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Die zwei großen analytischen Traditionen, die Psychoanalyse Sigmund Freuds und die analytische Psychologie C. G. Jungs, haben stark voneinander abweichende Konzepte des Gewissens und der Moral entwickelt. Das vorliegende Buch untersucht diese Entwürfe im Hinblick auf ihre Entstehung, ihre Unterschiede und ihre jeweilige Bedeutung für Theorie und therapeutische Praxis. Darüber hinaus geht die Autorin den Folgen dieser verschiedenen Konzepte bis in die gesellschaftliche und politische Realität hinein nach. Dabei spielt die Auseinandersetzung mit dem Judentum, Antisemitismus und Nationalsozialismus eine wichtige Rolle.…mehr

Produktbeschreibung
Die zwei großen analytischen Traditionen, die Psychoanalyse Sigmund Freuds und die analytische Psychologie C. G. Jungs, haben stark voneinander abweichende Konzepte des Gewissens und der Moral entwickelt. Das vorliegende Buch untersucht diese Entwürfe im Hinblick auf ihre Entstehung, ihre Unterschiede und ihre jeweilige Bedeutung für Theorie und therapeutische Praxis. Darüber hinaus geht die Autorin den Folgen dieser verschiedenen Konzepte bis in die gesellschaftliche und politische Realität hinein nach. Dabei spielt die Auseinandersetzung mit dem Judentum, Antisemitismus und Nationalsozialismus eine wichtige Rolle.
Autorenporträt
Dr.phil., wurde in Wien geboren. Studium der Geschichte und englischen Literatur am Smith College in Northhampton, Massachussetts. Promotion mit einem Thema aus der politischen Psychologie. Ihre Ausbildung zur Psychoanalytikerin absolvierte sie in Zürich und Bremen. Sie unterhält eine psychoanalytische Praxis in Hamburg. Sie ist Lehr- und Kontrollanalytikerin des Psychoanalytischen Instituts, Bremen, und Mitglied der New York Association for Analytical Psychology. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, wie "Traumbild Unterwelt","Abschied vom Helden","Die Macht der Liebe Die Liebe zur Macht"sowie zahlreicher Artikel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2007

Milde reicht nicht
Anita von Raffay rückt der Gewissensfrage zu Leibe

Zu den gröbsten Irrtümern der Aufklärung gehört der Glaube, dass der Mensch von Natur aus gut sei. Hobbes wusste es besser: Homo homini lupus est, der Mensch ist des Menschen Wolf. Unbestreitbar nennt Freud diesen Satz in seiner 1930 erschienenen Spätschrift "Das Unbehagen in der Kultur". Zu den Trieben des Menschen gehöre ein mächtiger Anteil von Aggressionsneigung. "Infolgedessen ist ihm der Nächste nicht nur möglicher Helfer und Sexualobjekt, sondern auch eine Versuchung, seine Aggressionen an ihm zu befriedigen, seine Arbeitskraft ohne Entschädigung auszunützen, ihn ohne seine Einwilligung sexuell zu gebrauchen, sich in den Besitz seiner Habe zu setzen, ihn zu demütigen, ihm Schmerzen zu bereiten, ihn zu martern und zu töten." Die Kultur suche die Aggressionslust des Individuums zu hemmen, "indem sie es schwächt, entwaffnet und durch eine Instanz in seinem Inneren, wie durch eine Besatzung in der eroberten Stadt, überwachen lässt". Diese Instanz, hervorgegangen aus der Angst des Kindes vor dem Liebesverlust und später durch die Aufrichtung eines Über-Ichs in die Seele des einzelnen Menschen verlegt, sei das Gewissen. Als "Bereitschaft, sich schuldig zu fühlen", mache es den Menschen überhaupt erst gesellschaftsfähig.

Freuds abtrünniger Schüler C. G. Jung hat in einem Aufsatz von 1958 für die Gewissenstheorie seines ehemaligen Meisters nur Geringschätzung übrig. Für Jung ist zwar die "moralische Reaktion ein ursprüngliches Verhalten der Psyche". Hingegen sei das Freudsche Über-Ich etwas bloß Angelerntes, "der vom Bewusstsein erworbene Bestand an traditionellem Brauchtum, der sogenannte Sittenkodex, wie er sich zum Beispiel im Dekalog verkörpert". Das echte Gewissen lasse sich davon nicht binden. Es schöpfe seine Inhalte vielmehr "aus den dunklen Wassern der Tiefe", den von Urzeiten auf uns gekommenen Archetypen des kollektiven Unbewussten. Diese radikale Abwertung der Verpflichtungskraft gesellschaftlicher Normen gegenüber dem individuellen Wissen um die Archetypen ist freilich unhaltbar. Einerseits spricht nichts dagegen, grundlegende Normen der Sozialmoral wie das Tötungs- und das Inzestverbot ihrerseits als Ausprägungen archetypischer Verhaltensregeln zu deuten. Andererseits hat das Individuum keinerlei Gewähr, bei seiner Suche nach dem Archetypischen das Rechte zu treffen. Jung konzediert zwar, dass es ein "richtiges" und ein "falsches" Gewissen gebe. Darüber, wie man die göttliche von der falschen Stimme unterscheiden könne, schweigt er jedoch.

Die Verfasserin spult zuverlässig die hinlänglich bekannten Einwände gegen Jung herunter, von seinem geradezu gnostisch anmutenden Misstrauen gegenüber sozialen Gemeinschaften über seine Sehnsucht nach Erlösung von der Konflikthaftigkeit des Lebens bis hin zu seiner Sympathie für den Nationalsozialismus. Besorgniserregend ist der Zustand einer Wissenschaft, in der Derartiges noch ernsthaft diskutiert wird und in der man offenbar auf Beifall rechnen kann, wenn man mit großem Aplomb Weisheiten verkündet wie die, dass es "die höchste psychische Errungenschaft des Menschen" sei, "sich nach moralischen Werte richten zu können und die vier Werte Wahrheit, Güte, Schönheit und Gerechtigkeit in das Leben zu integrieren". Psychotherapeuten sollten häufiger zur Kirche gehen, denn so ungefähr sagt das der Pfarrer auch.

Nachgerade anstrengend wird die Lektüre des Buches dort, wo von Raffay ihre eigenen Vorstellungen von einem reifen Gewissen ausbreitet. Ein reifes Gewissen zeichne sich durch seine Milde aus. "Ein mildes Über-Ich wird sich und anderen nicht neurotische Schuldgefühle aufladen. So können befriedigende Objektbeziehungen gelebt werden, die es erlauben, tiefe Beziehungen mit anderen zu haben und Ambivalenzen zu ertragen." Zudem fördere ein rigides Über-Ich die Verbundenheit mit autoritären politischen Systemen, während ein gut entwickeltes, also mildes Über-Ich das "Bekenntnis zu einer reifen humanistischen Ideologie" nahelege, was auch immer darunter zu verstehen sein mag. Wie bedauernswert ist demnach doch der arme Kant, dessen Lehrstück vom kategorischen Imperativ offenbar ein schwerer neurotischer Komplex zugrunde lag. Erstaunlich nur, dass der Königsberger Philosoph alles andere als ein autoritärer Denker war. Juristisch heißt der Vorgang der kreativen Regelauslegung übrigens Rechtsbeugung oder Korruption.

Nachsichtig mit sich zu sein, brauchen die meisten von uns nicht erst zu lernen, das können wir ohnehin, und in Alltagsdingen mag dies nicht selten eine probate Strategie sein. Sobald es aber ernst wird im Leben, ist Standhaftigkeit sittlich geboten. Wenn es darum geht, den Fahneneid auf den Diktator zu verweigern, oder darum, ein behindertes Kind nicht abzutreiben, verhilft nur Strenge gegen sich selbst zum sittlich guten Handeln. Mit einem milden Gewissen mag man angenehmer leben, würdiger jedenfalls nicht. Würde ist freilich keine Kategorie der Psychoanalyse. Aber genau aus diesem Grund kommt sie mit einem Phänomen wie dem Gewissen nicht überzeugend zurande.

Wenn sie sich gar dazu hergibt, die Exkulpationsstrategien entschlossen nachmetaphysischer Lebensgenießer wissenschaftlich abzusegnen - bezeichnenderweise besteht in den Worten von Raffays die erste Frucht eines reifen Gewissens darin, "dass sich der Mensch sexuelle Freiheit gestatten kann, ohne andere auszubeuten" -, verflüchtigt sie sich endgültig ins Banale. Wer von einer Gewissenslehre mehr erwartet als die Selbstaffirmation einer modischen Lebensform, der sollte statt zu dem Buch von Raffays besser zu Thomas von Aquins "Summa theologica" greifen.

MICHAEL PAWLIK

Anita von Raffay: "Die Gewissensfrage in Psychoanalyse und Analytischer Psychologie". Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2006. 227 S., geb., 52,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Pawlik ist die Mühe anzumerken, die ihm diese Lektüre bereitet hat. Anstoß nimmt der Rezensent sowohl am Niveau der von der Autorin diskutierten moralischen Weisheiten, wie an ihren Vorstellungen von einem reifen Gewissen. Der von Anita von Raffay ins Spiel gebrachte Begriff der Milde überzeugt Pawlik jedenfalls nicht: "Selbstaffirmation einer modischen Lebensform", nennt er das. Würde, für ihn dem Umfeld des Gewissens zugehörig, sei damit nicht zu erlangen, so erklärt er. Dem ernsthaft an einer Gewissenslehre interessierten Leser empfiehlt Pawlik die "Summa theologica" Thomas von Aquins.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ihre differenzierte Kenntnis beider analytischen Richtungen macht ihre Arbeit zu einer guten Grundlage für die Diskussion zwischen den tiefenpsychologischen Schulen innerhalb der Pastoralpsychologie. Zudem könnte der breite Einblick in die analytischen Theoriekonzepte von Gewissen und Überich, den von Raffay bietet, die theologische Wertediskussion vertiefen. Auch für die praktische Seelsorge erweist sich der Blick auf Gewissen und Überich als wertvoll.« Helga Kamm, Wege zum Menschen »Ein Buch, das ich trotz der inhaltlichen Komplexität und des hohen intellektuellen Niveaus sehr spannend zu lesen fand. Es gibt einen ausgezeichneten Abriß der Theorien von Gewissen und Idealbildung und der praktischen Folgen für die Geschichte der Psychoanalyse und die Jungsche Version der Tiefenpsychologie. [...] Dem Werk sei eine weite Verbeitung gewünscht. Für die Curricula der Institute der verschiedenen Richtungen ist es sehr zu empfehlen.« Léon Wurmser, Psyche