Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 28,00 €
  • Gebundenes Buch

Er war katholischer Hannoveraner, dann Preuße "wider Willen", Minister und Abgeordneter im Reichstag. Vor allem aber einer der großen frühen deutschen Parlamentarier, der den gewaltigen Bismarck herausforderte. Windthorsts Leben umfasst 80 Jahre bewegter deutscher Geschichte. Sie anhand seiner Biografie zu betrachten, ist höchst interessant. Wie erlebte der Student Windthorst den Vormärz, die Revolutionen, die Reichsgründung - wie stand der Politiker Windthorst zu den geistigen Umbrüchen, zur Industriellen Revolution, zu Liberalismus, Nationalismus, Sozialismus und politischem…mehr

Produktbeschreibung
Er war katholischer Hannoveraner, dann Preuße "wider Willen", Minister und Abgeordneter im Reichstag. Vor allem aber einer der großen frühen deutschen Parlamentarier, der den gewaltigen Bismarck herausforderte. Windthorsts Leben umfasst 80 Jahre bewegter deutscher Geschichte. Sie anhand seiner Biografie zu betrachten, ist höchst interessant. Wie erlebte der Student Windthorst den Vormärz, die Revolutionen, die Reichsgründung - wie stand der Politiker Windthorst zu den geistigen Umbrüchen, zur Industriellen Revolution, zu Liberalismus, Nationalismus, Sozialismus und politischem Konfessionalismus? Als Mitbegründer des Zentrums war Windthorst der profilierteste Vertreter des Politischen Katholizismus, ein Meister der Rhetorik in den großen Debatten im Reichstag und den Auseinandersetzungen mit Bismarck, besonders zur Zeit des Kulturkampfs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2012

Prinzipienfester Störenfried
Ludwig Windthorst machte es weder der Zentrumspartei noch dem Vatikan leicht

Ludwig Windthorst (1812-1891), der unbestrittene Führer der katholischen Zentrumspartei in den Jahren des "Kulturkampfes", war im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus der streitbare parlamentarische Gegenspieler Otto von Bismarcks und aller Gegner des politischen Katholizismus. Er stammte aus Osnabrück und wuchs in einem kleinbürgerlichen katholischen Milieu von großer sozialer Dichte auf. Körperliche Defizite - mit einer Körpergröße von 1,50 Meter von fast zwerghaftem Wuchs und früh sehbehindert, später fast blind - spornten ihn von Jugend an zu besonderen geistigen Leistungen an.

Zunächst Rechtsanwalt, betrat er 1849 mit dem Eintritt in die Zweite Kammer des Königreichs Hannover die politische Bühne. Er war der erste Katholik, der im überwiegend protestantischen Hannover Minister wurde. Von 1851 bis 1853 und 1862 bis 1865 amtierte er als Justizminister, weshalb man ihn in späteren Jahren häufig "die kleine Exzellenz" nannte. Nach der Annexion Hannovers durch Preußen 1866 fungierte Windthorst als Rechtsberater und Bevollmächtigter des depossedierten hannoverschen Königs Georg V. Er ließ sich aber auch in den Norddeutschen Reichstag und in das preußische Abgeordnetenhaus wählen, im katholischen emsländischen Wahlkreis Meppen, was ihm den Spitznamen "die Perle von Meppen" eintrug.

Seine große Zeit begann nach 1871, als der Sechzigjährige - Speerspitze der Zentrumsfraktion - den Kampf gegen die Kulturkampf-Gesetze im Reich und in Preußen anführte, redegewaltig, schlagfertig, oft provokativ. Über zweitausend Mal hat er das Wort ergriffen, öfters als jedes andere Reichstagsmitglied. Er galt als ungekrönter König des katholischen Deutschland und zugleich als dessen inoffizieller Kultusminister. Sein Ansehen im katholischen Bevölkerungsteil war immens, seine Gegner fürchteten ihn. Von Bismarck ist das Diktum überliefert: "Mein Leben erhalten und verschönen zwei Dinge: meine Frau und Windthorst. Die eine ist für die Liebe, der andere für den Hass."

Obwohl Windthorst - übrigens einer der ersten Berufsparlamentarier Deutschlands - "zwei Generationen katholischer Politiker geprägt" hat (so Rudolf Morsey), dauerte es lange, bis Leben und Leistung dieses profilierten Zentrumspolitiker durch eine anspruchsvolle wissenschaftliche Biographie gewürdigt wurde. Eine solche hat 1981 die amerikanische Historikerin Margaret L. Anderson herausgebracht: quellenmäßig breit fundiert, geschrieben mit analytischer Schärfe, aber auch mit viel Empathie für Katholizismus, katholische Kirche und Windthorst. Das sehr gelobte Werk liegt seit 1988 in einer deutschen Übersetzung vor.

Man kann sich fragen, ob es einer neuen Windthorst-Biographie bedarf. Rüdiger Drews ist dieser Meinung. Der siebzigjährige ehemalige Generalleutnant, der im Ruhestand ein Geschichtsstudium erfolgreich absolviert hat, überrascht mit einem ansprechenden Lebensbild des Zentrumsführers. Drews macht sich nicht anheischig, neue Sachverhalte zu präsentieren und unbekannte Quellen auszuwerten. Vielmehr möchte er die Wirkung des Jahrhunderts auf Windthorsts Denken und die Entwicklung seiner Grundeinstellung erkennen und Geschichte aus diesem Blickwinkel erzählen. Er schreibt in einem unprätentiösen, gut lesbaren Stil.

Die Forschungsliteratur zum langen 19. Jahrhundert ist ihm bekannt, auch viele Quellen zieht er heran, besonders intensiv schöpft er aus der von Hans-Georg Aschoff bearbeiteten zweibändigen Edition von Windthorsts Briefen (erschienen 1995 und 2002), die in dieser Form Frau Anderson noch nicht zur Verfügung stand. Der mit dem Geschehen im 19. Jahrhundert nicht allzu genau vertraute Leser mag es begrüßen, dass Drews sich darum bemüht, stärker als Anderson Windthorsts Lebensgeschichte in eine breitere Skizzierung des zeitgeschichtlichen Kontextes einzubetten. Dabei stützt er sich vorwiegend auf Thomas Nipperdey und ist damit auf der sicheren Seite. Bei der Bewertung von Windthorsts Persönlichkeit und Wirken setzt Drews hin und wieder durchaus eigene Akzente, mit denen er deutlich macht, dass sich seine Bewunderung des Zentrumsführers in Grenzen hält. Dessen Position wurde, wie er eingehend darlegt, seit Ende der 1870er Jahre schwieriger, als Bismarck daranging, den Kulturkampf abzubauen - und zwar unter Umgehung des Zentrums in direkten Verhandlungen mit Papst Leo XIII., der nach dem Tod von Papst Pius IX. im Februar 1878 den Stuhl Petri bestiegen hatte.

In Rom empfand man den intransigenten Zentrumsführer häufig als Störenfried, weil er - entgegen den Wünschen des Vatikans - das Zentrum gegen das Septennatsgesetz und gegen die ersten "Milderungsgesetze" in Stellung brachte. Windthorst sah sich in einen aufreibenden Mehrfrontenkampf verwickelt: gegen die Regierung Preußens und des Reiches, gegen die geschmeidigere Diplomatie der Kurie, gegen im Zentrum aufbrechende Gegensätze. Das machte den inzwischen Siebzigjährigen immer dünnhäutiger und unduldsamer: "Überreaktionen häuften sich bei ihm - erst Niedergeschlagenheit und gekränktes Sichzurückziehen, dann Rücktrittsdrohungen, schließlich ein an Insubordination grenzender kritisch-spröder Ton gegenüber der Kurie." Es wurde einsamer um ihn.

Nachdem sein engster Kampfgefährte Hermann von Mallinckrodt 1874 gestorben war, kam es in den 1880er Jahren zu Misshelligkeiten mit einflussreichen Zentrumsführern, mit August Reichensperger und mit Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst, dem mächtigen westfälischen "Bauernkönig", schließlich zu einem Zerwürfnis mit dem langjährigen Freund Arbogast Freiherr von und zu Franckenstein, damals Reichstagsvizepräsident und formal Vorsitzender der Reichstagsfraktion des Zentrums. Der fränkische Baron trat beim Altersund Invalidengesetz als Vorsitzender der zuständigen Reichstagskommission nachdrücklich für die von Bismarck gewünschte Finanzierungsregelung ein, während Windthorst strikt einen Staatszuschuss ablehnte und einen Erfolg Bismarcks unbedingt verhindern wollte. Tief enttäuscht schrieb Franckenstein an seine Frau, er könne die Gesichter Windthorsts, Hertlings und des Pfarrers Hitze nicht mehr ertragen; er habe gewusst, dass Windthorst eifersüchtig sei, aber diese Infamie habe er ihm nicht zugetraut. Auch derartige Quellenzeugnisse gehören zum Windthorst-Bild. Übrigens haben weder Frau Anderson noch Drews den reichhaltigen Nachlass Franckenstein in Ullstadt herangezogen.

Drews' Gesamturteil hebt darauf ab, es seien nicht der Reichtum seiner Gedanken und das Gepräge seines Geistes, die Windthorsts Verdienste als Katholikenführer ausmachten, "sondern sein ideologiefreier Pragmatismus, sein Vermögen, sich politische Optionen auch gegen kirchenpolitische Zwänge offen zu halten, seine taktische Geschicklichkeit und seine rhetorische Brillanz. Nicht Ideen und Zukunftsperspektiven waren sein Markenzeichen, sondern die Beherrschung der parlamentarischen Verfahrensweisen, die Pflege der öffentlichen Meinung und seine Prinzipienfestigkeit in Rechtsfragen." Sosehr Drews Windthorsts Leistungen anerkennt - eine Hagiographie ist dieses Buch nicht.

EBERHARD KOLB.

Rüdiger Drews: Ludwig Windthorst. Katholischer Volkstribun gegen Bismarck. Eine Biographie. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2011. 304 S., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass die Biografie über den ungekrönten König des katholischen Deutschland und  Bismarck-Widersacher Ludwig Windthorst keine Hagiografie geworden ist, rechnet Rezensent Eberhard Kolb dem Autor hoch an. Das nüchterne Bild eines Pragmatikers und Taktikers, das Rüdiger Drews zeichnet, gefällt Kolb etwas besser noch als die bisher maßgebliche Biografie von Margaret Anderson. Hier liegt für ihn auch die Berechtigung einer neuen Biografie: in der leicht abweichenden Akzentuierung, nicht in der Präsentation gänzlich neuer Sachverhalte. Dass Drews Windthorst und seine Karriere im zeitgeschichtlichen Kontext betrachtet, erscheint dem Rezensenten zum Beispiel sinnvoll. Die Auswertung von Windthorsts Korrenspondenz hat das Buch seinem Vorgänger ebenfalls voraus.

© Perlentaucher Medien GmbH