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Ein Leben wie der Duft überreifer Früchte: süßlich und schwer, nah an der Schwelle zum Verderben; ein solches Leben haben Keyserlings Helden gemein.
Subtil-ironisch entwirft er in den vier Erzählungen dieses Bandes, "Schwüle Tage", "Bunte Herzen", "Nicky" und "Am Südhang", ein Bild des auf den ersten Blick unbeschwerten Landadels. Doch hinter der Fassade verbergen sich unbefriedigte Sehnsüchte, Sinnkrisen sowie erotische und gesellschaftliche Spannungen.
Keyserling wird hier zum leisen Kritiker, stellt Akteure in den Vordergrund, die versuchen, dem Nur-dekorativ-Sein zu entfliehen und
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Produktbeschreibung
Ein Leben wie der Duft überreifer Früchte: süßlich und schwer, nah an der Schwelle zum Verderben; ein solches Leben haben Keyserlings Helden gemein.

Subtil-ironisch entwirft er in den vier Erzählungen dieses Bandes, "Schwüle Tage", "Bunte Herzen", "Nicky" und "Am Südhang", ein Bild des auf den ersten Blick unbeschwerten Landadels. Doch hinter der Fassade verbergen sich unbefriedigte Sehnsüchte, Sinnkrisen sowie erotische und gesellschaftliche Spannungen.

Keyserling wird hier zum leisen Kritiker, stellt Akteure in den Vordergrund, die versuchen, dem Nur-dekorativ-Sein zu entfliehen und zeitweise zum Heraustreten aus ihrem Alltag gezwungen werden. Ein außergewöhnliches Ereignis rüttelt die Figuren wach. Ist es in "Nicky" der Krieg, der die gleichnamige Heldin zum Umdenken veranlaßt, werden die "Schwülen Tage" von unerfüllter Leidenschaft überschattet. Liebe und Todesahnung stehen sich einander gegenüber und scheinen sich geradezu gegenseitig zu bedingen. Auch "Am Südhang" laufen beide Stränge aufeinander zu, den Knoten bildet schließlich ein Duell mit erschreckendem, völlig unerwartetem Ausgang. Eine leise, ständig präsente Melancholie, die das Leben eines jeden umspielt, hält die Erzählungen wie ein Band zusammen. Naturschilderungen, Farben und Sinneseindrücke erzeugen eine einzigartige atmosphärische Dichte. Das Jubiläum ist ein willkommener Anlaß, den immer noch stark unterschätzten Erzähler, den großen Milieuschilderer und Stimmungskünstler, mit dieser originären Manesse-Auswahl zu entdecken.
"Ein Fest der Farben und Sinnenreize" (Literarische Welt)

Glasheller Himmel, wogendes Korn, Liebesbangen und Gewitterahnung. Eduard von Keyserling ist ein magischer Impresario des hochsommerlichen Lebens. In seinen Erzählungen umreißt der "baltische Fontane" - laut Thomas Mann noch "schmaler, graziler, später, wählerischer" als sein berühmtes Vorbild - meisterhafte Figurenkonstellationen vor der Kulisse der symbolträchtigen Natur.

Ein Leben wie der Duft überreifer Früchte: süßlich und schwer, nah an der Schwelle zum Verderben, ein solches Leben haben Keyserlings Helden gemein. Der Autor entwirft in diesen vier Erzählungen subtile Porträts des auf den ersten Blick unbeschwerten Landadels. Doch hinter der idyllischen Fassade verbergen sich unbefriedigte Sehnsüchte, Sinnkrisen sowie erotische und gesellschaftliche Spannungen.

Eduard von Keyserling (1855-1918), selbst aus einem alteingesessenen baltischen Geschlecht stammend, stellt Akteure in den Vordergrund, die versuchen, dem Nur-dekorativ-Sein zu entfliehen und zeitweise aus ihrem Alltag herauszutreten. Eine leise Melancholie umspielt ihr Dasein und ist in den Erzählungen ständig präsent. Ebenso die drückende Schwüle eines heranziehenden Gewitters, die sich auf Figuren und Schauplätze legt, stets kurz davor, sich zu entladen. Düfte, Farben und Empfindungen verdichten sich zu einer Komposition von einzigartiger Atmosphäre. "Keyserlings Sommernächte sind wie Feuer der Imagination, an denen sich die Leser in dürren, kalten Zeiten wärmen können", so Martin Mosebach in seinem Nachwort.
Autorenporträt
Eduard von Keyserling (1855-1918) stammt aus altem baltischen Geschlecht, studierte Kunst und Jura und begann zugleich mit dem Schreiben. Als freier Schriftsteller lebte er zunächst in Wien, später in Italien und München, wo er zeitweise der Schwabinger Boheme angehörte. Durch eine Krankheit erblindet, vereinsamte Keyserling in den letzten Jahren seines Lebens zunehmend.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2005

Wundervoll kranke Birnen
Ein Winterbuch: Eduard von Keyserlings Erzählungen

Man kennt das großartige, schonungslose Porträt, das Lovis Corinth 1900 von ihm malte: ein hager-hühnerbrüstig-hängeschultriger Mann im zu knappen Jackett, den es im Leben zu frösteln scheint. Die von faustgroßen Ringen umschatteten Augen, ins Nichts gerichtet, quellen weit hervor, während das Kinn zurückflieht. Die Lippen sind merkwürdig geschwollen. Untröstlicher kann niemand sein. Die Rede ist von Eduard von Keyserling, damals eine ziemlich enterbte Existenz. Von den baltischen Gütern hatte es ihn in die Münchner Boheme verschlagen. Gesundheitlich ging es bergab: Syphilis. Halb gelähmt und fast blind, hatte der Schriftsteller, dessen 150. Geburtstag kürzlich zu feiern war, jedoch den Kopf voller magischer Erinnerungslandschaften, die er im Verlauf der nächsten Jahre aufs Papier bringen würde.

Mehr Sommer war nie als in den Erzählungen des fröstelnden Keyserling: "Die grünen Vorhänge waren vor der Mittagssonne zurückgezogen. Die Fliegen kreisten summend um den Kronleuchter. Draußen kochte der Garten in der Mittagsglut. Ich hörte es ordentlich durch die Vorhänge hindurch, wie das leise Summen eines Teekessels", heißt es in der Titelerzählung "Schwüle Tage". Es ist eine grandiose Coming-of-age-Story der Jahrhundertwende, Rollenprosa eines durchgefallenen Abiturienten, die eine leichte, erfrischende Renitenz in den sonst eher elegischen Keyserling-Ton bringt. Bill von Fernow kehrt für die Sommerferien heim aufs Gut. Alle um ihn herum ergehen sich in Liebeleien, haben ihre Geheimnisse und Tragödien; er hat seine verschimmelten Bücher, muß für die Nachprüfung lernen. Neidisch macht ihn vor allem sein Vetter, ein schneidig-schöner Idealtyp der Epoche: "Es mußte etwas wert sein, mit dieser Figur und diesem Gesichte am Morgen aufzustehen, sie den ganzen Tag über mit sich herumzutragen, nachts damit schlafenzugehen."

Bills Vater ist ein Vertreter der höheren baltendeutschen Gutsherrlichkeit, also der "Haltung" und der feinen Formen. Deshalb wirkt es ziemlich ungeheuerlich, als Bill eines Tages durch den Türspalt sieht, wie der Vater am Schreibtisch sitzt und weint. Er kann die Trennung von einer jungen Geliebten nicht verkraften, die er doch selbst erzwungen hat, als die standesgemäße Heirat des Mädchens näher rückte. Der schöne Vetter ist der Begünstigte. Eines Nachts, als Bill unruhig im Garten umherschweift, sieht er den Vater reglos an einem Baum sitzen, die Nadel noch im Arm. Mit einer Überdosis Morphium hat er seine Gefühle auf den Punkt gebracht.

Keyserling hat auf den ersten Blick manches mit Proust gemeinsam. Aber gerade in der Darstellung der Aristokratie zeigen sich Gegensätze. Wie vital ist der Proustsche Großstadtadel, involviert in Politik, interessiert an moderner Kunst; es sind Aristokraten auf Höhe des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts. Keyserlings matte Helden dagegen sind aus der Zeit gefallen, ganz einer "schmerzhaften Musik des Fühlens" hingegeben.

Der erblindende Keyserling war ein Augenmensch sondergleichen. 1903 hatte er sich anläßlich einer Ausstellung der Münchner Sezession zum Impressionismus bekannt. Er sei die "eigenste Art des Sehens unserer Zeit", bei der wir "aus dem Dargestellten unsere eigene Erregtheit herauslesen". Viele Keyserling-Sätze nehmen sich in ihrer Reduktion auf den visuellen "Eindruck" wie impressionistische Gemälde aus: "Auf dem Felde waren die Schnitter bei der Arbeit, weiße Gestalten, die in lauter Glanz zu waten schienen." Bei näherem Hinsehen freilich sind es "Arbeiter, die Gesichter von Hitze entstellt".

In jungen Jahren hatte Keyserling es mit dem Sozialismus versucht. Eine seiner Figuren resümiert: "Es ist ja sehr gut, zu versuchen, den Besitz gleichmäßig zu verteilen, so daß jeder genug zu essen und zu leben hat, aber ist das auch erreicht, dann sind die Daseinsfragen, die uns quälen, damit um keinen Schritt ihrer Lösung näher gerückt." Keyserlings Figuren sind von solchen "Daseinsfragen" unterminiert. Der Hauslehrer Aristides Dorn plaudert über Birnen: "Es waren die größten Birnen, die ich je gegessen habe, und auch wohl die süßesten und die saftigsten, wundervolle Birnen, aber genauso genommen sind solche wundervollen Birnen kranke Birnen. Es sollte vielleicht solche Birnen nicht geben." Kein Zweifel, hier ist von mehr als Birnen die Rede. Nämlich von der eigenen Verfeinerung, Dekadenz, Morbidität.

Das Landgut ist in Keyserlings Geschichten eine Lebensform. Man ißt gut und fühlt tief. Man übt sich in feinen Gebärden und sagt sich hübsche Sachen. Ab und zu hält es einer der kultivierten Herren in solcher "Musterwirtschaft des Lebens" nicht mehr aus und geht hinter einen Busch, um sich zu erschießen. Wie dieser Aristides Dorn in "Am Südhang". Es ist zweifellos eine der schönsten Novellen, die in deutscher Sprache geschrieben wurde, voller Stimmungskunst, reich an psychologischen Nuancen und beiläufigen Dialogen.

"Hier wurde er empfindlich und feinschalig wie eine Frucht, die auf dem Südhange gereift ist", heißt es über Leutnant Karl Erdmann von West-Wallbaum, die Hauptfigur, die den Sommer auf dem heimischen Gut verbringt, beschäftigt mit einem Duell und einer vergeblichen Leidenschaft. Wunderbar die Szene in der Bohnenlaube, wo ihm die schöne Daniela von Bardow seinen wohlformulierten Liebesbrief nach Strich und Faden kaputtrezensiert. "Es gibt Frauen, die nicht genug fünfte Akte erleben können", sagt jemand über diese fatale Frau, die es mit keinem ernst meint, aber sich von allen hofieren läßt. Für ein wenig Aufmunterung sorgen die mit humoristischer Plastizität skizzierten Nebengestalten. Knorrige Figuren, wie jene Alte, die am Waldrand lebt und über zuviel Schatten klagt. Sie sehnt sich nach Sonne, aber "die Bäume, die Luder, lassen sie nicht heran". Sehr geglückt die Gestalt des Doktor Ulrich: ein Ästhet, der sein Glück kaum fassen kann, als Arzt bei einem richtigen Duell dabeizusein. Es ist ihm "ein Mysterium, eine erhabene Sinnlosigkeit, eine sakramentale Handlung". Über den lapidaren Verlauf der Angelegenheit zeigt er sich allerdings verkatert: "Es verstimmt ein wenig, wenn wir an ein Erlebnis mehr Erregung verwandt haben, als nötig war." Karl Erdmann kann ihm nicht helfen: "Schließlich war er doch nicht verpflichtet, tot zu sein." Für Keyserling selbst verbanden sich traumatische Erinnerungen mit einem nicht ausgeführten Duell. Wegen des verschlafenen Ehrenauftrags wurde er gesellschaftlich geächtet.

"Keyserlings Sommernächte sind wie Feuer der Imagination, an denen sich die Leser in dürren, kalten Zeiten wärmen können", schreibt Martin Mosebach im Nachwort, das mehr als ein Nachwort ist - ein glänzender Essay über Keyserlings Kunst der Parkbeschwörung. Kurzum: Dies ist ein ideales Winterbuch.

Eduard von Keyserling: "Schwüle Tage". Erzählungen. Mit einem Nachwort von Martin Mosebach. Manesse Verlag, Zürich 2005. 444 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.05.2005

Hässliches ist genug auf der Welt
Nachrichten von den hübschen und vornehmen Musterwirtschaften des Lebens: In „Schwüle Tage” nimmt Eduard von Keyserling Abschied von Parkparadiesen und Adelsnestern
Wie duftete das alte Europa? In einer Zeit, da wir zwischen Aromatherapie und verkaufsfördernd odorisierten Supermärkten wählen können, wenn wir einmal etwas anderes einatmen möchten als globale Abgasschwaden, öffnen uns die Schlossgeschichten Eduard von Keyserlings das Archiv der Wohlgerüche einer sanfteren Zivilisation. „Im Gespräch waren sie durch den ganzen Garten gegangen, aus den Düften der Rosen waren sie in den Duft der reifen Pflaumen gekommen und von da in den Gemüsegarten mit den scharfen Gerüchen der Sellerie- und der Zwiebelpflanzen”, heißt es in der Erzählung „Am Südhang”. Beim morgendlichen Jagdausflug senden „die tauigen Felder eine starkduftende Kühle herüber, die sich köstlich atmete und das Blut erregte”. Es duftet ferner nach feuchtem Laub, nach Heu und Teer, nach Holz und sonnenheißen Steinen. Knisternder Seide entströmt ein Hauch von Teerosen und Ambra, und jedes Zimmer des kurländischen Landsitzes, dessen Bewohner durch den Selbstmord des unglücklich verliebten Hauslehrers für einen Moment aus ihren Sommerritualen gerissen werden, hat seinen „eigentümlichen Geruch”.
Als die Erzählung entstand, hatte sich ihr Verfasser, nach einer Syphilisinfektion erblindet, schon seit langem in jener Dunkelheit eingerichtet, die alle übrigen Sinne schärft und verfeinert. Den Stoff für seine Prosa bezog er aus einem Milieu, das für ihn nicht mehr Lebensrealität, sondern nur noch Reminiszenz war. Eduard von Keyserling, vor 150 Jahren auf Schloss Paddern im Kurland westlich der lettischen Hauptstadt Riga geboren, war der Spross eines aus Westfalen stammenden, mit dem Deutschen Orden ins Baltikum gelangten Adelsgeschlechts. Während seines Jurastudiums an der deutschen Universität von Dorpat flog der junge Graf wegen einer Bagatelle aus der Studentenkorporation, was ihm die Ächtung durch seine Standesgenossen eintrug. Er setzte seine Studien in Wien fort und hatte dort Kontakt zu sozialistischen Zirkeln. Nach einem Intermezzo als Verwalter der mütterlichen Güter zog er 1895 nach München, wo er seine gesellschaftliche Wahlheimat in der Bohème fand und bis zu seinem Tod 1918 eine von Krankheit und Verarmung überschattete, doch literarisch hochproduktive Existenz führte. Bekannt war er für seinen boshaften Witz, bewundert wurde er für seine Fähigkeit, „mit Laune und Grazie” (Franz Blei) körperliche Gebrechen und andere Nöte zu überspielen.
Noch immer erscheint es geboten, den Autor ausführlich vorzustellen, denn das vergangene Jahrhundert mochte sich mit seinem Oeuvre nicht besonders anfreunden, so dass es beinahe in Vergessenheit geriet. Seit vor einem knappen Jahrzehnt überraschend die Wiederentdeckung einsetzte, wird Keyserling gern als „baltischer Fontane” verkauft, obwohl er, der Impressionist und Décadent, von ganz anderem Geiste ist als sein Kollege aus der Mark Brandenburg. Auch das Urteil Thomas Manns, Keyserlings Stil sei „graziler” und „wählerischer” als der Fontanes, muss Widerspruch wecken, denn aus heutiger Sicht wirkt er im Gegenteil üppiger, sinnlicher, ausschweifender, parfümierter. Das jüngste Interesse am Werk des kurländischen Grafen galt dem Porträtisten einer versinkenden Welt, dem Diagnostiker einer zukunftslosen Daseinsform, dessen ironisch getönte Abschiedsmelancholie sich zu aktuellen Untergangsstimmungen in Beziehung setzen lässt. Doch womöglich bahnt sich jetzt eine neue Rezeptionsphase an, und zwar aus einem Bedürfnis heraus, das Martin Mosebach im Nachwort zum jubiläumshalber erschienenen Manesse-Auswahlband „Schwüle Tage” artikuliert: „Wenn es längst keinen einzigen Park mehr geben wird, wird man sich mit Hilfe von Keyserlings Schilderungen immer noch vorstellen können, welche Paradiesesverheißungen die alten europäischen Schlossgärten einmal enthielten. Keyserlings Sommernächte sind wie Feuer der Imagination, an denen sich die Leser in dürren, kalten Zeiten wärmen können.”
Die vier Geschichten, die der Band versammelt, wurden zwischen 1904 und 1916 geschrieben - oder diktiert, nachdem der Autor sein Augenlicht eingebüßt hatte. Sie alle beschwören das weltentrückte, komfortabel erschlaffte, von unbestimmter Wehmut und zielloser Sehnsucht wie benebelte, sommerliche Treiben auf ostelbischen Landschlössern. Man promeniert und parliert, man jagt Enten und pflückt Birnen, man gibt sich erotischen Regungen hin und leidet unter ihrer Vergeblichkeit. Ein junger Mann erschießt sich, ein älterer entleibt sich mit Morphium, ein Duell endet unentschieden, eine Frau wagt den Aufbruch und kehrt ermattet zurück ins Gewohnte, ein Gewitter zieht vorbei, eine wunderbare Liebesnacht verflüchtigt sich spurlos wie ein Traum. So wirklichkeitsfern ist diese Sphäre preziöser Geselligkeit und strenger aristokratischer Contenance, dass sie jede Leidenschaft im Keim zu ersticken und den Tod als bloßes Ornament des ungelebten Lebens zu relativieren vermag.
Aber Keyserling erzählt nicht wie jemand, der an bröckelnden Fassaden kratzt und aus der Distanz des Außenseitertums den Niedergang seiner eigenen Klasse beobachtet, sondern wie einer, der dem Nachhall seiner Erinnerungen lauscht und im Vergegenwärtigen von Klängen, Farben, Gerüchen, Empfindungen seinen persönlichen Verlust wie den bevorstehenden Epochensprung milde und mit abgeklärter Ironie betrauert. Dass an diesem historischen Wendepunkt mehr auf dem Spiel steht als die privilegierte Lebensweise in abgelegenen „Adelsnestern” (Ivan Bunin) am Rande Europas, lassen die Erzählungen jederzeit spüren, auch wenn sie auf politische Verhältnisse und Bewegungen nur andeutungsweise eingehen. Heute jedoch sind wir so erbarmungslos weit entfernt vom Zauber jener Parkparadiese, die der Autor aus eigener Anschauung noch kannte, dass uns die darin aufschimmernde Verheißung, mag sie auch auf ewig unerfüllbar sein, plötzlich interessanter erscheint als alle Symptome des Verfalls.
Man kann die atmosphärischen Nuancen, die Naturzustände und Sinneseindrücke in diesen Texten nach ihrer Symbolik befragen, nach ihrer Bedeutung für die Gesamtwirkung von Morbidität, Erschöpfung und Stillstand - oder man kann sich schwelgerisch in ihnen verlieren. Und dem Leutnant Karl Erdmann von West-Wallbaum beipflichten, der die leicht verbitterte Adels- und Zeitkritik des Hauslehrers Aristides Dorn mit den Worten zurückweist: „Es ist doch genug Hässliches auf der Welt, warum soll es nicht solche stille Reservoirs geben, in denen sich das Hübsche und Vornehme und Kultivierte ansammelt, so Musterwirtschaften des Lebens?” Fein austariert sind die Ambivalenzen des nächtlichen Gesprächs, in dem Karl Erdmann, von Zweifeln keineswegs frei, den traditionellen Lebensstil seiner Kaste verteidigt, während Dorn, sein Rivale als Verehrer der schönen Daniela von Bardow, die aufklärerische Gegenposition vertritt: „Das Leben ist doch eine gefährliche, drohende Sache, in die einiges Hübsche hineingestreut ist und sehr viel Hinwegdenken über alles Schlimme. Hier soll es nur weich und hübsch sein und ganz aus dem Hinwegdenken über das Schlimme bestehen. . .”
Ein Vorwurf, von dem Keyserlings Prosa, wiewohl weich und hübsch und ein Reservoir des Vornehmen, unbedingt freizusprechen ist. Man wird, beispielsweise, in der Literatur kaum ein beklemmenderes Bild für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs finden als den barfüßigen Knaben im grauen Röckchen, der in der 1914 entstandenen Erzählung „Nicky” die Straße entlangläuft und mit hoher, sich überschlagender Kinderstimme immer wieder ruft: „Mobil, mobil, mobil!” Eduard von Keyserling ist ein Meister der subtilen Tönungen und Übergänge, aber sie erschließen sich nur dem, der in die Geschichten hineinhorcht, sie ertastet und einatmet, als wäre ihm der kühl sezierende Blick des Lesenden durch Blindheit verwehrt. In diesem Licht gewinnt dann sogar noch der Spottvers, der zu Lebzeiten des Schriftstellers kursierte und sich auf seine schwache Konstitution bezog, eine tiefere Bedeutung: „Als Gottes Atem leiser ging, schuf er den Grafen Keyserling.”
Eduard von Keyserling
Schwüle Tage
Erzählungen. Mit einem Nachwort von Martin Mosebach. Manesse Verlag, Zürich 2005. 444 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

""Mehr Sonne war nie als in den Erzählungen des fröstelnden Keyserling", jubelt Rezensent Wolfgang Schneider über diesen Erzählband des gründerzeitlichen Sonderlings, Schneider zufolge "eine ziemlich enterbte Existenz" mit dem Kopf voller "magischer Erinnerungslandschaften". Bereits die Titelerzählung lobt der Rezensent als "grandiose Coming-of-Age-Story der Jahrhundertwende". Die Novelle "Am Südhang" dann feiert er für ihren "Reichtum an psychologischen Nuancen" und für die "beiläufigen Dialoge" - für ihn ist es eine der schönsten Novellen, die je in deutscher Sprache geschrieben wurden. Martin Mosebachs Nachwort, das aus Schneiders Sicht eigentlich ein "glänzender Essay über Keyserlings Kunst der Parkbeschwörung" ist, ergänzt den Band zum "idealen Winterbuch".

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"Ein Meiser der subtilen Tönungen und Übergänge." FAZ
»Tatsächlich lässt sich Keyserling, einer der wenigen deutschen Impressionisten von Rang, viel Zeit, um die Stimmung jener >Schwülen Tage< einzufangen, die Landschaft, die Farben und Klänge, Gerüche und Lichter, Gutshäuser und Gärten, Seen und Wälder und den schon von nahenden Untergang gezeichneten Adel in all seiner feinnervigen Erstarrung.« Bücher