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Das Werk Richard Alewyns erlebt gegenwärtig eine Renaissance. Er gilt als der Meister des Essays und der Textanalyse in seinem Fach, der Germanistik. Selbst verstand er sich als Kulturwissenschaftler im Schnittpunkt von Soziologie, Psychologie und historischer Anthropologie. Seiner Zeit in den zwanziger und dreißiger Jahren weit voraus, wurde sein Lebenswerk durch die Nationalsozialisten zerstört. Daß er sich nach der Emigration zur Rückkehr entschloß, "ist für die deutsche Germanistik eine unschätzbare Ermutigung gewesen." (Albrecht Schöne) Seine großen kulturgeschichtlichen Entwürfe zum…mehr

Produktbeschreibung
Das Werk Richard Alewyns erlebt gegenwärtig eine Renaissance. Er gilt als der Meister des Essays und der Textanalyse in seinem Fach, der Germanistik. Selbst verstand er sich als Kulturwissenschaftler im Schnittpunkt von Soziologie, Psychologie und historischer Anthropologie. Seiner Zeit in den zwanziger und dreißiger Jahren weit voraus, wurde sein Lebenswerk durch die Nationalsozialisten zerstört. Daß er sich nach der Emigration zur Rückkehr entschloß, "ist für die deutsche Germanistik eine unschätzbare Ermutigung gewesen." (Albrecht Schöne) Seine großen kulturgeschichtlichen Entwürfe zum Barock und zur Empfindsamkeit breitete er in seinen Vorlesungen aus. Sie werden hier erstmals rekonstruiert. Hinzu treten Porträts zu dem Entdecker kultureller Landschaften und dem Repräsentanten eines Faches, das er nur noch zwischen Weimar und Buchenwald angesiedelt sehen mochte.

Eine umfassende Bibliographie dokumentiert das weitverzweigte Werk, das vielfach in Zeitungen, Theaterheften, Rundfunkmanuskripten überliefert ist und dem seine Stunde mit Gewißheit noch bevorsteht.
Autorenporträt
Klaus Garber war Professor für Literaturtheorie und Geschichte der Neueren Literatur, seit 1992 Direktor des Interdisziplinären Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2005

Der Teufel hol' das Sentiment
Klaus Garbers Studie über den Germanisten Richard Alewyn

Vor zwei Jahren gelangte ein Briefwechsel zwischen Richard Alewyn und Gottfried Benn aus dem Jahre 1951 an die Öffentlichkeit, in welchem der Literaturwissenschaftler den zum Klassiker gewandelten "Extremisten des Expressionismus" zu einem "Creative Writing"-Vortrag an der Kölner Universität zu bewegen versucht. Ausgerechnet ihn, den Verfechter der monologischen Kunst. Geradezu subversiv wirken die übermittelten Leitfragen für die öffentliche Gedichtverfertigung: "Was stimmt hier noch nicht? Wer weiß eine bessere Lösung?" Sehr suspekt nämlich war Alewyn Benns Katharsis vom Genie zum Handwerker der Form. Der Vortrag platzte. Verständlich wird die Frontstellung nur vor dem Hintergrund von Alewyns Überzeugung, im "expressionistischen Prinzip" gipfele jene esoterische Innerlichkeit, deren Genese in der Empfindsamkeit des achtzehnten Jahrhunderts - ihrerseits ein säkularisierter Pietismus - zu suchen sei. Seither habe man die Kunst darauf reduziert, dem Seelischen Ausdruck zu verleihen.

Als Archäologe der Moderne aber ist Alewyn (1902 bis 1979) immer noch wenig bekannt. Dabei hatte der arrivierte, im Kreis um Julius Petersen als Autorität geltende Frühneuzeitforscher bereits als Dreißigjähriger mit dem Barock abgeschlossen. Daß er der Nachwelt daher nicht in erster Linie als Spezialist für das siebzehnte Jahrhundert, sondern als Moderneforscher (und Vorläufer der historischen Anthropologie) erinnerlich sein müsse, ist seit Jahren die Forderung Klaus Garbers, der selbst in der Doppelrolle des Barockfachmanns und allgemeinen Kulturwissenschaftlers agiert. Garbers verstreute Miszellen über das Denkgebäude seines Lehrers Alewyn, allesamt auf die These zulaufend, die Studien zur Empfindsamkeit bildeten dessen geheimen Mittelpunkt, haben mit dem kleinen Band "Zum Bilde Richard Alewyns" nun einen würdigen Rahmen gefunden. Am Beginn steht eine tiefe Verbeugung vor dem Überwinder der geistesgeschichtlichen Methode: "Für den Verfasser ... wurde die Begegnung mit Richard Alewyn lebensbestimmend." Das Buch erscheint - eine Art Auskoppelung der Vorarbeiten - zeitgleich mit dem Sammelband "Projekt Empfindsamkeit", welcher die Vorträge des gleichnamigen Kolloquiums zu Ehren Alewyns enthält, das 2002 in Osnabrück stattfand.

Die anvisierte Bildkorrektur beruht zu großen Teilen auf Alewyns "ungeschriebener Lehre", schlug diesem doch die Unbill der Geschichte das große Werk früh aus der Hand. Im Sommer 1933, nur ein Jahr nach Übernahme des begehrten Friedrich-Gundolf-Lehrstuhls in Heidelberg, wurde der überragend intelligente Wissenschaftler aufgrund einer eher jüdischen Großmutter umstandslos entlassen. Die Kränkung politisierte Alewyn: Zeitlebens richtete er sich nicht wieder im komfortablen Gelehrtendasein ein. Auf immer unvergeßlich sind die Donnerworte, in welche der Rückkehrer die Antrittsrede an der Kölner Universität im Goethe-Jahr 1949 gipfeln ließ: "Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald."

Dieser Attacke auf das wiedererstarkende Ästhetentum (jenseits des Lebens) widmet Garber ein ganzes Kapitel, in dem er Alewyn als Liberalen skizziert. Weder im amerikanischen Exil noch als Remigrant - mit Lehrstühlen in Köln (1949 bis 1955), West-Berlin (bis 1959) und Bonn (bis 1967) - erlaubte sich Alewyn, seine Rolle als Lehrer und Volkserzieher auf Kosten der Wissenschaft zu beschränken. Hinzu kam eine stilistische Wende hin zur kleinen Form, dem bestechend nüchternen, jeder Obskurität abgeneigten Essay. Nach der Dissertation von 1926 und der Habilitation von 1932 erschien keine Monographie mehr. Alle folgenden Publikationen versammelten jeweils frühere Aufsätze. Die Fragment gebliebenen Vorhaben aber enthalten manche literaturgeschichtliche Perle.

In zwei Miniaturen nimmt Garber das "dialektisch" (wie es bei dem Methodendiskussionen scheuenden Alewyn an einer Stelle heißt) angelegte Gesamtwerk in den Blick, das sich vom siebzehnten bis ins neunzehnte Jahrhundert erstreckt. Alewyn, so scheint es aus der Distanz, durchschreitet die Kulturgeschichte Europas mit Siebenmeilenstiefeln, sich immer auf die Gegenwart zubewegend. Allerdings wird die Fremdheit der vergangenen Epochen betont: Als "eigentliche Aufgabe des Historikers" habe Alewyn (gegen Emil Staiger) das "Begreifen dessen, was uns nicht ergreift", gegolten. An der Habilitationsschrift über Johann Beer, welcher bis heute die angemessene Würdigung versagt geblieben sei, hebt Garber das vorausweisende "Kulturraum-Konzept" hervor, eine jeder teleologisch verfahrenden Sozialgeschichte überlegene Verortung von Mentalitäten.

Die Kernstücke des Bandes - nur diese bislang unveröffentlicht - bilden zweifellos Garbers aus eigenen Mitschriften angefertigte Rekonstruktionen von Alewyns späten Bonner Vorlesungszyklen über das Barockzeitalter (1960/61) und über die Epoche des Sentimentalismus (1961/62), die Quintessenz der "ungeschriebenen Lehre". Der zweite Aufsatz ist dabei deckungsgleich mit dem Impulsvortrag von Osnabrück und in beiden Publikationen enthalten. Der Übergang vom detailliert abgeschrittenen "Vorbarock" (vulgo: Späthumanismus) zum Barock erfolgte für Alewyn wie für Walter Benjamin mit Gryphius' Versenkung "in die licht- und trostlose Welt vor der Erlösung". Garber entwickelt die bekannten Barockthesen - Dominanz von Auge und Ohr, Rückzug des Wortes in klassizistische Nischen - aus dem Gang der Argumentation heraus. Wenn dabei mitunter mehr Garber als Alewyn zu hören sein mag, ist der Identifikation jedoch vorgebaut: Alewyns Verfallsthese in bezug auf die Reichsstädte etwa sei ebenso unhaltbar wie die Ausblendung der Bürgertumsforschung.

Die wichtigste Zäsur bildete für Alewyn der Absturz in die sentimentale Epoche der Aufklärung: Es habe hier "eine Veränderung der menschlichen Substanz" eingesetzt, "die als die wichtigste anthropologische Umformung im Abendland angesehen werden dürfe". Indem "Empfindsamkeit" zur entscheidenden neuen Kategorie aufrückt, gibt Alewyn dem Konzept der langen Dauer Alteuropas einen eigenen Akzent. Der Entdeckung von Seelenräumen korrespondiere eine "Entmaterialisierung der Künste". Zudem löse der Dilettant den Experten ab. Als Paradigma des Umbruchs erschien Alewyn Klopstock. Der "Dichter tränenreicher, sephardischer Gefühle" kommuniziere mit seiner Gemeinde in einem "erhabenen seelischen Raum der Innerlichkeit". Die Romantik, ebenfalls der "Kunst-Mystik" frönend, überwinde die Subjektzentriertheit zugunsten kollektiver Stimmungen.

Die Linien lassen sich ausziehen bis in die Weimarer Republik. Doch es geht um mehr als eine Zuschreibung von Epochensignaturen. Alewyn, insofern dialektisch, hält sich bewußt an die Gegenbeispiele, den Gegendiskurs, immer wieder an Goethe. So entsteht ein komplexes Bild des gewaltigen, alle Stände durchziehenden Bruchs, der nicht unbedingt chronologisch zu verstehen ist. Eine umfangreiche Bibliographie der Werke von und über Richard Alewyn rundet Garbers Band ab. Zu monieren ist neben dem (absurden) Preis einzig das Versäumnis, die einzelnen Beiträge auf Redundanzen geprüft zu haben. Geradezu verliebt scheint der Autor in die "Inkommensurabilität". Das aber ist verzeihlich, denn unvergleichlich ist Alewyn tatsächlich in mehr als einer Hinsicht.

OLIVER JUNGEN

Klaus Garber: "Zum Bilde Richard Alewyns". Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 168 S., geb., 49,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2005

Kühle Prägnanz
Klaus Garbers Aufsätze über seinen Lehrer Richard Alewyn
In Zeiten der sich modularisierenden Massenuniversität vermag man sich kaum noch vorzustellen, dass sich Studenten früher einmal bei der Auswahl ihres Studienortes vom Charisma einer Professorenpersönlichkeit leiten ließen, um zu deren Schülern zu werden. Der Osnabrücker Germanistikemeritus Klaus Garber bekennt, dass seine Begegnung mit Richard Alewyn für ihn „lebensbestimmend” wurde. Aus Anlass von Alewyns hundertstem Geburtstag im Jahr 2002 hat er seine dem verehrten Lehrer im Lauf der Jahre gewidmeten Aufsätze zu einem eindrucksvollen Band zusammengeführt und durch eine fünfzigseitige Bio-Bibliographie ergänzt.
Der von Alewyn wie Garber gleichermaßen geschätzte Anglist Herbert Schöffler hat einmal gesagt, jeder Forscher müsse eine ganz spezifische, von ihm geprägte und ihn prägende Ausrichtung haben, eine „Art innerster Bestimmung”, durch die er sich von allen anderen Fachkollegen unterscheide. Alewyn war vor allem Barockforscher. Bei Max von Waldberg promovierte er 1926 in Heidelberg mit einer Analyse der Antigone-Übersetzung des Martin Opitz, bei Julius Petersen in Berlin habilitierte er sich 1930/31 mit einer Monographie über lange vergessenen Johann Beer, den er als Verfasser mehrerer unter fingierten Namen erschienener Romane identifizierte und so als wichtigen barocken Erzähler neben Grimmelshausen wiederentdeckte.
Diese Studie katapultierte ihn an die Spitze der damaligen Germanistik, bereits 1932 wurde er auf den prestigeträchtigen Lehrstuhl Friedrich Gundolfs in Heidelberg berufen. Doch schon knapp ein Jahr später musste er 1933 als sog. „Vierteljude” die Universität verlassen. Auf Umwegen über Frankreich, Österreich und die Schweiz emigrierte er in die USA. Nach dem Krieg gehörte er zu den ersten Remigranten und wurde 1949 als Lehrstuhlinhaber nach Köln berufen, von wo er über die FU Berlin schließlich nach Bonn wechselte.
Garber will seinen Lehrer porträtieren, was für ihn bedeutet, „sein Werk zu charakterisieren” und „keinen Blick in den persönlichen Bereich” zu werfen. Mehrfach muss er konstatieren, dass Alewyn ein Meister der kleinen Formen wurde, dass nach der Habilitation kein monographisch abgeschlossenes Buch mehr erschien, jedoch blendende und formvollendete Aufsätze, z.B. über Hugo von Hofmannsthal. Möglicherweise reicht die Vergegenwärtigung der interpretatorischen Leistungen Alewyns nicht aus, um seine Persönlichkeit zu erfassen. Vergleiche mit anderen Emigranten drängen sich auf, z.B. dem um fünfzehn Jahre älteren Leo Spitzer, den die Erfahrungen des Exils derart traumatisierten, dass er kein durchkomponiertes Buch mehr schreiben konnte.
Garber blendet taktvoll den Zwist zwischen Benno von Wiese und Richard Alewyn aus, der eine lange Freundschaft zerstörte. Von Wiese führt ihn auf seine eigenen Erfolge zurück und erzählt die Anekdote, Alewyn habe die Veröffentlichung eines seiner vielen Bücher mit dem Sarkasmus kommentiert: „Du schreibst, und ich denke”. Damit waren indirekt auch die Unterschiede in den Viten der Gebliebenen, die weiter produzieren konnten, und der Vertriebenen, die sich und ihre Arbeit in Frage gestellt sahen, benannt.
Garbers subtile Annäherungen an Alewyn sind alles andere als nur eine „pia causa”. Er zeigt uns einen Forscher, der philologische Exaktheit nicht als Positivismus verachtete, für den die Genauigkeit des Lesens eine Selbverständlichkeit war, der gefundene Formulierungen immer wieder verwarf oder verbesserte, der frei vortrug und keinen Stoff vermittelte, sondern als Literatur- und Kulturhistoriker „eine selbsterschaffene Welt aufbaute”. Werkanalyse und Kulturgeschichte standen für ihn nicht in Opposition, denn nur über strengste Werkkritik führte für ihn der Weg in die Geschichte.
Nachdem die Methodenfixiertheit der Siebziger und Achtziger Jahre und die dekonstruktivistischen Übertreibungen der Neunziger abgeflaut sind, kann Alewyns kühl-prägnante Vorgehensweise wieder als ergiebiges Vorbild dienen. Sein Kulturraumkonzept, das literarische Gattungen an landschaftliche und soziale Räume bindet, schafft vor allem in Zeiten der Globalisierung und Europäisierung einen Ausgleich zwischen nationaler Literaturgeschichtsschreibung und übergreifender Sozialgeschichte.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
KLAUS GARBER: Zum Bilde Alewyns. Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 168 Seiten, 49,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Oliver Jungen freut es, dass sich der Barockfachmann und allgemeine Kulturwissenschaftler Klaus Garber seines Mentors, des Germanisten Richard Alewyn, angenommen hat. Die bisher verstreuten Äußerungen Garbers zu Alewyn hätten mit dem Bändchen nun einen "würdigen Rahmen" erhalten. Kernelemente der Darstellung sind dabei die Rekonstruktionen von Alewyns späten Bonner Vorlesungen über das Barockzeitalter (1960/61) und über die Epoche des Sentimentalismus (1961/1962). Mit dem Aufkommen der "Empfindsamkeit" in der Aufklärung sei die bedeutendste "anthropologische Umformung" in der Kulturgeschichte des Abendlandes eingeleitet worden, so lautet die Hauptthese Alewyns. Zu kritisieren ist laut Jungen der im Verhältnis zum geringen Umfang "absurd" hohe Preis sowie die Wiederholungen, die sich in einigen Beiträgen finden.

© Perlentaucher Medien GmbH