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Mit den legendären Gedichtbüchern "erprobung herzstärkender mittel" und "geschmacksverstärker" legte der gelehrte Dichter Thomas Kling die Grundsteine seines inzwischen vielbändigen Werkes: u.a. "brennstab", "nacht. sicht. gerät", "morsch".
Die Virtuosität dieser poetischen Partituren ist längst stil- und schulbildend geworden. Schrift und Sprachklang, "text und ohr" verbinden sich zu Sinnesereignissen: "gedicht ist nun einmal: schädelmagie."
In "Fernhandel" schickt Thomas Kling den Leser auf Sprach- und Geschichtsreisen, ins "sprachhaus" und "beinhaus", das Banale und das Grauen
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Produktbeschreibung
Mit den legendären Gedichtbüchern "erprobung herzstärkender mittel" und "geschmacksverstärker" legte der gelehrte Dichter Thomas Kling die Grundsteine seines inzwischen vielbändigen Werkes: u.a. "brennstab", "nacht. sicht. gerät", "morsch".

Die Virtuosität dieser poetischen Partituren ist längst stil- und schulbildend geworden. Schrift und Sprachklang, "text und ohr" verbinden sich zu Sinnesereignissen: "gedicht ist nun einmal: schädelmagie."

In "Fernhandel" schickt Thomas Kling den Leser auf Sprach- und Geschichtsreisen, ins "sprachhaus" und "beinhaus", das Banale und das Grauen zwischen "laufsteg" und "laufgraben" vereint. Mit Thomas Kling bewegt sich der Leser auf ethnographischen oder archäologischen Erkundungen - immer "voll stoff schwappend".

In "Fernhandel" begleiten wir den Autor und 'Dolmetsch' Thomas Kling beim Blättern in "familienherbarien", vor Gemälden und bei der übersetzenden Lektüre von Catull und Ovid, Trakl, Pound, Platen oder dem spätmittelalterlichen Minnesänger und Reisenden Oswald von Wolkenstein.

"Fernhandel" eröffnen und beschließen die beiden großen bewegenden Zyklen "Der erste Weltkrieg" und "spleen. Drostemonolog".

Thomas Klings Gedichte muß man hören. Dem Band liegt eine CD bei, auf der Thomas Kling seine Gedichte selber liest.
Autorenporträt
Kling, Thomas
Thomas Kling (1957-2005) lebte in Düsseldorf, Wien, Finnland und viele Jahre in Köln. Zuletzt wohnte er auf der Raketenstation Hombroich in der Nähe von Neuss. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 1990 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln, 1993 den ersten Else-Lasker-Schüler-Preis für Dichtung und 2001 den ersten Ernst-Jandl-Preis. 2005 wurde ihm der d-lit-Preis der Stadtsparkasse Düsseldorf zuerkannt. Von ihm erschienen "erprobung herzstärkender mittel. gedichte" (1986), "gesc
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.1999

Kleidsames Hechtgrau mit schlammgelben Sprengseln
Frostgeschärfte Bilder vom Ersten Weltkrieg: Thomas Klings Gedichtband "Fernhandel" · Burkhard Müller

Noch immer bleibt es unbegreiflich, wie die Moderne in einer Katastrophe hereinbrechen konnte. Der Zweite Weltkrieg, selbst die Atombombe erscheinen nur wie ihre logische Fortschreibung; aber der Erste Weltkrieg erschuf das Entsetzliche aus dem Nichts und hinterließ einen historischen Zustand der Betäubung. "Jetzt war Krieg!" ruft Karl Kraus im Vorwort der "Letzten Tage der Menschheit" einer Welt zu, der er nicht zugesteht, ihn zu vergessen, da sie ihm nicht entrinnen kann, und stellt die Wucht seines Monster-Dramas dagegen. Dieser Krieg war seither immer, sein Bann hat das zwanzigste Jahrhundert gefangen gehalten.

Nun sterben die Allerletzten, die sich an ihn selbst erinnern können, und damit beginnt er zu vergehen. Dem ersten und bei weitem wichtigsten Teil "Der Erste Weltkrieg" seines neuen Gedichtbandes "Fernhandel" stellt Thomas Kling ein Motto aus den "Letzten Tagen" voran: "Ein Schlachtfeld. Man sieht nichts. Im fernen Hintergrund hin und wieder Rauchentwicklung. Zwei Kriegsberichterstatter mit Breeches, Feldstecher, Kodaks." Es ist eigentümlich, wie die knappe Regieanweisung an dieser Stelle ihren Sinn ändert. Im Zusammenhang von Werk und Zeit spricht sich in ihr Trauer über die zerstörte Welt und Zorn über die Reporter aus, die es begaffen und verwerten; losgelöst aber tritt daraus mit einem Mal ein Problem hervor: Was können wir vom Ersten Weltkrieg noch wissen, wenn Feldstecher und Kodaks sich auf einer Fläche ergangen haben, auf der man im Wesentlichen "nichts" sieht? Kraus hatte andernorts in seinem Drama die Hoffnung ausgesprochen, dass auch eine ferne Zeit vielleicht noch fühlen werde, "dass wir hier Besonderes durchgemacht haben". Worin aber hat es bestanden? Klings Gedichte, und das macht ihre zeitgenössische Bedeutung aus, erproben die neue Situation: dass wir anfangen, Nachwelt des Ersten Weltkriegs zu sein.

Das heißt vor allem: Quellen sichten. Ihr Leben lang "tritt der schwester, nie gesehen, die kugel in den ältren bruder ein". Nun, viele Jahrzehnte später, stirbt auch sie, und der Bruder hört auf zu fallen. Zurückbleiben "briefe in / gehäckselten handschriften, die fast kein mensch mehr lesen kann", "mir geht es noch gut: das ist der inhalt jeder meldung". Fast empört setzt Kling hinzu: "ist dies der inhalt der geschichte: eure marmelade und dein und vaters brief? / den inhalt der büchse der geschichte gut schmecken lassen haben wir uns und dabei / an euch in der heimat denken." Die Antwort muss lauten: In Zeiten, wo es keine Marmelade gibt, ist Marmelade der Inhalt der Geschichte.

Am wichtigsten aber sind die Bilder. Der Erste Weltkrieg, und das verleiht ihm die lähmende und unheimliche Qualität des Untoten, ist der erste mediale Krieg, der sich in großem Stil durch die bis heute unveralteten Techniken der Fotografie und des Films vermittelt. Kling ist fasziniert von dieser Doppelheit des Krieges, vorbei und noch da zu sein. Kein Trost, es sei schon lang her und es hänge nichts mehr ab von diesen "verdun-twens", hilft über die geisterhafte Frische des Materials hinweg, die übermäßig kontrastreichen, stöbernden Schwärme und Chöre von Elstern, die Kling gewahrt.

" . . . da / wird das nächste dia eingeschoben und das nächste und ein nächstes und ein / übernächstes / frühe frostfarbene dias forellendias. dias aus dem kambrium ausm / ersten weltkrieg bildmaterial CNN Verdun: ein hübsches kleidsames hechtgrau / wurde getragen. zitate von dias ganze kästen die da durchgeschoben werden / durchgejagt durch schlammgelbe dias schlammbraune frostgeschärft wie spaten rüben / grannen steckrübendias. dias von musterschützengräben - nicht mein einfall."

Ist das frivol? Abwehrend hebt Kling die Hände und weist es von sich, dass er sich den Begriff des "Musterschützgrabens" ausgedacht habe - das war schon, in unironischer Verbissenheit, die damalige Zeit selbst gewesen (und wer das Kriegswerk von Kraus kennt, wird es ihm bestätigen). Wie Ferne und Nähe ineinander spielen! Es geht zu, wie wenn die Familie im abgedunkelten Wohnzimmer ihren Urlaub nacherlebt; nicht einmal die Monochromie schafft Distanz, sondern suggeriert, intim umschlagend, das einfarbige Drecks-Universum der Front. Darf man es jemanden zum Vorwurf machen, dass er auf diese Bilder ästhetisch reagiert? Dass er das "Feldgrau" der Uniformen, in dem die Zeit sich selbst als schwere, aber große erkennen wollte und das bis heute in den Wildgänsen, die durch die Nacht rauschen, nachhallt - von Kraus als der Inbegriff des "Feldgrauens" erfasst -, als ein kleidsames Hechtgrau empfindet? Ich glaube, nein; es wirkt hier die Erbsünde der Fotografie, die die Lust des Betrachters mit der Pflicht des Zeugen kreuzt.

Kling hat trotz allem Recht, sich an diese zwielichtigen Zeugnisse zu halten. Denn an den authentischen Stätten, den Orten wahren Geschehens und echter Gebeine, den "achsenplätzen der geschichte", wie Kling ihr mattes Pathos höhnisch zitiert, ist Geschichte längst ermäßigt zur bequemsten aller moralischen Freiübungen, dem Gedenken. Verdun ist nicht mehr derselbe Ort, den zu schützen Kraus alle seine Kraft zusammennahm, um die Touristen, die mit Automobilen anrückten, zu verfluchen. Es hat heute etwas Erleichterndes, sich dem Art-Déco des großen Ossuariums auszusetzen, der in einer Weise lächerlich vergangen ist, wie nur Moden vergehen können; durch seine kleinen Fenster gesehen, werden die Knochen der toten Soldaten zum schrulligen Exponat. Nein, dann doch lieber Klings "grobkörnige Mnemosysne, dement", die bis zum Schwachsinn neutrale, bewusstlose und darum mechanische Erinnerung des Mediums, die jeden, der sich in sie versenkt, zum Komplizen macht wie bei einem Unfall auf der Autobahn.

Auf den Lyriker lauern hier alle möglichen Fallen: die moralische, die zynische, die archivarische, um nur einige zu nennen; alles kommt auf die Feinheiten des Tonfalls an. Daher ist die beigegebene CD, auf der Kling seine Gedichte vorliest, unentbehrlich. Ich meine, dass Klings hohe, scharf geschulte, kühle und doch lebhafte Stimme es trifft; er gäbe einen guten Mephisto ab. (Man erinnere sich, dass Mephisto die einzig halbwegs anständige Figur im Stück ist, der, im Gegensatz zu Gott, die Menschen nicht mehr plagen mag.) Das Timbre dieser Stimme hilft selbst Passagen auf, die sonst keine Chance hätten, etwa dem Kalauer von "Sinnguss" und Zinnguss".

Es gelingt ihr das Gewagteste: aus dem geschriebenen Vermerk "Zurück, zurück" auf den Feldpostbriefen an inzwischen Gefallene einen Naturlaut herauszuhören: "so zückt die nachtigall das blei die schrift". Auch Karl Kraus hatte in seiner "Fackel" einen Feldpostbrief abgedruckt und ihn eingerahmt durch ein gespaltenes Zitat aus "Romeo und Julia"; unter der Überschrift "Es war die Nachtigall und nicht die Lerche" folgt die Schilderung eines Vogels, der mitten in der Schlacht auf einem von Granatenbeschuss zerstörten Holzstrunk sein Lied geschmettert hatte, und abschließend, anders gesetzt, des geflügelten Wortes zweiter Teil: "Sie sang des Nachts auf dem Granatbaum dort." Nicht als Kraus' Nachfolgerin, aber als nachgeborene beglaubigt sich Klings Stimme. Sie ist in hohem Grade literarisch - was sich schon daraus ergibt, dass die verwendeten Quellen, schriftliche, fotografische und filmische, stumm bleiben und in Sprache erst gehoben werden müssen. Dysfunktionaler denn je präsentiert sich in diesem Kontext Klings maulende Mündlichkeit des Schriftbilds, die "augn" und "gräbm" und "spitzn" - gelesen begreift man sie nicht, gehört geht sie unter.

Nicht immer sind Klings assoziative Einflüsterungen vom Glück begünstigt. "Bleiglanz", das ist im selben Gedicht die Erzstufe in der bürgerlichen Vitrine, dann die Farbe der Fotos und spielt auch auf die blauen Bohnen an: etwas zu viel des Subtilen. Gegen den Zauber der Hauptwörter erweisen sich die Verse oft als widerstandslos, ein unkontrollierbarer "Wallungswert" geht von ihnen aus wie einst für Gottfried Benn. Die Sarkophage der Kapuzinergruft sind verkleidet mit "schellack, / Goldrubin, / drachenblut", das klingt wie Richard Wagner und bügelt alle Syntax nieder, da kann Kling nichts machen. "dünnschichtchronomatogramm", "überzugsanalysen", "kaiserbeton", das wird in die Verse eingeschifft wie Bleibarren in ein Schilfboot.

Mit dem "Ersten Weltkrieg" ist der Band nicht abgeschlossen; da werden dieser Zugmaschine einige Waggons Bildung angehängt, ein Fernhandel in Gemischtwaren. Der Verlag rühmt Kling als einen "gelehrten Dichter", ich halte denselben Sachverhalt eher für eine Landplage. Jemand, der mit einer Geste auftritt, als hätte er das ganze Abendland im Handgelenk, fordert ein kleinliches Suchen nach Bildungsschnitzern und im Falle des Erfolges den gänzlich unlyrischen Affekt der Schadenfreude geradezu heraus.

Als angedeutetes Beispiel soll hier genügen, dass er von den kolonialen Grenzziehungen auf Neuguinea weniger weiß, als er zu wissen vorgibt. Auch dem Geist Catulls ist Kling in der Zwischenzeit nicht näher getreten, noch immer scheint er ihn fälschlich für den James Dean der Antike anzusehen, und noch immer verkraftmeiert er eine Wendung wie "dass meine Nussschälchen doch was wären" zu "dass mein verszeug es bringt". Oswald von Wolkenstein gibt ein Gastspiel, das ratlos macht, warum ausgerechnet dieser Gast geladen wurde. Mit besonderem Nachdruck sucht Kling das Porträt der Droste-Hülshoff zu renovieren, wobei in der physiognomischen Ausgestaltung eine Menge Materialien wie Wachs, Zinn, Staub, Horn Verwendung finden - alles vergebliche Liebesmühe, solang der Zwanzigmarkschein umläuft und das Bild der Dichterin mit unerschütterlichem Beschlag belegt. Hoffen wir auf den Euro.

Trotzdem muss man Kling gegen die Umarmungen seines Verlages verteidigen. Dass er im Zeitalter der Unterhaltungsgesellschaft das Gedicht "hüte" und "Grundsteine" gelegt habe, so viel konstruktives Hirten- und Mauerwesen tut der aktuellen Kraft, die seine besten Gedichte besitzen, Abbruch; und dass er "längst stil- und schulbildend" geworden sei, bindet den Autor stärker kanonisch ab, als ihm lieb sein kann. Vor allem sollte man es DuMont nicht hingehen lassen, den Lyriker Thomas Kling als "legendär" anzupreisen - da wird Hoffnung gesetzt auf und der Weg gebahnt für die ödeste und unintelligenteste aller Rezeptionen: den Kult. Das hat Kling, was immer man sonst sagen mag, nicht verdient.

Thomas Kling: "Fernhandel". Gedichte. DuMont Buchverlag. Köln 1999, 102 S., geb., 38,- DM.

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"So sichert Thomas Kling die Selbstbehauptung des Fremdkörpers Gedicht in der Unterhaltungsgesellschaft; so hütet er das dichterische Kunstwerk. Ein bedeutender Lyriker des 20. Jahrhunderts meldet sich zu Wort."
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