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Sie war Picassos erste Biographin: Gertrude Stein. Dies sind ihre sämtlichen Texte von 1909-38 über das Maler-Genie.

Produktbeschreibung
Sie war Picassos erste Biographin: Gertrude Stein. Dies sind ihre sämtlichen Texte von 1909-38 über das Maler-Genie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2003

Ein wählerischer Leinwanddieb
Manchmal malt er so schlecht, wie sie schreibt: Gertrude Steins gesammelte Texte über Picasso
Als Pablo Picasso und die um sieben Jahre ältere Gertrude Stein sich 1905 in Paris begegnen, haben sie, jeder für sich, Großes vor. Kein Mensch weiß etwas von ihnen – aber sie erkennen einander. Fast ein halbes Jahrhundert, bis zu Steins Tod 1948, bleiben sie einander freunschaftlich verbunden. Etwas tief Befriedigendes muss für die beiden berühmt gewordenen Namenlosen in diesem Bündnis gelegen haben: Immer erinnerte es sie an die Länge des zurückgelegten Weges, und es stellte ihrer Urteilskraft wie ihrer Treue ein unwiderlegliches Zeugnis aus.
Zum Gründungsdokument dieser Freundschaft wird das berühmte Porträt, das mit seinen solide erdhaften Farben und dem schmucklos wuchtigen Aufbau das Bild der Schriftstellerin bis heute geprägt hat. Dutzende von Sitzungen absolvieren Maler und Modell miteinander, und in dieser Zeit lernen sie sich kennen und schätzen. Schon die Zahl der Stunden, die er zögernd damit verbringt, kennzeichnet es als etwas Besonderes im Werk Picassos, der sonst zumeist nach dem Grundsatz „Ein Tag – ein Gemälde” verfährt. Als es fertig ist, löscht er zum Entsetzen aller Bekannten das Gesicht aus und malt es, ohne dass Stein dabei wäre, ganz neu. Wenn man genau hinsieht, kann man den Unterschied in der Auffassung von Rumpf und Antlitz immer noch erkennen, wie bei einer russischen Ikone, deren silberner Beschlag allein die Gesichtsscheibe ausspart.
Wer bislang nur Picasso kannte (denn es hilft nichts, er ist nun einmal doch der Berühmtere), der hat mit diesem schmalen Band aus dem Arche- Verlag, das die Texte Gertrude Steins über den Maler zusammenstellt, Gelegenheit, auch die Schriftstellerin kennenzulernen. Sie empfindet Picasso von Anfang an als eine kongeniale Seele im Kampf um die Durchsetzung des Modernen. Aber wenn man ihr Manifest „Picasso” von 1909 liest, gewinnt man doch den Eindruck, dass das Moderne sich mit dem Pinsel leichter umsetzen lässt als mit der Schreibfeder. Sprache ist letztlich offenbar doch etwas Konservativeres als die Gewohnheiten des Sehens; und wo Picasso, durch alle Krisen und Anfeindungen, zu einer neuen Ausdrucksweise gelangt, da bleiben die Neuerungen Gertrude Steins in einer unergiebigen Gewaltsamkeit stecken. Das liest sich so:
„Dieser arbeitete und etwas kam damals, etwas kam damals aus diesem heraus. Dieser war einer und immer kam etwas aus diesem heraus und immer war etwas aus diesem herausgekommen. Dieser war nie einer gewesen bei dem nicht etwas aus diesem herauskam. Dieser war einer bei dem etwas aus diesem herauskam. Dieser war einer gewesen dem einige folgten. Dieser war immer einer dem einige folgten. Dieser war einer der arbeitete.”
So geht es über Seiten. Formale Vereinfachung kann im Visuellen etwas Befreiendes haben – in der Literatur führt sie, wie es scheint, stracks in die Borniertheit. Solches Sprechen bricht nicht etwas Neues auf, willkürlich fällt es hinter einen erreichten Stand zurück, es ist arm, starr und leer und bekommt, da ihm als einziges rhetorisches Mittel die inständige Wiederholung zu Gebote steht, einen unangenehmen Zug ins Autoritäre. (Übrigens gibt es auch von Picasso genug schlechte Bilder, die genauso aussehen wie Stein schreibt: nämlich als würde sich hier einer dümmer stellen als er ist.)
Dies muss irgendwann auch der Autorin selbst aufgefallen sein, denn als sie sich dreißig Jahre später noch einmal an das Thema macht, wird es ein ganz normaler Essay (obwohl sie mit den Kommas noch immer haushaltet, als würden sie ihr besteuert). Da es nun leichter wird, sie zu verstehen, erkennt man mit einigem Erstaunen, wie viel konventionelles Gedankengut sie hegt. In ihrem Lob der heroischen Moderne hängt sie einer altüberkommenen Genie- Ästhetik an, sie leitet den Kubismus her aus der Mechanisierung der Welt, sie deutet das Phänomen Picasso aus der Konfrontation des Spanischen mit dem Französischen und einem Phasenwechsel von Füllung und Leerung. Doch täte man ihr Unrecht, wollte man übergehen, wie originell viele ihrer Einsichten dennoch sind: Spanien und Amerika, sagt sie, seien für die Moderne besonders begabt, die einen, weil sie einen Mangel, die anderen, weil sie ein Übermaß an Organisation haben.
Es ist die theoretische Grundlegung ihrer Allianz mit Picasso, und sie scheint sich als eine Art umgekehrter Kolumbus zu fühlen, der in der Neuen Welt Segel setzt, um Iberien zu entdecken. Auch wird man ihr nicht widersprechen wollen, wenn sie behauptet, der Surrealismus im zwanzigsten Jahrhundert, das sei im Grunde doch bloß eine Komplikation des neunzehnten gewesen, und eine Komplikation zu ersinnen, sei immer eine vergleichsweise simple Sache. Ja sie entspannt sich so weit, dass sie Anekdoten erzählt, etwa jene von dem Einbrecher, der Picassos Wäsche mitnahm, aber die bemalten Leinwände stehen ließ, und wie Picasso sich darüber geärgert hat.
Nicht was Gertrude Stein in Picasso sieht, ist das Besondere an diesem Buch, hier hat der Rest der Welt inzwischen nachgezogen, und der Respekt, den sie noch kämpferisch fordern musste, ist zum Gemeinplatz geworden; sondern dass sie die Erste war, es zu sehen. So wird das Buch historisch, im doppelten Sinn des Worts: epochal bedeutsam – aber auch verjährt. Seinen Wert hat es als etwas, als das ein Schriftsteller sein Werk nur äußerst ungern gewertet weiß: als Quelle.
BURKHARD MÜLLER
GERTRUDE STEIN: Picasso. Sämtliche Texte 1908-1939. Aus dem Amerikanischen von Roseli und Saskia Bontjes van Beek. Mit einem Nachwort von Stefana Sabin. Arche Verlag, Hamburg 2003. 141 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Burkhard Müller ist kein Freund von Gertrude Steins literarischer Sprache. Auch bei diesem Buch mit Texten über Steins Freund Pablo Picasso nicht. Formale Vereinfachung könne im Visuellen etwas Befreiendes haben, in der Literatur führe sie, wie das Beispiel Stein dem Rezensenten verdeutlicht hat, "stracks in die Borniertheit". Arm, starr und leer findet er Steins Sprache und vergleicht sie mit schlechten Picasso-Bildern, in denen sich der Maler dümmer stellte als er war. Spätere Texte der Stein findet Müller leichter verständlich und jetzt fällt dem Rezensenten, wie er wissen lässt, auf, dass die Stein doch einiges konventionelle Gedankengut hegt. Besonders fällt ihm auf, wie sehr sie in ihrem "Lob der heroischen Moderne" einer altüberkommenen Genieästhetik nachhängt. Auch andere Deutungen findet der Rezensent nicht sehr originell. Dennoch erhält das Buch von ihm das Prädikat "epochal", weil Gertrude Stein die erste gewesen sei, die in Picasso Picasso erkannt hatte. Und auch als Quelle findet er die Aufsätze bedeutsam.

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