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Die Geschichte einer ganz normalen Familie in einer Suburbia von London am Ende des 20. Jahrhunderts. Nur daß die Eltern aus den ehemaligen englischen Kolonien Indien und Neuseeland stammen und ihre Kinder britisch und braun sind, brit an brown...

Produktbeschreibung
Die Geschichte einer ganz normalen Familie in einer Suburbia von London am Ende des 20. Jahrhunderts. Nur daß die Eltern aus den ehemaligen englischen Kolonien Indien und Neuseeland stammen und ihre Kinder britisch und braun sind, brit an brown...
Autorenporträt
Layla Shah, geb. 1949 in London, war Architektin in England, dem Nahen Osten und in Hongkong. Seit 1989 wohnt sie in Hamburg und schreibt unter dem Namen Layla Dawson über zeitgenössische europäische und chinesische Architektur für die internationale Fachpresse. Literarische Rezensionen, übersetzt von Christel Dormagen, werden seit Jahren vor allem in konkret veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2007

Man muss es nur können
Wo ist dein Bruder? Layla Shahs postkoloniale Familiensaga

Silly, die Schwester der Ich-Erzählerin, kennt sich aus in den empirischen Sozialwissenschaften: "Es ist eine bekannte Tatsache, dass die erste Generation von Immigrantenfamilien zu Depressionen neigt." Noch bevor das mitfühlende Kopfnicken angesichts dieser betrüblichen Feststellung den lesenden Volkshochschullehrer seiner unerschütterlichen Gutherzigkeit versichern kann, grätscht die Ich-Erzählerin dazwischen: "Ich weiß nicht, woraus Silly diese ,Tatsache' ableitete, außer daraus, dass sie selbst an einer klinischen Depression litt, als sie von zu Hause wegging, um zu studieren."

Nein, schon gut, lass die humane Weltanschauung stecken, netter Leser, befass dich lieber mit den konkreten Wegen komplexer Personen: Wer Literatur von Europäern mit nichteuropäischer Verwandtschaft nur liest, um sich an der Erkenntnis zu erfreuen, dass nicht alle Muslime Kinder fressen und Brunnen vergiften, wird von Layla Shahs Roman "brit and brown" schlecht bedient. Zwar geht es darin um eine Familie von hoher Abstammungsdiversität - die Wurzeln des Stammbaums verknoten sich irgendwo zwischen Neuseeland, Pakistan, englischem Landadel und den Fidschi-Inseln -, deren nicht besonders imponierender, aber dafür sehr sympathischer Quasipatriarch "ein Fastkommunist und abtrünniges Labour-Parteimitglied" ist, "Sohn eines muslimischen Vertragsarbeiters, der Zuckerrohr für britische Kolonialisten geerntet hatte", während die Mutter aus der mittelvornehmen kernenglischen Landbesitzerschicht stammt, weshalb sie sich zeitlebens weigert, ordentlich kochen zu lernen. Die drei Kinder - zwei Mädchen, ein Junge - wachsen in den fünfziger und sechziger Jahren in London auf, wobei sich reichlich Gelegenheiten ergeben, die Dreifachgeißeln der Menschheit - Rasse, Klasse, Geschlecht - aus der Nähe zu betrachten.

Wer die Romanform aber für ein Guckloch hält, durch das man sich am lebenden Objekt ein bisschen liberalen Wonnegraus über den schlimmen Zustand der Welt verschaffen kann, muss sperrig finden, was dieses Buch reizvoll macht: den Tonfall, die entspannte Doppelbödigkeit der autobiographischen Selbstvivisektion, das graziöse understatement: "Auf Mutters Bücherregalen stand unter anderem auch eine Privatausgabe der Geschichte ihrer englischen Familie, jener Vorfahren, die ihren Mädchennamen trugen. Geschrieben hatte sie ein pensionierter Bewohner von Ham House gleich nach dem Zweiten Weltkrieg. Der niedere Adel verbrachte einen Großteil seiner leeren Zeit zwischen Jagen und Fischen und der Verwaltung der Ländereien mit dem Abfassen weitschweifiger und lähmend langatmiger Familienbiographien, vielleicht um sich seiner Herkunft und seiner bedeutenden Stellung innerhalb des britischen Klassensystems zu vergewissern. Und jetzt schreibe ich unsere Familienbiographie."

Dieser letzte Satz ist von so mustergültiger Heimtücke, dass nur eine lebenslange Vertrautheit der reifen Verfasserin mit den spezifisch britischen Spielarten von einerseits verblasenem cant (das Wort ist nicht in unseren Kartoffeldialekt übersetzbar, man schlage es nach) und andererseits großer Sozialepik sensu Charles Dickens sie erklären kann. Die Klassiker des neunzehnten Jahrhunderts hat die Ich-Erzählerin als Kind gelesen; zur Anwendung des dabei Aufgeschnappten fehlt nur noch ein äußerer Anlass. Den liefert ihr schließlich der Vorsatz, mehrere Jahre nach dem Tod ihres jüngeren Bruders Ant mit ihrer Trauer um ihn und ihrem Groll auf seine Unarten fertig zu werden.

Die Instanz, der aufgegeben ist, über den Erfolg dieser Bewältigungsarbeit zu urteilen, ist das Romanpublikum, das für diese Urteilsverpflichtung mit ästhetischen Gaben entschädigt wird, welche bloße Erfahrungstexte zu Migrations- und Identitätsfragen gewöhnlich nicht liefern. Während etwa sowohl in wörtlicher wie in brieflicher Rede alle anderen Haupt- und Nebenfiguren so plastisch wie möglich von ihren Seelenzuständen Kunde geben, vermeidet Shah, Jahrgang 1949, mit großer, geradezu zärtlicher Sorge, dass je eine Annahme über die Gedanken und Gefühle des Toten ausformuliert wird - ein Kunstgriff, der die Abwesenheit dieses Menschen beim Lesen geradezu körperlich spürbar macht.

War Ant, der Aufsteiger, dessen Aufstieg am Ende so unvollkommen bleibt wie der des Ikarus, ein Egoist, ein guter Muslim, ein anhänglicher Sohn, ein Streber, ein liebeshungriger Workaholic - all das oder nichts davon? Nur einmal redet die schreibende Schwester mit ihm darüber, wer sie beide eigentlich sind, über Name und Pass, in einem Traum, nachdem er schon nicht mehr am Leben ist. Auch das erinnert an Dickens, der in "Harte Zeiten", seinem schwärzesten Genrebild aus dem Leben der englischen Arbeiterklasse, die Wahrheit über deren Gemütszustand nicht plan ausbuchstabiert, sondern in einem Traum andeutet.

Kolonialherren und Kolonisierte haben nicht zweierlei Geschichten, sondern - von den großen Landnahmen und Strafaktionen bis in die molekularen Reaktionen familiärer Beziehungen - ein und dieselbe. Aber gerade weil das so ist, kommt es bei dieser Geschichte mehr als bei anderen darauf an, wer sie erzählt.

Layla Shah, aufmerksam und witzig verdeutscht von Christel Dormagen, führt vor Augen, wie es geht, wenn man's kann.

DIETMAR DATH.

Layla Shah: "brit and brown". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christel Dormagen. Arche Verlag, Zürich 2006. 275 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieser Familienbiografie einer mit verzwickten neuseeländischen, pakistanischen, Fidschi- und englischen Wurzeln ausgestatteten Immigrantenfamilie bescheinigt Dietmar Dath großen Reiz. Das liegt vor allem an der "entspannten Doppelbödigkeit", mit der die Ich-Erzählerin sich ihrer Familiengeschichte nähert, und in der sie nicht zuletzt eine Vertrautheit mit Charles Dickens' Romanen erkennen lässt. Um den Tod ihres jüngeren Bruders zu ergründen, vertieft sie sich in die Geschichte ihrer Familie, und der Rezensent findet es besonders beeindruckend, dass die Autorin dabei jeglichen trügerischen Einblick in die Psyche der Verstorbenen vermeidet. Dieser Roman demonstriert, wie über die Auswirkungen der Kolonisierung bis in die Feinstruktur der Familie hinein geschrieben werden kann, preist der Rezensent, der auch die Übersetzung von Christel Dormagen sehr für Witz und Genauigkeit lobt.

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