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Produktdetails
  • Verlag: DuMont Kalenderverlag
  • Seitenzahl: 264
  • Abmessung: 335mm
  • Gewicht: 1872g
  • ISBN-13: 9783770156047
  • ISBN-10: 3770156048
  • Artikelnr.: 09419100
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2002

Etwas vollsaftige Angelegenheit
Unter Trüffeln: Bourgueil philosophiert in der und über die Küche

Es liegt in der Eigenart der Kunst, die Natur zu überbieten. Die Kochkunst lebt davon, Aromen zu erzeugen, die die einzelnen Zutaten von sich aus nicht gewähren. Der Koch kann verschiedene Garmethoden anwenden, um Gewebe und Geschmack der Waren zur Geltung zu bringen; er kann Gewürze und Kräuter hinzufügen, um den Charakter der Speisen zu bereichern; er kann die Hauptzutat mit anderen Sachen verschränken, um für Vielschichtigkeit zu sorgen, und er kann Marinaden und Soßen herstellen, um die Geschmeidigkeit und Tiefe des Gerichts zu fördern. Es eröffnet sich manche Möglichkeit, den Esser zu beeindrucken.

Die wahre Kunst besteht aber darin, nicht der Beliebigkeit zu verfallen, sondern das Wesen der einzelnen Dinge zu steigern. Spätestens seit den Tagen eines Carême ringt die große Küche sowohl um neue Verbindungen als auch um Vereinfachung. Der berühmte Küchenchef war darum bemüht, die Individualität der einzelnen Zutaten herauszustellen. Lady Sedney Morgan hatte das Vergnügen, im Hause des Barons Rothschild die Künste des Meisters zu bewundern, und sie hielt ihre Eindrücke in dem Buch "France in 1829-30" fest: "Nichts von den alten Zöpfen in seiner Zusammenstellung . . ., keine stark gewürzte Sauce . . . Jedes Fleisch erschien im natürlichen Gewand seines eigenen Geschmacks, jedes Gemüse in seinem eigenen Grün." Wer in die Fußstapfen von Carême treten wollte, mußte diesen Geist der Kochkunst befolgen. Bocuse schrieb 1976 in "La Cuisine du Marché": "Man soll als Koch nichts anderes tun, als den ursprünglichen Geschmack der Gerichte vollendet zur Geltung zu bringen."

Jean Claude Bourgueil deutet schon mit dem Titel seines Buches an, daß er die Tradition der französischen Grande Cuisine pflegt, wie sie von Köchen wie Carême, Escoffier oder Bocuse geschaffen wurde. Der Begriff "Philosophie" erscheint jedoch etwas hochgegriffen, da das Buch größtenteils aus Rezepten besteht; aber es bleibt lobenswert, daß der Maître immerhin eine Einleitung voranstellt, die von seinem Werdegang berichtet und die Grundsätze seiner Kochkunst benennt. Für den Esser vermehrt sich die Freude an den Speisen, wenn er weiß, aus welchen Überlegungen sie entstehen. Der aufgeklärte Feinschmecker möchte das Gericht nicht nur sinnlich, sondern auch geistig genießen. Thomas Ruhl hat für das Buch ansprechende Bilder beigesteuert.

Bourgueil wuchs auf dem Hof der Großeltern in der Touraine auf, wo er das "unbeirrbare Bauerngefühl" für die Waren kennengelernt habe. Die schlichte Küche der Großmutter sei für ihn zur Grundlage geworden, fachkundig erweitert durch die Einsichten von Alain Chapel, der "ein Kochphilosoph und großer Freund der feinen Produkte der Natur, ein wahrer Prediger vereinfachter Küche" gewesen sei. Bourgueil umgarnt die Kindheits- und Jugenderinnerungen mit romantischem Flor, um Prinzipien der Grande Cuisine vorzutragen, die nicht neu sind: "Der Koch kommt der Kunst nach, wenn er die Geschenke der Natur mit einem sinnlichen Gefühl interpretiert . . ., ohne zu seinen Gunsten den Erfolg an sich zu reißen." 1977 übernahm er das Restaurant "Im Schiffchen" in Düsseldorf-Kaiserswerth. Zehn Jahre später erhielt er für sein Lokal erstmals drei Michelin-Sterne und zählt seither nach diesen Maßstäben zu den rund dreißig besten Köchen in Europa.

Schlichte bäuerliche Produkte spielen bei den Rezepten allerdings in der Regel nur eine Nebenrolle. Läßt man die Süßspeisen außer acht, so findet man nur wenige Gerichte, die ohne exklusive Zutaten wie Gänsestopfleber, Trüffel und Kaviar auskommen. Spätestens seit den Tagen eines Brillat-Savarin werden diese Aromenwunder, die aus fast jeder Speise etwas machen, besungen und bejubelt, und sofern sie fehlen, kennt der Michelin bis heute kein Pardon. Es gibt eine "Maultasche von der Périgord-Gänseleber auf Trüffelremoulade", eine "Komposition von der Gänseleber", "Gateau vom Bresse-Kaninchen mit Mesculun-Salat und Gänseleber", "Malines- und le Pertuis-Spargel mit zweierlei Gänseleber" und so fort. Die Vorherrschaft von Gänsestopfleber, Trüffel und Kaviar wirkt ermüdend, und man möchte mit Lady Sedney Morgan von alten Zöpfen in der Zusammenstellung sprechen.

Wenn sich Bourgueil mäßigt und auf diese Dinge verzichtet, erscheint er zeitgemäß. Seine "Filigrane von Schalen- und Krustentieren mit Bourbon-Vanille" entwickelt eine anregende Vielschichtigkeit, gefördert durch eine schonende Garmethode, eine leichte Soße mit dezenter, raffinierter Würze, die die Hauptzutaten nicht übertüncht, und eine ungezwungene, bunte Anrichteweise. Es werden Jakobsmuscheln, Kammuscheln, Venusmuscheln und Austern verschränkt, um die zarten Stufungen unterschiedlicher Muscheln vorzuführen, kontrastiert durch Hummer, der ein festeres Fleisch besitzt. In einer Sauteuse werden zunächst Schalotten in Butter gedünstet, dann die aufgeschnittene Vanillestange, Kamm- und Venusmuscheln angeschwenkt, es wird eine Fischbrühe angegossen, und es werden schließlich Jakobsmuscheln, Hummer und Austern hineingelegt, um alles bei fünfzig Grad drei Minuten ziehen zu lassen. Die Meerestiere richtet der Koch in tiefen Tellern an, und die Brühe wird noch mit Curry gewürzt und mit Butter zur samtigen Soße aufgeschlagen. Gewebe und Geschmack der Zutaten bleiben bewahrt, belebt durch eine leicht exotische Note.

Gelegentlich schaltet Bourgueil zwischen die Rezepte kleine Texte ein, um Warenkunde zu betreiben. Passend zum vorhergehenden Rezept heißt es: "Besonders die Marennes-Austern sind die Perlen unter den Austern. Südlich von der Île de Ré und nördlich von der Île d'Oléron verleihen wertvolles Plankton und mikroskopische Seealgen den Marennes-Austern ihre grünliche Farbe und den im Mund anhaltenden Nußgeschmack." Schade, daß sich solche Ausführungen nur auf einige Dinge erstrecken. Wenn man, wie Bourgueil in der Einleitung, allgemein die Natur der Waren preist, sollte man im einzelnen noch mehr über sie "philosophieren". Man hätte dem Leser etwa auch sagen können, was die besondere Güte des Maibocks ausmacht, für den ein Rezept angegeben wird.

Bourgueil ist sich bewußt, daß man heute auch dem Gemüse den schuldigen Tribut zollen muß. Für die "Charlotte von der Artischocke in Staudensellerie-Vinaigrette" wird die Textur der Artischocke indes zerstört und püriert, um sie in eine zylindrische Form zu zwängen, die penibel mit roten und grünen Streifen von Tomate und Zucchini umzogen wird. Die Darbietung erinnert an die siebziger Jahre, als Köche krampfhaft versuchten, als Künstler anerkannt zu werden. Doch Meisterköche wie Witzigmann oder Ducasse haben zwischenzeitlich längst erkannt, daß auch in der bildenden Kunst der Formalismus nicht mehr en vogue, vielmehr die Struktur des Materials von Interesse ist. Witzigmann, dem mittlerweile der Michelin schnuppe sein kann, geht in seinem Buch "Sechs Jahrzehnte" sparsam mit Gänsestopfleber, Trüffel und Kaviar um, und beim "Lauchsalat mit Périgord-Trüffeln" schichtet er grob geschnittenen Lauch und Trüffelscheiben frei ineinander, während Bourgueil formvollendete "Röllchen vom jungen Lauch und Trüffel in Trüffelschaum" zubereitet. Der Maître in Düsseldorf kocht zweifellos auf einer hohen Ebene, doch seine Rezepte sind nur bedingt richtungweisend.

ERWIN SEITZ

Jean Claude Bourgueil: "Die Philosophie der großen Küche". Herausgegeben von Thomas Ruhl. Dumont Verlag, Köln 2001. 264 S., Farb-Abb., geb., 55,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein Kochbuch, doch, ein Kochbuch. Und mitnichten eine "Philosophie" der Küche. Etwas hochgegriffen der Begriff, befindet Erwin Seitz, der das Buch darum ja nicht weniger schätzt, als Koch- und Rezeptbuch nämlich, in der Tradition der französischen Grande Cuisine a la Bocuse. Dass der Michelin- Koch Bourgueil einleitend die Grundsätze seiner Kochkunst preisgibt und zwischen den Rezepten immer wieder Warenkunde betreibt, sieht Seitz natürlich trotzdem gern: Der Geist isst schließlich mit. Bleibt zu bemängeln, dass auch dieser Spitzenkoch nicht loskommt von Gänseleber, Trüffeln, Kaviar und ihretwegen schon mal die "Textur der Artischocke" zerstört. Davon hat zumindest Seitz genug und freut sich lieber über zeitgemäße Vielschichtigkeit und schonende Garmethoden.

© Perlentaucher Medien GmbH