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Zweimal erlebte Russland im 20. Jahrhundert den Zusammenbruch seiner Staatlichkeit: 1917 den des Zarentums und 1991 den des bolschewistischen Regimes. Die Monografie des Osteuropahistorikers Leonid Luks befasst sich mit den Ursachen und stellt die Frage, warum ausgerechnet in Russland 1917 das erste totalitäre System der Moderne entstehen konnte. Luks zeigt auch die Zusammenhänge zwischen russischer und europäischer Entwicklung auf.

Produktbeschreibung
Zweimal erlebte Russland im 20. Jahrhundert den Zusammenbruch seiner Staatlichkeit: 1917 den des Zarentums und 1991 den des bolschewistischen Regimes. Die Monografie des Osteuropahistorikers Leonid Luks befasst sich mit den Ursachen und stellt die Frage, warum ausgerechnet in Russland 1917 das erste totalitäre System der Moderne entstehen konnte. Luks zeigt auch die Zusammenhänge zwischen russischer und europäischer Entwicklung auf.
Autorenporträt
Prof. Dr. Leonid Luks, geb. 1947 in Sverdlovsk (heute Ekaterinburg), studierte Slavische Philologie sowie Osteuropäische und Neuere Geschichte in Jerusalem und München. 1973 Promotion und 1981 Habilitation an der LMU. Nach Lehrtätigkeit in Bremen und Köln seit 1995 Inhaber des Lehrstuhls für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2001

Allmächtiger Staat, ohnmächtige Gesellschaft
Solide Darstellung der Geschichte der Sowjetunion mit allzu pauschalen Vergleichen

Leonid Luks: Geschichte Rußlands und der Sowjetunion. Von Lenin bis Jelzin. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2000. 575 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 68,- Mark.

Fast ein halbes Jahrhundert hindurch hat die Darstellung Georg von Rauchs als Leitfaden durch die Geschichte der Sowjetunion gedient. Als sie 1955 erstmals unter dem Titel "Geschichte des bolschewistischen Rußland" (seit 1969 als "Geschichte der Sowjetunion") erschien, hatte die sowjetische Ära der russischen Geschichte "Halbzeit": Die KPdSU sollte wenig später durch Chruschtschows Geheimrede über Stalins Verbrechen erschüttert werden, die im kulturellen und öffentlichen Leben der Sowjetunion die Periode des "Tauwetters" nach sich zog, und der Kalte Krieg näherte sich seinem Höhepunkt. Damals stand das Interesse der westlichen Öffentlichkeit an der Sowjetunion unter dem Vorzeichen der weltweiten Auseinandersetzung. Forschungseinrichtungen, Zeitschriften und Bildungsstätten wurden gegründet.

Inzwischen existiert die sowjetische Weltmacht nicht mehr, ein verändertes Rußland sucht seinen Weg. Die hierzulande betriebene Wissenschafts- und Kulturpolitik hat sich von den außen- und kulturpolitischen Rahmenbedingungen Deutschlands abgekoppelt, entfacht ein Strohfeuerchen eines modischen Aktionismus nach dem anderen und verliert zunehmend das Interesse an der Förderung der Einrichtungen, die der politischen Bildung und insbesondere der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem östlichen Europa dienen.

Vor diesem Hintergrund verdient es besondere Aufmerksamkeit, daß in den letzten Jahren drei deutsche Autoren mit Büchern an die Öffentlichkeit getreten sind, um ihre Deutung der Geschichte der Sowjetunion anzubieten. Die erste Übersicht mit einem Einblick in die wesentlichen Bedingungen und Probleme der Sowjetunion bot Helmut Altrichter (1993). Dann kam das tiefreichende Reflexionen mit literarischer Eleganz darbietende Werk Manfred Hildermeiers heraus (1998). Darauf folgt nun das Buch von Leonid Luks.

Den drei Autoren geht es darum, nach dem Zusammenbruch dieses Riesenstaates die Gründe und Zusammenhänge deutlich zu machen, aus denen heraus er entstanden, zu gewaltiger Machtfülle aufgewachsen und zugrunde gegangen ist. Sie legen dabei unterschiedliche, einander ergänzende Gedanken zugrunde: Kommt es Altrichter darauf an, dem westlichen Leser die Geschichte Rußlands respektive der Sowjetunion als Teil der Weltgeschichte nahezubringen, stellt Hildermeier die Entwicklung der russischen Gesellschaft in ihrem Verhältnis zur europäischen Gesellschaftsgeschichte in den Mittelpunkt. Luks hingegen rückt die Frage nach der politischen Macht in den Vordergrund, nach den Methoden, sie auf revolutionärem Wege zu gewinnen, nach dem Vorgehen des repressiven Machtapparates und der Verkrustung seiner Strukturen, die - für Reformen nicht mehr elastisch genug - an der "Perestrojka" zerbrachen, schließlich nach den Wegen, die "das postsowjetische Rußland auf der Suche nach seiner Großmachtrolle" beschreitet.

Luks kommt es vor allem auf die Art und Weise an, in der das Regime sein Machtmonopol unter rapide ändernden Bedingungen und Konstellationen wahrte, sich anpaßte oder "seinen Charakter manchmal bis zur Unkenntlichkeit" änderte (sich aber prinzipiell treu blieb). Damit hängt die weitere Grundthese von der Allmacht des russischen Staates und der Ohnmacht der Gesellschaft in der neuzeitlichen russischen Geschichte zusammen, deren Permanenz nur "in den äußerst seltenen Momenten tiefster Staatskrisen" durchbrochen worden sei. Zwischen Februarrevolution und Oktoberrevolution 1917 habe die Chance zu einem Aufbruch in die Freiheit bestanden, "die aktivsten Teile der Bevölkerung" hätten jedoch "unter dem Einfluß der Leninschen Demagogie" der Freiheit die Gleichheit vorgezogen, die dann "nicht ohne revolutionäre Diktatur" zu verwirklichen gewesen sei.

Auf dieser Grundlage ist eine solide Darstellung der politischen Geschichte der Sowjetunion entstanden, die neben der innenpolitischen Durchsetzung des bolschewistischen Machtmonopols die Außenpolitik hinreichend berücksichtigt. Es gehört zu den Verdiensten des Autors, auch weniger beachtete Aspekte und umstrittene Fragen einbezogen zu haben, so etwa die Rolle und Struktur der von Revolution und Bürgerkrieg ausgelösten russischen Emigration oder das Problem des Zusammenhangs zwischen der Außenwirkung der revolutionären Macht und dem Aufstieg des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus.

Dankenswerterweise geht er auch auf ein Dauerthema ein, das immer wieder vor allem von rechtsstehenden Kreisen in Deutschland hochgespielt wird: Mit aller Klarheit und Differenziertheit erläutert er, daß es sich bei dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 nicht um einen Präventivkrieg handelte, wie Hitler sofort behauptete, sondern um einen ideologisch motivierten Vernichtungskrieg. Zur Begründung führt er Forschungsergebnisse an, die in den letzten Jahren aus russischen Archiven gewonnen wurden. Zu den vielen Themen, zu denen Luks Aufklärung schafft, gehört beispielsweise der Unterschied zwischen der Intelligenzija des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und der Opposition der Intellektuellen, die seit den ausgehenden fünfziger Jahren in der Sowjetunion ihre Stimme erhob.

Wer sich jedoch über die gesellschaftlichen Veränderungen, über die wirtschaftlich-technische Entwicklung - immerhin brachte die Sowjetunion es zu Höchstleistungen in der Raumfahrt und atomaren Waffentechnik - oder über das kulturelle Leben informieren will, kommt in diesem politikgeschichtlichen Werk viel zu kurz. Von der gewaltigen Dynamik, die zeitweise das Land ergriff und veränderte, wird so gut wie nichts erkennbar. Auch überrascht Luks mit Feststellungen wie der, daß es sich 1917 in Rußland um eine "Revolution nach klassischem Muster" gehandelt habe, wobei er offenläßt, ob er die Revolution im Februar oder die im Oktober meint. Bei keiner von beiden dürfte es sich um eine solche gehandelt haben, wenn es überhaupt ein klassisches Muster für Revolutionen gibt. Was mit der Sehnsucht der russischen Massen nach "Vertiefung" der Revolution gemeint ist, bleibt unklar.

Offensichtlich ist dieses Buch mit Blick vor allem auf den deutschen Leser geschrieben worden, denn die zahlreichen Bezüge zur deutschen Geschichte werden oft überstrapaziert. So erinnert die in Moskau herrschende Stimmung nach der Niederschlagung des Putsches im August 1991 den Autor "sehr stark an die Atmosphäre der Frankfurter Paulskirche im Jahre 1848, als die Idee der Freiheit und der Nation eine Symbiose eingegangen waren". In ähnlicher Weise stellt er eine Verbindung zwischen Stresemanns Außen- und Ostpolitik mit der Brandts und Scheels her. Die bolschewistische und die nationalsozialistische Eroberung der Macht führt er undifferenziert auf die gleiche Ursache, das Versagen der bürgerlichen Demokraten, zurück.

Es ließen sich zahlreiche Beispiele dafür anführen, wie Luks sich in unhistorischer Weise über die durch Zeit und historisch-strukturelle Voraussetzungen bedingten Unterschiede hinwegsetzt. Die Möglichkeit dazu bietet ihm eine doch recht schematische Handhabung der Totalitarismus-Theorie, mit der er die "totalitären" Regime - für die dreißiger Jahre erkennt er den Totalitarismus als europäische "Norm"! - allzu pauschal nebeneinanderstellt. Wer über diese problematischen Interpretationen hinwegliest, findet leicht lesbare, übersichtliche und zuverlässige Grundinformationen.

HANS HECKER

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Recht wohlwollend schreibt der Rezensent mit dem Kürzel gl. über diese Gesamtdarstellung des Osteuropahistorikers Leonid Luks. Er betont, dass die Geschichte der Sowjetunion, die ja den größten Teil des behandelten Zeitraums ausmacht, auch inhaltlich im Buch weit überwiegt. Und diese Geschichte erscheine dabei als ein langer Leidensweg der russischen Bevölkerung und der zahlreichen Minderheiten im Lande. Schon Lenin werde dabei von Luks für Millionen von Toten verantwortlich gemacht. Was den Rezensenten nicht ganz so überzeugt an diesem Band, den er insgesamt für seine "Vollständigkeit und Lesbarkeit" lobt, sind die Parallelen, die Luks zwischen sowjetischer und nationalsozialistischer Machtpraxis konstruieren will. Der Rezensent bemerkt im übrigen, dass trotz der Kürze der betreffenden Kapitel auch die Gorbatschow- und die Jelzin-Ära angemessen gewürdigt würden. Den Anmerkungsapparat des Bandes hätte sich der Rezensent ausführlicher gewünscht.

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