32,90 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Die Linke hat wieder Konjunktur. Sie spricht nicht mehr von Klassengesellschaft, sondern von der Neuen Ungleichheit und verweist auf die Pornographie des exzessiven Reichtums zwischen Beverly Hills und Moskau einerseits, die stillen Leiden der Kinderarbeit und der Hartz IV-Existenz andererseits. Nüchtern betrachtet, kann Gleichheit unter modernen Lebensbedingungen aber nur heißen: Inklusion, die Möglichkeit der Teilnahme an den sozialen Systemen. Und wer alle integrieren will, muss auf die Gleichheit aller verzichten. Egalitarismus ist eine Anleitung zum Unglücklichsein. Wir können das gute…mehr

Produktbeschreibung
Die Linke hat wieder Konjunktur. Sie spricht nicht mehr von Klassengesellschaft, sondern von der Neuen Ungleichheit und verweist auf die Pornographie des exzessiven Reichtums zwischen Beverly Hills und Moskau einerseits, die stillen Leiden der Kinderarbeit und der Hartz IV-Existenz andererseits. Nüchtern betrachtet, kann Gleichheit unter modernen Lebensbedingungen aber nur heißen: Inklusion, die Möglichkeit der Teilnahme an den sozialen Systemen. Und wer alle integrieren will, muss auf die Gleichheit aller verzichten. Egalitarismus ist eine Anleitung zum Unglücklichsein. Wir können das gute Leben, das uns die moderne Gesellschaft ermöglicht, nicht leben, solange wir noch an Rousseau glauben.
Autorenporträt
Norbert Bolz, geboren 1953 in Ludwigshafen am Rhein, wurde in Philosophie promoviert und habilitiert. Er ist Universitätsprofessor für Medienwissenschaft und geschäftsführender Direktor des Instituts für Sprache und Kommunikation an der TU Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2010

Gegen Mittelmaß und Durchschnittlichkeit zu sein reicht nicht

So wichtig die Auseinandersetzung mit dem Sozialstaat der Gegenwart ist, so verfehlt ist die Art, mit der Norbert Bolz sie führt. Sein flink zusammenzitierter "Anti-Rousseau" macht bestenfalls verlegen.

Norbert Bolz ist ein Zeitgeist-Roadie. Wo auch immer die Karawane des Gerade-Angesagten ihre Bühne errichtet, ist er zur Stelle und baut hurtig seine kleine, private Beschallungsanlage auf.

Schon damals, beim dekonstruktivistischen Woodstock, als der Postmodernismus die Aufklärungsmythen zerstörte und die Vernunft pluralisierte, war er dabei. Als französische Medienphilosophien dann gegen Ordnungsdenken und robusten Realismus zu Felde zogen, marschierte auch Bolz mit und verkündete der Welt, dass sie nur Chaos und Simulation sei. Als Computer und elektronische Technologie die geistigen Produktionsverhältnisse und die sozialen Verständigungsverhältnisse veränderten, rief Bolz das Ende der Gutenberg-Galaxis aus, noch bevor Google sich daranmachte, ein digitales Alexandria zu errichten. Als alle Welt von der Globalisierung, von E-Commerce und Dotcom-Firmen redete, redete auch Bolz davon und untersuchte die Weltkommunikation und die Wirtschaft des Unsichtbaren. Und als die Gesellschaft des aufdringlichen Diesseits ein wenig überdrüssig wurde und ein vorsichtiges Interesse an den Zumutungen des Religiösen entwickelte, sah auch Bolz sich veranlasst, sich über das Wissen der Religion zu verbreiten und uns über seine religiöse Unmusikalität zu unterrichten. Und jetzt also der Sozialstaat, die Gleichheit und die Gerechtigkeit.

Damit auch niemand die Anspielung des Haupttitels übersieht, hat Bolz es im Untertitel ausdrücklich gemacht: Mit Rousseau will er sich messen, einen "Anti-Rousseau" will er schreiben. Aber das misslingt bereits im Ansatz: Denn Rousseaus Vorstellungen einer sich selbst regierenden republikanischen Bürgerschaft können von Bolz' antiegalitaristischer Polemik, von seinem Wettern gegen Einkommensgleichheit und feministische Absurditäten, gegen Verteilungsgerechtigkeit und wohlfahrtsstaatliches Neidregime nicht getroffen werden. Friedrich der Große war da mit seinem "Anti-Machiavel" wesentlich treffsicherer. Auch Anselm von Feuerbachs kantianisierender "Anti-Hobbes" war eine genauer adressierte Streitschrift. Bolz' antiwelfaristisches Pamphlet ist aber als "Anti-Rousseau" gänzlich fehladressiert. Sicherlich, Rousseau ist kein Liberaler, erst recht kein Apostel des ungehemmten Wettbewerbs. Rousseau ist ein Republikaner, ein Anhänger der Ethik der Alten und der einfachen Lebensverhältnisse. Der heutige Wohlfahrtsstaat wäre ihm ein Greuel; seine leviathanische Betreuungsbürokratie würde ihn entsetzen, transferzahlungsunterfütterte Unselbständigkeit wäre für ihn ein ethischer Skandal. Die Ungleichheit, deren Ursprung und Grundlagen Rousseau in seinem Diskurs von 1755 untersucht, ist vordringlich die politische Ungleichheit einer illegitimen Herrschaft. Die Gleichheit, um die es ihm geht, ist die demokratische Gleichheit zwischen Beherrschten und Herrschenden. Bemerkungen über die desaströsen Auswirkungen einer sozio-ökonomischen Spaltung der Gesellschaft gelten lediglich den Verwirklichungsbedingungen einer solchen Selbstregierungsutopie.

Aber Bolz' "Diskurs über die Ungleichheit" hat nicht nur mit der Rousseauschen Sache wenig zu tun, er vermag auch nicht, sich in der Form mit dem Bürger von Genf zu messen. Leo Strauss hat Rousseaus Diskurs als sein "philosophischstes Werk" bezeichnet. Bolz' "Anti-Rousseau" ist jedoch kein philosophisches Werk, kein Diskurs, der seine Themen fortschreitend erörtert, Begriffe klärt, Lesarten unterscheidet, Voraussetzungen aufdeckt und Argumentationen überprüft. Der "Anti-Rousseau" ist noch nicht einmal als Essay zu bezeichnen. Er ist wenig mehr als ein ausgeschütteter Zettelkasten, ein weitgehend argumentationsfrei zusammengehäkelter Zitatteppich. Es ist ein Angriff auf die egalitaristische Mentalität, eine Kritik des trägen welfaristischen Temperaments, garniert mit biederen nietzscheanischen Ausfällen gegen Mittelmaß, Durchschnittlichkeit und beides befördernden Gesinnungsdemokratismus.

Auch spielt Tocquevilles Paradox des unaufhörlich Inegalität produzierenden Egalitarismus eine große Rolle und die Entrüstung über den Neid, der gleichwohl "eine der mächtigsten psychischen Antriebskräfte der westlichen Kultur" sein soll. Sicherlich, die eine oder andere Passage wird ein Liberaler mit verhaltender Sympathie lesen, jedoch wird er zugleich feststellen müssen, dass diese Abrechnung mit den Ressentiments der Egalitaristen bei der unabweisbaren sachlichen Auseinandersetzung mit dem herrschenden welfaristischen Bewusstsein und dem Sozialstaat der Gegenwart nicht hilfreich ist.

Und auch Bolz' abschließende Ausführungen zu einer "möglichen Gerechtigkeit" werden ihn nicht überzeugen, denn ihnen wohnt nicht nur keinerlei normativer Orientierungswert inne, sie sind auch weitgehend unverständlich. Zwar sei der Sozialstaat alternativenlos, doch bestünde die "Möglichkeit einer veränderten Stellung des Gedankens" zu dieser Objektivität. Man könnte begreifen, dass das Wort "sozial" selbst keinen juristischen Sinn hat, sondern ein rein politischer Zielbegriff ist, der vor allem auf die Güterverteilung bezogen ist. Der Kern des Rechtsstaates ist die Verfassung, die gewährleistet, der Kern des Sozialstaates die Verwaltung, die gewährt. Diese Spannung kann man, so Bolz, nicht abbauen, sondern nur institutionalisieren.

Und aus all dem folgt für sein Thema: Man sollte, meint Bolz, die Entzweiung von Rechtsstaat und Sozialstaat positivieren, statt sie durch den "Tabubegriff" der sozialen Gerechtigkeit zu verdecken. An der Gerechtigkeit müsse man arbeiten wie an einem Mythos. Was immer diese Sätze, die mit einer Hegel-Anspielung beginnen und mit einer Blumenberg-Anspielung enden, sagen wollen: ein Tabubegriff ist der Begriff der sozialen Gerechtigkeit wirklich nicht. Ein Tabu ist etwas, was unausgesprochen bleibt, nur durch vorsichtige Anspielung und indirekten Bezug erwähnt wird, ein leerer Fleck im gesellschaftlichen Diskurs, den alle kennen, doch keiner benennt. Dass bei uns jedoch niemand über soziale Gerechtigkeit redet, niemand sie kritisiert oder ihre Anwesenheit angesichts ihrer vermuteten Anwesenheit lautstark fordert, kann man nun wirklich nicht sagen.

Vielleicht aber meint Bolz, soziale Gerechtigkeit sei ein Tabu, weil niemand es wage, sie aus dem Vokabular der kollektiven moralischen Selbstverständigung zu streichen. Dann aber wären alle moralischen Großworte, mit denen wir den Abstand der institutionellen Wirklichkeit zum Horizont des Idealen messen, Tabubegriffe. Dann würde uns die Enttabuisierung eine physikalistische Verarmung der Wirklichkeit und eine ökonomistische Austrocknung des Sozialen bescheren.

WOLFGANG KERSTING.

Norbert Bolz: "Diskurs über die Ungleichheit". Ein Anti-Rousseau. Wilhelm Fink Verlag, München 2009. 207 S., br., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den Autor nennt Rezensent Wolfgang Kersting einen "Zeitgeist-Roadie". Dass Norbert Bolz zu allem seinen Senf dazuzugeben hat, findet der Rezensent allerdings gar nicht so schlimm. Eher schon, dass Bolz mit dem vorliegenden Buch Etikettenschwinel betreibt. Denn einen echten Diskurs und gar einen Anti-Rousseau kann Kersting hier beim besten Willen nicht entdecken. Weder in der Sache noch in der Form, meint er, kann Bolz sich mit Rousseau messen. So falsch Kersting Rousseau als Adressat des Bandes erscheint (besser kann's Feuerbach!), so wenig überzeugt ihn der Text als philosophisches Werk. Als argumentations- wie orientierungsfreier, weitgehend unverständlicher Zitatflickenteppich gegen die egalitaristische Mentalität, nietzscheanische Ausfälle gegen das Mittelmaß inklusive, findet er, macht es sich hingegen ganz gut.

© Perlentaucher Medien GmbH