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"Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt." Der berühmte Satz des damaligen Bundesverteidigungsministers Peter Struck im Dezember 2002 war Ausdruck eines neuen außen- und sicherheitspolitischen Selbstverständnisses der SPD. Der Weg dorthin war schwierig. Denn für die meisten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren Auslandseinsätze der Bundeswehr noch Anfang der 1990er-Jahre unvorstellbar. Obwohl Aktivitäten der Bundeswehr außerhalb Deutschlands in der Sozialdemokratie immer sehr kritisch gesehen wurden, hat sich die Haltung der Partei zu "Out-of-area"-Einsätzen in…mehr

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Produktbeschreibung
"Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt." Der berühmte Satz des damaligen Bundesverteidigungsministers Peter Struck im Dezember 2002 war Ausdruck eines neuen außen- und sicherheitspolitischen Selbstverständnisses der SPD. Der Weg dorthin war schwierig. Denn für die meisten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren Auslandseinsätze der Bundeswehr noch Anfang der 1990er-Jahre unvorstellbar. Obwohl Aktivitäten der Bundeswehr außerhalb Deutschlands in der Sozialdemokratie immer sehr kritisch gesehen wurden, hat sich die Haltung der Partei zu "Out-of-area"-Einsätzen in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Vor allem die rot-grüne Bundesregierung traf von 1998 bis 2001 Entscheidungen, die tiefe innerparteiliche und strukturelle Veränderungen nach sich zogen. Das Kabinett Schröder stand vor der schwierigen Aufgabe, die außenpolitischen Traditionslinien der Partei fortzuschreiben und gleichzeitig den Ansprüchen der Bündnispartner gerecht zu werden. Dieser Band zeichnet die langwierigen und oft schmerzhaften Diskussionen in der SPD zwischen 1982 und 2007 farbig und schonungslos nach.
Autorenporträt
Michael Herkendell, geb. 1975, Dr. des., Politologe und Historiker, studierte in Köln und Bochum, arbeitet als Referent für politische Bil-dung am Bildungsinstitut der arbeitenden Jugend.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2012

Abgelenkt und eingeschwenkt
Die außen- und sicherheitspolitische Orientierung der SPD von 1982 bis 2007

Als im Dezember 2002 der damalige Verteidigungsminister Peter Struck erklärte, die Sicherheit der Bundesrepublik werde auch am Hindukusch verteidigt, war dies Ausdruck eines gewandelten außen- und sicherheitspolitischen Konzepts der SPD, das der neuen multipolaren Weltordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs gerecht werden sollte. Unter dem Titel "Deutschland: Zivil- oder Friedensmacht?" versucht jetzt Michael Herkendell nachzuzeichnen, welchen Einfluss der friedenspolitische Diskurs der achtziger Jahre und die internationalen Herausforderungen nach dem Ende der Blockkonfrontation auf die außen- und sicherheitspolitischen Konzepte und die innerparteiliche Willensbildung in der SPD hatten.

Der Titel der Studie bedarf der Erläuterung. Der Autor zieht eine Trennlinie zwischen den Vertretern einer zivilmachtorientierten Politik, deren Verständnis von Außenpolitik an "Zielsetzungen, Werte, Prinzipien sowie Formen der Einflussnahme und Instrumente der Machtausübung, die einer Zivilisierung der internationalen Beziehungen dienen", gebunden sei, und den Befürwortern einer friedensmachtorientierten Politik, deren Leitbild eine "Zivilmacht mit militärischen Mitteln" sei. Letztere drängten auf Konfliktprävention und erstrebten eine Vertiefung und Erweiterung internationaler Kooperationszusammenhänge. Die Unterscheidung mutet künstlich an. Denn über die Ziele bestand in den innerparteilichen Auseinandersetzungen weitgehender Konsens. Dissens brach hingegen über die Frage aus, ob die neuen internationalen Bedrohungen und Konflikte mit militärischen Mitteln zu lösen seien.

Auf hundert Seiten rekonstruiert Herkendell auf der Grundlage veröffentlichter Literatur die Positionen der SPD von 1945 bis 1989, als die Mauer fiel und die SPD in Berlin ein neues Grundsatzprogramm verabschiedete. Nicht alle Befunde des Autors sind zutreffend. Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Schumacher war kein Vertreter einer militärischen Neutralität der Bundesrepublik, sondern lehnte diese strikt ab. Nicht das Godesberger Programm, sondern erst die Rede Herbert Wehners vom 30. Juni 1960 machte den Weg für eine gemeinsame Außenpolitik von Regierung und Opposition frei.

Wie viele Autoren vor ihm geht auch Herkendell mit der "sozialdemokratischen Nebenaußenpolitik" nach dem Machtverlust der sozial-liberalen Koalition 1982 hart ins Gericht. Mit ihrer Ablehnung des Nato-Doppelbeschlusses, ihrem Konzept einer "Sicherheitspartnerschaft" mit der DDR und den osteuropäischen Staaten sowie ihrer Forderung nach einer chemie- und kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa habe die SPD "nahezu auf einer Linie mit den Positionen" der Staaten des Warschauer Pakts gelegen und sich vom "westlichen sicherheitspolitischen Mainstream" verabschiedet. Letzteres ist gewiss richtig. Der Autor unterlässt es aber, darauf hinzuweisen, dass das von der SPD verteidigte Konzept einer gesamteuropäischen Friedensordnung eine Reaktion auf den vom amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan zunächst eingeschlagenen Konfrontationskurs war. Reagans angekündigter Kreuzzug gegen die als "Reich des Bösen" apostrophierte Sowjetunion gefährdete die von den Sozialdemokraten verfolgte Entspannungspolitik.

Zutreffend ist freilich, dass im Zuge der deutschen Einheit der "Fahrplan" der SPD "für eine europäische Friedensordnung in kürzester Zeit von der Realität überholt wurde". Realitätsblindheit wird man der SPD-Führung jedoch nicht vorwerfen können. Schon im April 1990 - also einen Monat bevor Michail Gorbatschow in den Vereinigten Staaten grünes Licht für eine Nato-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands signalisierte - hatte die Mehrheit der SPD-Fraktion dem deutschen Verbleib in der Nato zugestimmt. Als Konzession an den linken Parteiflügel wurde lediglich die Weiterentwicklung der KSZE zu einem System kollektiver Sicherheit in fernerer Zukunft in Aussicht gestellt.

Mit dem Entstehen zahlreicher Konflikte und Kriege weltweit nach dem Ende der Blockkonfrontation kamen neue Aufgaben auf die Nato und die Bundesrepublik zu, die sich nicht mehr in eine Scheckbuchdiplomatie flüchten konnte. In Kontinuität zu ihrer friedensbetonten Sicherheitspolitik billigte die SPD auf ihrem Bremer Parteitag 1991 außerhalb des Nato-Gebiets zunächst nur Blauhelmeinsätze der Bundeswehr im Rahmen eines UN-Mandats. Nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Juli 1994, das eine Entsendung von Bundeswehrtruppen zu Kampfeinsätzen nach vorheriger Zustimmung des Bundestages für verfassungskonform erklärte, wurden vom Parteivorsitzenden Rudolf Scharping militärische Auslandseinsätze der Bundeswehr als Ultima Ratio nicht mehr ausgeschlossen. Allerdings stimmten im Juni 1995 nur 45 Abgeordnete der SPD dem Einsatz deutscher Tornados im Konflikt in Bosnien-Hercegovina zu.

Als die SPD 1998 unter Gerhard Schröder die Regierungsverantwortung übernahm, schwenkte sie auf den Kurs der schwarz-gelben Vorgängerregierung von Helmut Kohl (CDU) ein. Im Herbst 1998 votierte sie für einen Nato-Einsatz unter deutscher Beteiligung im Kosovo-Krieg, obwohl die Intervention nicht durch ein UN-Mandat gedeckt war. Schröder sah sich zur Bündnissolidarität verpflichtet. Dass der Nato-Einsatz von der großen Mehrheit der SPD mitgetragen wurde, lag indes nicht nur an der Einbindung der Parteilinken in die Regierung, sondern auch an einer neu gezogenen Lehre aus den nationalsozialistischen Verbrechen von Auschwitz: Völkermord sollte nie mehr hingenommen werden.

Die deutsche Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom" nach den Terrorangriffen des "Nine Eleven" erklärt Herkendell nicht nur mit der von Schröder konstatierten Bündnispflicht, sondern auch mit dessen Bestreben, im "Windschatten einer möglichen Beteiligung am Antiterrorkampf" die "sicherheitspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten Deutschlands zu erweitern". Schröder musste allerdings im Bundestag die Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr mit der Vertrauensfrage verbinden, denn innerhalb der rot-grünen Regierungsfraktionen gab es gleich bei mehreren Abgeordneten erhebliche Zweifel, dass dem internationalen Terrorismus mit militärischen Interventionen beizukommen sei.

Das Nein Schröders und der SPD zu einer möglichen militärischen Beteiligung am Irak-Krieg stand frühzeitig fest. Es war, wie Herkendell hervorhebt, nicht der Wahlkampftaktik des Bundeskanzlers geschuldet, sondern richtete sich gegen die amerikanische Hegemonialpolitik. Das von Frankreich unterstützte Bestreben der Bundesregierung, dem Unilateralismus der Vereinigten Staaten durch eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik entgegenzutreten, scheiterte bekanntlich an der tiefen Gespaltenheit Europas in der Irak-Frage. Welche Konzepte einer transatlantischen Zusammenarbeit die SPD entwickelte und welche Ziele die rot-grüne Bundesregierung mit ihrem Bemühen um eine Stärkung der europäischen Sicherheitsarchitektur verband, wird in der Arbeit nicht thematisiert.

Der Autor schließt seine Darstellung mit einem Verdikt gegen eine "übertriebene Form der moralischen Grundierung bei außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen". Wenn er allerdings die "Würde jedes einzelnen Menschen in den Mittelpunkt" einer zukünftigen sozialdemokratischen Außenpolitik stellen möchte, folgt er selbst den Geboten der Moral, nicht der Realpolitik.

PETRA WEBER

Michael Herkendell: Deutschland: Zivil- oder Friedensmacht? Außen- und sicherheitspolitische Orientierung der SPD im Wandel (1982-2007). Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2012. 301 S., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Laut Petra Weber versucht der Autor mit seiner Studie, den Einfluss der friedenspolitischen Diskurse der 80er Jahre und der veränderten Herausforderungen um 1989 auf die politischen Konzepte der SPD zu erläutern. Weber folgt Michael Herkendell bei seiner Nachzeichnung der entsprechenden Positionen von 1945 bis 1989 und stellt fest, dass sie nicht alle seine Befunde teilen kann. So hält sie Kurt Schuhmacher nicht wie der Autor für einen Befürworter militärischer Neutralität. Und auch die Rolle des Godesberger Programms für eine gemeinsame Außenpolitik von Regierung und Opposition schätzt der Autor ihrer Meinung nach falsch ein. Dass Herkendell sich einerseits gegen eine übertrieben moralische Sicherheits- und Außenpolitik ausspricht, zugleich aber die Würde des Einzelnen als Orientierungspunkt sozialdemokratischer Politik empfiehlt, hält sie für in sich widersprüchlich.

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