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Woody Allen meets Quentin Tarantino - ein zynisches Feuerwerk
Nathanael Wests bitterböse Satire auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist eines der abgründigsten Bücher der US-Literatur - von markerschütternder Tragik und zugleich zum Schreien komisch. Nie wurde der amerikanische Traum genüsslicher konterkariert als in dieser temporeichen Wildwestfarce.
Die Welt gehört den Braven und den Tüchtigen! Das jedenfalls glaubt Lemuel Pitkin, der in seiner jungenhaften Einfalt fortwährend an die Falschen gerät: an Revolverkapitalisten, Rattenfänger, Rowdys. Doch so sehr man ihn auch
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Produktbeschreibung
Woody Allen meets Quentin Tarantino - ein zynisches Feuerwerk

Nathanael Wests bitterböse Satire auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist eines der abgründigsten Bücher der US-Literatur - von markerschütternder Tragik und zugleich zum Schreien komisch. Nie wurde der amerikanische Traum genüsslicher konterkariert als in dieser temporeichen Wildwestfarce.

Die Welt gehört den Braven und den Tüchtigen! Das jedenfalls glaubt Lemuel Pitkin, der in seiner jungenhaften Einfalt fortwährend an die Falschen gerät: an Revolverkapitalisten, Rattenfänger, Rowdys. Doch so sehr man ihn auch schröpft und schindet, hartnäckig hält unser Yankee von der traurigen Gestalt an seinen Idealen fest. Lemuel opfert nacheinander Auge, Daumen, Gebiss, Bein, Skalp, zuletzt gar sein Leben, um - Ironie des Schicksals - posthum doch noch zu höchstem Ansehen zu gelangen: als Märtyrer einer Sache, die nie die seine war.

Dieser Roman entlarvt den Aberwitz einer Welt, in der alles den Gesetzen von Show und Big Business unterworfen ist. Die heiter-beschwingte Art, in der der Erzähler die größten Ungeheuerlichkeiten Revue passieren lässt, macht das Buch zur aufwühlenden Provokation. Mit formvollendeter Perfidie strapaziert Nathanael West die amerikanische Glücksrhetorik, bis diese in puren Zynismus umschlägt.
Autorenporträt
Dieter Eduard Zimmer, geboren 1934, ist Schriftsteller, Übersetzer und Publizist. Er studierte Literatur- und Sprachwissenschaft in Berlin, Genf und den USA. Ab 1959 lebte er in Hamburg und war dort lange Redakteur der Wochenzeitung 'Die Zeit', von 1973 bis 1977 Feuilletonchef. Seit 2000 ist Zimmer als freier Schriftsteller, Literaturkritiker, Übersetzer und Publizist in Berlin tätig. Der umfassend gebildete Autor veröffentlichte Bücher und Zeitschriftenartikel zu Fragen der Psychologie, Biologie, Anthropologie, Medizin, Linguistik, Kommunikationswissenschaft und des Bibliothekswesens. Seit 1989 ist Zimmer Herausgeber der deutschen Gesamtausgabe von Vladimir Nabokov. 2008 erhielt Dieter Zimmmer den Übersetzerpreis der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Stiftung.

Nathanael West (1904-40), Sohn litauischer Juden, wurde als Nathan Weinstein in New York geboren. In den 1930er-Jahren Drehbuchschreiber in Hollywood, war er mit so namhaften Schriftstellerkollegen wie F. Scott Fitzgerald oderDashiell Hammett befreundet. Sein schmales, aber hochkarätiges Erzählwerk weist ihn als gewitzten Kritiker neuzeitlicher Glücksideologien aus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2011

Das Herz hoch unterm wilden Leder
Bravourös: Nathanael Wests Roman „Eine glatte Million oder die Demontage des Lemuel Pitkin“
Es ging ihm gut. Als Drehbuchschreiber hatte er seit kurzem Erfolg in Hollywood und mit Eileen Mc Kenny eine hübsche Frau, die durch einen Buch-Großerfolg ihrer Schwester (Ruth McKenny: „My Sister Eileen“) gerade zum All American Girl geworden war. Er arbeitete nicht allzu viel, aber konzentriert. Den schöneren Rest der Zeit verbrachte er gern auf der Jagd, der Saison folgend, von Oregon bis runter nach Kalifornien. Jetzt war der 22.Dezember 1940.
Das Paar kam aus New Mexico zurück, man wollte zur Beerdigung des Freundes Scott Fitzgerald, am Tag zuvor gestorben, danach nach New York, zur Broadway Premiere des „My Sister Eileen“-Musicals, als Nathanael West, nie ein guter Autofahrer, an einer Kreuzung bei El Centro ein Halteschild übersah. Keiner überlebte den Zusammenstoß. Ein abruptes Ende, wie der Schuss aus der Pistole eines Kommunisten, der Lemuel Pitkin tötet, als dieser, auf eine Versammlung einer nationalrevolutionären Partei geraten, zu einer Rede ansetzt: „,Ich bin ein Clown’, begann er, ‚doch es gibt Zeiten, da selbst Clowns ernst werden müssen . . .’.“
Ansonsten gibt es wenig Gemeinsames zwischen Figur und Autor. Nathanael West hatte, im Gegensatz zu Pitkin, mit dem es in „Eine glatte Million“ steil bergab geht, ein mit Talfahrten und Höhenflügen ausgeglichen gefülltes Leben. Geboren am 17. Oktober 1903 in New York, als Nathanael Weinstein, Sohn litauischer Einwanderer, schien West von seinem Clan gut behütet. Der Vater war ein Bauunternehmer, dessen Vermögen erst 1929 einen Schlag erhielt. So führte sein Sohn an der Ivy League-Universität Brown ein standesgemäß modebewusstes Leben. Genau soll er darauf geachtet haben, seine jüdische Herkunft vergessen zu machen. Nach dem Abschluss der Uni durfte Nat 1924 für anderthalb Jahre nach Paris, wo er sich einen roten Bart wachsen ließ.
Nach einer Zeit im Betrieb des Vaters, die nicht zufriedenstellend verlief, kam er dank Verwandtschaft im Nachtdienst des Kenmore Hotels unter, wo er dem Freund eines Freundes, Dashiell Hammett, der im Kenmore den „Malteser Falken“ beendete, zu Unterkunft verhalf. Pikantes Detail dieses Lebens, das allmählich in Richtung Bohème führte: An seine erste Uni, Tufts, war West dank eines gefälschten Zeugnisses gekommen, nach Brown dank Noten eines anderen Nathan Weinstein, der auch in Tufts studiert hatte. Bausteine eines Lebens als Schnösel und Schelm.
Lemuel Pitkin wäre dies nie passiert. Er ist siebzehn, als er von seiner verwitweten Mutter erfährt, dass sie drei Monate Zeit haben, das Geld für die Rückzahlung einer gekündigten Hypothek aufzubringen. Lemuel geht zum bedeutendsten Bewohner seiner Kleinstadt, Ottsville, Vermont: Mr Whipple, der, aus einfachen Verhältnissen stammend, ein paar Jahre US-Präsident war. Doch Whipple, von West als Remake des glücklosen Präsidenten Coolidge angelegt, will nicht recht helfen, immerhin weiß er Rat: Lemuel solle sich aufmachen, wie einst er, Whipple selbst! Drei Monate seien viel Gelegenheit, Erfolg zu haben.
Der gutgläubige Lemuel folgt dem Rat. Doch die dreißig Dollar, die Whipple schließlich gegen einen Schuldschein auf Sue, die einzige Kuh der Familie, herausrückt, verschwinden schon im Zug. Ein junger Mann erzählt Lemuel, dass sein Vater ihm eine glatte Million hinterlassen habe, fragt ihn aus. Dabei erfährt er, dass Lemuel sein Geld nicht versteckt, wo es jeder Gauner erwartet, sondern offen in der Hosentasche trägt – schon es ist weg.
Das ist nur das erste Missgeschick auf einem Weg der, wie Herausgeber Zimmer bemerkt, als Parodie auf die verlogen-gutgläubigen Romane von Horatio Alger angelegt ist, dem damals vielgelesenen Sänger des amerikanischen Traums, von dem West sagte, dass er „für Amerika ist, was Homer für die Griechen war“. Gnadenlos lässt West seinen Gegen-Homer in die Irre laufen. Hoffnung hat Lemuel immer, aber einen Grund dafür gibt es nicht. Dem Dieb, der das Geld aus der Hosentasche klaute, ist dabei ein gestohlener Diamantring vom Finger gerutscht, der Lemuel ins Gefängnis bringt. Wo die amüsante, aber nicht ungewöhnliche Geschichte einen eigenwilligen Dreh erhält. Zähne sind ein Gefahrenherd für Infektionen, so der Gefängnisdirektor, und deswegen lässt er sie bei seinen Gefangenen entfernen. Aber keine Sorge: als Lemuel Gnadenerlass erhält, weil der Diamantendieb aufgefunden wurde, gibt der Direktor ihm ein gebrauchtes Gebiss auf den Weg. Es ist bloß ein wenig zu groß geraten, so dass es Lemuel gern aus dem Mund fällt.
Nein, realistisch ist das alles natürlich nicht. „A cool Million“ ist eine giftige Satire, deren wichtigstes Stilmittel die Groteske ist, die West anhand der Motive fortlaufend entfaltet. So rettet Lemuel sein Gebiss, im Verein mit einem herauskullernden Glasauge, das ein inzwischen kaputtes Auge ersetzt, vor dem Missbrauch durch einen Maharadija, der einen properen Jungen aus dem Puff, in das Lemuel geraten ist, erwartet hat.
Eine gute Vorstellung, wie „Eine glatte Million“ geschrieben ist, gibt vielleicht Chaplins „Tramp“. Auf der Oberfläche mit Witz und dabei ähnlich gelassen erzählt wie dieser Stummfilm-Klassiker, entwickelt Wests Roman eine fatale Abwärtsdrift, die über den „Tramp“ weit hinausgeht. Böser erzählt als Voltaires „Candide“, lässt er kein geistiges Idyll der amerikanischen Gesellschaft unversehrt. Einer der brutalsten Täter des Buchs, ist ein maulfauler Provinzcowboy.
Geradezu gespenstische Züge nimmt die „glatte Million“ an, als Lemuel durch Nathan Wipple, der ihm immer wieder begegnet, in eine rechte Bewegung für den „radikalen Mittelstand“ gerät– er wird bei einer Parteiversammlung ermordet und steigt zum Helden auf, ganz ähnlich wie kurz zuvor in Deutschland Horst Wessel: „Die Arme hoch! begeistert hebt sie jeder./ Für Pitkin kämpft, wer irgend kämpfen kann./ Für Pitkin schlägt das Herz hoch unterm wilden Leder.“
„Eine glatte Million“, 1934 erschienen, ist Wests dritter, wie immer recht kurzer Roman. War der Erstling „The Dream Life of Balso Snell“, ursprünglich mit einem Motto von Kurt Schwitters versehen, eine skurril dadaistische Geschichte, die nicht recht gefiel, so schien Wests zweiter, „Miss Lonelyhearts“, die Geschichte eines männlichen Sorgenkolumnenschreibers, schon zu einem Großerfolg zu werden. Bis West ein Pitkinsches Schicksal ergriff. Sein Verlag meldete Bankrott an, just als das Buch erschien und begeisternde Rezensionen erhielt. Die Drucker weigerten sich, die Bücher auszuliefern, und bis es West gelungen war, eine neue Druckerei zu finden, waren die Kritiken wieder vergessen. Mit allen vier Romanen verdiente West zu Lebzeiten 1280 Dollar. Als Drehbuchschreiber schon auch mal 400 die Woche.  
HANS-PETER KUNISCH
NATHANAEL WEST: Eine glatte Million oder die Demontage des Lemuel Pitkin. Roman. Aus dem Englischen von Dieter E. Zimmer. Manesse Verlag, Zürich 2011. 221 Seiten, 19,95 Euro.
Es ist nicht gut, sein
gesamtes Erbe lose in der
Hosentasche zu tragen
Hoffnung hat dieser
Lemuel Pitkin immer, aber einen
Grund dafür gibt es nicht
Nathanael West (links) durchlebte die große Depression, wuchs als Autor mit ihr und wurde ein Spezialist für das Zerplatzen von Illusionen. Es war nur folgerichtig, dass er seinen letzten Roman „The Day of the Locust“ (1939, „Der Tag der Heuschrecke“) am Rande der Traumfabrik Hollywood ansiedelte. Hier eine Szene mit Karen Black aus John Schlesingers Verfilmung von 1975. Fotos: Cinetext; oh
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2011

Die hohe Kunst des Spaßverderbens

Von bitterer Aktualität: Nathanael Wests pechschwarze Satire auf das amerikanische Glücksstreben porträtiert den freien Wettbewerb als Abwrackunternehmen.

Der dritte Roman von Nathanael West wurde im Herbst 1933 im Schatten von Großer Depression und Hitlers Machtergreifung eilig aufs Papier geworfen. Er verspricht dem Leser im Untertitel die Demontage seines Antihelden Lemuel Pitkin, und er hält Wort. Lemuel - der Vorname stammt von einem älteren Naivling, den sein Autor ebenfalls ungeschützt in die brutale Realität katapultierte, Swifts Gulliver - büßt bei seiner von der Verfassung garantierten Glückssuche im Land der unbegrenzten Möglichkeiten peu à peu die Zähne, ein Auge, ein Bein und den Skalp ein, nicht aber seinen Glauben, es irgendwann doch noch zu schaffen. Die glatte Million liegt dortzulande bekanntlich auf der Straße; sich nach ihr zu bücken ist freilich riskant, denn die anderen sind immer etwas schneller - und erheblich ruppiger.

Satire dieser gehobenen Güteklasse lebt von der maximalen Öffnung der ironischen Schere; vom Abstand einmal zwischen dem unbedarften Helden und dem wissenden Erzähler, zum anderen zwischen dem horrenden Geschehen und dem kühlen Erzählton, der es als den ganz normalen Gang der Dinge hinstellt, etwa in folgendem Passus über einen chinesischen Bordellwirt: "Wenn er 1928 noch größere Schwierigkeiten gehabt hatte, sich die erforderlichen Mädchen zu beschaffen, so sah die Sache 1934 ganz anders aus. Viele ehrbare, echt alteingesessene Familien waren völlig verarmt und hatten ihre weiblichen Kinder auf den freien Markt geworfen." Über einen menschenfreundlichen Schaffner, der den Helden als Schwarzfahrer erwischt, heißt es: "Als er sah, dass das Jüngelchen nur ein Bein hatte, wartete er, bis der Zug in einer Kurve bremste, ehe er es hinausstieß."

Das Ganze ist, trotz einer gewissen Gattungsverwandtschaft, kein Schelmenroman, denn der Protagonist wird zwar als Spielball fremder Interessen über haarsträubende Peripetien durch ganz Amerika, von Vermont nach New York, vom Wilden Westen in die Südstaaten gewirbelt, aber er ist, was den lebensnotwendigen Zynismus dieser Welt angeht, einfach nicht lernfähig. Als Modell erweist sich letztlich Voltaires "Candide", jene bitterböse Satire auf die beste aller möglichen Welten, die West ebenso dreist wie überzeugend für das amerikanische Jahrhundert umgeschrieben hat.

Auch bei ihm gibt es eine parallel geführte weibliche Nebenhandlung (Betty Prail, die trotz Lemuels ritterlichem Schutz vielfach vergewaltigt und in ein Luxusbordell verschleppt wird) und eine Instanz, die völlig unbeeindruckt vom Beweis des Gegenteils ihre optimistische Philosophie in die so ganz anders geartete Welt hinausposaunt: "Amerika ist ein Land voller Chancen. Es nimmt sich der Ehrlichen und Strebsamen an und lässt sie nie im Stich, solange sie beides sind. An dem Tag, da die Amerikaner das nicht mehr glauben, an jenem Tag ist Amerika verloren." Wer in diesem System scheitert, ist selbst schuld; ihm mit öffentlichen Mitteln wieder auf die Beine zu helfen wäre ein Bruch der Verfassung.

Der so spricht, ist Mr. Whipple, Lemuels Mentor, ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten, dann nacheinander Bankier, Bankrotteur, Goldgräber und als begnadeter Demagoge Gründer der faschistischen "Lederhemden", deren Siegeszug durch Amerika am Ende unaufhaltsam scheint. Gelegentlich redet der aalglatte Schwadroneur freilich auch Klartext, etwa wenn er das unveräußerliche Geburtsrecht der Amerikaner definiert als "das Recht, ihre Arbeitskraft und die ihrer Kinder ohne Limitierung des Preises und der Stundenzahl zu verkaufen". Sein Vorbild im wirklichen Leben war John Calvin Coolidge, der als Präsident und Verfechter des Small Government seinem Volk den Weg in die große Wirtschaftskrise ebnete. Er hinterließ so markige Sprüche wie: "Das Hauptgeschäft des amerikanischen Volkes ist das Geschäft." In Whipples sprechendem Nachnamen versteckt sich übrigens whip, die Peitsche, in dem seines Opfers die Hölle (pitkin = kleine Hölle).

Zum Anspielungshorizont des Buches gehört ganz wesentlich das einstmals populäre Erzählwerk des Jugendschriftstellers Horatio Alger (1834 bis 1899): Es predigt den Mythos vom braven amerikanischen Jungen, der wacker in die Welt hinauszieht und trotz mancher Rückschläge am Ende sein wohlverdientes Glück macht, in unzähligen moraltriefenden Varianten. West hat sich mit Episoden und Plattitüden aus diesem Fundus parodistisch bedient, in der gelungenen Absicht, die latente Komik seiner gezierten Schönfärberei aufzudecken. Satire ist wesentlich Sprachkritik.

Das Gesetz der Satire auf eine heillose Welt lautet: "Je mehr sich alles ändert, umso mehr bleibt es sich gleich." Die gnadenlose Finanzmafia, Cops, die reflexhaft ihre Knüppel gegen die Unschuld schwingen und mit der Unterwelt handelseinig sind, korrupte Anwälte und Richter, machohafte Vergewaltiger, lynchfreudige Südstaatler - sie alle sorgen für hektische Bewegung ohne Fortschritt, ein grellbunter Reigen aus alltäglichem Irrsinn. Trotzdem muss natürlich ein Crescendo her, und hier heißt die Gattungsregel from bad to worse, ablesbar an der fortschreitenden Demontage des Helden.

Wo aber bleibt das Positive? Es erscheint bösartigerweise in dem Kapital, das Lemuel ausgerechnet aus seinen Verstümmelungen schlägt, als eine Art menschlicher Abwrackprämie. Sein Glasauge verschafft ihm den ersten wirklichen Job und rettet ihn, als es vor Schreck aus der Höhle springt, vor dem Zugriff eines lüsternen Maharadschas, dem bei diesem Anblick alle Lust vergeht. Später, nachdem er seinen skalplosen Schädel in einem "Kabinett amerikanischer Scheußlichkeiten" gegen Entgelt zur Schau gestellt hat, findet er als ausgemergelter New Yorker Arbeitsloser seinen Traumjob bei einem Komikerduo, das ausgerechnet einen Einäugigen als Objekt für lustige Prügelszenen sucht. Aber auch hier ist die Konkurrenz hart. Mit Mühe kann der Stellenvermittler einen Mitbewerber davon abhalten, sich ein Auge auszustechen, um sich ebenfalls zu qualifizieren. Wests Ironie ist sarkastisch im wörtlichen Sinn: sie schneidet gern ein wenig ins Fleisch.

Für das Finale hat sich der Autor einen besonderen Knalleffekt ausgedacht, um zu beweisen, dass selbst solcher Aberwitz noch steigerungsfähig ist. Whipple hat mit seinen Brandreden gegen unamerikanische Umtriebe sein politisches Comeback vorbereitet. Er lässt seine Lederjacken losmarschieren und seinen immer noch arglosen Schützling Lemuel im Variété ein Manifest der Partei verlesen, worauf dieser von einem gegnerischen, also kommunistischen Scharfschützen erschossen wird. Ausblick mit Zeitsprung: Zu Pitkins Geburtstag, dem Nationalfeiertag der siegreichen Bewegung, die Amerika endlich wieder amerikanisch werden ließ, paradieren hunderttausend Jugendliche über die Fifth Avenue, singen zu Ehren ihres Märtyrers eine Parodie des Horst-Wessel-Liedes und lassen das Buch mit einem Gebrüll von "Heil Pitkin"-Rufen angemessen ausklingen.

Nathanael West war als Sohn litauischer Juden ein Außenseiter im großen Schmelztiegel mit seinem - keineswegs unbarmherzigen - Fremdblick auf die Massengesellschaft und ihre Verführer. Seine hohe Kunst des Spaßverderbens hat ihn, wen wundert es, beim Publikum nicht eben beliebt gemacht. Der Beifall einiger scharfsichtiger Zunftkollegen wog die mickrigen Tantiemen nicht auf. Also ging er (wie Brecht im Exil) auf den Markt nach Hollywood, dem Schauplatz und Thema seines apokalyptischen Romans "Der Tag der Heuschrecke", schrieb mäßige Drehbücher und brachte es zu etwas. Er starb, eben erst glücklich verheiratet, mit sechsunddreißig Jahren an missachteter Vorfahrt, ein absurdes Finale. Die Zeit ist reif für eine Wiederbegegnung mit Dieter E. Zimmers fast vierzig Jahre alter, nicht gealterter Übersetzung, die für die jetzige Fassung in Kommentar und Nachwort erheblich angereichert wurde.

WERNER VON KOPPENFELS

Nathanael West: "Eine glatte Million oder Die Demontage des Lemuel Pitkin".

Aus dem Amerikanischen übersetzt und herausgegeben von Dieter E. Zimmer. Manesse Verlag, Zürich 2011. 224 S., geb., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Um eine "giftige Satire", die ihren Helden in groteske Situationen verstrickt und schrittweise vernichtet, handelt es sich bei diesem Roman aus dem Jahre 1934, wie Rezensent Hans-Peter Kunisch mitteilt. Auf seiner Suche nach den finanziellen Mitteln zur Rückzahlung einer Hypothek gerät der siebzehnjährige Lemuel Pitkin in allerlei üble Gesellschaft, erzählt Kunisch: etwa an einen hygienebesessenen Gefängnisdirektor, der Pitkin die Zähne entfernen lässt und ihm bei seiner Entlassung ein übergroßes Gebiss mit auf den Weg gibt. Der Untertitel ist also durchaus wörtlich gemeint, wie wir erfahren, als der Rezensent obendrein den Verlust eines Auges des Helden vermeldet. Im Finale dieser "fatalen Abwärtsdrift", die "böser erzählt" sei als Voltaires "Candide", müsse der Protagonist schließlich sein Leben lassen, werde aber immerhin noch Gegenstand rechtsradikaler Heldenverehrung. Insgesamt hat dieser dritte Roman des 1940 verstorbenen Natahanel West den Kritiker prächtig unterhalten; nicht zuletzt, da er "kein geistiges Idyll der amerikanischen Gesellschaft unversehrt" lasse.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ausgeführt ist das Geschehen keineswegs als wildes, zusammenhangloses Spektakel, sondern als groteske Tragödie, reich an Vorgängen und Beobachtungen, deren Pointiertheit etwas Befreiendes hat." Neue Zürcher Zeitung, 09.07.2011