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Karl Marx und Martin Heidegger haben das gemeinsame Schicksal, dass ihre Rezeption politisch überformt war. Seit dem Jahr 1989 hat sich das geändert. Ein verfehlter Sozialismus ist zusammengebrochen - Marx ist philosophisch vogelfrei. In eben diesem Jahr erschienen Heideggers "Beiträge zur Philosophie", die einen genaueren Blick auf sein Denken in den 30er Jahren erlauben. Von diesem Ausgangspunkt her werden beide gemeinsam gelesen. Die Rezeption hatte sie zunächst und zumeist in zwei verschiedene Lager auseinanderdividiert. Der hier vorgelegte Essay macht sich umgekehrt daran, ihr Denken…mehr

Produktbeschreibung
Karl Marx und Martin Heidegger haben das gemeinsame Schicksal, dass ihre Rezeption politisch überformt war. Seit dem Jahr 1989 hat sich das geändert. Ein verfehlter Sozialismus ist zusammengebrochen - Marx ist philosophisch vogelfrei. In eben diesem Jahr erschienen Heideggers "Beiträge zur Philosophie", die einen genaueren Blick auf sein Denken in den 30er Jahren erlauben. Von diesem Ausgangspunkt her werden beide gemeinsam gelesen. Die Rezeption hatte sie zunächst und zumeist in zwei verschiedene Lager auseinanderdividiert. Der hier vorgelegte Essay macht sich umgekehrt daran, ihr Denken wirklich und wahrhaftig ineinander zu montieren. Ein einleitender Teil umreißt die "Extreme des Formbegriffs" bei Marx und Dilthey. Dann wird der späte Marx in Heideggers "Kehre" implantiert. Vor diesem Hintergrund fällt neues Licht auf das "Ereignis". Der Versuchsanordnung für dieses Experiment liegt die Annahme zugrunde, dass in beiden Denkern gnostische Motive in ihre Bestandteile auseinandergefallen sind. Marx beschreibt im Kapitalbegriff den real existierenden "Demiurgen" und seine verfehlte Schöpfung - sein kommender Gott, das Proletariat, hat welthistorisch verspielt. Heidegger erdenkt das ganz Andere, den Vorbeigang des kommenden Gottes im "Ereignis". Marx beschreibt, was ist, Heidegger erdenkt, was fehlt und hält den Horizont einer geschichtstheologischen "Metaphysik" offen. So ergänzen sie sich wechselseitig. Mit Marx für Heidegger - Mit Heidegger für Marx.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

Die Unvernunft in der Geschichte
Vom falschen Gott: Heinz Dieter Kittsteiner verlötet Weltmarkt und Seinsgeschichte / Von Jürgen Kaube

Karl Marx und Martin Heidegger - wer Gedanken dieser beiden in geschichtsphilosophischer Absicht zusammenführen will, muß mit der Frage rechnen, ob hier der Lahme mit dem Blinden auf einen Weg geschickt werden soll. Oder ob es nicht sogar noch aussichtsloser ist, weil der Lahme und der Blinde einander wenigstens etwas zu bieten haben, Marx und Heidegger als Geschichtsphilosophen dieselben Symptome aufweisen. Wenige Denker scheinen vom Einsturz der alten totalitären Systeme so betroffen wie sie; der ältere wurde es später als der jüngere, dem es noch zu Lebzeiten geschah, daß er seine politisch-metaphysischen Erwartungen enttäuscht und sich selbst eines Mangels an historischer Urteilskraft überführt sehen mußte. Beide haben gegen eine Welt opponiert, an der sie nur Verelendung und Verdüsterung wahrnahmen. Beide haben diesseits völliger Umkehr keinen Rat für diese Welt gewußt. Es ist die Welt, in der wir leben.

Liegen in ihrer vollständigen Ablehnung besondere Erkenntnischancen? Inwiefern sonst sollten ausgerechnet sie gute Begleiter des Versuchs sein, die von ihnen verworfene Gesellschaft zu begreifen? Denn genau dafür möchte Heinz Dieter Kittsteiner, Kulturgeschichtler an der Universität Frankfurt/Oder, Marx und Heidegger einsetzen. Zwar erinnert sein Buch ein wenig an jene Vorliebe der sechziger Jahre, Kant "mit" de Sade und Marx "mit" Freud oder gar "mit" Spinoza zu lesen. Man hing damals sehr an Klassikern, die alle zueinander passen sollten. Doch Kittsteiners Buch erschöpft sich nicht darin, seine Helden auf ähnliche Gedankenfiguren hin abzusuchen oder zu erkunden, was Heidegger von Marx hielt und wie sich beide zu Hegel und Marcion stellten. Er hat, das macht seine ideengeschichtlichen Interpretationen interessant, ein sachliches Problem. 1980 in seiner überaus gedankenreichen Dissertation, "Naturabsicht und Unsichtbare Hand", hat er es so formuliert: Was kann es heißen, ein Lebewesen zu sein, das seiner nichtmachbaren Geschichte nicht entrinnt?

Die im achtzehnten Jahrhundert aufkommende moderne Geschichtsphilosophie hat die ungeheure Dynamisierung des historischen Ablaufs durch Industrie, Demokratie und Wissenschaft zum Begriff der Geschichte im Singular verarbeitet. Alle ihre Hoffnungen aber, diese Dynamik erfülle zugleich jene Erwartungen, die der einzelne mit seinem Handeln verbindet, sind gescheitert. Die Geschichte hat weder ein Subjekt, noch lassen sich ihre Geschehnisse so rekonstruieren, als folgte sie einem Programm. Zu behaupten, daß der historische Prozeß Böses bloß als Durchgangsstation zum Guten benutzt, ist nur noch Fanatikern oder aus Gedankenloskeit möglich. Mehr als Evolution bietet er nicht. Daraus leitet sich eine intellektuelle und eine moralische Frage ab. Läßt sich die derart sinnfremde Geschichte überhaupt als Ganzes verstehen? Und: Welche Folgerungen kann der einzelne aus der Tatsache einer Gesellschaft ziehen, für die vernünftige Absichten nur das Material vernunftindifferenter Abläufe sind, gewissermaßen Zufälle? "Wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdann hoffen?" fragt Kant.

Diesen Fragen ist Kittsteiner in seiner bedeutenden Studie "Die Entstehung des modernen Gewissens" ebenso nachgegangen wie in zahlreichen Aufsätzen zu Prämissen der Geschichtsschreibung, von denen einige jetzt gesammelt vorliegen. Ihr zentraler Befund: Die Weltgeschichte ist der Weltmarkt, nicht die Menschen machen sie, sondern die Ökonomie herrscht blind und verwüstend über die Menschheit. Zwischen dem einzelnenen und dem Ganzen geht ein Riß hindurch, tief genug, um jeden Gedanken an eine harmonische Abstimmung nach Art von Theodizeen und Teleologien absurd werden zu lassen. Verstehen können wir an der Geschichte, die wir nicht gemacht haben, nur eben so viel: daß ihre Unverständlichkeit auf den "Kapitalismus" zurückgeht. Denn ebendies entnimmt er für seine eigene Geschichtsphilosophie dem Werk von Marx. Kittsteiner deutet Marx im Zeichen der Begriffe "Entfremdung" und "Warenfetischismus", nicht ohne die religioiden, gnostischen Obertöne aus den entsprechenden Analysen einer völlig verkehrten, wie von einem unfähigen oder sogar bösartigen Gott geschaffenen Welt herauszuhören. Im Kapitalismus geraten die Menschen nämlich unter das Regiment von Dingen, nämlich Eigentumsverhältnissen, Waren, Wertformen.

Noch bevor die Frage aufkommt, welche Ergänzungen dieses Geschichtsbild durch die Lektüre Heideggers erfährt, erstaunt man über zweierlei. Zum einen steckt in Kittsteiners Hinweis, Marx sei kein Ökonom, vielmehr ein Philosoph der Ökonomie, nicht nur die richtige Beobachtung der weitgreifenden gesellschaftstheoretischen Ambitionen des "Kapitals". Sondern es wird durch ihn leider auch die Frage umgangen, wie man denn prüfen soll, ob der Klassiker mit all seinen vielen Behauptungen über den Warentausch, das Geld und die Wertbildung recht hat. Dazu müßte Ökonomie oder jedenfalls Forschung doch immerhin zu Rate gezogen werden, unter Geschichtsphilosophen von Lukács bis Habermas und leider auch Kittsteiner ein allerdings nicht sehr beliebtes Verfahren: Die Wirtschaft liefert ihnen Marx. Zum anderen verwundert die Sicherheit, mit der in so dogmatisch angelieferten Ökonomie das Bewegungsprinzip von Geschichte überhaupt gefunden wird. Als seien Technik und Wissenschaft, Religion und Politik nur abgeleitete, von Gnaden des Kapitals lebende Tatbestände. Um auf etwas Nichtkontrollierbares zu stoßen, muß man nicht durch die Wall Street gehen, dazu reichen Erfahrungen mit Kindererziehung, Verwaltungsrecht, Ehe oder der Agrarpolitik der EU völlig aus.

Erweitert man dementsprechend den Bereich des von Menschen nicht Beherrschten, dann kann man auch die wenig einleuchtende Desozialisierung der Wirtschaft, die angeblich ein reines Verhältnis von Dingen sei, vermeiden. Denn wenn das Subjekt aus der Geschichtsbetrachtung verschwindet, verschwindet auch das Objekt. "Daß ein Ding zur Ware wird, gehört nicht zu seinen natürlichen Eigenschaften." Recht wohl, aber daß ein Mann sich erst verliebt und dann heiratet, daß Sprache Gedichtform annimmt oder daß Brandstiftung verboten ist, gehört auch nicht zu natürlichen Eigenschaften von irgendwem und irgend etwas. "Gemacht" hat die Liebe, die Lyrik und das Strafgesetzbuch, wenn man genau hinschaut, auch niemand anderes als die gesellschaftliche Evolution - und ganz bestimmt nicht die Wirtschaft. Kittsteiners schönes Paradox einer "Hermeneutik des Nicht-Verstehbaren" müßte sich also mehr als nur den Weltmarkt zum Gegenstand machen.

Heidegger, dessen Schriften und Vorlesungen Kittsteiner mit großem Sinn für ihre Argumente, die Schläue ihres Autors und die ideengeschichtlichen Umstände seiner Zeit interpretiert, ist für ihn der Philosoph, dessen Werk im Moment einer völligen Entwertung historischer Erfahrungen durch den Ersten Weltkrieg einsetzt. Ob das ausreicht, um zu befinden, "Sein und Zeit" sei "philosophisch gleichzeitig" mit Marx' Frühschriften entstanden, weil beide die Frage nach der Bestimmung eines Daseins stellen, das von sich sagt, es lebe unter Bedingungen völliger Selbstentfremdung? Kittsteiner selber weist Heidegger der "heroischen" Epoche der Moderne zu, einer Phase, in der intellektuelle Weltdeutungen nicht mehr mit dem Geschichtsverlauf, sondern aggressiv gegen ihn entworfen werden.

Den Preis dafür zahlt der Philosoph nicht erst in seiner Hinwendung zu "Volk" und "Geschick" - Kittsteiners unaufgeregt trockene Deutung der "Holzwege zum Führer" gehört zum Besten, was man in dieser Sache lesen kann -, sondern schon in "Sein und Zeit". Dort nämlich wird alle Wirklichkeit, die sich nicht vom menschlichen Dasein her erschließen läßt, ausgeklammert. "Zwischen Gott und mich", scheint das angstbereite Dasein zu poltern, "laß ich nichts kommen!" Zeit und Geschichte werden darum nur als Dimensionen menschlicher Entwürfe ernst genommen, für die Prägung historischer Zeit durch die Rhythmen der Arbeitswelt, die Moden der Produktion oder den herrschenden Zinssatz hat Heidegger keinen Sinn. Daß der Mensch nur ein Atom im Getriebe der Weltgeschichte ist, verdecke der Philosoph durch die Unterscheidung zwischen eigentlicher und uneigentlicher Existenz, so als wäre das Dasein seiner selbst durch Entschlüsse mächtig. Erst später, in seinen Schriften über die im Zeitalter der Technikentfaltung ins Stadium der Raserei tretende Seinsgeschichte, nähert sich Heidegger einer Befassung mit objektiver historischer Zeit. Wenn er 1951 formuliert, "diese Kreisbewegung der Vernutzung um des Verbrauchs willen ist der einzige Vorgang, der die Geschichte einer Welt auszeichnet, die zur Unwelt geworden ist", korrigiert Kittsteiner nur, daß es statt "Verbrauch" "Profit" heißen müsse.

Wozu aber braucht Kittsteiner dann Heidegger? Marx, schreibt er, habe dargestellt, was ist, Heidegger erdacht, was fehlt. Die klassische Geschichtsphilosophie hatte die Gnade Gottes auf die irdische Zeit übertragen: Moral sei unbedingt zu fordern, ob sie von der Geschichte belohnt werde, liege nicht in menschlicher Hand. Für Kittsteiner überbietet Heidegger diese Gnadentheologie, indem er in seinem Spätwerk dazu auffordert, Rettung nicht in, sondern vor der Geschichte zu suchen - durch Denken, das Festhalten an metaphysischen Fragen und das Warten auf einen letzten Gott. Der soll fehlen? Nein: Der soll fehlen. Denn im Grunde verwenden ihn Kittsteiner wie Heidegger als regulative Idee und moralischen Proviant für ansonsten Verzweifelte. Woran man einen solchen Gott erkennen könnte und an welchen Leistungen seine Gnadengewähr, muß die Fehlanzeige darum auch nicht angeben. In dieser Frömmigkeit ohne Glauben, ohne Kirche und mit Kunstgebet erbt sich das Pathos der heroischen Moderne auf nichtaggressive Weise fort. Solidarität mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes hat man das andernorts genannt.

Handelt es sich hier wie schon bei Heidegger um den Entwurf einer Intellektuellenreligion? Mit großer Mühe vermeidet es Kittsteiner auf den letzten Seiten seines Buches, seinerseits denen, die sich nach wie vor metaphysische Fragen stellen, den lobenden Ausweis einer "eigentlichen" Existenz auszustellen. Was er damit meint, die "Hirten des Seins" wohnten nicht in der Peripherie, sondern im Zentrum der verwüstenden Moderne, und wen er damit meint, haben wir trotzdem nicht verstanden. Aber wenn der Eindruck und Kittsteiners kluge gesammelte Aufsätze nicht täuschen, dann ist eine philosophisch informierte Geschichtsschreibung auch diesseits des Beitritts zu dieser Religion möglich.

Heinz Dieter Kittsteiner: "Mit Marx für Heidegger - Mit Heidegger für Marx". Fink Verlag, München 2004. 240 S., br., 24,90 [Euro].

Heinz Dieter Kittsteiner: "Out of Control". Über die Unverfügbarkeit des historischen Prozesses. Philo Verlag, Berlin 2004. 309 S., br., 34,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Durchaus angetan zeigt sich Rezensent Jürgen Kaube von Heinz Dieter Kittsteiners Band "Mit Marx für Heidegger - Mit Heidegger für Marx", in dem der Verfasser die Gedanken der beiden Philosophen in geschichtsphilosophischer Absicht zusammenführen will. Kaube hebt hervor, dass sich Kittsteiner nicht damit begnügt, seine Protagonisten auf ähnliche Gedankenfiguren zu überprüfen oder zu erkunden, was Heidegger von Marx hielt, und wie beide zu Hegel standen. Vielmehr leite ihn ein sachliches Interesse, nämlich die Frage "Was kann es heißen, ein Lebewesen zu sein, das seiner nicht machbaren Geschichte nicht entrinnt?" Detailliert setzt sich Kaube mit Kittsteiner auseinander und übt Kritik, wo nötig. Nicht einverstanden ist er etwa mit Kittsteiners an Marx orientiertem Verständnis der Weltgeschichte als Weltmarkt, dessen Ökonomie blind und verwüstend über die Menschen herrsche. Umso mehr lobt Kaube die Deutungen von Heideggers Vorlesungen und Schriften, die Kittsteiner mit "großem Sinn" für ihre Argumente, die Schläue ihres Autors und den zeitlichen Kontext interpretiere.

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