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Produktdetails
  • Verlag: Müller (Otto), Salzburg
  • Seitenzahl: 210
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 728g
  • ISBN-13: 9783701310111
  • ISBN-10: 3701310114
  • Artikelnr.: 23919874
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2000

Immer wieder in Deutschland
Notizen aus einem bewegten Leben: Das Leben des Rudolf Geist

Es wäre nicht ohne Reiz, die Kulturschaffenden in Seßhafte und Unbehauste einzuteilen. Goethe gehörte zu den Bodenständigen, die Reise nach Italien war die einzige größere, die er in seinem langen Leben unternahm. Immanuel Kant kam überhaupt nicht aus Königsberg heraus, was ihn aber nicht hinderte, über das gesamte Universum nachzudenken. Nietzsche hinwiederum hastete von Ort zu Ort, ständig auf der Suche nach einem Klima, in dem er es aushielt.

Rudolf Geist gehört sicherlich nicht in diese Größenordnung, jedoch unzweifelhaft zu den Ruhelosen. Nicht nur den Aufenthaltsort wechselte der österreichische Schriftsteller häufig (so daß seine Biographen zusammenfassend sagen müssen: "Immer wieder in Deutschland"), sondern fast noch öfter seine Tätigkeit. Außer freischaffender Schriftsteller war er Bäckergehilfe, Verleger, Saisonarbeiter, Filmemacher, Angestellter einer Speditionsfirma, Mitglied des PEN-Clubs. Die Biographie verzeichnet auch "Schmuggler" und "Strafgefangener" unter seinen "Beschäftigungen". Dieser Vielseitigkeit entspricht auch sein Verhalten in Glaubenssachen. 1934 tritt er in die evangelische Kirche, 1945 in die Kommunistische Partei ein, die er 1947 wieder verläßt, um sich 1955 der Sozialistischen Partei anzuschließen.

Es ist kein kleines Wunder, daß er bei dieser Lebensweise ein so umfangreiches Werk hinterließ. Zu seinen Lebzeiten (er starb 1957 so alt wie das Jahrhundert in Wien) erschienen Romane, Novellen, zahlreiche Gedichtbände und andere Schriften, ein großes OEuvre, das aber im Vergleich zum Unveröffentlichten, das in einem von seinem Sohn verwalteten Archiv in Kärnten aufbewahrt ist, klein wirkt. Am bekanntesten ist er Literaturkennern freilich als Mitbegründer und Mitherausgeber des "Plan" geworden, einer Zeitschrift, die besonders nach 1945 einen hervorragenden Platz im geistigen Wiederaufbau der zweiten Republik Österreich einnahm. In dem schönen, hier vorliegenden Band mitsamt Bildern und Dokumenten, einem Vorwort und Nachwort, biographischen und bibliographischen Angaben wird eine Auswahl an Geistscher Poesie und Prosa geboten, die zusammen eine Art geistiger Lebensgeschichte ergeben.

Vielleicht muß jemand so unbürgerlich gewesen sein, Deserteur im Ersten Weltkrieg, Gestalter eines Zigeunerfilms im Burgenland, politischer Häftling unter den Nazis und Opfer eines Berufsverbots durch die "Reichsschrifttumkammer", um solche aus Österreich selten zu vernehmenden Töne von sich zu geben wie Rudolf Geist. Zum Beispiel erhob er die Stimme, um die aus Österreich vertriebenen Exilanten dringend in ihre Heimat zurückzurufen, was von offizieller Seite weder in Österreich noch Deutschland je geschah. Im Gegenteil, die peinlichen Bemühungen von Politikern der großen Parteien, eine solche Heimkehr der unrechtmäßig Enteigneten mit allen ihren Rückerstattungsansprüchen zu verhindern, sind gründlich dokumentiert. Rudolf Geist aber nennt die Juden seine "Mitgeschwister", erkennt zu einer Zeit, wo dieses Thema mit ohrenbetäubendem Schweigen vermieden wurde, daß den Juden von den braunen Mördern "das Furchtbarste und Unmenschlichste" angetan worden war. Er zählt die kulturellen und wirtschaftlichen Verdienste der österreichischen Juden auf und bittet die "jüdischen Autoren, Dichter, Wissenschaftler, Essayisten und Künstler, zur Bekämpfung von Faschismus und Imperialismus in Österreich beizutragen".

All das ist bei ihm verbunden mit einem freimütigen österreichischen Patriotismus, der ihn zu wahren Hymnen auf seine Heimat inspiriert hat. Gerade im heutigen Österreich wäre es opportun, die Erinnerung an diesen ungewöhnlichen Menschen zu pflegen und weitere Einblicke in sein unveröffentlichtes Werk zu verschaffen.

EGON SCHWARZ

Karl-Markus Gauß und Till Geist (Hrsg.): "Der unruhige Geist. Rudolf Geist. Eine Collage". Otto Müller Verlag, Salzburg 2000. 210 S., geb., 41,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Was tun mit der umfangreichen Hinterlassenschaft eines Dichters, die kein einziges rundum gelungenes Stück Literatur enthält, dafür um so mehr lesenswerte Passagen und originelle Gedanken, fragt Günther Stocker. Collagieren, lautete die vorbeugende Antwort der Herausgeber des Sammelbandes mit Texten von Rudolf Geist, der Stockers volle Anerkennung findet, gilt es doch seiner Meinung nach einen interessanten und unkonventionellen Denker und Literaten zu entdecken, der sich durch ebenso viele Berufe schlug wie er sich durch die verschiedensten Genres schrieb. Neben den politischen Kommentaren, in denen sich Geist ein Vorbild an seinem Landsmann Kraus nahm, sieht Stocker insbesondere zwei Texte als besonders lesenswert an: die im Wiener Arbeitermilieu der K.u.K.-Zeit angesiedelten Erzählung "Steffko erzeugt Energie" sowie das Poem "Wandert, ihr Völker der Neger!", das die rassistische Rhetorik mit expressionistischem Pathos konterkariert. Das Pathos der anderen Gedichte findet Stocker heutzutage allerdings kaum noch erträglich. Alles in allem aber ein Buch, schreibt der Rezensent, das interessante Entdeckungen gewährleistet.

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