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In den 1960er- und 70er-Jahren entstanden in Europa visionäre Architekturen, die die gängigen Vorstellungen vom Wohnen grundsätzlich infrage stellten. Viele dieser Gebäude sind verfallen, die Architekten vergessen - obwohl sie noch dort leben. Maak hat sie besucht und eine "Archäologie des Utopischen" entworfen, die zeigt, dass in den Ruinen entscheidende Ideen für die Welt von morgen zu finden sind. Johanna Diehl hat dort beeindruckende Fotografien von großer Eindringlichkeit geschaffen. In den Ruinen der utopischen Moderne entdeckt sie Bilder von revolutionären Lebensvorstellungen, die überraschend aktuell wirken.…mehr

Produktbeschreibung
In den 1960er- und 70er-Jahren entstanden in Europa visionäre Architekturen, die die gängigen Vorstellungen vom Wohnen grundsätzlich infrage stellten. Viele dieser Gebäude sind verfallen, die Architekten vergessen - obwohl sie noch dort leben. Maak hat sie besucht und eine "Archäologie des Utopischen" entworfen, die zeigt, dass in den Ruinen entscheidende Ideen für die Welt von morgen zu finden sind. Johanna Diehl hat dort beeindruckende Fotografien von großer Eindringlichkeit geschaffen. In den Ruinen der utopischen Moderne entdeckt sie Bilder von revolutionären Lebensvorstellungen, die überraschend aktuell wirken.
Autorenporträt
Niklas Maak, 1972 in Hamburg geboren, studierte in Hamburg und Paris Kunstgeschichte, Philosophie und Architektur und promovierte in Kunstgeschichte. Von 1999 bis 2001 war er Redakteur für Architektur und Streiflicht-Autor der Süddeutschen Zeitung. Seit 2001 ist er Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Maak lehrte u.a. als Gastprofessor Architekturgeschichte an der Städelschule in Frankfurt am Main sowie an den Universitäten in Basel und Berlin. Heute lebt er in Berlin und leitet das Kunstressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Für seine Arbeit erhielt er den George-F.-Kennan-Preis, 2012 den Henri-Nannen-Preis und zuletzt den COR-Preis 2014 für Architekturkritik.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2018

Treibhäuser der Ideen
Niklas Maak beschreibt gesellschaftliche Utopien von Architekten, Johanna Diehl setzt sie betörend schön ins Bild
Gebaute Gesellschaftsutopie mit schon in die Jahre gekommenen Materialien, aber immer noch von einem Hauch Savoir-vivre und Liberté durchzogen, so ließen sich die Wohnkugeln, aufblasbaren Formationen und Terrassenhäuser aus den Sechziger- und Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts im philosophisch diskutierfreudigen Frankreich beschreiben. Zwischen ständig im Umbau begriffen und bereits Ruine bewegen sich die Wohnvisionen, die Niklas Maak in seinem gemeinsam mit der Fotografin Johanna Diehl herausgegebenen Buch „Eurotopians“ den Nachgeborenen nahe bringt. Die heute hochbetagten Architektinnen und Architekten (viele von ihnen bereits in ihren Neunzigern), die Maak fast alle noch zu ihren Lebzeiten aufsuchen kann, beschließen gelassen ihr experimentierfreudiges Leben in den eigenen Bauwerken. Mit Zuneigung und genauem Blick für die gesellschaftlichen Umbrüche, den Eigensinn und die kühnen Ideen vom wilden Leben in einer ersehnten postkapitalistischen Gesellschaft werden Yona Friedman, die zu Unrecht vergessene Renée Gailhoustet, Claude Parent und vier weitere Architekten porträtiert. Der Nachhall ihrer Ideen ist bis heute zu spüren, selbst wenn ihre Bauten und Materialien nur bedingt dem gegenwärtigen Zeitgeschmack entsprechen mögen. So erscheinen sie wie Fundstücke und Werkzeuge aus einer anderen Zeit und man kann mit ihnen eine Art „Archäologie der Zukunft“ betreiben. Maßgebliche Ideen, wenn auch unter ganz anderem gesellschaftspolitischen Vorzeichen, werden in der heutigen japanischen Architektur mitunter spektakulär und hochästhetisch neu formuliert. Das Moriyama House in Tokio reaktiviere, so Maak, eine gebaute Wohnutopie von Cini Boeri, die Einzelräume auf einen gemeinsamen Wohnraum mit Loggia fokussiert hatte.
Besonders Impulse und Know-how aus Frankreich waren nicht nur für Plattenbau – der durchaus ja auch ein utopisches Element enthält –, triste Betonvorstädte und Wohnmaschinen verantwortlich. Unkonventionell arbeitende Architektinnen und Architekten in Italien versuchten, die Wünsche nach zwangloseren Sozialbeziehungen und Aufbruch in die von Mondfahrt und Technikglauben inspirierte Formensprache der Sechzigerjahre zu übersetzen. Maak benennt eine große utopische Gesellschafts- und Architekturfantasie aus dem 19. Jahrhundert, die hier ein wenig Pate gestanden haben mag: Charles Fouriers Traum vom befreiten Leben in einer großen Lebens- und Liebesgemeinschaft, das kulturelle Leben im Schloss von Versailles vor Augen, aber hier verstanden als ein großes, permanentes Fest für alle.
Ob und wie mit unkonventionellen Baukörpern und flexiblen Innenräumen, mit Durchgängen und schrägen Wänden und Böden, mit schwebenden, temporären Häuten unsere sozialen Beziehungen verändert, ja sogar eine neue, von jeglichen Zwängen des steifen Sitzens und Repräsentierens befreite Körperkultur in jedermanns Alltag Einzug halten könnte, darüber wurde besonders in französischen Architekturkreisen debattiert. In kühnen Entwürfen vorbereitet, aber auch in höchst ungewöhnlichen, für ihre Bewohner recht gewöhungsbedürftigen Bauten realisierte man Prototypen. Das führte, wenn man sie denn überhaupt zuließ und ihnen nicht wie Claude Parent mit fehlenden rechten Winkeln, Bodenmulden und Schrägen gleich den Garaus machte bis hin zu den wegweisenden Möbeln von Cini Boeri, die, wie Maak treffend bemerkt, durch das Haus „wuseln“ und immer wieder neu arrangiert werden können.
Das schön gestaltete Buch ist mit Verve, leichtfüßig dahingleitend und doch geschichts- und theoriebewusst geschrieben. Die Architekturfotografin Johanna Diehl versteht es, das Anliegen, aber auch die Verletzlichkeit der in die Jahre gekommenen Bauten in ihren Bildern so vor Augen zu führen, dass das Feuer der Innovation hier noch ein wenig weiterglimmt. Aber auch im Text scheint visuelles Erleben auf. Zum Beispiel im Gedenken an Yona Friedman, dessen Entwürfe ganz selten realisiert wurden und der als der einflussreichste Architekt unter denen gilt, die selbst kaum gebaut haben. Seine wundersame Wohnung ist ein wuchernder Denkraum, eine Art Treibhaus der Ideen. Es braucht mitunter nicht weiße Wände und leere Räume, um Ideen zu produzieren, sondern Vielfalt und Überlagerung, eine Ästhetik der Fülle und des Werdens. Architekturmodelle, Mitbringsel von Reisen, Bücher finden sich in Friedmans Wohnung – von Johanna Diehl sind die filigranen Formen und das stimmige Farbzusammenspiel der Gegenstände betörend schön ins Bild gesetzt.
Eine kleine Erinnerung, die Maak von einem früheren Besuch schildert, bringt das Denken in wechselnden Konstellationen, wie es uns Friedman mit seiner persönlichen Umgebung vorführt, auf den Punkt: Als die Katze des Hauses noch in den Hunderten von Architekturmodellen aus den Sechzigerjahren wohnte, war sie, „wenn Friedman eines von ihnen aus dem Regal zog … erbost aus einer dieser Zukunftstädte herausgerast“.
ANDREA GNAM
Johanna Diehl, Niklas Maak: Eurotopians. Fragmente einer anderen Zukunft. Hirmer-Verlag 2017, 192 S., 140 Abb., 34,90 Euro
Flexible Innenräume, schräge
Wände und Böden sollten eine
neue Körperkultur ermöglichen
Leben ohne Minimalismus – ein Raum in der Wohnung des Architekten Yona Friedman, der nur wenige seiner Entwürfe realisieren konnte.
Foto: Johanna Diehl
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