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Theodor Schieder (1908-1984) war einer der einflussreichsten Historiker der alten Bundesrepublik. Von den späten 1950er Jahren bis zu seinem Tod gab er mit der Historischen Zeitschrift das wichtigste Fachorgan heraus. Schieder wirkte als Vorsitzender des Deutschen Historikerverbands, der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Herausgeber des Handbuchs der Europäischen Geschichte, gefragter Redner und erfolgreicher akademischer Lehrer. Doch es waren seine Aktivitäten während der Zeit des Nationalsozialismus, die bisher vor allem die Beschäftigung mit seinem…mehr

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Produktbeschreibung
Theodor Schieder (1908-1984) war einer der einflussreichsten Historiker der alten Bundesrepublik. Von den späten 1950er Jahren bis zu seinem Tod gab er mit der Historischen Zeitschrift das wichtigste Fachorgan heraus. Schieder wirkte als Vorsitzender des Deutschen Historikerverbands, der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Herausgeber des Handbuchs der Europäischen Geschichte, gefragter Redner und erfolgreicher akademischer Lehrer. Doch es waren seine Aktivitäten während der Zeit des Nationalsozialismus, die bisher vor allem die Beschäftigung mit seinem Leben dominierten. Dieses Buch bietet zum ersten Mal eine vollständige Biographie von Schieder. Im Abgleich mit über 40 Lebensgeschichten anderer Wissenschaftler, hauptsächlich Historikern aus seiner Generation, erkundet sie Verantwortung, Handlungsspielräume und Möglichkeiten des Historikers. Sie berührt dabei den Untergang der ersten und die Entfaltung der zweiten deutschen Demokratie, den Umgang mit dem Nationalsozialismus als Gegenwart und Vergangenheit, die Entwicklung der Sozialgeschichte und des internationalen Vergleichs in der Geschichtswissenschaft, und nicht zuletzt Schieders bürgerliche Prägungen.
Autorenporträt
Christoph Nonn, Jahrgang 1964, studierte Geschichte, Anglistik und Sozialwissenschaften in Trier und Warwick/Großbritannien. Nach Promotion in Trier und Habilitation in Köln wurde er 2002 auf den Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf berufen. Die dort gemachten Erfahrungen weckten sein Interesse an Wissenschaftsgeschichte.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mission gescheitert, urteilt Ingo Haar über Christoph Nonns Versuch einer Ehrenrettung des wegen seiner Mitwirkung an NS-Verbrechen schlecht beleumundeten Historikers Theodor Schieder. Den vom Autor gegen seine Kollegen losgelassenen Vorwurf der Einseitigkeit vermag Nonn laut Rezensent nicht glaubhaft zu untermauern. Auch wenn Nonn unbekannte Quellen zu Jugend und Nachkriegszeit Schieders auswertet - den konservativen Mitläufer Schieder nimmt Haar dem Autor nicht ab. Für den Rezensenten ist klar: Schieder war inhaltlich nah an der NS-Ostforschung dran. Enttäuschend bis unseriös findet Haar diese Biografie.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2014

Soziale Harmonie blieb das Ziel

Vom Verschieben der Sagbarkeitsregeln: Christoph Nonns ausgewogene, wenn auch konventionelle Biographie des Historikers Theodor Schieder.

Der Schlachtenlärm ist verebbt, der Pulverdampf hat sich verzogen. Ende des letzten Jahrtausends ging es noch emotional hoch her, als die Rolle von Historikern im "Dritten Reich" verhandelt wurde. Peter Schöttler hatte damals der Historiographiegeschichte die Rolle des "Ermittlungsrichters" zugesprochen, tatsächlich traten deren Vertreter eher als "Staatsanwälte" auf; auf Historikertagen und in Texten flogen regelrecht die Fetzen. Seitdem hat sich einiges geändert. Durch eine ganze Reihe biographischer Studien wurden (und werden) Verhalten und Handlungsspielräume von Historikern in der Diktatur ausgelotet, und niemand kann mehr bestreiten, dass die meisten der Fachvertreter eine unrühmliche Rolle gespielt haben. Die Untersuchungen aber haben nun den Charakter gerichtlicher Fachgutachten angenommen. Allen voran Christoph Cornelißen und Eberhard Mühle haben zentrale Figuren wie Gerhard Ritter und Hermann Aubin in langen, überaus fairen Texten genau seziert; in diese Tradition reiht sich Christoph Nonns jüngst erschienene Biographie Theodor Schieders ein, schlanker als ihre Vorgänger.

Schieder wird als bürgerlicher Historiker schlechthin beschrieben. Geboren 1908, haben ihn weniger der Krieg als die anschließenden revolutionären Unruhen tief geprägt. Er engagierte sich in der Jugendbewegung, studierte Geschichte und war wahrlich kein Freund der ersten deutschen Demokratie - genauso wenig allerdings ein Parteigänger des Nationalsozialismus. Das änderte sich, als es nach 1933 um die berufliche Zukunft ging. Schieder verschob, wie Nonn es nennt, langsam seine eigenen Sagbarkeitsregeln, er schrieb sich über mehrere Jahre hinweg immer weiter in die nationalsozialistische Rhetorik ein, konnte habilitieren, eine Professur erringen und beteiligte sich mit dem Entwurf einer Denkschrift über Polens Zukunft direkt am nationalsozialistischen "Volkstumskampf". Der Denkschrift schreibt Nonn keinen realen Einfluss zu, aber er macht mehrfach deutlich, dass Schieders Opportunismus durchaus nicht notwendig war, dass es immer Wahlmöglichkeiten gegeben habe. Man konnte mit etwas stärkerem Rückgrat selbst damals Karriere machen. Allerdings waren auch aufrechtere Kollegen wie Peter Rassow und Herbert Grundmann keine Widerstandskämpfer, und Grundmann hielt seine Kritik an Schieders Verhalten stets diskret vor der Öffentlichkeit verborgen.

Der Neustart nach dem Krieg begann etwas holperig, aber 1948 wurde Schieder zum Ordinarius in Köln berufen. Rassow hatte den "linken" Emigranten und Sozialhistoriker Hans Rosenberg mit ein paar Tricks ausgebootet, weniger aus prinzipiellem Unwillen, sondern aus Gründen des damals prekären politisch-konfessionellen Proporzes in der Wissenschaft. Schieder stieg in der Folge zu einem der einflussreichsten Historiker Westdeutschlands auf, dessen "Schule" wichtige Vertreter der späteren "Historischen Sozialwissenschaft" entstammten. Die äußere "Entbräunung" war schon früh glatt verlaufen, etwas länger dauerte es, bis er die persönlichen Sagbarkeitsregeln aus pragmatischen Gründen so verschoben hatte, dass er auch innerlich im neuen System angelangt war. Dann aber gehörte er zu denjenigen, die der politisch rückwärtsgewandten Fraktion seiner Zunft dezidiert die Stirn boten. Er unterstützte methodische Innovationen und die Internationalisierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft und plagte sich, gegen den Trend, mit einem Handbuch der europäischen Geschichte ab. Aber er blieb immer ein Historiker, der eine sozialharmonische, staatszentrierte politische Weltanschauung durch seine Geschichtsschreibung fundieren wollte - und der die Konsequenz dieser Haltung, seine Rolle im Nationalsozialismus, nie thematisieren wollte.

Nonns Buch ist als Bestandsaufnahme so notwendig wie lesenswert. Es zeigt, wie schwer man die Historiker in "gute" und "korrumpierte" Vertreter ihres Faches scheiden kann, aber auch, wie (unnötig) bereitwillig sich die Einzelnen und das Fach als Ganzes an immer neue Gegebenheiten anzupassen verstanden. Das lässt sich aus persönlichen Traumata und politischen Sehnsüchten zwar erklären. Aber es lässt doch daran zweifeln, ob die Geschichtswissenschaft jemals in der Lage sein wird, gegen das jeweilige politische System zu schreiben. Von daher zeigen in Nonns Biografie ein Finger auf Schieder, aber drei Finger auf das Fach selbst. Das macht das Buch so ausgewogen, reflexiv, das ist seine Stärke.

Seine Schwäche ist der konventionelle Ansatz. Schieders Leben kreist um sein Verhalten im "Dritten Reich" und seine Rolle als politischer Historiker. Die Korrespondenz mit seiner Frau ist wohl irrtümlich entrümpelt worden - also taucht sie praktisch nicht auf. Der einordnende Vergleich mit über vierzig Zeitgenossen erweist sich als wenig spektakulär, er beschränkt sich, wie in anderen Biografien, auf erhellende, aber eben nur wenige Sätze und Fußnoten. Den eigenen Standpunkt, den Nonn von anderen Biographen einfordert, macht er mit ein paar unscharfen Bemerkungen zu Anpassungsprozessen im gegenwärtigen Universitätsbetrieb nicht wirklich deutlich. Im Grunde folgt auch er einem ausgetretenen Pfad: Ein wichtiger Mann steht im Mittelpunkt einer etwas diffusen Umwelt, sein "Privatleben" und seine Familie sind weitgehend ausgeblendet, porträtiert wird er von einem objektivierenden Historiker.

Was hätte Nonn mit den jüngeren Ansätzen der Biographieforschung und der Wissenschaftssoziologie - die er ansatzweise zur Kenntnis genommen hat - nicht noch aus seinem Gegenstand herausholen können; Jan Eckel oder Angelika Epple beispielsweise haben das in ihren Studien zu Hans Rothfels und den Historikerinnen der Aufklärung gezeigt. Bei Nonn dagegen baumeln Begriffe wie "Denkstil" oder "Diskurs" ungenutzt in der Luft. Er hält, wie mancher Historiker, nicht viel von der Idee, dass Individuen, Professoren zumal, durch überindividuelle Dispositionen geprägt sein könnten. Für ihn ist es das persönliche Handwerk der Historiker, das letztlich konkrete Geschichte macht - was nicht verkehrt ist, aber eben auch nicht mehr letzter Stand der Dinge.

THOMAS ETZEMÜLLER

Christoph Nonn: "Theodor Schieder". Ein bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert.

Droste Verlag, Düsseldorf 2013. 454 S., Abb, geb., 48,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2014

Die geschönte Biografie eines Bürgers
Christoph Nonn versucht eine Ehrenrettung für den Historiker Theodor Schieder – und scheitert damit Von Ingo Haar
Theodor Schieder, der einstige Leiter des Münchner Historischen Kollegs und Präsident des Historikerverbands, hat seinen guten Ruf längst verloren. Als Verfasser einer Denkschrift verlangte er 1939 die Deportation der polnischen Juden. Als Herausgeber der „Dokumentation der Vertreibung“ setzte er sich nach 1945 für die Rückkehr der Deutschen in ihre alte Heimat ein, wo nun die aus Russland vertriebenen Polen lebten. Dieses zwiespältige Verhalten reichte dem Frankfurter Historikertag 1998 für seinen Denkmalsturz. 2002 benannte das Historische Kolleg die seinen Namen tragende Gedächtnisvorlesung um. Nun versucht sein Düsseldorfer Biograf Christoph Nonn eine Ehrenrettung.
  Seine Mission beginnt Nonn mit einem Paukenschlag, indem er allen bisherigen Forschungen Einseitigkeit vorwirft. Peter Schöttler, einem der Initiatoren des Historikertags von 1998, wirft er vor, in einer Person als Ankläger und Richter zu wirken. Anderen Forschern unterstellt er wissenschaftliche Schwächen. Er glaubt es besser zu machen, indem er bisher unzugängliche Quellen heranzieht, um „Handlungsspielräume“ zu erspüren. So will er Schieders Wirken nuancierter darstellen.
  In der Tat gelingt es ihm, die frühe Lehrzeit Schieders neu zu deuten. Er sei bereits mit seinem Studium politisch breiter aufgestellt gewesen als bisher vermutet. Bürgerlich-konservativ orientiert, lernte er nicht nur bei dem Hitler-Verehrer Karl Alexander von Müller, sondern auch bei Hermann Oncken, einem Vernunftrepublikaner. Freilich gibt es weder Briefe noch Manuskripte Schieders, die eine enge Schülerschaft belegen. Als Beweis dient allein die Kindheitserinnerung des Sohnes. Dagegen kann als gesichert gelten, dass Schieder sich mit von Müller einen Sympathisanten des Hitler-Putsches zum Mentor erkor.
  Schieders Engagement in den radikal-nationalistischen Bünden, so Nonn, werde von anderen Historikern übertrieben. Er betont stattdessen die Offenheit des „bündischen“ Lagers bis in das republikanische Spektrum. Dies trifft zwar für die Frühphase von Schieders Gruppe zu, aber die radikalen Nationalisten überwogen. Dagegen macht Nonn geltend, dass die älteren „Brüder“, darunter immerhin Schwergewichte wie Friedrich Weber, ein Festungsgenosse Hitlers, und Theodor Oberländer, Putschist von 1923,dort nicht mehr aktiv waren, als Schieder eintrat. Allerdings gehört dies ja zur Rolle der alten Herren.
  Tatsächlich lehnte Schieder den Antisemitismus der NSDAP ebenso ab wie ihre Europa überspannende Rassenutopie. Deshalb war Schieder, so folgert Nonn, auch kein rechter Revolutionär. Ein völkisch-nationalistisches Milieu neben der NSDAP, das sich ab 1931 mit Schieder radikalisierte, ist für Nonn nicht erkennbar. Tatsächlich bekannte sich Schieder im Mai 1932, noch vor dem Papen-Putsch, zum Sturz der Republik. Er selbst lehnte Kapitalismus, Demokratie und den Ausgleich mit dem Westen ab. Er forderte ein autarkes „Drittes Reich“ mit Osterweiterung, allerdings im Sinne der „Konservativen Revolution“. Dass Schieder im März 1933 nicht widerstand, lag Nonn zufolge einzig an dessen Karrieredenken, aber nicht an Übereinstimmungen mit dem Regime.
  Diese Interpretation ist falsch, da Schieder über Oberländer auch inhaltlich an die NS-Ostforschung heranrückte. Sein „Gildenbruder“ richtete die Deutschen in Polen von Ostpreußen aus auf Hitler aus, bevor er im Zuge der immer radikaleren Polenpolitik selbst kaltgestellt wurde. Oberländer plante den „Ostraum“ zwar von Juden, aber nicht von Polen zu „säubern“. Während Gauleiter Erich Koch Oberländer verjagte, setzte Schieder seine Karriere fort.
  Nonn verblüfft mit seiner Interpretation der Polendenkschrift. Bereits vor 13 Jahren wurden Götz Aly und Karl-Heinz Roth korrigiert: Schieders Expertise war keine Vorlage für den Generalplan Ost der SS war, sondern eine eigene Vision deutscher Ostforscher. Dennoch greift Nonn deren ältere Lesart hart an. Seine Darlegung über die Polendenkschrift im Oktober 1939 ist aber längst Forschungsstand. Allerdings widerspricht Nonn auch Saul Friedländer, der Schieders Ideen sowohl als Einverständnis zur „Endlösung der Judenfrage“ als auch zur Vernichtung Polens ansieht. Schieders Kernsatz, die polnischen Juden aus den Städten herauszulösen, verknüpft er stattdessen mit dem konservativen Plan des Auswärtigen Amtes von 1938, die Juden nach Madagaskar umzusiedeln. Schieder habe ja nur die Überseeauswanderung empfohlen, aber keine Vernichtung.
  Hier bringt Nonn die Opfergruppen durcheinander. Tatsächlich plante Schieder nur die ethnischen Polen nach Übersee abzuschieben, nicht aber die Juden. Und für die polnische Intelligenz sah er keine Abwanderung nach Restpolen vor, sondern „Sonderbehandlung“. So schrumpft Nonn das Szenario, die polnische Nation zu zerschlagen, auf einen Abwanderungsplan für Juden von 1938 zurück. Er unterstellt hier sogar polnische Vorbilder.
  Allerdings nennt Schieder Ziele, die mit dem Generalplan Ost eng korrespondieren. So plante er, die südwestdeutschen Kleinstbauernhöfe aufzulösen, um ihre Betreiber im „Osten“ neu anzusiedeln. Solche Planungen finden sich nur in den SS-Bodenämtern und bei den Ostgauleitern. Selbst am Kulturgutraub beteiligte er sich. Nonn spricht von Aktensicherung. Auf der einen Seite wird Schieders Mitwirkung an Verbrechen heruntergespielt, auf der anderen bewertet er dessen Mitwirkung an der harmloseren NS-Lehrerfortbildung über. Auf diese Weise wird aus einem Schreibtischtäter ein einfacher Privatdozent. Selbst dort, wo die Akten eine hälftige Finanzierung seiner brisanteren Arbeit durch NS-Gauleiter Koch ausweisen, nennt Nonn nur das Oberpräsidium. Diesem weißt Nonn eine nur konservative Handschrift zu, obwohl es längst gleichgeschaltet war. So macht er aus Schieder einen konservativen Mitläufer. Er habe im bürgerlichen Mainstream nur das legitime Interesse verfolgt, die deutschen Grenzen von 1914 wiederherzustellen. Diese Darstellung entbehrt der seriösen Grundlage.
  Ebenso enttäuschend ist die Darstellung von Schieders Nachkriegserfolg. Nachdem Schieder aus Königsberg geflüchtet war und in Süddeutschland unterkam, berief ihn die Universität Köln 1948 auf ein Ordinariat. Eigentlich war Hans Rosenberg für diese Stelle vorgesehen, der gerade aus dem US-Exil zurückkehrte. Alte Seilschaften verhinderten dessen Berufung. Auch das findet Nonn normal. Er führt Rosenbergs Misserfolg korrekt auf das Übergewicht konservativer Historiker zurück. Aber er attestiert Rosenbergs meisterlichen Studien über den Bismarckstaat mangelnde Bedeutung, weil diese bis dahin ja nur auf Englisch vorlagen. Tatsächlich handelte es sich um epochale Werke.
  Als Studenten Schieder erstmals 1968 zur Rede stellten, was seine Tätigkeit im NS anbelangte, wehrte er brüsk ab. Innerhalb der Universität setzte er aber auf behutsame Reformen. Den Studenten verweigerte er die direkte Debatte. All dies schildert aus Nonn sehr anschaulich. Durch bisher kaum bekanntes Material beleuchtet er Schieders Position zur 1968er Bewegung sehr nuanciert. Allerdings malt Nonn auch hier gern Schwarz-Weiß. So weist er den Assistenten Schieders zeitweise die Funktion eines „Personenschutzes“ zu, der Schieder sogar vor körperlichen Übergriffen abschirmte.
  Gemeint ist der Aufritt von Münchener Studenten, die Schieder anlässlich dessen Eröffnung des Kölner Historikertages 1970 in eine Reformdiskussion verwickelten. Als Zeugen nennt Nonn frühere Assistenten. Als vermeintliche Störer identifiziert er so gestandene Historiker wie Josef Mooser und Stefan Breuer. Beiden wirft er namentlich vor, Schieder angegriffen zu haben. Deshalb reagierte Ernst Nolte handgreiflich. Allerdings reichte eine email an einen der beiden „Störer“, um diese Szene als frei erfunden auszuweisen. Der junge Mooser, heute Emeritus der Universität
Basel, war 1970 gar nicht anwesend. Die Studentengruppe ist ihm unbekannt. Offenbar hat der Biograf sich nicht nur seinem Helden, sondern auch den Zeitzeugen zu naiv angenähert. So liegt nun anstatt einer handwerklich schönen Biografie eine geschönte vor. Die Mission, Schieders Ehrentitel als bedeutendster Historiker Deutschland wiederherzustellen, ist gescheitert.
Christoph Nonn : Theodor Schieder. Ein bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert. Droste Verlag, Düsseldorf 2013. 454 Seiten, 48 Euro.
Der Historiker Ingo Haar, zur Zeit an der Universität Wien, veröffentlichte 2000 die Studie „Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der ,Volkstumskampf“ im Osten‘“.
Mussten Assistenten den
Professor Schieder wirklich vor
Handgreiflichkeiten beschützen?
    
Theodor Schieder (1908-1984) war einer der einflussreichsten Historiker der Bundesrepublik. Die Debatte über seine Rolle im „Dritten Reich“ kommt nicht zur Ruhe.
Foto: Brigitte Friedrich
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