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Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • Seitenzahl: 534
  • Deutsch
  • Abmessung: 41mm x 122mm x 195mm
  • Gewicht: 574g
  • ISBN-13: 9783701714049
  • ISBN-10: 3701714045
  • Artikelnr.: 13432662
Autorenporträt
Erwin Einzinger, geboren 1953 in Kirchdorf an der Krems, Studium der Anglistik und Germanistik in Salzburg. Lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Micheldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2005

Erbswurst in Isolierband
Erwin Einzinger führt den Pop-Roman bis zum bitteren Ende

Kleines Dilemma des Rezensenten: Über dieses Buch möchte man eigentlich nichts verraten, bloß dafür sorgen, daß alle es lesen - die, die durch Pop hindurchgegangen sind, und die anderen gerne auch. Müßte nicht eigentlich der Titel als Lockmittel genügen? Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik - das läßt ein Sachbuch erwarten, man erblättert denn auch Fußnoten und ein reichhaltiges Personenverzeichnis, und doch ist das Ganze als Roman ausgeflaggt. Wen das schon hinreichend reizt, der lese nicht hier, sondern dort weiter. Für alle anderen schlagen wir das dicke Buch auf und stellen fest:

Zu Beginn geht es gleich um die Erbswurst, die bereits in Günter Eichs wilder Spätprosa der "Maulwürfe" (1968 ff.), mit ihrer alphabetischen Logik eines enzyklopädischen Allzusammenhangs, direkt nach der Erbsünde kam. Bei Einzinger wird sie präziser historisch verortet als Produkt der Firma Knorr aus dem 19. Jahrhundert und damit sozusagen als frühe Verwandte der Campbell-Dosensuppe ("Warhol, Andy" hat denn auch die meisten Einträge im Register, noch vor "Presley, Elvis" und "Hitler, Adolf"). Ein paar Absätze später befindet man sich in einer "langsam zum Schallplattenladen gewordenen Fahrradwerkstätte in der Belfaster Hafengegend", die dem Vater von Van Morrison gehört, und fragt sich, wie man hier hingekommen ist. Der erste der jeweils zweieinhalbseitigen Abschnitte, aus denen dieser Roman komponiert ist, endet daraufhin mit einer Information über die irische Abstammung von Präsident Wilson, eine Fußnote informiert, daß dieser mit dem aus einem Van-Morrison-Song bekannten Jackie Wilson "freilich nicht verwandt" sei. Aha!

Im zweiten Abschnitt immerhin scheint sich ein fiktionaler Plot zu entfalten, jemand wartet in einem Ferienhaus auf die Geliebte. Da diese und mit ihr die Lovestory jedoch ausbleiben, ist man zurückgeworfen auf das Blättern in der zufällig herumliegenden Lektüre und eine Erbsensuppe aus der Knorr-Tüte. So schreibt sich der Text, tatsächlich unbelastet von jeglicher Story, über Bisonsteaks, West-Coast-Jazz und Marilyn Manson, Mao, Dr. Feelgood und Karl May weiter und immer weiter.

Damit hätten wir eine Pointe bereits verraten, aber vielleicht ist das auch nicht so schlimm. Denn es mußte ja früher oder später dahin kommen, daß jemand einen Poproman vorlegt, der auf Plot und Helden ganz verzichtet. Die Listenromane von Bret Easton Ellis, Benjamin von Stuckrad-Barre oder Paul Morley, die Zitatcollagen Thomas Meineckes waren immer schon kurz davor - Erwin Einzinger tut es. Das Überraschende ist, daß er dabei weder viel zitiert noch Listen schmiedet, sondern konsequent und unbeirrt erzählt. Wir haben es hier mit dem wunderlichen Fall eines durch und durch narrativen Romans zu tun, dem jegliche Handlung fehlt. Auch steht diesmal kein archivierendes Pop-Ich für den Zusammenhang des Ganzen ein - erzählt wird, unter gelegentlichem Hinweis auf Quellen, auktorial, traditionell und, eben, enzyklopädisch.

Am ehesten befindet man sich damit wohl im Modus des Anekdotischen. Die Anekdote, immer schon eine alternative Möglichkeit, Geschichte zu erzählen, ist ja dem Unterhaltungsmusikalischen auch nicht fern. Allerdings werden Einzingers Geschichten kaum je auf irgendeine sensationelle, unerwartete Neuigkeit hin zugespitzt; Insidertum aller Art liegt dieser Prosa fern, auch besteht kein Interesse an einem Raritätenkabinett. Daher zeigen sich (wie in der Prärie, um die es so oft geht) die Pointen eher in der Fläche, in der lockeren, aber beharrlichen Verflechtung der Dinge untereinander: "Ein Experiment mit einer einzigen der für die Prärie typischen Raygraspflanzen ergab, daß diese in nur vier Monaten bereits ein insgesamt 600 Kilometer langes Wurzelnetz gebildet hatte!"

Keineswegs entsteht dabei jedoch der Eindruck eines zwanghaft postmodernen Google-Romans. Zu lässig mäandert das Anekdotengewebe zwischen Alltagsgeschichten, Historie und Pop-Trivia, zu dreist sind die Übergänge gestaltet über Sach- oder Wortzusammenhänge, die nicht immer wirklich naheliegen ("Eine ähnlich runde Brille wie Schubert trug übrigens"). Ähnlich willkürlich stiften die häufigen Zeitangaben ("Während die Szene sich ihrem erwarteten Höhepunkt entgegenbewegt, steht in Europa das Jahrhundert des Fußballs vor den Toren der Geschichte") pseudohistorische Bezüge zwischen Weitentferntem, als folge alles einer Poetik des Isolierbandes, "welches man ganz einfach unter die Bruchstelle klebt".

Auf Lesungen gibt sich der österreichische Lyriker und Exlehrer Einzinger (Jahrgang 1953) geradezu als Traditionalist zu erkennen, der sein Material keineswegs dem "World Wide Web", sondern jahrelang geführten Notizbüchern entnimmt. Erst im abtippenden Verteilen auf die homogenen Textblöcke, deren Formstrenge sich der Tendenz zum Wuchern entgegenstellt, gewinnen seine manisch gesammelten Aufzeichnungen dann ihre literarische Qualität. Man ist an Robert Walser erinnert, dem die Papiergröße zugleich das Maß der Textlänge war, oder auch an den kombinatorischen Sound Meineckes, mit dem Einzingers Roman auch den Amerika- und Musik-Bezug teilt. Gelegentliche sachbuchhafte Sperrigkeiten der Syntax erhöhen nur den Charme dieser Prosa.

Literarisches slow food, das sich dennoch auf der Höhe der Medientechnik befindet - und zwar auf distanziertere, eigenständigere Weise als bei den Fernseh- und Internet-Projekten von Rainald Goetz bis Walter Kempowski. Bei Einzinger ahnt man, daß die medialen Netzwerke die Struktur unseres Wissens und unserer Lust (am Text, an der Musik, an der Welt) womöglich weniger vorprägen als vielmehr ab- und ausbilden. "So viel Leben, so viel Ineinandergreifendes auf engstem Raum!" Amerika und wir, U-Musik als Humanum, der Pop und die Konserve, Pocahontas, Mike Watts Chinese Firedrill und der Herbst als "Zeit der Zwergschweinebraten" - wer Freude an der Prärie unserer kulturellen Enzyklopädie mit ihren Graswurzeln und Maulwurfsgängen hat, den wird Einzingers Buch trotz seiner eklatanten Gattungsverstöße vor allem bestens unterhalten. Dabei hätte Günter Eich diesen Roman zu den Gedichten gezählt.

MORITZ BASSLER

Erwin Einzinger: "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik". Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2005. 534 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Paul Jandl ist nicht klar, was dieses Buch bedeuten soll. Erwin Einziger habe einen Roman über die Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts geschrieben, in dem er Geschichten und Anekdoten der Popkultur verbrate, erfahren wir aus der Rezension. Und zwar vornehmlich, indem er sie in willkürlichen Assoziationsketten aneinanderreihe, was sich im Endeffekt wie ein Roman lesen solle. Doch kann Jandl sich weder mit Einzingers "sich rasch abnützender Methode" anfreunden, noch den Informationen, die das Werk bereitstellt, viel abgewinnen, denn die episodenhaften Stücke "rauschen mehr und mehr unter der Aufmerksamkeitsschwelle durch". Belanglos, bar jeder Theorie oder Poesie, lässt Einzingers über fünfhundert Seiten umfassendes "Panorama der Bagatellen" den Rezensenten kalt.

© Perlentaucher Medien GmbH