Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 16,80 €
  • Gebundenes Buch

Itzik Manger, der »Prinz der jiddischen Ballade«, wurde 1901 in Czernowitz geboren. Er starb 1969 in Gedera (Israel). Die Welt dieses fahrenden Sängers, dieses genialen und trinkfreudigen »Troubadours«, wie er sich nannte, war das jüdische Osteuropa mit seinen rumänischen, galizischen, polnischen oder baltischen Landschaften und der jiddischen Kultur. Von 1928 bis 1938 lebte Manger in Warschau, der Metropole dieser Kultur. Es waren seine produktivsten Jahre. Durch die Vernichtung der osteuropäischen Juden gingen diese Welt und ihre Sprache unwiederbringlich verloren. Der Dichter überlebte im…mehr

Produktbeschreibung
Itzik Manger, der »Prinz der jiddischen Ballade«, wurde 1901 in Czernowitz geboren. Er starb 1969 in Gedera (Israel). Die Welt dieses fahrenden Sängers, dieses genialen und trinkfreudigen »Troubadours«, wie er sich nannte, war das jüdische Osteuropa mit seinen rumänischen, galizischen, polnischen oder baltischen Landschaften und der jiddischen Kultur. Von 1928 bis 1938 lebte Manger in Warschau, der Metropole dieser Kultur. Es waren seine produktivsten Jahre. Durch die Vernichtung der osteuropäischen Juden gingen diese Welt und ihre Sprache unwiederbringlich verloren. Der Dichter überlebte im Exil in England, den USA und Israel. Doch in der Fremde erstickte sein Gedicht.
Itzik Mangers Lieder und Balladen vereinigen romantische und symbolistische Traditionen mit denen der jiddischen Folklore, Heimat- wird mit Weltdichtung verbunden. Dan Davin, der Manger 1950 in Edinburgh kennenlernte, schreibt: »Ich fühlte in ihm etwas von einem jiddischen Villon, von einem Nerval, von einem Rimbaud. Ich deutete ihm an, daß er, was Chagall mit Farben, mit Worten bewirke, und das schien ihm zu gefallen, denn er sah in Chagall einen Meister und einen Geistesverwandten.«
Efrat Gal-Eds Übersetzungen, die sich eng am Original halten, machen es zu einem Vergnügen, einen der größten jiddischen Dichter neu zu entdecken. Die Ausgabe präsentiert neben der deutschen Übersetzung den Text in hebräischer und, transliteriert, in lateinischer Schrift.
Autorenporträt
Itzik Manger, der »Prinz der jiddischen Ballade«, wurde 1901 in Czernowitz geboren. Er starb 1969 in Gedera (Israel). Die Welt dieses fahrenden Sängers, dieses genialen und trinkfreudigen »Troubadours«, wie er sich nannte, war das jüdische Osteuropa mit seinen rumänischen, galizischen, polnischen oder baltischen Landschaften und der jiddischen Kultur. Von 1928 bis 1938 lebte Manger in Warschau, der Metropole dieser Kultur. Es waren seine produktivsten Jahre. Durch die Vernichtung der osteuropäischen Juden gingen diese Welt und ihre Sprache unwiederbringlich verloren. Der Dichter überlebte im Exil in England, den USA und Israel.
Efrat Gal-Ed, geboren 1956 in Tiberias, Israel, studierte Judaistik, Germanistik und Komparatistik sowie Malerei und promovierte in Jiddistik. Sie lebt als Malerin und Autorin in Köln und lehrt jiddische Literatur und Kultur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2005

Gottes Wort aus müder Seele
Der jiddische Dichter Itzik Manger in zweisprachiger Ausgabe

Itzik Manger (1901 bis 1969) war der bedeutendste Dichter der jiddischen Sprache in den Zwischenkriegsjahren. Zahlreiche seiner Verse, oft vertont, sind zum Allgemeingut dieser Kultur geworden und gehören zum festen Bestandteil ihres kollektiven Gedächtnisses. Manger kam in Czernowitz zur Welt, Hauptstadt der Bukowina und Hochburg der deutschen Kultur, aus der auch Rose Ausländer und Paul Celan stammen. Dort besuchte er das österreichische Gymnasium und las die deutschen Dichter - neben Goethe und den Klassikern verehrte er Rilke und Hofmannsthal -, aber von einer Assimilation konnte nie wirklich die Rede sein. Seine Familie, aus Ostgalizien zugewandert, gehörte zum armen Kleinbürgertum der Stadt, in Mangers Haus sprach man Jiddisch, und als er später als Dichter hervortrat, tat er es im Zentrum dieser Kultur - in Warschau.

In ihrem informativen Nachwort zeichnet Efrat Gal-Ed, die Herausgeberin dieser eindrucksvollen zweisprachigen Werkauswahl, Mangers tragisches Leben nach. Er ist immer ein Außenseiter gewesen - schon vom Gymnasium wurde er verwiesen, weil er sich seiner Ordnung nicht einfügen konnte -, und mit dem Untergang der jiddischen Welt in Osteuropa hat er nicht nur als Person, sondern auch als Dichter seinen existentiellen Boden verloren. Sein Vater kam unter den Deutschen, sein Bruder unter den Russen ums Leben, und er selbst strandete 1941, nach langen Irrfahrten, in England. Da lag die Blütezeit seiner Kunst bereits hinter ihm, und nach der Schoa hat er nicht mehr viel geschrieben.

Wo man noch Jiddisch verstand, in New York und Tel Aviv, wurde er auch nach dem Krieg gefeiert, aber nicht mehr als der Verfasser zeitgenössischer Verse, sondern als Symbolgestalt einer unwiederbringlichen Vergangenheit. Der Dichter und sein Publikum halfen sich gegenseitig, den Verlust zu überstehen, und dem Dichter ist es nicht recht gelungen: Als Itzik Manger 1969 in Israel starb, erlag er unter anderem auch dem Alkoholismus.

New York und Tel Aviv sind die beiden Pole seiner zweiten Lebenshälfte. Die Welt, die er in seinen Werken festhält, gab es nicht mehr, und als er 1940 aus Polen floh, war die Küste Palästinas sein erstes Ziel. Aber die englische Mandatsmacht verweigerte ihm die Einreise, und nach Jahren in London gelangte er 1951 schließlich nach New York, dem anderen großen Fluchtpunkt des europäischen Judentums. Israel besuchte er erstmals 1958, und bei seinen Auftritten in den Städten des Landes wurde er von den jiddischsprachigen Überlebenden des Holocaust begeistert empfangen. Aber es ist bezeichnend, daß ihm der Durchbruch im hebräischen Establishment nur über die mediale Übersetzung gelang: Erst als eine israelische Bühne seine Verse ins Musical übertrug, wurden sie ein großer Erfolg - nicht anders als bei Alejchems "Anatevka", dessen Roman über den Milchmann Tewje einer nichtjiddischen Welt nur in der theatralischen Übersetzung zugänglich wurde.

Manger ist um eine Generation jünger als Schalom Alejchem, aber beiden gemeinsam ist die innere Spannung, die zwischen der hebräischen und der jiddischen Kultur besteht. Auch das Jiddische wird mit hebräischen Lettern geschrieben, aber es ist nicht die Sprache der "Heimat", die der Zionismus zum Gütezeichen seiner Renaissance gemacht hat, es ist die Sprache des Exils, und bei Schalom Alejchem findet dieser Konflikt deutlichen Ausdruck. Ständig zitiert sein Milchmann Tewje die Bibel, und er zitiert sie falsch, weil er sie nicht genau kennt (F.A.Z. vom 29. Januar 2003). Aber die Sympathie des Lesers verliert er deshalb keineswegs, ganz im Gegenteil - was er sagt, ist immer klug und richtig, seine exzentrische Ausdrucksweise ist nur die Folge seiner hoffnungslosen Situation in der Endphase einer untergehenden Kultur.

Auch in Mangers Werk besteht dieser Konflikt. Zu seinen berühmtesten Werken gehören die "Chúmesch-lider", die Efrat Gal-Ed als "Fünfbuchgedichte" übersetzt. "Chamésch", auf hebräisch, heißt fünf, und gemeint sind die fünf Bücher Mose: Itzik Mangers "Chúmesch-lider" sind seine Nachdichtungen der biblischen Geschichten, die er in den späten dreißiger Jahren auf dem Höhepunkt seiner Kunst geschrieben hat.

Die ehrwürdigen Patriarchen verwandelt er in die Zeitgenossen seiner jiddischen Misere, und so, zum Beispiel, liest sich die Begegnung zwischen Jakob und Rachel: "Jakob unser Vater schleppt sich müd / in den späten Abend hinein, / da ist der Brunnen, vorne links, / dort muß es sicher sein. // Er nimmt das Fünfbüchlein heraus: / ,Es muß gewiß hier sein - / wie ist denn das bloß möglich, / daß sie noch nicht erscheint?'"

Auch der Stammvater selbst verhält sich wie ein Jude der nachbiblischen Zeit: Er schaut in den heiligen Text, um seinen Weg zu finden, nimmt den Pentateuch zur Hand, um sich an ihm zu orientieren. Als Rachel zum Brunnen kommt, entschuldigt Jakob sich zunächst, daß er hier fremd sei, und dann fährt er fort: "Doch hab ich, Fräulein, wissen Sie, / einen Onkel hier im Land, / er muß Ihnen, Fräulein, wissen Sie, / ganz sicher sein bekannt. // Laban heißt er, wissen Sie, / er ist nicht irgendwer, / bei uns im Schtetl sagt man, / er wär ein Millionär."

Der hintergründige Humor dieser Dichtung ist nicht unumstritten geblieben. Es wurde Manger vorgeworfen, sein Werk profaniere den heiligen Text, doch damit steht es zugleich in einer langen Tradition. Die Bibel ist das Lebensbuch der Juden, immer ist es eine aktuelle Wirklichkeit, in der sie sich darauf beziehen, und auch hier ist es so. Jakob begegnet seiner großen Liebe und gerät in Verlegenheit, aber ebenso will er das Fräulein beeindrucken. Er rühmt sich des reichen Verwandten, den er in dieser Gegend hat: Wie Mangers zeitgenössische Leser ist auch er ein armer Jude aus dem Schtetl, und zum verborgenen Witz der Zeilen gehört es, daß Laban der Vater der jungen Dame ist.

Die Bibel, das Buch der Generationen, erzählt Familiengeschichten, und obwohl ihnen immer ein Heilsversprechen eingeschrieben ist, haben sie oft einen traurigen Kern. Das Buch Ruth berichtet von drei Witwen: Noemi hat ihren Mann verloren, und auch die beiden Söhne leben nicht mehr. Nur ihre Schwiegertöchter sind ihr geblieben. Sie entstammen einem fremden Volk, und eine von ihnen, Orpa, wird wieder nach Moab zurückkehren. Die andere aber, Ruth, wird ihre Schwiegermutter nach Bethlehem begleiten, und in der Nacht vor der Entscheidung läßt Itzik Manger sie nicht einschlafen: "Morgen, das heißt, in wenigen Stunden, / geht die alte Schwieger allein / zu ihrem Volk, zu ihrem Gott, / und sie, wohin wird sie gehen? // Nach Haus, ins Dorf, wo Vater trinkt / und die böse Stiefmutter gellt, / die rote Marussia, sie hat ihr genug / verleidet, verfinstert die Welt? // Nach Haus, ins Dorf, wo der Gutsherr schlägt / die Knechte mit einer Rute, / sie erinnert noch heute des Bruders Leib, / bedeckt von dem Schweiß und dem Blute. // Nach Haus, ins Dorf, wo der irre Wassil / auf dem Markt jedem erzählt, / wie ihn Pan Jesus gesegnet hat / auf der Spitze des Kirchbergs?"

Manger überträgt Ruths Dilemma in seine zeitgenössische Wirklichkeit, er macht sie zu einem Mädchen aus dem polnischen Dorf und beschreibt die drohende Welt des Christentums. Ruth beschließt, bei den Juden zu bleiben, in Bethlehem heiratet sie später den Boas, aus ihrem Geschlecht wird König David erstehen und am Ende der Tage auch der Erlöser - das alles aber läßt Itzik Manger nur noch unausgesprochen mitschwingen.

Der jiddische Text ist nicht nur in hebräischen Lettern, sondern auch in einer Transkription wiedergegeben, so daß der deutsche Leser die Übersetzung mit dem Original vergleichen kann. Dem schönen Band ist eine CD beigefügt, auf der einige der bekanntesten Gedichte mit Mangers eigener Stimme zu hören sind.

JAKOB HESSING

Itzik Manger: "Dunkelgold". Gedichte. Jiddisch und deutsch. Herausgegeben, aus dem Jiddischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Efrat Gal-Ed. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 391 S., geb., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Stefana Sabin freut sich über das neue Interesse, das Itzik Manger durch diese Auswahl seines lyrischen Werks erfährt. In den dreißiger Jahren war Manger eine prägende Gestalt der jiddischen Kulturszene, informiert Sabin, viele seiner Gedichte wurden vertont und gingen als Volkslieder in das Repertoire der Klezmermusik ein. Als Form bevorzugte er Lied und Ballade, baute eine "rudimentäre Handlung" auf und benutzte den Kehrreim als "rhythmisierendes Strukturelement". Obwohl er sich von den Modeströmungen der Zeit weitgehend fern hielt, erinnert Mangers moderne lyrische Sprache die Rezensentin teilweise an Trakl und Rilke. Die Bandbreite der ausgewählten Texte schafft einen Einblick in Mangers Themenkatalog und die verschiedenen Stationen seines Schaffens, notiert Sabin zufrieden. Die Präsentation der Texte auf Hebräisch, Deutsch und Jiddisch in lateinischen Buchstaben hält sie für einen "besonderen Vorzug" des Bandes, nur das "literaturhistorisch unbeholfene" Nachwort trübt ein wenig ihre Freude.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2016

Der Schneider und das Dunkelgold
Ein Schatz ist gehoben: Die Künstlerin und Literaturwissenschaftlerin Efrat Gal–Ed
hat Leben und Werk des jüdischen Dichters Itzik Manger erschlossen
VON THOMAS MEYER
Der Ausdruck „ein schönes Buch“ ist zumindest zwiespältig. Form und Gestaltung werden landläufig vom Inhalt abgelöst. Und wenn man betont, dass vermeintlich Äußeres und Substanz einander bedingen, man die vielen Illustrationen, das Druckbild und die Anordnung des Textes mit dem Gesagten selbst in Beziehung setzen müsse, weil es sonst nicht zu verstehen oder überhaupt zu erschließen sei, werden leicht Zweifel laut. Ein Text, der nicht für sich allein stehen kann, muss wohl seine Schwäche kaschieren.
  Wer das wunderbare Buch „Niemandssprache“ der Literaturwissenschaftlerin und Künstlerin Efrat Gal-Ed über den 1901 im österreichisch-ungarischen Czernowitz geborenen und 1963 im israelischen Gedera verstorbenen jiddischen Dichter Itzik Manger „studiert“ hat, der wird niemals mehr über diese Form-Inhalt-Schere nachdenken. Gal-Ed hat für Mangers Biografie und die Zusammenhänge, ohne die sein Leben, Schreiben und Denken erst gar nicht zugänglich werden, je eine Hälfte einer Seite reserviert. Das klingt schwierig, zumal es nicht durchgehend so ist. Außerdem zitiert sie ausführlich in den Originalsprachen, was zusätzlich verwirren könnte, auch wenn sie alles wörtlich und sehr gut verständlich übersetzt hat. Lange Bilderstrecken unterbrechen scheinbar den Lesefluss, dazu kommen Namen und Orte in großer Zahl, die man in diversen Registern nachschlagen muss. Das Buch will also erobert werden.
  Denn die Welt, die es beinhaltet, die nur noch als Erinnerungsfragment zurückgerufen werden kann, ist darin ebenso enthalten wie verborgen. Gal-Ed hat uns ein Hand-Buch geschenkt, durch das der Leser ständig in Bewegung bleibt: er wird zum Reisenden nicht nur im Nachvollzug der Entwicklung der modernen jiddischen Literatur, den Auseinandersetzungen um den Status der Sprache, des verschlungenen Lebensweges von Manger, der Vielfältigkeit und Komplexität seiner Dichtungen und Schriften. Er wird auf den schwankenden Boden zwischen Fakten und Fiktionen geführt – also ein Zwischenreich.
  Dieses Zwischenreich wird belebt von einer permanenten Verwandlung: Ballade, Essay, Nachdichtung, Roman und was an Darstellungsformen noch mehr von Manger benutzt und reflektiert wurde, münden in eine ganz eigentümliche Form der Weltwahrnehmung. Folgt man ihr mit der Hilfe Gal-Eds dann scheint es, als ließen sich nur durch radikale Vereinfachungen alle Spuren sammeln und darstellen, die menschliches Leben in der Welt hinterlassen hat. Ganz nach dem alten Ratschlag „Forsche nicht nach der Zukunft, sondern alles, was dir zukommt, nimm in Treue an“, hat Manger sich, seiner Zeit und deren abgründigen Verwerfungen die Conditio humana abgelauscht.
  Um solche Reduktion darzustellen, hat Gal-Ed eine Trennung in genauestens dokumentierte Geschichte und in präzise Geschichten vorgenommen, dabei die Übergänge zwischen Wissen und Erzähltem, Überliefertem genau markiert, sodass der Leser die Gräben sicher überqueren kann. Es sind wiederum die Schriften Mangers, die uns sicheres Geleit auf dem Wege zwischen den Geschichten und Geschichte ermöglichen. Wie Gal-Ed das komponiert hat, ist über weite Strecken atemberaubend. Denn was immer recherchiert werden konnte, wie dünn der Faden auch war, der mit der Vergangenheit vor 1939/41 noch verknüpft war, hier wird er so deutlich und so sorgsam wie möglich nachgezeichnet, auf dass er nie mehr verloren gehe. Als wollte die Fülle des Buches an die Stelle treten, wo nur noch allenfalls blasse und fast ausschließlich vermittelte Ahnung einer Welt herrscht, die gänzlich eine „jüdische Welt von gestern“ (Rachel Salamander) geworden ist.
  Als man sich anschickte diese Welt vom September 1939 an zu zerstören, sprachen knapp elf Millionen Menschen Jiddisch. Einer davon war Manger, zunächst ein Schneider, der Auf- und Abstiege der Familie zu verkraften hatte, der den existenziell ausgefochtenen Kampf mit Traditionen, deren Umschreibungen und Verwandlungen als Zeichen einer schwer entschlüsselbaren Treue zum Judentum, zur Sprache und seinem Volk erst nach und nach erkennbar werden, ließen Manger – als Mensch ständig am Abgrund – in der Zeit bis zum Überfall auf Polen zu einem anerkannte Poeten werden.
  Bereits 1935 war sich der Kritiker Lamed Shapiro anlässlich des Gedichtbandes „Chumensch-Lider“ (Fünfbuch-Lieder) sicher, dass Manger das Judentum, von seiner tiefsten Vergangenheit herauf in die Gegenwart in Worte gefasst habe, es also endlich einen Grund gebe, „Hitler-Mussolini-Japan für eine Weile zu vergessen“. Das „wundersame kleine Buch“ war zusammen mit dem im Jahr darauf vorgelegten „Megile-Lider“ (Esterrolle-Lieder), der Übersetzung von Büchners „Woyzeck“ und der Beteiligung an dem populären Musical „Jidl mitn Fidl“ zu einem Werk eines wahrhaft europäischen Dichters ausgewachsen. Und wenn es neben Mangers Schriften in diesem so reichen Buch von Gal-Ed etwas gibt, was von nun an nicht mehr übersehen werden darf, pathetisch formuliert: heute weniger denn je, dann ist es die Idee Europas. Wie sie von ihrem östlichen Rand her fragil und ausdrucksstark zugleich eine ganz eigenständige Eigensinnigkeit artikuliert, die um das Älteste weiß und von da aus die Schichten von Erinnerungen mitschleppt und sie, statt mittels kritischer Zerlegung, im Vertrauen auf die Unerschöpflichkeit der überlieferten „Geschichten“ mobilisiert, wird hier eindrücklich nachgewiesen.
  Erst von da aus wird ersichtlich, was mit dem Mord am osteuropäischen Judentum verloren ging. Dass mit den Menschen auch das Wissen stirbt, dagegen kommt kein Archiv und keine Melancholie an. Die Einfachheit von Mangers Dichtung, der nach dem Krieg auf höchst kunstvolle Weise schweigt und sein Verstummen als einzig angemessene Reaktion auf die Zerstörung des natürlichen Resonanzraumes zurückführt, ist uns heute ein Rätsel. Gal-Ed zeigt hier erste Wege, die Poesie wieder zum Sprechen zu bringen. Weitere Übersetzungen, vergleichende Studien mit anderen jiddischen Dichtern und Dichtungen wären hier sehr willkommen
  Wer sich Gal-Eds Studie als Wegweiser durch verschiedene Vergangenheiten nähern möchte, kann dazu auf ein äußerst gelungenes Gespräch der Autorin mit Ruth Reneé Reif in der Zeitschrift Sinn und Form (Heft 6/2016) zurückgreifen. Es bietet eine Einführung in Mangers Welt und kann mit dem wiederaufgelegten Auswahlband „Dunkelgold“ Gal-Eds Deutungen prüfen. In jedem Fall aber haben wir es bei dem Buch „Niemandssprache“ mit einer grandiosen Herausforderung zu tun.
Efrat Gal-Ed: Niemandssprache. Itzik Manger – ein europäischer Dichter. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 784 S., 44 Euro.
Itzik Manger: Dunkelgold. Gedichte. Jiddisch und deutsch. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Efrat Gal-Ed. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 431 S., 29,95 Euro,
Itzik Mangers Gedichtband „Laterne im Wind“ (1933).
Itzik Manger, aufgenommen in Paris im Jahre 1939.
Fotos (2): National Library of Israel
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
" Es lohnt sich überaus, Manger auf diesen ' Wegen der Sehnsucht ' zu begleiten und, in aller Ruhe, diese Seiten der Welt auch in sich selbst zum Klingen zu bringen. "
M. Lehmann-Pape, rezensionsseite.de März 2016
»... Efrat Gal-Ed gelang es, Lebensgeschichte und Werk Itzik Mangers in der Gesellschaftsgeschichte der Juden Europas zu orten und mit ihr zu verflechten.« Thomas Wohlfahrt Lyrik-Empfehlungen 2016