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Die Biographie eines der größten Dichter jiddischer Sprache (weltweit die erste umfassende überhaupt) ist nach Inhalt und Form außergewöhnlich. Die Lebensgeschichte des Itzik Manger (1901 - 1969) wird verschränkt mit einer lebendigen Schilderung der jiddisch-säkularen Kultur Osteuropas zwischen den Weltkriegen. Und passend orientiert sich die Texteinrichtung durch die Autorin an der Seitengestaltung des Talmud: mit erzählendem Haupttext, Abbildungen und erläuternden Seitentexten. "In Mangers Lebens- und Schaffensgeschichte verkörpern sich Entwicklung und Reichtum der jiddischen Kultur bis…mehr

Produktbeschreibung
Die Biographie eines der größten Dichter jiddischer Sprache (weltweit die erste umfassende überhaupt) ist nach Inhalt und Form außergewöhnlich. Die Lebensgeschichte des Itzik Manger (1901 - 1969) wird verschränkt mit einer lebendigen Schilderung der jiddisch-säkularen Kultur Osteuropas zwischen den Weltkriegen. Und passend orientiert sich die Texteinrichtung durch die Autorin an der Seitengestaltung des Talmud: mit erzählendem Haupttext, Abbildungen und erläuternden Seitentexten. "In Mangers Lebens- und Schaffensgeschichte verkörpern sich Entwicklung und Reichtum der jiddischen Kultur bis 1939, ihre Zerstörung und der tragische Bruch, den die Shoah hinterlassen hat. Mangers Werk entspringt dem jüdischen Osteuropa mit seinen rumänischen, galizischen, polnischen und baltischen Landschaften, in denen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine jiddisch-säkulare Kultur sich rasch entfaltete ... Itzik Manger zog es, wie die meisten seiner Kollegen, nach Warschau, weil man dort auf unterschiedlichste Weise jiddisch denken, leben und schöpferisch tätig sein konnte. Sie dachten Europa jenseits des Gegensatzes von Eigenkultur und Fremdkultur ... Im zunehmend nationalistischen und antisemitischen Polen war das jiddische Europa ein kosmopolitischer Entwurf, ein imaginierter, herbeigeschriebener Ort, an dem jiddisches Leben beheimatet war."
Autorenporträt
Gal-Ed, EfratEfrat Gal-Ed, geboren 1956 in Tiberias, Israel, studierte Judaistik, Germanistik und Komparatistik sowie Malerei und promovierte in Jiddistik. Sie lebt als Malerin und Autorin in Köln und lehrt jiddische Literatur und Kultur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2016

Im Wissen um eine gnadenlose Zukunft

Eine Biographie, gestaltet wie ein Talmud: Efrat Gal-Ed setzt den jiddischen Dichter Itzik Manger in seine Zeit und in sein literarisches Recht.

Das Werk des Dichters Itzik Manger (1901 bis 1969) ist einer der Höhepunkte und auch schon das Ende einer nur allzu kurzen Literaturgeschichte. Lange konnte sich das Jiddische als Umgangssprache der Juden in Osteuropa nicht aus den Schatten der hebräischen Sakral- und der deutschen Kultursprache befreien. Erst spät, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, entstanden in ihr auch literarische Werke von Rang, und die Gründerväter dieser Literatur, unter ihnen der Erzähler Scholem Alejchem, waren kaum zwei Generationen älter als Manger, der in den Zwischenkriegsjahren, schon am Abgrund der Vernichtung, ihr Requiem schrieb.

In "Niemandssprache", der ersten umfassenden Biographie des Dichters, zeichnet Efrat Gal-Ed diese tragische Grundsituation eindrücklich nach. Sie erzählt sie in mehreren parallel laufenden Strängen und hat dafür eine originelle Form gefunden: Die großen Seiten ihres umfangreichen Buches sehen wie Talmudblätter aus, um das zentrale Narrativ der Biographie gruppieren sich weitere, typographisch deutlich abgesetzte Texte, die verschiedene Funktionen erfüllen. Sie beschreiben den historischen und sozialen Hintergrund der Ereignisse, porträtieren bedeutende Personen in Mangers Umfeld, zitieren Korrespondenzen und Kontroversen, bringen Äußerungen über den Dichter und bieten Dokumente zur Rezeption. Das gibt dem Leser nicht nur reiches Material an die Hand: "Der Leser ist eingeladen", schreibt Gal-Ed, "seine Lesart selbst zu bestimmen, seine eigenen Durchgänge durch die Textpassagen zu finden. Ob die Lektüre der Stimmen hintereinander oder im Wechsel miteinander stattfindet - erst im Leseprozeß entsteht die Biographie."

Bis zum Ersten Weltkrieg verbringt Manger seine Kindheit und frühe Jugend in Czernowitz. Noch gehört die Stadt zur österreichischen Monarchie, die Elite ihrer jüdischen Bevölkerung spricht deutsch, das Kleinbürgertum spricht jiddisch, und der heranwachsende Junge hat teil an beiden Welten. In der Schneiderwerkstatt seines Vaters bringen die Gesellen ihm nicht nur jiddische Volkslieder bei, sondern auch die Gedichte Goethes und Heines, und diese Interkulturalität wird Mangers Poetologie bestimmen: Zur Tragik seines Lebens gehört es, dass er sein jiddisches Werk noch am Vorabend des Untergangs in die Weltliteratur einschreiben will.

Aber schon während er zu dichten beginnt, verändern sich die Zeiten radikal. Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Bukowina von Rumänien annektiert, mit der Habsburgerherrschaft geht auch die Idee des Vielvölkerstaates unter, und Manger zieht es nun nach Warschau, wo die jiddische Kultur ihr letztes großes Zentrum in Europa hat. Er braucht das Jiddisch sprechende Volk als Nährboden und als Leserschaft seiner Dichtung, und gegen Ende des Jahrzehnts, mit dem deutschen Überfall auf Polen, wird er beides verlieren.

Sein Exil beginnt bereits 1938, zuerst in Paris, die folgenden 27 Jahre aber lebt er im englischen Sprachraum. Den Krieg und die Jahre danach verbringt er in London (von 1940 bis 1951), und obwohl er sich physisch gerettet hat, macht Gal-Eds Darstellung doch sehr deutlich, dass Mangers Dichtung in der Fremde nicht gedeihen konnte. In London, das kein nennenswertes jiddisches Milieu aufzuweisen hat, erlebt er den Abgesang seiner Kultur, und als er später in New York lebt (von 1951 bis 1966), ist die Enttäuschung für ihn noch härter: Hier, am Ende der nach Westen führenden Fluchtwege des Ostjudentums, hat sich ein neues jüdisches Zentrum herausgebildet, aber Itzik Manger, Repräsentant der alten Welt, hat es schwer, in ihm Fuß zu fassen. Immer glaubt er sich von Intrigen verfolgt und hat für den jiddischen Literaturbetrieb in New York wenig Sympathie.

Er war ein unbehauster Dichter im wörtlichen Sinn - eine eigene Wohnung besaß er erst, als er in New York eine späte Ehe einging -, und in gewisser Weise erinnert er an die von ihm geliebte Else Lasker-Schüler. Sie spürte das nahende Ende des deutschen Judentums wie er den Untergang seiner jiddischen Welt, und wie sie hat auch er für dieses Wissen um eine gnadenlose Zukunft einen hohen Preis zahlen müssen.

Mit den Frauen in seinem Leben verband ihn eine Hassliebe, die ihn oft als grausamen und unberechenbaren Menschen erscheinen lässt. Efrat Gal-Ed beschönigt hier nichts, hinter Mangers fragwürdigem Verhalten aber bleibt immer die kollektive Not sichtbar, die sich in seinem zerrissenen Leben und mehr noch in seinem Werk spiegelt. Seine Lyrik hält das Jiddische nicht nur als Sprache eines untergehenden Volkes fest, sie ist auch von einem metaphysischen Humor, der ihrem zwischen den Zeilen verborgenen Leid eine eigentümliche Schönheit gibt.

Gegen Ende der dreißiger Jahre, auf dem Höhepunkt seiner Kunst, schreibt er die Chúmesch-lider, seine Nachdichtungen der biblischen Familiengeschichten, denen er ein zeitgenössisches Gewand gibt. So beginnt bei ihm die Begegnung zwischen Jakob und Rachel: "Stammvater Jakob schleppt sich müd / in den späten Abend hinein, / da ist der Brunnen, vorne links, / dort muss es sicher sein. // Er nimmt das heil'ge Buch zur Hand: / Hier ist es doch gewiss - / wo steckt sie denn, um Gotteswillen, / jetzt müsst' sie doch erscheinen." Es ist eine vielschichtige Zeitmaschine, die hier in Gang gesetzt wird. Während er schon um die drohende Vernichtung des jüdischen Volkes weiß, geht Manger noch einmal an den Anfang zurück, in den Urtext der Juden, der ihre Heilsgeschichte war. Er lässt den Stammvater in der Gestalt eines späten, jiddisch sprechenden Nachfahren auftreten und die Ursprünge hinterfragen, denen ein besseres Ende verheißen war.

Eine bittere Ironie liegt nicht nur über Mangers Werk, sondern auch über seinem Leben. Die letzten drei Jahre verbrachte er in Israel, obwohl er nie Zionist war. Er stand dem Jüdischen Arbeiterbund nahe, einer sozialistischen Organisation, die den Juden ein Heimatrecht in Osteuropa verschaffen wollte, nicht in Palästina. Doch Hitler hat diese Hoffnungen dann zerstört, und aus seinem amerikanischen Exil ist Manger nicht nach Warschau zurückgekehrt, sondern in den Judenstaat der Zionisten.

Hier war es lange verpönt gewesen, Jiddisch zu sprechen, das Hebräische hatte absoluten Vorrang. In den sechziger Jahren aber änderte sich etwas. Der Eichmann-Prozess hob ins Licht, was lange verdrängt worden war, ein großer Teil der Bevölkerung, ursprünglich jiddisch sozialisiert, klagte seine Rechte ein, und bei seinen Besuchen im Lande wurde Manger vom Publikum gefeiert. Aber als er schließlich einwanderte, war er schon ein kranker und gebrochener Mann, und seine letzten Jahre musste er in einem Sanatorium verbringen, das er nicht mehr verlassen konnte.

Efrat Gal-Ed hat sich schon früh um Manger verdient gemacht, sie schrieb ihre Dissertation über den Dichter, und 2004 veröffentlichte sie "Dunkelgold", eine jiddisch-deutsche Auswahl seiner Lyrik (F.A.Z. vom 1. Juli 2005). Mit ihrer monumentalen Biographie legt sie ein bahnbrechendes Werk vor, das der deutschen und internationalen Jiddistik neue Richtungen weisen wird.

JAKOB HESSING

Efrat Gal-Ed: "Niemandssprache". Itzik Manger - ein europäischer Dichter.

Jüdischer Verlag, Berlin 2016. 784 S., Abb., geb., 44,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Rezensent Dirk Schümer preist Efrat Gal-Eds Biografie über den jüdischen Dichter Itzik Manger als "Mammutwerk", das nicht nur auf umfassende, grandiose Weise ein tragisches Leben zwischen Flucht, Alkohol, Frauen und Lyrik entfaltet, sondern gleichsam als Panorama der jiddischen Säkularkultur gelten kann. Fasziniert liest der Kritiker die von Rücksichtslosigkeit und Selbstzerstörung geprägte Lebensgeschichte des Dichters, dessen Poesie sich vorwiegend dem osteuropäischen Judentum widmete und der das diskriminierte Jiddisch in Israel wieder einführte. Mit Erstaunen erfährt der Rezensent in dieser brillant recherchierten Biografie auch, wie Frauen und Freunde den sehr gelehrten, aber oft unerträglichen "ostjüdischen Straßensänger" immer wieder unterstützten. Ein großartiges Buch, das den Leser in die untergegangene Welt des jiddischen Lebens eintauchen lässt, schließt der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2016

Der Schneider und das Dunkelgold
Ein Schatz ist gehoben: Die Künstlerin und Literaturwissenschaftlerin Efrat Gal–Ed
hat Leben und Werk des jüdischen Dichters Itzik Manger erschlossen
VON THOMAS MEYER
Der Ausdruck „ein schönes Buch“ ist zumindest zwiespältig. Form und Gestaltung werden landläufig vom Inhalt abgelöst. Und wenn man betont, dass vermeintlich Äußeres und Substanz einander bedingen, man die vielen Illustrationen, das Druckbild und die Anordnung des Textes mit dem Gesagten selbst in Beziehung setzen müsse, weil es sonst nicht zu verstehen oder überhaupt zu erschließen sei, werden leicht Zweifel laut. Ein Text, der nicht für sich allein stehen kann, muss wohl seine Schwäche kaschieren.
  Wer das wunderbare Buch „Niemandssprache“ der Literaturwissenschaftlerin und Künstlerin Efrat Gal-Ed über den 1901 im österreichisch-ungarischen Czernowitz geborenen und 1963 im israelischen Gedera verstorbenen jiddischen Dichter Itzik Manger „studiert“ hat, der wird niemals mehr über diese Form-Inhalt-Schere nachdenken. Gal-Ed hat für Mangers Biografie und die Zusammenhänge, ohne die sein Leben, Schreiben und Denken erst gar nicht zugänglich werden, je eine Hälfte einer Seite reserviert. Das klingt schwierig, zumal es nicht durchgehend so ist. Außerdem zitiert sie ausführlich in den Originalsprachen, was zusätzlich verwirren könnte, auch wenn sie alles wörtlich und sehr gut verständlich übersetzt hat. Lange Bilderstrecken unterbrechen scheinbar den Lesefluss, dazu kommen Namen und Orte in großer Zahl, die man in diversen Registern nachschlagen muss. Das Buch will also erobert werden.
  Denn die Welt, die es beinhaltet, die nur noch als Erinnerungsfragment zurückgerufen werden kann, ist darin ebenso enthalten wie verborgen. Gal-Ed hat uns ein Hand-Buch geschenkt, durch das der Leser ständig in Bewegung bleibt: er wird zum Reisenden nicht nur im Nachvollzug der Entwicklung der modernen jiddischen Literatur, den Auseinandersetzungen um den Status der Sprache, des verschlungenen Lebensweges von Manger, der Vielfältigkeit und Komplexität seiner Dichtungen und Schriften. Er wird auf den schwankenden Boden zwischen Fakten und Fiktionen geführt – also ein Zwischenreich.
  Dieses Zwischenreich wird belebt von einer permanenten Verwandlung: Ballade, Essay, Nachdichtung, Roman und was an Darstellungsformen noch mehr von Manger benutzt und reflektiert wurde, münden in eine ganz eigentümliche Form der Weltwahrnehmung. Folgt man ihr mit der Hilfe Gal-Eds dann scheint es, als ließen sich nur durch radikale Vereinfachungen alle Spuren sammeln und darstellen, die menschliches Leben in der Welt hinterlassen hat. Ganz nach dem alten Ratschlag „Forsche nicht nach der Zukunft, sondern alles, was dir zukommt, nimm in Treue an“, hat Manger sich, seiner Zeit und deren abgründigen Verwerfungen die Conditio humana abgelauscht.
  Um solche Reduktion darzustellen, hat Gal-Ed eine Trennung in genauestens dokumentierte Geschichte und in präzise Geschichten vorgenommen, dabei die Übergänge zwischen Wissen und Erzähltem, Überliefertem genau markiert, sodass der Leser die Gräben sicher überqueren kann. Es sind wiederum die Schriften Mangers, die uns sicheres Geleit auf dem Wege zwischen den Geschichten und Geschichte ermöglichen. Wie Gal-Ed das komponiert hat, ist über weite Strecken atemberaubend. Denn was immer recherchiert werden konnte, wie dünn der Faden auch war, der mit der Vergangenheit vor 1939/41 noch verknüpft war, hier wird er so deutlich und so sorgsam wie möglich nachgezeichnet, auf dass er nie mehr verloren gehe. Als wollte die Fülle des Buches an die Stelle treten, wo nur noch allenfalls blasse und fast ausschließlich vermittelte Ahnung einer Welt herrscht, die gänzlich eine „jüdische Welt von gestern“ (Rachel Salamander) geworden ist.
  Als man sich anschickte diese Welt vom September 1939 an zu zerstören, sprachen knapp elf Millionen Menschen Jiddisch. Einer davon war Manger, zunächst ein Schneider, der Auf- und Abstiege der Familie zu verkraften hatte, der den existenziell ausgefochtenen Kampf mit Traditionen, deren Umschreibungen und Verwandlungen als Zeichen einer schwer entschlüsselbaren Treue zum Judentum, zur Sprache und seinem Volk erst nach und nach erkennbar werden, ließen Manger – als Mensch ständig am Abgrund – in der Zeit bis zum Überfall auf Polen zu einem anerkannte Poeten werden.
  Bereits 1935 war sich der Kritiker Lamed Shapiro anlässlich des Gedichtbandes „Chumensch-Lider“ (Fünfbuch-Lieder) sicher, dass Manger das Judentum, von seiner tiefsten Vergangenheit herauf in die Gegenwart in Worte gefasst habe, es also endlich einen Grund gebe, „Hitler-Mussolini-Japan für eine Weile zu vergessen“. Das „wundersame kleine Buch“ war zusammen mit dem im Jahr darauf vorgelegten „Megile-Lider“ (Esterrolle-Lieder), der Übersetzung von Büchners „Woyzeck“ und der Beteiligung an dem populären Musical „Jidl mitn Fidl“ zu einem Werk eines wahrhaft europäischen Dichters ausgewachsen. Und wenn es neben Mangers Schriften in diesem so reichen Buch von Gal-Ed etwas gibt, was von nun an nicht mehr übersehen werden darf, pathetisch formuliert: heute weniger denn je, dann ist es die Idee Europas. Wie sie von ihrem östlichen Rand her fragil und ausdrucksstark zugleich eine ganz eigenständige Eigensinnigkeit artikuliert, die um das Älteste weiß und von da aus die Schichten von Erinnerungen mitschleppt und sie, statt mittels kritischer Zerlegung, im Vertrauen auf die Unerschöpflichkeit der überlieferten „Geschichten“ mobilisiert, wird hier eindrücklich nachgewiesen.
  Erst von da aus wird ersichtlich, was mit dem Mord am osteuropäischen Judentum verloren ging. Dass mit den Menschen auch das Wissen stirbt, dagegen kommt kein Archiv und keine Melancholie an. Die Einfachheit von Mangers Dichtung, der nach dem Krieg auf höchst kunstvolle Weise schweigt und sein Verstummen als einzig angemessene Reaktion auf die Zerstörung des natürlichen Resonanzraumes zurückführt, ist uns heute ein Rätsel. Gal-Ed zeigt hier erste Wege, die Poesie wieder zum Sprechen zu bringen. Weitere Übersetzungen, vergleichende Studien mit anderen jiddischen Dichtern und Dichtungen wären hier sehr willkommen
  Wer sich Gal-Eds Studie als Wegweiser durch verschiedene Vergangenheiten nähern möchte, kann dazu auf ein äußerst gelungenes Gespräch der Autorin mit Ruth Reneé Reif in der Zeitschrift Sinn und Form (Heft 6/2016) zurückgreifen. Es bietet eine Einführung in Mangers Welt und kann mit dem wiederaufgelegten Auswahlband „Dunkelgold“ Gal-Eds Deutungen prüfen. In jedem Fall aber haben wir es bei dem Buch „Niemandssprache“ mit einer grandiosen Herausforderung zu tun.
Efrat Gal-Ed: Niemandssprache. Itzik Manger – ein europäischer Dichter. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 784 S., 44 Euro.
Itzik Manger: Dunkelgold. Gedichte. Jiddisch und deutsch. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Efrat Gal-Ed. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 431 S., 29,95 Euro,
Itzik Mangers Gedichtband „Laterne im Wind“ (1933).
Itzik Manger, aufgenommen in Paris im Jahre 1939.
Fotos (2): National Library of Israel
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»Ein Schatz ist gehoben: Die Künstlerin und Literaturwissenschaftlerin Efrat Gal-Ed hat Leben und Werk des jüdischen Dichters Itzik Manger erschlossen ... Wie Gal-Ed das komponiert hat, ist über weite Strecken atemberaubend. ... In jedem Fall aber haben wir es bei dem Buch Niemandsland mit einer grandiosen Herausforderung zu tun.« Thomas Meyer Süddeutsche Zeitung 20161129