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Aufgedeckte Fehlentwicklungen und Missstände bei der Beschaffung von Rüstungsgütern für die Bundeswehr schrecken die deutsche Öffentlichkeit immer wieder - wenn auch nur kurzfristig - auf. Dabei werden in den Diskussionen häufig Argumentationsmuster und Begriffe aus der Zeit des Kalten Krieges verwendet, die auch damals schon nur bedingt der Realität entsprachen. So ist zum Beispiel der weithin bekannte Begriff des "Militärisch-Industriellen Komplexes" für die Verhältnisse in Deutschland bis zum heutigen Tag unpassend. Dennoch ist weder in der Geschichts-, noch in der Politik- oder in den…mehr

Produktbeschreibung
Aufgedeckte Fehlentwicklungen und Missstände bei der Beschaffung von Rüstungsgütern für die Bundeswehr schrecken die deutsche Öffentlichkeit immer wieder - wenn auch nur kurzfristig - auf. Dabei werden in den Diskussionen häufig Argumentationsmuster und Begriffe aus der Zeit des Kalten Krieges verwendet, die auch damals schon nur bedingt der Realität entsprachen. So ist zum Beispiel der weithin bekannte Begriff des "Militärisch-Industriellen Komplexes" für die Verhältnisse in Deutschland bis zum heutigen Tag unpassend. Dennoch ist weder in der Geschichts-, noch in der Politik- oder in den Sozialwissenschaften bisher ein Modell entwickelt worden, das die deutschen Gegebenheiten abbildet.

Diesem Desiderat hat sich der multinational, multiperspektivisch und vergleichend angelegte Sammelband angenommen. Ausgewiesene Experten aus sieben Nationen analysieren erstmalig im deutschen Sprachraum die unterschiedlichen Ausprägungen Formen der Rüstungsgüterbeschaffung durch die wichtigsten staatlichen Akteure während des Ost-West Konfliktes. Um dies zu verdeutlichen, beantworten sie einige grundsätzlichen Fragen, die sich bei der Beschaffung von Rüstungsgütern stellen, z.B.: Welche Bedeutung misst der Staat der Produktion von Waffen zu, oder wie organsiert er die Beschaffung von Material für die Streitkräfte, und welchen Einfluss nehmen die Entscheidungsträger aus Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft im Rahmen der Rüstungsgüterproduktion auf die allgemeinen politischen Prozesse des Staates. Das Ergebnis dieser umfassenden Analyse ist u.a. die Konzeption des "Rüstungsinterventionismus" als ein Gegenentwurf zum "Militärisch-industriellen Komplex":. Der "Rüstungsinterventionismus" wird in mehreren europäischen Staaten praktiziert und basiert in ordnungspolitischer Hinsicht auf dem Ausschreibungsverfahren.
Autorenporträt
Kollmer, Dieter H
Der Herausgeber ist Offizier, Historiker und Fachprojektleiter "Geschichte der Bundeswehr" am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) sowie Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Werner Rahn ist es ein wertvoller Beitrag für Politik und Wissenschaft, was Dieter H. Kollmer in diesem Tagungsband zum Thema "Rüstung in Europa und Nordamerika nach dem Zweiten Weltkrieg" zusammengestellt hat. Die elf Beiträge über Super- und Mittelmächte, Gegenwart und Zukunft in Sachen Militärischer-Industrieller-Akademischer Komplex haben Rahn wegen ihrer insgesamt beeindruckenden Quellenarbeit überzeugt. Dass einzelne Texte zeitlich, räumlich und motivisch beschränkt bleiben, kann der Rezensent verkraften. Wichtiger scheint ihm die gute Belegung und Zugänglichkeit der Quellen sowie der vergleichende Ansatz.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2016

Frankreichs Erfolge als Waffenexporteur
Rüstungsbeschaffung in Europa und Nordamerika nach dem Zweiten Weltkrieg

Im Januar 1961 warnte der scheidende amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower vor der Gefahr eines Militärisch-Industriellen Komplexes, aus dem sich für Rüstung und äußere Sicherheit der Vereinigten Staaten ein nichtlegitimiertes Machtzentrum bilden könne. Man dürfe nicht zulassen, "dass die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet". Im Laufe der 1970er Jahre entwickelte sich der Begriff Militärisch-Industrieller Komplex (MIK) gerade in Westdeutschland zu einem Kampfbegriff der Friedensbewegung gegen das politische Establishment, die wehrtechnische Industrie und das Militär schlechthin. Dabei wurde der konkrete Beschaffungsvorgang von Wehrmaterial in Medien und Wissenschaft kaum zur Kenntnis genommen. Demgegenüber ist in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien die Beschaffung von Wehrmaterial ein Teil der nationalen Identität.

Der Begriff MIK wird dort meist als analytische Kategorie benutzt und nicht als Argument, um die Beschaffung von Wehrmaterial grundsätzlich zu verhindern. Seit Jahren hat sich das frühere Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr (MGFA) mit Fragen einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik beschäftigt. So war es im November 2011 nur konsequent, eine internationale Tagung mit dem Thema "Für Frieden und Freiheit oder Shareholder Value und Auslastungsquote? Rüstung in Europa und Nordamerika nach dem Zweiten Weltkrieg" durchzuführen. Die Ergebnisse der Tagung hat jetzt das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (früher MGFA) in einem Sammelband veröffentlicht. Herausgeber Dieter H. Kollmer weist in seiner Einleitung darauf hin, dass ein MIK "grundsätzlich nur in Staaten entsteht, die eine eigene bedeutende Rüstungsindustrie aufgebaut haben, welche in der Lage ist, selbständig den Großteil der erforderlichen modernen Waffensysteme zu entwickeln und herzustellen".

Der Band enthält elf Beiträge auf fünf Abschnitte verteilt: I. Supermächte (Vereinigte Staaten und Sowjetunion), II. Mittelmächte (Großbritannien und Frankreich), III. Deutschland (Bundesrepublik und DDR), IV. Kleine und Neutrale (Österreich, Schweiz, Schweden und Dänemark), V. Gegenwart und Zukunft. Für die Vereinigten Staaten weist der kanadische Historiker Holger H. Herwig nach, dass der amerikanische MIK nicht erst während des Zweiten Weltkrieges oder im Kalten Krieg entstand, sondern seine Ursprünge im 19. Jahrhundert hatte und im Ersten Weltkrieg die Entscheidungsträger für nationale Sicherheit in Politik, Wirtschaft und Militär zusammenführte, um die massive Aufrüstung der US-Streitkräfte bewältigen zu können.

Auf der Basis neu ausgewerteter sowjetischer Akten kommt Matthias Uhl zu dem Ergebnis, dass in der Sowjetunion nach 1945 ein Militärischer-Industrieller-Akademischer Komplex entstand, der die wirtschaftliche Sicherstellung der Landesverteidigung gewährleisten sollte, um mit dem Ausbau der Rüstungsindustrie den Schutz des sozialistischen Weltsystems zu garantieren. Doch die Aufrüstung führte dazu, dass für die Streitkräfte Summen erforderlich waren, die für die Modernisierung der Volkswirtschaft fehlten. Die Kosten für das Instrument, welches das System schützen sollte, verursachten letztlich seinen Zusammenbruch. Leider beschränkt sich dieser Beitrag auf den Zeitraum von 1945 bis 1970. Die später einsetzende globale maritime Strategie der Sowjetunion bleibt weitgehend ausgeklammert.

Die Mittelmacht Großbritannien verfügte zwar lange Zeit über einen MIK, doch mit der Privatisierung und Internationalisierung der eigenen Rüstungsgüterproduktion hat London, so John Louth, offensichtlich ein wichtiges Instrument staatlicher Selbstbestimmung und Identität aus der Hand gegeben. Demgegenüber betreibt Frankreich eine aufwendige Rüstungspolitik, um seine Unabhängigkeit und Führungsrolle in diesem Sektor unter Beweis zu stellen. Die Herstellung von Wehrmaterial dient daher nicht nur den eigenen Streitkräften, sondern ist ein integraler Bestandteil der Außenwirtschaftspolitik. Florian Seiller weist nach, wie der Export von Waffen und Geräten, "seit Anfang der 1970er Jahre sprunghaft zunahm", was maßgeblich dazu beitrug, dass Frankreich "zu einem der größten Rüstungsexporteure" aufstieg.

Kollmer behandelt in seinem Beitrag über "Rüstungsinterventionismus" nach 1945 den Beschaffungsvorgang der wichtigsten Waffensysteme der Bundeswehr von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Der eigene U-Boot-Bau mit seinen Exporterfolgen bleibt allerdings ausgeklammert. Er weist darauf hin, dass in Deutschland noch kein MIK entstanden ist, auch wenn Journalisten und Wissenschaftler immer wieder andere Thesen vertreten. In einem MIK bleiben Planung und Finanzierung der Programme weitgehend geheim. In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt die Beschaffung von Wehrmaterial nach einem gesetzlich festgelegten Ausschreibungsverfahren unter parlamentarischer Kontrolle: Ziel ist es, dafür zu sorgen, "dass der Staat als Monopson" - also als alleiniger Nachfrager - "beim Erwerb von Gütern auf dem freien Markt nicht durch privatwirtschaftliche Anbieter übervorteilt wird".

Zum besseren Verständnis dieses Systems arbeitet Kollmer mit dem Begriff Rüstungsinterventionismus. Damit wird "der fallweise Eingriff des Staates in rüstungswirtschaftliche Prozesse" bezeichnet, "um wichtige volkswirtschaftliche Globalgrößen im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt zu beeinflussen". Das habe dazu geführt, dass das deutsche "Verteidigungsministerium eine deutlich stärkere Kontrolle über die Beschaffungsmaßnahmen und die Preisentwicklung für die Rüstungsgüter ausüben kann als die Verteidigungsministerien in Ländern mit einem MIK". Die einzelnen Beiträge sind gut belegt und leicht zugänglich, sofern es sich um gedruckte Quellen und Literatur handelt. Viele Belege sind jedoch dem Internet entnommen, was den Nutzer oft dazu zwingt, mehr als 100 Zeichen genau einzugeben, um die Quelle einsehen zu können. Abgesehen davon, ist der Band mit seinem vergleichenden Ansatz und den überzeugenden Forschungsergebnissen ein wertvoller Beitrag für Politik und Wissenschaft.

WERNER RAHN

Dieter H. Kollmer (Herausgeber): Militärisch-Industrieller Komplex? Rüstung in Europa und Nordamerika nach dem Zweiten Weltkrieg. Rombach Verlag, Freiburg im Breisgau 2015. 312 S., 24,80 [Euro].

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