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Die Deutung von Tarotkarten zur Zukunftsvoraussage oder Lebensberatung ist eine der beliebtesten Praktiken von Esoterikanhängern. Hildegard Piegeler erforscht die Quellen der esoterischen Interpretation dieser Spielkarten. Es geht bei diesen historischen Erkundungen, die uns ins 18. Jahrhundert auf den Höhepunkt der Aufklärung führen, auch darum herauszufinden, warum das Esoterische heute - in einer Zeit der Wissenschaft - so überaus erfolgreich ist.

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Produktbeschreibung
Die Deutung von Tarotkarten zur Zukunftsvoraussage oder Lebensberatung ist eine der beliebtesten Praktiken von Esoterikanhängern. Hildegard Piegeler erforscht die Quellen der esoterischen Interpretation dieser Spielkarten. Es geht bei diesen historischen Erkundungen, die uns ins 18. Jahrhundert auf den Höhepunkt der Aufklärung führen, auch darum herauszufinden, warum das Esoterische heute - in einer Zeit der Wissenschaft - so überaus erfolgreich ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2010

Die Protokolle der Weisen von Giseh

Noch eine Dialektik der Aufklärung: Ausgerechnet ein calvinistischer Freimaurer wollte im achtzehnten Jahrhundert den Ursprung der Tarot-Wahrsagerei in der Weisheit des alten Ägypten finden.

Madame Sosostris, die berühmte Hellseherin, ist gerade schwer erkältet. Ihrem Ruf, die "weiseste Frau Europas" zu sein, tut die Unpässlichkeit keinen Abbruch. Denn sie liest aus den Karten, aus einem frevlerischen, gottlosen, verruchten Spiel - "with a wicked pack of cards". Es handelt sich um das Tarot. Die Karte mit dem Bild des hängenden Mannes findet sie nicht. Dennoch Iautet ihr Orakel, der Fragende solle sich vor einem Tod durch Wasser hüten: "Fear death by water." Und sie sieht Menschenmassen, die im Kreis gehen.

Die Szene findet sich in T. S. Eliots epochalem Gedicht "The Waste Land" und ist nur ein Motiv in diesem großen Panorama des geistigen Chaos, das sich nach dem Ersten Weltkrieg über Europa legte. Die Beliebtheit des Tarot zu Zwecken der Schicksalsdeutung hat seither nicht abgenommen. Seit der New-Age-Bewegung der sechziger Jahre wächst sie, aus den Vereinigten Staaten herübergeschwappt, unaufhaltsam, oft mit zeitgemäßeren Ideen wie der jungianischen Psychologie verknüpft. Madame Sosostris hat vieltausendfach Nachfolger gefunden. Und sie hat einen imaginären Vorläufer, der tief in die Ideenwelt der Tarot-Adepten hineinführen kann. Denn ihren Künstlernamen leitete sie wohl von den Sesostris-Pharaonen ab, die im zweiten vorchristlichen Jahrtausend in Ägypten herrschten.

Ägypten aber war im aufgeklärten achtzehnten Jahrhundert die Projektionsfläche nicht nur einer Ideologie: Es konnte für überkonfessionelle, universelle Weisheit stehen und zugleich für eine Ahnung der letzten magischen Geheimnisse, die man damals noch in den Hieroglyphen vermutete; und schließlich auch, in der Geometrie der Pyramiden, für eine absolut rationale, ornamentfreie Idee des Bauens. Und dann war das Alter der ägyptischen Überlieferung ein zusätzliches Argument: Dauer bedeutete Autorität.

Die Tarot-Karten, deren Gebrauch sich in Europa auf den Herbst des Mittelalters datieren lässt, kamen aus dem Süden, aus Italien; womöglich noch weiter her aus dem islamisch-arabischen Raum. Kirche und Obrigkeiten sahen darin ein Laster, gegen das sie mit Verboten einschritten - und es sind diese Zeugnisse, die eine Datierung überhaupt erst erlauben. Im achtzehnten Jahrhundert wurde aus dem weltlichen ein geistiges Laster. Denn nun wurden erstmals spekulative Deutungen der Karten formuliert, die nach Ägypten wiesen; dergestalt, dass in ihnen die höchste Weisheit zu finden sein sollte.

Es ist diese faszinierende Geschichte, die Hildegard Piegeler erzählt. Ihr Buch gibt weniger und zugleich mehr, als sein Titel verspricht. Wer eine allgemeine Einführung in die immer noch fesselnde, auch den Ungläubigen geheimnisvoll anmutende Bilderwelt des Tarot sucht, wird leer ausgehen. Dagegen bietet es für den Erforscher der Aufklärungsepoche die überraschendsten Befunde. Es zeigt nicht nur, dass Antoine Court de Gébelin, der maßgebliche erste Ausleger der Tarot-Karten, ein calvinistischer Geistlicher und Vorkämpfer der protestantischen Sache in Frankreich war, dass ebendieser Mann im engsten Kontakt mit den Aufklärern und mit der ökonomischen Schule der Physiokraten stand, dass er in der stark von den Enzyklopädisten (nämlich von dem Philosophen Helvetius und dem Mathematiker Lalande) geprägten Freimaurerloge der "Neuf soeurs" ein wichtiges Amt in Zusammenarbeit mit Benjamin Franklin versah. Sondern, und dies ist die wirkliche Leistung, das Buch zeigt auch, dass all diese scheinbar unzusammenhängenden Aktivitäten mit den Fragen und Strömungen der Aufklärung selbst verbunden waren. Auch das Tarot.

Seine Deutung hängt weitläufig mit dem Problem des Ursprungs der Sprache zusammen. In den Karten, so die esoterische Lehre, sei eine "allegorische Sprache" niedergelegt, und wie den Indern die Priorität beim Schach, so gebühre den Ägyptern die Ehre, das Tarot erfunden zu haben. In den Karten sei jene magische Weisheit aufbewahrt, die den Priestern anvertraut gewesen sei und die sich nicht anders tradieren ließ als eben in der Knechtsgestalt des Spiels.

Zwei Dinge müssen an diesem sehr soliden Buch doch kritisiert werden: Die Kapitelüberschriften bestehen aus verspielt eingesetzten Zitaten, die dem Leser nun gar keine Orientierung geben, wo genau welcher Aspekt verhandelt wird. Und dann ist die Polemik gegen konkurrierende Gedanken in der Esoterik-Forschung auffallend blutig - die Verfasserin vermutet nämlich dort einen Rationalitätsverlust; unter dem Titel der Forschung werde in Wahrheit die Esoterik schöngeredet. Wer von diesem sehr ausgewalzten Nebenkriegsschauplatz absehen kann, wird eine gehaltvolle Lektüre vor sich haben.

LORENZ JÄGER

Hildegard Piegeler: "Tarot". Bilderwelten der Esoterik. Wilhelm Fink Verlag, München 2010. 290 S., br., Abb., 36,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es gibt Dinge in diesem ansonsten "sehr soliden" Buch, auf die der Rezensent gern verzichtet hätte: Seitenhiebe gegen einen esoterischen Tarot-Begriff und Kapitelüberschriften, die den Leser eher in die Irre als zu besserer Orientierung führen. Abgesehen davon jedoch, und das macht Lorenz Jäger in seiner Besprechung vor, indem er mit seinem neu erworbenen Wissen prasst, vermittelt das Buch von Hildegard Piegeler eine faszinierende Geschichte des Tarots. Nicht als Einführung in seine Bilderwelt, sondern indem die Autorin die "überraschendsten" Verbindungen zu Aufklärung herstellt.

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