Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 13,00 €
Produktdetails
  • Verlag: DuMont Buchverlag Gruppe
  • 2000.
  • Seitenzahl: 305
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 474g
  • ISBN-13: 9783770145874
  • ISBN-10: 3770145879
  • Artikelnr.: 08914802
Autorenporträt
Franz Schuh, 1947 in Wien geboren, lebt und arbeitet in Wien/Österreich. Stationen u.a.: Studium der Philosophie, Geschichte, Germanistik in Wien. Promotion zum Dr. phil. 1976 - 80 Generalsekretär der Grazer Autorenversammlung. Redakteur der Zeitschrift "Wespennest". Lehrbeauftragter an der Hochschule für angewandte Kunst. Arbeitsgebiete: Essay, Erzählung, Roman, Rezension. Auszeichnungen/Ehrungen/Preise (Auswahl): Österreichischer Staatspreis des BMfUK für Kulturpublizistik (1985). Jean-Améry-Preis (2000). Preis der Leipziger Buchmesse für Essayistik/Sachbuch (2006). Schweizer Medienpreis, Davos (2006). - Mitglied der Grazer Autorenversammlung. Im Jahr 2012 folgte der Österreichische Kunstpreis in der Sparte Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2001

Geschichten aus dem Pizza-Hut
Das Ich als Drehkreuz: Franz Schuh, das Unglück und die Literatur

Wenn Rezensenten Bücher schreiben, kann es vorkommen, daß keiner es bemerkt; schon gar nicht die anderen Rezensenten. Franz Schuhs Buch "Schreibkräfte" könnte dieses Schicksal blühen, denn Schuh ist Rezensent, schlimmer noch: "Taschenbuch-Rezensent". Wenn er sich in den einleitenden Worten so tituliert, dann ist allerdings Koketterie im Spiel, denn Schuh ist weltberühmt, vor allem in Wien. Dort fristet er ein stark beachtetes, aber schlecht bezahltes Dasein als Essayist und Kritiker, das nach eigenem Bekunden noch kümmerlicher wäre, wenn nicht "Die Zeit" ihn vierzehntäglich als Taschenbuch-Rezensenten beschäftigte. Die drei Herren, die im Auftrag der Hausverwaltung seine mit Taschenbüchern zugestopfte Wohnung "begehen" wollen, möchten gern seinen Beruf erfahren. "Ich antwortete", so Schuh, "ich wäre Taschenbuch-Rezensent für ,Die Zeit', denn ich wagte nicht, etwas anderes als Lohnarbeit zur Entschuldigung des Zustands meiner Wohnung und meines Zustands vorzubringen."

Seine Einführung mit dem schönen Titel "Narrenkappe und PizzaHut" entwirft ein Selbstporträt des Kritikers als Höhlenmensch. "Ich arbeite in der Küche an Texten", das ist die kürzeste Selbstbeschreibung seiner "monadischen" Existenzweise, die von der Lohnarbeit bis zum Roman vielerlei Schreibformen generiert, deren gemeinsamer Impuls Schuh zufolge die "Nachdenklichkeit" ist. Wenn man sich die Themen seiner Aufsätze anschaut - "Notizen und Exzerpte zur (Literatur-)Kritik", "Nachspiel mit Luhmann" oder "Über (literarische) Radikalität. Konrad Bayer und die fünfziger Jahre" -, bevor man sie gelesen hat, wirkt die Zusammenstellung beliebig und nicht unbedingt stimulierend. Beim Lesen zeigt sich dann, wie die Schuhsche "Nachdenklichkeit" an wechselnden Gegenständen funktioniert, und schließlich ist man in der Lage, sein gesamtes OEuvre einschließlich der Taschenbuchrezensionen als Fortsetzungsroman zu lesen. Wahrscheinlich macht Schuh lesen süchtig, süchtig nach Formulierungen wie "Ich hatte vor zu behaupten" oder "bevor ich das tue, schreibe ich glatt noch ein paar andere Sachen" oder "Angesichts großer Theorie mache ich mich klein, aber fein". Schuh ist als Kritiker ein Vertreter der subjektiven, erzählenden Richtung. Er macht, wie man sieht, ausgiebig von dem Pronomen "ich" (und manchmal auch von dem Ausruf "ach") Gebrauch. Für seine Nachdenklichkeitsübungen stellt das "Ich" die Sonde dar. Da Schuh sein Kritiker-Ich gewissermaßen auf den Zustand "schwach" eingestellt hat, fällt es für bestimmte starke Operationen aus. Schuhs Kritik richtet und vernichtet nicht, sie attackiert nicht einmal. Sie stellt keine literarische Bildung aus, erörtert keine Rangfragen und ist überhaupt denkbar weit von dem entfernt, was eine Kritik tut und läßt, die sich als Instanz begreift. Nicht von ungefähr bespricht und bedenkt Schuh ja keine "wichtigen" Neuerscheinungen, sondern neben den laufenden Taschenbüchern vornehmlich Entlegenes und Altbekanntes: Canettis "Masse und Macht" oder aber die Bücher von Paulus Hochgatterer, auf der Suche nach dem "Medizinischen in der Literatur". Schuh ist, auch wenn er rezensiert, viel eher ein "critic" als ein "book reviewer".

Das mag auch damit zusammenhängen, daß ihn das Literarische an der Literatur nicht übermäßig interessiert. Nicht um Formen und Stile geht es ihm in aller Regel, sondern um Motive, um Kräfte wie beispielsweise eben "Glück und Unglück" in der Literatur. Und im Leben. Schuhs "Ich", in seiner selbst-nachdenklichen Gestimmtheit, ist das Drehkreuz, durch das der Kritiker jederzeit, wenn ihm danach zumute ist, ins eigene Leben entweichen kann. "Ich bin", schreibt Schuh in einer typischen Passage, "warum sollte ich es leugnen, ein Anhänger einer sich aussprechenden, nicht resignativen Melancholie, einerseits weil ich halt so traurig bin und andererseits auch aus Furcht vor jenen Menschen, die von Tatendrang strotzend gefährlich fröhlich ans Werk gehen." Ist es diese Wiener Mischung aus Schmäh und Schwermut, die Schuhs kleine Schriften so unwiderstehlich macht?

Das Schöne an Schuhs Melancholie und der Art, wie sie sich ausspricht, ist freilich, daß sie so viele interessante Gedanken hervorbringt. Schuhs vorgeschützter Plauderton, sein heiterer Unerheblichkeitsduktus bilden nur die schein-harmlose Schauseite durchaus gravierender Betrachtungen. Zum Beispiel über (literarische) Radikalität, am Beispiel Konrad Bayers und der Wiener Gruppe. Ein Dandy, wie Bayer einer war, schreibt Schuh überaus treffend, ein "Dandy wird man als Künstler nur unter dem Druck einer kompakten, aufmerksamen, reizbaren Majorität, die ein mehr oder weniger friedliches Zusammenleben mit den einzelnen Außenseitern vereitelt und so dem Außenseitertum die gebührende, radikale Inszenierung ermöglichte". Von solcher Art ist Schuhs Interesse an der Literatur, nicht genuin ästhetisch, sondern "sozialphilosophisch", wie er es einmal nennt, und es reflektiert sich in ihm stets seine eigene, Wiener Erfahrung mit kompakten und reizbaren Majoritäten, und sei es auch nur der Hausverwaltung.

Und wie verhält es sich nun nach Schuh mit Glück und Unglück in der Literatur? Da hat er sich also mit Luhmann herumgeschlagen, mit Hegel und anderen Groß-Systematikern, um am Ende ganz woanders Trost und Zuspruch zu erfahren, bei Odo Marquard und seiner skeptisch-fröhlichen Kompensationskunde. "Es muß schließlich einmal gesagt sein", sagt Schuh, "Odo Marquard ist der Ferdinand Raimund der deutschen Universitätsphilosophie." So gesehen, sind die drei Herren Raimund, Marquard und Schuh Brüder im Geiste eines de-eskalatorischen und ironischen Biedermeier. Kann doch nach ihnen gelten, daß zwar "das Unglück der prinzipielle Richtwert des Lebenslaufs" ist, daß dieser Umstand aber niemanden allzusehr verdrießen sollte.

CHRISTOPH BARTMANN.

Franz Schuh: "Schreibkräfte". Über Literatur, Glück und Unglück. DuMont Buchverlag, Köln 2000. 305 S., geb., 42,- DM

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Alex Rühle ist hingerissen von den sieben Essays des österreichischen Schriftstellers und er hat den Eindruck, dass Schuh einen "Heidenspaß" hatte, sie zu schreiben. Er bedauert, dass der Autor hierzulande noch viel zu unbekannt ist und preist seine Essays für ihre "bergiffliche Argumentation", ihren Witz und die "tiefe Bedeutung", die trotz der Lust an Sprachspielen und Komik darin zu finden ist. Besonders den Essay "All you need is love" hebt der Rezensent lobend hervor, weil er unter anderem das Intelligenteste, was je über das "Literarische Quartett" und Marcel Reich-Ranicki geschrieben sei, enthalte. Ihm imponiert, dass Schuh bei allem "Spott und Schmäh", niemals "polemischen Hohn" über seine Opfer ausschüttet oder gar zynisch wird.

© Perlentaucher Medien GmbH