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Kaum eine wissenschaftliche Lehre hat das Selbstverständnis des Menschen in einem Ausmaß erschüttert wie Charles Darwins Theorie von den Ursachen der biologischen Vielfalt. "Darwin und die Anstifter" beschreibt, wie der Begründer der Evolutionslehre die Geschichte des Lebens entzauberte und gegen welche Widerstände sich sein Weltbild behaupten musste.

Produktbeschreibung
Kaum eine wissenschaftliche Lehre hat das Selbstverständnis des Menschen in einem Ausmaß erschüttert wie Charles Darwins Theorie von den Ursachen der biologischen Vielfalt. "Darwin und die Anstifter" beschreibt, wie der Begründer der Evolutionslehre die Geschichte des Lebens entzauberte und gegen welche Widerstände sich sein Weltbild behaupten musste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Das Modell Urmensch
Vom Überleben des Flüchtigsten: Evolutionäre Psychologie und Memetik erforschen die Menschennatur im Zeitalter ihrer technischen Neuerfindung / Von Richard Kämmerlings

Jede Epoche hat ihre Urszene, einen Schauplatz, auf dem sich Zeitgenossenschaft in einem paradigmatischen Schnappschuß verdichtet. In den fünfziger Jahren war dieser Ort das Wohnzimmer, dessen Zentrum der Schallplattenspieler oder das Fernsehgerät als sichtbare Insignien des Wirtschaftswunders bildeten. Irgendwann in den Sechzigern stolperte der Weltgeist zu Fuß in die emblematische Szene der Demonstration. Ob Zuschauer oder Mitmarschierer, Gegenmacht oder Systemverteidiger: Der die Ideologien jeder Couleur unterlaufende gemeinsame Nenner war die individuelle Freiheit zur Wahl seines Standpunkts und seiner Lebensform. Mit dem Abklingen des emanzipatorischen Aufbruchs führte der Szenenwechsel in das Großraumbüro als Sinnbild sozialer Zwänge und ökonomischer Verteilungskämpfe.

Der Unterschied wird sichtbar im Vergleich mit jenem Raum, der in den neunziger Jahren beliebtester Aufenthaltsort des Zeitgeistes wurde: dem Club. Das Individuum bewegt sich heute im sozialen Fluidum als eine auf seine Triebnatur zurückgestutzte Sozialmonade, als ein gesättigtes, bindungsunfähiges organisches Makromolekül; eine Basis ohne Überbau, aber mit Unterleib. Politisches Denken spielt dort keine Rolle, wo das Individuum der Wünschelrute seiner Triebnatur folgt und die einzige Option die sexuelle Zuchtwahl ist.

Zu dieser Empirie, die, wenn auch keine der alltäglichen Wirklichkeit, so doch das am weitesten verbreitete Phantasma von Modernität ist, liefern die biologischen Wissenschaften die Theorie, indem sie den Menschen zurück in ein Panorama des täglichen Überlebenskampfes stellen: in die Savannen der Urzeit, wo sich in Hunderttausenden von Jahren jene psychischen Grunddispositionen entwickelt haben, die das Verhalten auch des hochzivilisierten Homo sapiens noch steuern. Speichermedium dieser Grundausstattung sind die Gene (die wir zu achtundneunzig Prozent mit unserem nächsten tierischen Verwandten, dem Schimpansen, teilen), ihr bevorzugter Erscheinungsort ist das Paarungsverhalten, das stets auf die Selektion der Erbanlagen durchschlägt.

In der Anthropologie vollzieht sich eine Rückkehr naturalistischer Konzepte. Nach den vielgescholtenen Einseitigkeiten der Soziobiologie, die mit den Arbeiten Edward O. Wilsons in den siebziger Jahren einen Höhepunkt erreichte, buchstabiert heute die evolutionäre Psychologie die menschliche Natur neu. Auf die vielen Popularisierungen der Evolutionstheorie hatte Richard Dawkins' 1976 aufgestellte These vom "egoistischen Gen" besonderen Einfluß. Die Erbanlagen selbst wurden hier zur entscheidenden Minimaleinheit des Entwicklungsprozesses, die sich der Lebewesen - und auch der Menschen - lediglich zur eigenen Reproduktion bedienten.

Die evolutionäre Psychologie beruht auf der Prämisse, daß es ein Mißverhältnis zwischen dem Tempo der biologischen Evolution und der technischen, sozialen und kulturellen Entwicklung der menschlichen Gattung gibt. Die Gene kommen mit dem Tempo des Fortschritts nicht mehr mit, so daß der Mensch sich gewissermaßen selbst überholt und in seiner natürlichen Ausstattung eine ganze Reihe Fehlanpassungen mit sich herumschleppt (etwa das Begehren nach süßen und fettigen Dingen, die einst Mangelwaren darstellten). Was unter Bedingungen des Pleistozäns einen Selektionsvorteil versprach, ragt als Relikt in die Industriegesellschaft hinein: Urmensch und Spätkultur.

In ihrem Buch "Die Macht der Meme" zieht Susan Blackmore das von Dawkins nur am Rande eingeführte Konzept des "Mem" und daran anschließende Theorien des Philosophen Daniel Dennett systematisch zur Erklärung der kulturellen Evolution heran. Meme sind replizierbare Informationseinheiten, die auf kultureller Ebene den gleichen evolutiven Mechanismen unterworfen sind wie die Gene, anders als diese aber nicht an die biologische Fortpflanzung gebunden sind, wiewohl sie sie, so Blackmores These, entscheidend beeinflussen. Es ist insofern überraschend, daß Blackmore ihren Entwurf vorwiegend am Beispiel des Paarungsverhaltens veranschaulicht und so den Menschen einmal mehr in jene "Arena" stellt, auf der sich die Männchen verschiedenster Vogelarten zur Demonstration ihres Federkleids versammeln: Was "für Zebrafinken und Schwalben" gilt, kann bei großstädtischen Nachtschwärmern nicht falsch sein. Empirisch belegte Unterschiede zwischen den Geschlechtern können tatsächlich mit verblüffender Evidenz auf biologisch begründbare "Interessensunterschiede" bei der sexuellen Auslese zurückgeführt werden. Geschlechtsspezifische Differenzen in der Bereitschaft zu sexuellen Beziehungen erklärt Blackmore zunächst konventionell-evolutionspsychologisch durch unterschiedliche Verteilung von Vorteilen bei der Fortpflanzung: "Für Männer besteht die naheliegenste Strategie zur maximalen Verbreitung ihrer Gene einfach darin, sich so oft wie möglich mit wem auch immer zu paaren", während es umgekehrt eine Tatsache sei, "daß eine Frau die Anzahl der Kinder, die sie erfolgreich aufziehen kann, nicht dadurch zu steigern vermag, daß sie sich häufiger oder mit verschiedenen Männern paart".

Die Memetik bringt Blackmore ins Spiel, um auch die Höherentwicklung der menschlichen Kultur, die Entstehung von Sprachfähigkeit und die Ausbildung leistungsfähigerer Gehirne und schließlich auch Ethik oder Religion durch die Mechanismen der Zuchtwahl zu erklären: Weil sich Meme als beliebig definierbare Informationseinheiten von der Erfindung eines Werkzeugs über ein Volkslied bis zum philosophischen System zur eigenen Verbreitung "egoistisch" Menschen heranzüchten, die besser zur Imitation ihrer Artgenossen und so zur Weitergabe geeignet sind, entwickelte sich der Mensch zum Kulturwesen. Anders als es der Volksmund will, hat nicht der dümmste, sondern der imitationsfähigste Bauer die dicksten Kartoffeln.

Doch wenn Blackmore nun mimetische Kompetenz als besonders bevorzugte Eigenschaft des Mannes (neben Potenz, Aussehen und anderem) ausmacht, wird die genetische Ausstattung auf einem Umweg wieder eingeführt: Denn was ist die Fähigkeit zur Imitation, zur Herstellung von Werkzeugen und zur Übernahme von klugen Ideen anderes als Intelligenz? Man hört gerne, daß nach der Mem-Theorie Multiplikatoren wie Schriftsteller, Journalisten und Filmstars besonders gute Chancen haben, weil die vorsintflutlichen Teile des Frauenhirns Meinungsbildung und -verbreitung offenbar für überlebenswichtig halten, doch dürfte die Überprüfung solcher Aussagen schwierig sein: "Ich vermute, daß Frauen, wenn sich dies testen ließe, unter ansonsten gleichen Umständen einen guten Memverbreiter einem lediglich reichen Mann vorziehen würden." Freiwillige vor!

Blackmores methodisches Konzept greift zu kurz. Dort wo es nicht letztlich um genetische Auslese geht, etwa bei der Entwicklung von Intelligenz und Sprachfähigkeit als allgemeine, formale Voraussetzungen von Imitationsfähigkeit, kann das Mem alleine als evolutiver Faktor gar nichts erklären. Natürlich verschaffte das Rad seinen Erfindern einen Vorteil: Doch sind deswegen schon die Menschen nur noch Vehikel der Verbreitung der Atombombe? Das ist so, als würde man den Menschen als Maschine zur Lüftung von Freizeitkleidung ansehen. So ähnlich denkt Blackmore auch: "So wurden Bücher, Telephone und Faxgeräte von den Memen zu ihrer eigenen Reproduktion geschaffen". Begründen will sie diese wie eine Verfremdungstechnik anmutende Sichtweise mit dem Selektionsdruck auf die Information, der in Richtung besserer Kopiermechanismen wirke. Merkwürdigerweise vergißt sie aber dabei ein grundlegendes Prinzip der Evolution: die Variation, die erst aus einer Vielzahl von Phänotypen einzelnen Überlebensvorteile verschafft. Wäre die Evolution in Richtung auf immer perfektere "fehlerfreie Reproduktion vorangeschritten", hätte sie gar nicht stattgefunden, und wir würden heute noch einander wie ein Einzeller dem anderen gleichen. Spätestens mit der digitalen Speicherung und Weitergabe von Informationen gibt es keine vom menschlichen Eingreifen unabhängige Variation. Wenn alle Kopien eines Mems identisch sind, hat keines einen evolutiven Vorteil. Oder andersherum: Wären wirklich die Meme die geheimen Agenten der Geschichte, dann wäre es nie zur Erfindung der Schrift oder gar der CD-ROM gekommen.

Noch verwirrender sind allerdings Blackmores Überlegungen zu Memen wie Melodien, geflügelten Worten oder literarischen Werken. Eine semiotische Betrachtungsweise würde hier ganz allgemein von Zeichen sprechen, die natürlich auf Reproduktion hin angelegt sind. Allerdings haben Zeichen nur Sinn in bestimmten Zeichensystemen. Es mag eben Kulturen geben, in denen Stäbchen zum Essen keinerlei Verbreitung finden. Sprachliche Meme sind unabhängig von ihrem Gebrauch in einem kulturellen Kontext sinnlos. So bedienen sich nicht Meme der Menschen und ihrer Kultur zur Fortpflanzung, da sie außerhalb von Kultur und unabhängig vom menschlichen Bewußtsein, für das sie etwas bedeuten, gar nicht existieren. Daß es keinen Geist ohne Meme gibt, gilt auch umgekehrt. Die Memetik lehrte so nichts anderes, als was die Anthropologie immer schon wußte: daß der Mensch mit Arnold Gehlen "von Natur aus ein Kulturwesen ist". Die Memetik erscheint so nicht als ultimativer Ausgriff biologistischen Denkens auf die Sphäre des Sozialen, sondern als Schleichweg kultureller Evolutionstheorien hin zu einer neuen Sonderstellung des Menschen, die außerhalb der Biologie und neuerdings der Robotik und Kybernetik nie jemand bestritten hat.

Die Rolle der sexuellen Zuchtwahl und die Selektionsvorteile bestimmter phänotypischer Merkmale zu betonen ist - da sie an die Reproduktion rückgebunden bleiben - von höherem Erklärungswert als der Versuch einer Entbiologisierung der Evolutionstheorie. Der Kognitionspsychologe Geoffrey Miller beharrt zu Recht darauf, daß alle Organismen durch das Nadelöhr von Zuchtwahl und Überlebenskampf müssen. Miller arbeitet mit einem konventionellen Konzept evolutionärer Psychologie, deren latenten "Puritanismus" er allerdings überwinden will. Auch er glaubt in "The Mating Mind" mit der Partnerwahl den Universalschlüssel zur menschlichen Kulturentwicklung gefunden zu haben, ohne auf die Krücken einer Memetik zurückgreifen zu müssen: Aus mehr oder weniger intelligenten Strategien der Brautwerbung habe sich die menschliche Art zu den Höhen von Kunst und Kultur vorgearbeitet. Die Musik der Beatles oder der Backstreet Boys hat sich demnach wie alle anderen zivilisatorischen Höchstleistungen herausgemendelt, weil mit kreativer Leistung Sexualpartner zu beeindrucken waren: der Homo sapiens auf Millenniums-Tournee. Sein Konzept könnte man das Groupie-Theorem nennen, klänge das nicht zu despektierlich. Denn Millers brillant erzählte Geschichte von der Entstehung der Kultur aus dem Balzverhalten hat einen überraschend hohen Erklärungswert. Indem er mit erzählerischen Mitteln - und zugegebenermaßen auch viel Phantasie - die Lebensumstände unserer Ahnen darstellt, kann er Phänomene moderner Zivilisation plausibel machen Das beginnt beim Sport als ritualisiertem Rivalenkampf und endet bei Moralvorschriften und der Begabung des Menschen mit Mitleid, Hilfsbereitschaft und Güte.

Das ist alles weit entfernt von einem "genetischen Determinismus", gegen den sich auch ein Richard Dawkins stets verwahrt hat. Wenn solchen Theorien im kulturwissenschaftlichen juste milieu der Wind eiskalt ins Gesicht bläst, so liegt das an ihrem Einspruch gegen einen radikalen Kulturalismus, der den Menschen als eine kontextuell beliebig formbare Materie denkt. Ihnen droht der Verlust ihres anthropologischen Deutungsmonopols, woraus sich der hysterische Tonfall der Polemik erklärt, der etwa einen neuen, von Hilary und Steven Rose herausgegebenen Sammelband mit Stimmen prominenter Kritiker der Evolutionspsychologie durchzieht.

Das Buch des Zoologen und Wissenschaftshistorikers Thomas P. Weber über "Darwin und die Anstifter" hebt sich durch seine Ausgewogenheit wohltuend davon ab. Ein Kapitel dieser kenntnisreichen Archäologie des Darwinismus ist der Evolutionspsychologie gewidmet, und dort wird etwa das schöne Beispiel vom viktorianischen Reverend F. O. Morris erzählt, der in seinem Buch "The History of British Birds" von 1856 seiner Gemeinde die Heckenbraunelle als leuchtendes Beispiel eines ganz der Monogamie hingegebenen Lebewesens präsentierte. Neuere Forschungen haben das in Wahrheit reichlich experimentelle Paarungsverhalten des Singvogels untersucht und je nach Umweltbedingungen verschiedene Konstellationen von bis zu zwei Männchen mit drei Weibchen beobachtet, so daß auch die Kommune I den Vogel zu ihrem Totemtier hätte küren können.

Doch auch Weber ist nicht davor gefeit, in seiner berechtigten Kritik an einzelnen Ergebnissen der evolutionären Psychologie gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten: "Die ,Natur des Menschen' ist ein Phantom, das damit auch keine ethischen oder naturrechtlichen Systeme unterstützen kann." In der ethnologischen Traditionslinie, die von Franz Boas über Margaret Mead bis zu heutigen Theorien des Multikulturalismus läuft, findet er bereits die berechtigten Einwände gegen ein evolutionäres Modell menschlicher Kulturentwicklung. Eine Anthropologie nach dem Modell des viktorianischen Evolutionismus ist aber eine künstliche Drohkulisse. Eine Einbeziehung der biologischen Basis menschlicher Kultur könnte gerade auch Argumente gegen die Diskriminierung sogenannter primitiver Kulturen liefern: Jede Kultur ist gewissermaßen unmittelbar zu Gott, insofern sie den gleichen evolutiven Abstand zum Tierreich einhält, gleichwohl dessen Erbe, wie sehr auch immer organisatorisch und technisch maskiert, in sich trägt. Gehlen hat in seiner anthropologisch fundierten Institutionentheorie diesen Abstand, der eben nicht unendlich weit, aber auch nicht vernachlässigbar ist, genau vermessen. Gerade angesichts der neuen Herausforderungen durch die Gentechnologie und künstliche Intelligenzen könnte das Festhalten an einer Natur des Menschen ein Bollwerk gegen die völlige Liberalisierung seiner artifiziellen Verbesserung sein. Wenn der Mensch ein reines Produkt seiner Kultur ist, was hindert dann die von Peter Sloterdijk beschworenen Anthropotechniker an seiner Weiterentwicklung?

Anthropologie arbeitet nicht per se einer bestimmten politischen Richtung zu. Auch die Soziobiologie oder die evolutionäre Psychologie sind nicht ohne weiteres Waffenbrüder eines totalen Determinismus, der im darwinistischen Rassenwahn enden muß. Umgekehrt stellt gerade die Besinnung auf die biologischen Grundlagen der menschlichen Gesellschaftsfähigkeit eine universalistische Schutzwand gegen segregierende, "multikulturelle" Ideologien da. Zur Menschennatur gehört auch seine biologische Ausstattung, sein Aggressionstrieb, seine Vater- und Mutterinstinkte, seine emotionale Verletzlichkeit. Den pauschalen Vorwurf der Rechtfertigung von "unmenschlichem" und gewalttätigem Verhalten kann man der evolutionären Psychologie ohnehin nicht machen.

Über das universelle Faktum der biologischen Reproduktion des Menschen ist jede Kultur an die Natur zurückgebunden. Gerade daher kommt den technischen Möglichkeiten künstlicher Befruchtung und Klonung so eine Brisanz zu, weil sich hier die Gattung von ihrer bisher unbezweifelbaren biologischen Wurzel loszulösen im Begriff ist. Spielte das anthropologische Fundament jeder Kultur schon längst keine Rolle mehr, wäre die ganze Aufregung um die menschliche Neuerschaffung seiner selbst gar nicht zu verstehen. Worin soll in einer säkularen Gesellschaft noch die Schranke bestehen, wenn nicht in der Zugehörigkeit des Menschen zu einer nicht selbst entworfenen Natur, die ihn der unbegrenzten Manipulierbarkeit entzieht?

In jeder Epoche muß der Mensch sein eigenes Verhältnis zur eigenen Animalität neu bestimmen. Es wird nicht damit getan sein, den Menschen als reines Kulturwesen zu definieren, wenn gleichzeitig das individuelle Verhalten auf die Überforderungen des Sozialen mit Regression reagiert und die Arenen der Partnerwahl und die Schauplätze offener Gewalt aufsucht. Die jüngsten, recht hilflosen Debatten der neunziger Jahre über die Wiederkehr der Gewalt im Herzen der Zivilisation sind auch Ausdruck eine Überbetonung der kulturellen Formierung, die von naturhafter Aggressivität eingeholt wird, eine Art Rache der Gene an ihrer Marginalisierung durch humanistische Idealismen. Es wird die große Herausforderung der nächsten Jahre und vielleicht Jahrzehnte sein, das Verhältnis von Natur und Kultur, Bios und Ethos, Vererbung und Erziehung neu zu bestimmen. Wir stehen immer wieder neu vor der Frage: "Was ist der Mensch?"

Susan Blackmore: "Die Macht der Meme oder die Evolution von Kultur und Geist". Mit einem Vorwort von Richard Dawkins. Aus dem Englischen übersetzt von Monika Niehaus-Osterloh. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2000. 414 S., geb., 49,80 DM.

Geoffrey Miller: "The Mating Mind". How Sexual Choice Shaped the Evolution of Human Nature. William Heinemann, London 2000. 538 S., geb., 20,- brit. Pfund.

Hilary Rose, Steven Rose (Hrsg.): "Alas, Poor Darwin". Arguments against Evolutionary Psychology. Harmony Books, New York 2000. 346 S., geb., 25,- Dollar.

Thomas P. Weber: "Darwin und die Anstifter". Die neuen Biowissenschaften. DuMont Buchverlag, Köln 2000. 270 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Matthias Glaubrecht preist dieses Buch, das sich mit der Geschichte der Darwinschen Evolutionstheorie befasst, als einen "Gewinn" für die interessierten Leser, obwohl sich darin weder eine neue Interpretation des Darwinismus verbirgt, noch ein "Abriss der "neuen Biowissenschaften" geboten wird, wie es der Verlag behauptet. Dennoch sei es eine "informative und lesenswerte" Darstellung eines Teils der Naturwissenschaftsgeschichte, wobei der Rezensent angetan auf die gelungene Vermittlung von Natur- und Geisteswissenschaften Webers aufmerksam macht und die "kenntnisreiche" Schilderung des zeitgeistlichen und kulturellen Hintergrunds der Evolutionstheorie Darwins lobt.

© Perlentaucher Medien GmbH