschrift "Fortschritt" gegen Korruption, den wieder auflebenden Antisemitismus und den Machtzuwachs der Kommunistischen Partei, die schließlich das Land in ihren Würgegriff nahm. Aber da war Zsolt schon todkrank; die Publikation seiner Erinnerungen an die Zwangsarbeit und das Ghetto, die Woche für Woche im "Fortschritt" erschien, mußte er abbrechen; sie blieben unvollendet. Diese Erinnerungen sind erst 1980 in Ungarn erschienen, unter dem Titel "Neun Koffer" 1999 auch auf deutsch (mit einem hilfreichen Nachwort von Ferenc Koszeg); sie gehören zu den frühesten und schrecklichsten Beiträgen der Holocaust-Literatur.

Zsolts Roman "Eine seltsame Ehe", den der Verlag Neue Kritik jetzt vorlegt, ist von anderem Schlag, aber von derselben untrüglichen Schärfe des Blicks, des Urteils und des Ausdrucks. Erschienen erstmals 1936, sind die kommenden Katastrophen darin schon mehr als nur zu erahnen. Einmal, gegen Ende des Romans, träumt der Ich-Erzähler von Hitler, der vor einer großen Menschenansammlung spricht. Es ist eine Szene, so grotesk-gespenstisch wie nur Träume sein können. "Die Welt ist am Ende", lautet der letzte Satz dieses Romans, als wüßte der Autor, was er wenige Jahre später zu beschreiben haben würde.

Eigentlich kreist die Handlung aber - und was gibt es Hoffnungsvolleres? - um ein Kind, das zur Welt kommen soll, und das auch noch an Heiligabend. Helén, die Frau des Rechtsanwalts und Erzählers Viktor, liegt in den Wehen, und er, den die Gebärende nicht bei sich dulden will, geht derweil seinen Geschäften nach, versucht die Zeit herumzubringen und holt sie statt dessen zurück: immer mehr Zeit, immer mehr Vergangenheit. Viktor rekapituliert, wie es dazu kam, daß er da steht, wo er steht - als künftiger Vater, ungeliebter Gatte, verachteter Sohn, verlachter Kollege und vor allem: als ein Mensch, der von seiner eigenen Minderwertigkeit zutiefst überzeugt ist.

In einer Mischung aus Reflexion und Erzählung ruft sich Viktor Kindheit und Soldatenzeit in Erinnerung, schmerzliche und skurrile Episoden, darunter die abenteuerliche Fahnenflucht an der Seite eines Grafen, vor dem alle Uniformierten sofort katzbuckeln und der ihn um sein letztes Geld erleichtert. Dann sein erster Prozeß, bei dem er sich in die Tochter des Angeklagten verliebt, eben Helén, die jetzt in den Wehen liegt. Zsolt ist ein glänzender Psychologe, dem kein verborgenes Motiv entgeht, ein später Nachfahre der großen Moralisten, aber auch ein grausamer, weil er auch die letzten Illusionen über die Gründe menschlichen Verhaltens zerstört. Zsolt ist aber auch ein vorzüglicher Soziologe, Spezialist für die feinen Unterschiede; seine Analyse des ungarischen Judentums, das den Lebensstil der altansässigen Bourgeoisie imitiert, ist von bestechender Genauigkeit.

"Die geheime Chemie dieses Milieus, dieser Stimmung ist schwer zu erhaschen, denn es reicht ein Tropfen zuwenig oder zuviel, und schon ist es nicht mehr ganz dasselbe, ja es ist sogar ganz anders." Bei Zsolt aber stimmt die Dosierung so genau, daß das Milieu nicht nur getroffen, sondern wiederbelebt wird. Geiz und Kälte, Haß und Ressentiment, die Unfähigkeit, sich der Situation angemessen zu verhalten - das alles findet er bei Juden wie bei Nichtjuden. Den Juden aber wird es zum Verhängnis - wie seinen Schwiegereltern, die es nicht über sich bringen, ihre fünfzehn Jahre alte Enkelin in eine andere Stadt und in Sicherheit zu schicken, weil sie dort ins falsche Milieu geraten könnte. So gehen sie alle drei zugrunde - diese wahre Geschichte aus seiner Familie erzählt Zsolt in "Neun Koffer".

"Ich mußte Einzelheiten sehen, um auf das Ganze schließen zu können", schreibt Zsolts Erzähler. Im Zuge der Rückblenden, Dialoge, Szenen und Episoden bildet sich aus diesen Einzelheiten das Panorama einer völlig desorientierten Gesellschaft, deren Grundlagen erschüttert, deren Werte verloren sind und deren Zukunft noch Schlimmeres verspricht. "Dieses ganze Schreiben hat keinen Sinn, wenn ich nicht in jeder Hinsicht erbarmungslos offen bin": Das ist er, geht mit Groß- und Kleinbürgern, Aristokraten und Proletariern gleichermaßen scharf ins Gericht.

Am unnachsichtigsten aber geht Viktor mit sich selbst um, dem Zeugen, Ankläger und Richter in einem. Seine Geburt sollte die zerrüttete Ehe der Eltern retten, verdarb statt dessen endgültig alles. Aus Rache legten die Eltern ihm das Selbstbewußtsein eines Kafkaschen Käfers in die Wiege. Die Mutter, von seiner Schwachsinnigkeit überzeugt, läßt sich von keinem Lehrer davon abbringen; also geht Viktor zur Sonderschule. Noch den vierzigjährigen Anwalt gängelt und demütigt sie, wo es nur möglich ist. In der Konsequenz ist der Sohn von seiner Dummheit und Häßlichkeit zutiefst und unrettbar überzeugt: "Ich ging wie ein Zwerg durch die Welt, und wenn ich mich mal wunderte, dann eher darüber, daß es Menschen gab, die mich wie einen normal gewachsenen Menschen behandelten."

Aber die Liebe! wird man nun einwenden. "Eine seltsame Ehe" ist schließlich ein Liebesroman. Er schildert die Liebe in ihrer vielleicht reinsten, jedenfalls intensivsten Form: unerwidert. Zsolt bildet lauter Paare, in denen nur einer liebt, verzweifelt, aussichtslos, aber unbeirrbar, und jedes Paar bereitet sich, ob es will oder nicht, eine eigene, private Hölle. Helén, die Tochter des durch den Prozeß ruinierten Eisenbahners Viranyi, hat einen Liebhaber, den sie auch in der Ehe nicht aufgibt. Sie heiratet Viktor nur, weil sie dringend Geld braucht. Helén macht Viktor so wenig vor wie der dem Leser; dennoch besteht er darauf, sie zu heiraten - ist seine Liebe nicht, wie er betont, auch und gerade weil unerwidert, ein "souveränes Gefühl", das reichen könnte für zwei? Das Zusammenleben belehrt ihn schnell eines Besseren. "Dann vollzogen wir die Ehe": So lautet in seiner fürchterlichen Geschäftsmäßigkeit der vielleicht trostloseste Satz des Romans. "Ich langweile und ekle mich", schreibt die Frau von der Hochzeitsreise an den Geliebten; der Mann liest den Brief, begreift, daß sich der Ekel auf ihn, den nicht einmal Genannten, bezieht, und implodiert beinahe vor Haß und Selbsthaß, Wut und Hilflosigkeit.

Dann verläßt sie ihn, wird zurückgeholt, zurückgepreßt, zurückgekauft; auch wenn sie dann, in der allgemeinen Not, ein mühsames Auskommen miteinander finden: Die Liebe bleibt nicht nur für Viktor und Helén eine der schlimmsten Foltern, die Menschen einander bereiten können, weil sie die schmerzempfindlichsten Punkte des anderen kennen. Erstaunen und Erbarmen kennzeichnet Zsolts Blick auf diese seltsamen Wesen, die im Kleinen wie im Großen einzig danach zu trachten scheinen, sich zugrunde zu richten.

Aber das Kind, diese Inkarnation des Prinzips Hoffnung! Gezeugt in Angst und Verzweiflung, die Viktor und Helén erfaßt, als sie begreifen, daß der Untergang der Juden Europas bevorsteht. Das Kind wird in einem letzten Aufbäumen der Phantasie Projektionsfeld aller Illusionen, die sich Viktor sonst nie gestattet und die er zugleich als Ausfluß des "jüdischen Messianismus" erkennt. In den Wochen vor der Geburt zimmert er sich eine Arthur-Legende (denn so, wie der König der Tafelrunde, soll der Sohn heißen), träumt nachts von dessen künftigen Siegen in Sportwettkämpfen oder im Rededuell gegen Hitler, schraubt dann, um das Schicksal nicht zu provozieren, seine Wünsche bescheiden auf einen "gesunden Durchschnittsbürger" zurück. Nur leben soll er! Aber das Kind kommt tot zur Welt. Und diese Welt, so sagt der letzte Satz, "ist am Ende".

Erst am Anfang steht bei uns Béla Zsolts Entdeckung als Autor, den man den Großen seiner Zeit zur Seite stellen muß. In seiner luziden Verzweiflung ist er einem Emmanuel Bove vergleichbar, in seiner Unbestechlichkeit und Unerbittlichkeit einem Aleksandar Tisma, beiden unbedingt im Rang. Der Verlag Neue Kritik hat weitere Romane Zsolts angekündigt.

Béla Zsolt: "Eine seltsame Ehe". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Angelika Máté. Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 2001. 368 S., geb., 25 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Nach Sandor Marai steht nun, jubelt Martin Ebel, der nächste große ungarische Erzähler zur Entdeckung an. Erst einmal berichtet er aus dem Leben von Bela Zsolt, der im Budapest der zwanziger Jahre zu Ruhm im literarisch-publizistischen Milieu gelangte - und als Jude nur durch ein "Wunder" der Ermordung durch die Nazis entkam. Der nun veröffentlichte Roman stammt aus dem Jahr 1936 und bereits hier träumt der Ich-Erzähler von Hitler. "Die Welt ist am Ende", so lautet schon der erste Satz des Romans. Die Geschichte, vom Rechtsanwalt Victor am Tag der Geburt seines Sohnes rückblickend erzählt, weitet sich, so Ebel, zum "Panorama einer völlig desorientierten Gesellschaft". Zsolt erweist sich als "glänzender Psychologe", darüber hinaus aber als genau beobachtender, "vorzüglicher Soziologe". Dies alles am Leitfaden aus "Hass und Selbsthass", den die Erinnerungen des Rechtsanwalts verfolgen. Seine Mutter hält ihn für schwachsinnig (und er glaubt ihr), seine Ehe wird zur "privaten Hölle". "Erstaunen und Erbarmen" mache den Blick des Autors auf seine Figuren aus, lobt Ebel, und wiederholt noch einmal, dass man Zsolt "den Großen seiner Zeit zur Seite stellen muss".

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