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Die deutsche Geschichte hat uns mit der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten wieder eingeholt. Deutschland erhält nicht zuletzt durch den Wechsel der Regierung von Bonn nach Berlin den Auftrag, wieder als Staat hervorzutreten. Grund für Hans Belting, nach der Identität einer deutschen Kunst und einer deutschen Kultur zu fragen und sich dabei zurück in die Geschichte zu begeben.

Produktbeschreibung
Die deutsche Geschichte hat uns mit der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten wieder eingeholt. Deutschland erhält nicht zuletzt durch den Wechsel der Regierung von Bonn nach Berlin den Auftrag, wieder als Staat hervorzutreten. Grund für Hans Belting, nach der Identität einer deutschen Kunst und einer deutschen Kultur zu fragen und sich dabei zurück in die Geschichte zu begeben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999

Fünf Stile, das kann doch nicht so schwer sein
Dürer verstand von allem was: Werner Hofmann und Hans Belting sehen, wie süß deutsche Kunst blüht / Von Eduard Beaucamp

Was ist los mit der Kunst in Deutschland? Ist es nur eine Laune oder doch ein latentes Bedürfnis und ein ungelöster Konflikt, die am Jahrhundertende wieder in so massiver Weise die Frage nach der ästhetischen Identität, ja nach "deutscher Kunst" hervortreiben? Die Frage ist nach 1945 tunlichst vermieden worden. Sie war nach den nationalistischen Exzessen verpönt. Man propagierte nun unermüdlich den Internationalismus der Kunst und bemühte sich musterschülerartig, den Anschluss an die Avantgarden zuerst in Paris, später in New York zu finden. Die Künstler wollten in der Weltsprache der Abstraktion wieder mitreden. Der ästhetische Eigenwuchs hatte es schwer, wenn auf ihn keine internationalen Etiketten passten. Auch die nationale Kunstgeschichte erschien unheimlich und verdächtig. Besorgte Geister fürchteten sich noch vor dem Dürer-Jubiläum 1971 in Nürnberg und dem "Urväterhausrat", der damit im Germanischen Nationalmuseum wieder aufgewühlt werde. Böcklin, den Lieblingsmaler Hitlers, auszustellen, erschien manchen noch 1974 als Zumutung und Skandal. Das Mittelalter, die Dürerzeit und die Romantik, Menzel und Leibl, mussten Schritt für Schritt zurückerobert, behutsam desinfiziert und vom deutschtümelnden Gift befreit werden. Der Bamberger Reiter und die Uta von Naumburg haben sich auch heute noch nicht ganz von ihrem Missbrauch erholt.

Trotzdem war es dann ein sehr deutscher Künstler, der Romantiker, Mystiker und Guru Joseph Beuys, der mit seinen Botschaften in aller Welt Furore machte. In seinem Windschatten kam eine neoexpressionistsche und symbolistische Malergeneration zum Durchbruch und Welterfolg. Das letzte Tabu, dessen Überwindung heute noch Bauchschmerzen macht, ist der Umgang mit der Kunst aus der DDR und ihre angemessene Integration in die Kunstgeschichte. Vielleicht sind es diese Schwierigkeiten mit der Vereinigung zweier deutscher Kunstwege, die eine Welle nationaler Reflexionen ausgelöst haben. Sie hat inzwischen zwei monumentale Studien gezeitigt: Klotz/Warnkes dreibändige deutsche Kunstgeschichte (über der Fertigstellung des letzten Bandes ist Heinrich Klotz gestorben) und die imponierende, nicht unkritische Gesamtdarstellung Robert Suckales.

In diesem Jahr steuern zwei prominente Kunsthistoriker Essay-Bände bei: Werner Hofmann und Hans Belting. "Wie deutsch ist die deutsche Kunst?" nennt Hofmann seine "Streitschrift", die eher eine subtile und verschlungene ideengeschichtliche Studie ist. "Identität im Zweifel" ist der Titel von Beltings "Ansichten der deutschen Kunst". Belting bündelt sehr locker verstreute Aufsätze und Reden, stichprobenartige Überprüfungen deutscher Mentalitäten am Beispiel von Caspar David Friedrich und Beckmann, an Humboldts Idealisierung der Antike und am Kult von Raffaels Sixtinischer Madonna ihrer Rolle und Sendung unsicheren Deutschen. Das letzte Kapitel war ein Katalogbeitrag zu einer Kölner Ausstellung über den postmodernen "Bilderstreit", die aber just im Jahr des Mauerfalls den zentralen deutsch-deutschen Kunststreit verfehlte oder, besser gesagt, die andere deutsche Kunst geflissentlich übersah und verächtlich ausgrenzte. Auch Belting sieht heute die Notwendigkeit einer Einbeziehung des östlichen Geschichtsertrags. Doch er verharrt im Prinzipiellen und scheut die konkrete Bewertung und Diskussion. Werner Hofmann dagegen war als Hamburger Kunsthallenchef nach Peter Ludwig der Erste, der seit den siebziger Jahren ostdeutsche Bilder ins Museum aufnahm. Er hat keine Probleme, die östlichen Beiträger in eine "janusköpfige", widersprüchliche und dialektische Ideengeschichte der deutschen Kunst einzuordnen.

Bei Belting klingen noch Vorbehalte gegenüber den deutschen Kunstwegen, die Befürchtungen und Diagnosen einer nationalen Geschichtsverfehlung nach. Schlug die deutsche Kunst wirklich Sonderwege ein? Napoleon zerschlug das Reich und zwang zur Nationenbildung. Auch in Italien, Spanien, später in den osteuropäischen und skandinavischen Ländern stellt sich die Kunst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts in den Dienst von nationalen Definitions- und Selbstfindungsversuchen. Überall kommt es zu träumerischen Nostalgien und Projektionen, zu pathetischen Phantasien und ideologischen Konstruktionen. Man kann den deutschen Romantikern nicht gut vorwerfen, sie hätten früh die Moderne schon dadurch verfehlt, dass sie statt nach Paris nach Rom gingen. Paris war nach den Exzessen und Folgen der Revolution und angesichts des napoleonischen Imperialismus gleichsam das Moskau der damaligen Zeit. Die französische Kunst war als Produkt der wechselnden Staats- und Gesellschaftsverfassungen - ein Protagonist wie Jacques-Louis David hatte sechsmal die Fahnen gewechselt - in den Augen der Romantiker kompromittiert und akademisch reguliert. Die nazarenische Kunst war mehr als ein regressives Phänomen: Sie ersehnt eine Renaissance der Kunst aus dem reinen und ursprünglichen Geist der italienischen und deutschen Frühzeit und wurde damit zum Prototyp für viele moderne Avantgarden, die in ihrer Geschichtsflucht immer weiter zurückgingen bis zu den Exoten, den "Primitiven", ja bis zur Höhlenmalerei. Schließlich wurden im Freiraum der Romantik ästhetische Theorien entwickelt, die die Wege der Moderne, einschließlich unserer Postmoderne, scharfsinnig und konstruktiv vorzeichneten.

Ungemütlich wird es in Deutschland und in der deutschen Kunst immer dann, wenn Eindeutigkeit gefordert und nationale Programmatik forciert wird. Dagegen inspirierte und beflügelte die kontroverse Vielfalt. Man könnte den Ahnherrn Dürer als ersten experimentellen modernen Künstler ansprechen. Wäre seine Autorschaft nicht dokumentiert, wäre die Widersprüchlichkeit seiner Idiome - der spätgotisch-expressive Holzschnitt, die formale Analyse und Konstruktion, die renaissancehafte Klassizität und die pure Empirie seiner Landschaftsaquarelle - nicht auf einen Nenner zu bringen. Auf seinen Italienreisen entwickelt Dürer die verschiedensten, gleichzeitigen Anschauungs- und Stilmodi. Aufgrund wechselnder Erfahrungen, Herausforderungen und Angebote - Landschaft und Natur, die Kunst Italiens, der Humanismus, die Antike und die Wissenschaften - erarbeitet er eine intellektuelle Kunst. Kunst als offenes, flexibles, taktisches Medium.

Über die widersprüchlichen Verfassungen deutscher Kunst, ihre "mehreren Wahrheiten" sind sich heute alle Autoren einig, ob sie diesen Befund nun als vielstimmig, doppeldeutig, ambivalent, antagonistisch, als dialektisch oder pluralistisch interpretieren. Die erste fundamentale Spaltung bewirkte die Reformation. Sie war zunächst produktiv, führte dann aber durch die gesellschaftlichen Zerrüttungen und Glaubenskriege fast zum Verstummen der Deutschen im europäischen Barockkonzert. Luther, so Hofmann, habe den Anstoß zur Säkularisierung der Künste gegeben, als er sie vom sakralen Auftrag entband: "Die Bilder", so Luther, "sind weder das eine noch das andere, sie sind weder gut noch böse; man kann sie haben oder nicht haben." Die moderne Freistellung "schlägt . . . dialektisch um in neue Bindungen, die ein weltanschaulicher Auftrag an den Künstler rechtfertigt". Kunst wird zur "öffentlichen Kundgebung, die Obrigkeit bejaht oder radikal verneint", und darüber hinaus "zum privaten Refugium der Innerlichkeit". Nimmt man Dürers Empirismus hinzu, ist das praktische wie das theoretische Feld neuzeitlicher Kunst mit alledem abgesteckt.

Das therapeutische Ziel von Hofmanns Schrift ist die Auflösung von nationalen Klischees, von Vorurteilen, Fiktionen und ideologischen Verformungen. In den einzelnen Kapiteln zeigt er in subtilen Analysen, die sich aus den unerschöpflichen Zettelkästen des Autors speisen, die Verwebung exemplarischer Werke von Chodowiecki, Friedrich und Runge, von Menzel, Max Ernst oder Polke in europäische Bezugsfelder und Motivgesellschaften. Er zeigt aber auch, wie die vielleicht allzu früh freigestellten Künstler sich nicht allein mit der Empirie und formalen Innovation zufrieden geben, wie sie Kunst zu expressiven Bekenntnissen und menschheitserneuernden Programmen, als Religionsersatz und antizipatorisches Konzept benutzen.

Man begegnet vielen Gedankengängen, die aus Hofmanns Schriften vertraut sind. Doch der Blick und die Methoden sind komplexer geworden. Unter zahllosen Durchblicken durch eine labyrinthische Geschichte ist die Akzentuierung der Schlüsselrolle Menzels besonders bemerkenswert. Hofmann zeigt die abgründigen Erfahrungen und die Aporien des Gesellschafts- und Hofmalers, der die Unmalbarkeit des Idealen und Heroischen demonstriert, den Abbau der Bilderhierachien betreibt und in Gemälden wie dem "Marktplatz von Verona" den Realismus auf die Spitze eines tumultuösen, unentrinnbaren Massenereignisses treibt, vor dem jeder ordnende und interpretierende Eingriff kapitulieren muss.

Bei sovielen virtuosen Differenzierungen und Relativierungen von nationalen Charakteren darf man an einfachen Befunden festhalten. So gibt es eine spezifische deutsche Begabung für das Lineare und Zeichnerische, eine Leidenschaft für die Expression. Koloristen sind in Deutschland dagegen Ausnahmen: Grünewald, Liss, Blechen, Menzel, Corinth, Macke oder Nay. Die Spannungen sind konstitutiv und garantieren die Balancen im nationalen Kunsthaushalt. Sie kehren nach der Dürer- und Lutherzeit und nach einem illusionären Internationalismus in der Aufklärung und im Klassizismus in den radikalen Antithesen und Frontbildungen der Romantiker wieder - zwischen einer norddeutsch-protestantisch-pietistischen Landschaftskunst und einem katholisch-nazarenischen Historismus. Eine ähnliche Kluft spaltet später die Reihen der Expressionisten: die vitalistische "Brücke"-Bewegung auf der einen Seite, die süddeutsche Romantik rund um den "Blauen Reiter" auf der anderen. In den zwanziger Jahren verschärfen sich die Gegensätze: Dadaismus, Bauhaus-Utopie und Großstadtrealismus, Dix und Klee, Grosz und Schlemmer, Schwitters und Beckmann. Die schroffen Antithesen kehren nach der gewaltsamen Gleichschaltung der Kunst in der NS-Diktatur im Gegenüber der Ostkunst und der Westkunst (bei vielen Querverbindungen) wieder. Beide Mentalitäten sollten sich tolerieren, sich ruhig reiben und gegenseitig steigern, aber auf keinen Fall zwangsvereinigt und begradigt werden. Das Publikum darf den kontroversen Kunstreichtum nutzen und genießen.

Werner Hofmann: "Wie deutsch ist die deutsche Kunst?" Eine Streitschrift. E. A. Seemann Verlag, Leipzig 1999. 108 S., Abb., geb., 29,90 DM.

Hans Belting: "Identität im Zweifel". Ansichten der deutschen Kunst. DuMont Verlag, Köln 1999. 200 S., Abb., br., 34,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Eduard Beaucamp, der hauptamtliche Kunstkritiker der FAZ, bespricht den Band zusammen mit Werner Hofmanns „Wie deutsch ist die deutsche Kunst?“ (E.A. Seemann Verlag), nutzt die Doppelrezension aber eher zur Entfaltung eigener Thesen als zur Auseinandersetzung mit den Büchern.
1) „Identität im Zweifel - Ansichten der deutschen Kunst“
Die Beschäftigung mit dem Deutschen in der Kunst grassiere, meint Beaucamp, aber Belting wirft er noch „Vorbehalte gegenüber den deutschen Kunstwegen“ vor. Es handele sich bei dem Band um „sehr locker verstreute Aufsätze und Reden“. Belting sehe in einem der Aufsätze zwar ein, dass auch die Beiträge ostdeutscher Künstler zur Kunstgeschichte neu gewürdigt werden müssten, aber er verharre im Prinzipiellen und werde dabei wenig konkret.
2) „Wie deutsch ist die deutsche Kunst?“
Beaucamp erklärt nicht, warum sich Hofmanns Buch im Untertitel als „Streitschrift“ präsentiert. Hofmann, so Beaucamps kurze Anmerkung in der langen Kritik, habe ein therapeutisches Ziel, nämlich „die Auflösung von nationalen Klischees“. Lobenswert findet Beaucamp, dass Hofmann die Schlüsselrolle Adolf Menzels in der deutschen Kunst hervorhebe.

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