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Sie wollten vernünftig lieben, mit Maß und Respekt. Leidenschaftlich und doch voller Achtung für die Freiheit des anderen. Ein ganzes Leben haben Jerome und die Erzählerin von Anna Mitgutschs neuem Roman gebraucht, um ein Liebespaar zu werden, das den eigenen hohen Ansprüchen genügt. Doch dann stirbt Jerome plötzlich, und die Erzählerin versucht mit einer eindringlichen, bewegenden Totenklage, das Versprechen eines Neuanfangs einzulösen, über den Tod hinaus.
Es ist keine Liebe auf den ersten Blick, eher das Versprechen von Verlässlichkeit: zwei Menschen, einander nah und vertraut wie
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Produktbeschreibung
Sie wollten vernünftig lieben, mit Maß und Respekt. Leidenschaftlich und doch voller Achtung für die Freiheit des anderen. Ein ganzes Leben haben Jerome und die Erzählerin von Anna Mitgutschs neuem Roman gebraucht, um ein Liebespaar zu werden, das den eigenen hohen Ansprüchen genügt. Doch dann stirbt Jerome plötzlich, und die Erzählerin versucht mit einer eindringlichen, bewegenden Totenklage, das Versprechen eines Neuanfangs einzulösen, über den Tod hinaus.
Es ist keine Liebe auf den ersten Blick, eher das Versprechen von Verlässlichkeit: zwei Menschen, einander nah und vertraut wie Geschwister. Diese Nähe ist so stark, dass sie die dunklen Seiten ihrer Liebe und Ehe, Untreue, ihre einander oft ausschließenden Obsessionen und sogar die scheinbar endgültige Trennung übersteht. Jetzt, lange Jahre später, sieht es so aus, als gäbe es die Möglichkeit, noch einmal ganz neu anzufangen. Da geschieht das Unfassbare. Jerome stirbt. Verzweifelt versucht die verlassene Erzählerin, gegen die Realität des Todes aufzubegehren. Sie kämpft, als könnte sie den Toten zurückholen oder ihm wenigstens ein letztes Wort, ein Zeichen seiner Liebe abringen. Sie klammert sich an die verheißungsvolle letzte Begegnung, den letzten gemeinsamen Augenblick, die letzten Worte beim Abschied am Flughafen von Boston. Sie beschwört die Glücksmomente wie auch die gegenseitigen Verletzungen in ihrer langen Liebesgeschichte. Den gesellschaftlichen Ritualen der Trauer, den Bemühungen der Verwandten, ihr die Bedeutung als Ehefrau abspenstig zu machen, steht sie wehrlos gegenüber. Und doch gelingt es ihr in der gemeinsamen Trauer mit der erwachsenen Tochter, die Beziehung zum Ehemann und zum Vater in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit lebendig werden zu lassen.
Autorenporträt
Anna Mitgutsch wurde 1948 in Linz geboren. Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Salzburg. Dr.Phil. 1974 mit einer Dissertation über zeitgenössische englische Lyrik. Assistentin an der Amerikanistik der Universität Innsbruck, Lehrtätigkeit an britischen Universitäten (Hull University, University of East Anglia) und in Seoul, Südkorea.
Sie erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den "Solothurner Literaturpreis".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2010

Wo wir nicht gewesen sind
Anna Mitgutsch erzählt in ihrem neuen Roman „Wenn du wiederkommst“ von der Liebe zu einem Toten
Das Leben ist einfach zu kurz, und der Tod kommt immer zur Unzeit. 35 Jahre waren sie ein Paar, zwanzig davon verheiratet; aber erst seitdem sie getrennt lebten, auf verschiedenen Kontinenten, wuchs in beiden wieder die Zuneigung, in Jerome, dem amerikanischen Anwalt mit jüdischen Wurzeln, und in der namenlosen Ich-Erzählerin, einer Schriftstellerin aus Europa. Beim letzten Zusammentreffen in Boston geschah das Unerwartete: Jetzt, da „die Jugend vorbei ist und das Alter noch nicht bedrohlich erscheint“, glauben sie endlich reif füreinander zu sein. Eine gemeinsame Zukunft schwebt den Geschiedenen vor, in der sie einholen möchten, was sie sich einst versprochen und so lange versäumt haben. Doch kaum ist die Erzählerin nach Europa zurückgekehrt, um bald schon für immer zu Jerome zu ziehen, kommt der Anruf: der geliebte, verlassene und wiedergefundene Mann ist tot, gefällt von einem Herzinfarkt.
Seit der „Züchtigung“, ihrem Erstling aus dem Jahr 1985, streitet die Kritik über die Romane der 1948 in Linz geborenen Anna Mitgutsch, an der die einen ihre Fähigkeit rühmen, Erinnerung und Erfindung souverän miteinander zu verweben, die anderen feministische Strenge oder ideologische Verbissenheit zu tadeln haben. An ihrem neuen, dem neunten Roman „Wenn du wiederkommst“ wird sich der Streit nicht neuerlich entzünden können, ist er doch schlichtweg meisterlich.
Hier erzählt eine Autorin auf der Höhe ihres Könnens, fähig, aus ihrer Lebenserfahrung zu schöpfen, ohne autobiographisch auf sie verwiesen zu bleiben, ausgestattet mit einer Sprache, die für beides taugt, für atmosphärisch dichte und diskursiv luzide Passagen, für intime Stimmungen und gedankliche Exkurse. „Wenn du wiederkommst“ geht zu Herzen und gibt zu denken auf, ist eine Angelegenheit gleichermaßen für Gefühl und Verstand der Leserschaft.
Kampf einer Hinterbliebenen
Die Form des Romans wird vom Ablauf des jüdischen Trauerjahrs vorgegeben. Jerome, kaum religiös, ein Träumer und Lebenskünstler, der lauter unerledigte Projekte mit sich schleppt, doch zumal von den Frauen geliebt wird, entstammt einer orthodoxen jüdischen Familie. Die Erzählerin hingegen ist dem Judentum erst als seine Verlobte beigetreten, eine Sache, die bekanntlich gar nicht so leicht zu bewerkstelligen ist und für die es eine Reihe religiöser Examinationen zu bestehen gilt. In der Familie ihres Mannes ist sie trotz des bewusst vollzogenen Übertritts nie heimisch geworden.
Hier wird Anna Mitgutsch, die vor mehr als dreißig Jahren selbst zum Judentum konvertierte, aus eigener Erfahrung sprechen, denn vielen Juden wie Nichtjuden hat ein solcher Akt fast etwas Anrüchiges, als wollte sich jemand nachträglich den Status des Opfers aneignen, „eine Zugehörigkeit erzwingen“, die es gar nicht gibt, oder gar, als Deutsche oder Österreicherin, „einer schuldbeladenen Herkunft entfliehen“. Kommt hinzu, dass sich die Jüdin gewordene Frau aus Europa von Jerome hat scheiden lassen und seither von seiner Familie nicht mehr als deren Mitglied angesehen wird. Der Roman erzählt auf beklemmende Weise auch davon, wie eine Hinterbliebene um das Recht kämpft, als geliebte Frau, als trauernde Witwe jenes Mannes geachtet zu werden, der ihr Leben geprägt hat wie sie das seine.
Vom Tod Jeromes wird die Erzählerin telefonisch von der gemeinsamen Tochter Ilana unterrichtet, einer selbstbewussten Frau Anfang dreißig, die mehr vom Vater erzogen wurde, aber in den nächsten Wochen der Mutter, die so oft fort war, sehr nahe kommen wird. Nach dem Begräbnis folgt gemäß jüdischer Tradition die Schiwa, die einwöchige Trauerzeit, in der zum einen die Seele des Verstorbenen trauert, weil sie den Körper verlassen musste, und zum anderen die Familie beim Trauern von Freunden und Verwandten unterstützt wird, die sie im Haus besuchen, ihnen die Arbeit abnehmen und sie mit Geschichten über den Verblichenen trösten.
Diese Woche wird für die aus Europa angereiste Erzählerin zur Prüfung: Die meisten Verwandten verhalten sich abweisend, Freunde, die sie nicht kennt, erzählen Dinge aus Jeromes Leben, von denen sie nichts wusste, frühere Geliebte stellen sich ein, um ihr den Rang abzustreiten, die Frau seines Lebens gewesen zu sein. Eine Woche lang schläft sie fast nicht, spricht unablässig mit Jerome, der tot ist, und fragt sich, wie ihr gemeinsames Leben anders hätte verlaufen können. Zu spät hatten sie beide begriffen, dass es nur ein Leben gibt, und dass das Leben kurz ist, allzu lange waren sie mit ihren eigenen Leidenschaften beschäftigt, er hatte „seine Frauen und ich meine Bücher“, sein Beruf „verlangte Sesshaftigkeit und meiner Abwesenheiten“.
Auf die Schiwa folgt Scheloschim, die dreißigtägige Trauerzeit, in der die Besucher ausbleiben und sich für die Erben die Frage stellt, wie sie mit den Dingen des Toten verfahren sollen. Wenigstens jetzt gelingt es der Frau, sich gegen die bigotte Schwägerin, den abweisenden Schwager zu behaupten. Ihr obliegt es, in all den Schubladen und Truhen zu sichten, was Jerome einst aufgehoben und dann wohl vergessen hat. Er war ja ein Sammler, „von Münzen, Porzellan, Wein und Frauen“, und in diesem Reich regiert die Witwe durchaus herrisch, indem sie die zahllosen Fotografien und Briefe, die von flüchtigen Liebschaften und ernsten Beziehungen künden, ohne nachgetragene Eifersucht, aber mit dem Vorsatz entsorgt, sich ihr eigenes Bild von Jerome nicht nehmen zu lassen.
Die Sprache der Dinge
Mitgutsch zeichnet akribisch genau, wie sich die Trauer während der Schiwa, des Scheloschim, während des folgenden Trauerjahres verändert. Im Trauermonat verzehren Mutter und Tochter gerührt nach und nach die Speisen, die noch der Verstorbene im Kühlschrank verstaut hat. In der Wohnung erfahren sie das „Paradox, dass Jerome in allen Dingen anwesend und trotzdem nicht mehr da“ ist. Der Tochter wird es leichter fallen, in ihr eigenes Leben zurückzukehren, eben weil sie mit dem verstorbenen Vater so vieles gemeinsam erlebt hat. Der wahre Schmerz der Witwe gilt hingegen dem „Versäumten, Unterlassenen, dass wir viel zu wenig unternommen haben und an so vielen Orten, nach denen wir uns sehnten, nicht gewesen sind . . . “. Daran lässt sich nun nichts mehr ändern, und die Trauer darüber wird die Frau auf immer begleiten.
Dennoch ist dieser Roman mehr als der betörende Totengesang auf eine oft unglückliche Liebe. Die radikale Inventur einer Beziehung, eines Lebens in Trennung und Gemeinsamkeit, fördert nicht nur zutage, was alles missraten ist, sondern auch, wie viel Liebe all die Kränkungen überstanden hat – und überstehen wird, denn Anna Mitgutsch zeigt die trauernde Protagonistin bereits mit ihrer neuen Lebensaufgabe beschäftigt: eine Erinnerung zu erfinden, mit der sie wird leben und den verstorbenen Mann lieben können.
Er verdient es zweifellos, so wie er uns in dem Buch, das einsetzt, als er stirbt, ans Herz gewachsen ist, und sie verdient es nicht minder, tapfer wie sie sich Rechenschaft gibt und um das trauert, was ungelebt und ungesagt geblieben ist: „Wenn ich zwei Leben gehabt hätte, dann hätte ich ihm eines davon ohne Vorbehalte geschenkt, ganz und gar . . . Das andere, das zweite wäre für mich gewesen. Aber ich hatte nur eines, er musste teilen, mehr von mir herzugeben war mir nicht möglich, und meine Freiheit war eine andere als die seine.“
KARL-MARKUS GAUSS
ANNA MITGUTSCH: Wenn du wiederkommst. Roman. Luchterhand Verlag, München 2010. 272 Seiten, 19,90 Euro.
„Wenn ich zwei Leben gehabt hätte . . . “: Jüdischer Friedhof an der amerikanischen Ostküste Foto: vario images
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2010

Was lange währt, ist deshalb noch längst nicht gut

Mit dem Eifer der Konvertitin: Anna Mitgutschs neuer Roman "Wenn du wiederkommst" lässt erst eine Liebe und dann ein Leben sterben.

Liebe und Tod gehören zu den ewigen Themen der Literatur. Ihre Verbindung - inszeniert als Trauerspiel, Groteske, Romanze, Melodram oder Schicksalstragödie - hat über die Zeiten hinweg bewegende Kunstwerke hervorgebracht. Die lange Ahnenreihe literarischer Totenklagen veranschaulicht, wie groß der Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen zu allen Zeiten sein kann. Sie setzt zugleich aber auch einen hohen künstlerischen Maßstab, denn nicht jedes Zeugnis der persönlichen Trauer, so tief es auch empfunden sein mag, ist deshalb auch schon ein gelungenes Kunstwerk, dessen Lektüre über individuelle Anteilnahme und Einsicht in die Stadien der Trauer hinaus intellektuellen und ästhetischen Gewinn vermitteln kann.

So hat sich Anna Mitgutsch mit ihrem neuen Roman eine große Aufgabe gestellt, denn auch dieses Buch ist eine umfassende Totenklage. Auf den ersten Seiten lesen wir von der letzten Begegnung der in Österreich lebenden Ich-Erzählerin mit dem Amerikaner Jerome, dem Mann, den sie vor fünfunddreißig Jahren geheiratet und von dem sie sich vor fünfzehn Jahren getrennt hat, ohne dass ihre Liebe zu ihm je aufgehört hätte. Ein Neuanfang scheint möglich, doch der plötzliche Tod des herzkranken Jerome setzt allen Hoffnungen ein jähes Ende. So weit der Anfang. Die folgenden Kapitel erzählen von den Tagen und Monaten nach dem Schock der Todesnachricht, sie schildern Begräbnis und Trauerwoche, bei der sich die liebende Ex-Frau von den Verwandten und Freunden des Toten misstrauisch beobachtet und ausgegrenzt fühlt, weil sie keinen Status als rechtmäßige Witwe beanspruchen kann; sie beschreiben die wachsende Annäherung an ihre erwachsene Tochter, und sie berichten von der Erstarrung und der Einsamkeit, die die Erzählerin beim Leerräumen des einst gemeinsam bewohnten Hauses in Boston erlebt.

In langen Monologen entsteht allmählich die Chronik einer komplizierten Verbindung, in der unterschiedliche Lebensgeschichten und fremde Familientraditionen zusammenkamen. Während eines Fluges nach Israel hatte die junge, unbekümmerte Erzählerin vor fast vier Jahrzehnten ihren künftigen Ehemann kennengelernt. Damals konnte sie noch nicht wissen, dass er, Nachkomme europäischer Juden, in den israelischen Archiven später intensiv dem Schicksal seiner Tante nachspüren würde, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde.

Von den Lasten der politischen Geschichte ist in den Anfängen dieser transkontinentalen Liebe allerdings wenig zu spüren. Einige Jahre nach der ersten Zufallsbegegnung besucht die Erzählerin Jerome in seiner nordamerikanischen Heimat und entdeckt in ihm einen faszinierenden Unterhalter, einen einfühlsamen Liebhaber und einen vielseitigen Lebenskünstler, der ihr ein Leben als Königin an seiner Seite verspricht. Was wie eine kitschige Romanze beginnt, nimmt allerdings schnell kompliziertere Formen an. Denn Jerome verliert auch in seiner Ehe nicht seinen "unstillbaren Appetit auf alles, was das Leben ihm zu bieten hatte", wie seine Frau später seine notorische Untreue zu umschreiben versucht. Seit dem Beginn ihrer Verbindung musste sie Jerome mit anderen teilen. Später, beim Räumen des Hauses, entdeckt sie so viele Fotografien von seinen Freundinnen, dass sie am Ende "Müllsäcke voller Frauen" entsorgt, nicht ohne das Gefühl des späten Triumphes über ihre Rivalinnen.

Das Quantum der Affären mag übertrieben klingen, doch gehörte Maßlosigkeit zu den beständigsten Eigenschaften Jeromes, dessen Charme sich die Erzählerin auch nach der Scheidung nie entziehen konnte. Dass auch sie Trost und Ablenkung außerhalb ihrer Ehe suchte, wird nur angedeutet, wie wir überhaupt über ihr Leben, ihre Interessen und Arbeit kaum etwas erfahren. Jerome war ein begabter Anwalt, von dessen Erfolgen und Niederlagen in den Erinnerungen seiner Frau viel die Rede ist. Dass aber auch sie offenbar immer ein unabhängiges Leben als Schriftstellerin gesucht hat, wird nur beiläufig geschildert. Selbst ihr eigentlicher Name wird nicht genannt; nur einmal erwähnt sie, dass sie bei der Konversion zum Judentum, die aus Liebe zu ihrem Mann geschah, den neuen Namen "Michal" angenommen hat.

Man kann diese Diskretion der Erzählerin bedauern, und Spekulationen über Parallelen zur Biographie von Anna Mitgutsch - sie wurde 1948 in Linz geboren, ist also etwa so alt wie ihre Protagonistin, und auch sie hat viele Jahre in nordamerikanischen Universitätsstädten verbracht - mögen sich anbieten, bleiben aber für das Verständnis des Romans unerheblich. Denn dieses Buch ist kein Schlüsselroman, erforscht vielmehr geradezu obsessiv die Bedingungen einer komplizierten Liebe, die über Jahrzehnte hinweg absolute Nähe und Verschmelzung sucht, ohne die eigene Individualität aufgeben zu müssen. Dass dies im Grunde ein unmögliches Ziel ist, ahnen die Liebenden von Anfang an. Ihr rührender Verlobungsvertrag, den die Erzählerin in der Hinterlassenschaft ihres Mannes findet, ist ein Versuch, das paradoxe Ziel in klare Regeln zu fassen: Jeder sollte dem anderen sein Leben lang der nächste Mensch bleiben, "ohne ihn daran zu hindern, eigene Wege zu entdecken und ihnen zu folgen".

Jeromes Wege führten ihn nicht nur fortwährend zu anderen Frauen, sie waren zudem stark mit den Traditionen des liberalen Judentums verknüpft, und so wird der Roman unter der Hand auch zu einer Einführung in modernes jüdisches Brauchtum, was ihn mitunter etwas überladen erscheinen lässt. Ob Schabbat-Mahl, Rosch ha-Schanah oder die Pflicht zum Kadddisch-Gebet für den Verstorbenen - Mitgutschs Erzählerin erklärt alle diese Rituale mit dem Eifer der Konvertitin; ein Glossar am Ende des Buches listet noch einmal in schönster didaktischer Klarheit alle jüdischen Wörter und Begriffe auf.

Die existentiell empfundene Trauer folgt aber eigenen Gesetzen und ist nicht an die Regeln einer Religion gebunden. Nach Ablauf des Trauerjahrs liest die Erzählerin auf dem Grabstein die Botschaft der Hinterbliebenen an Jerome als Sohn, Vater, Bruder und Freund. Für sie als einstige Ehefrau, die damals die Scheidung gewollt hat, bleibt in dem ritualisierten Gedenken kein Ort. Diese Einsicht gehört zu den bitteren Erkenntnissen dieser Totenklage, die ihre Leser im Ungewissen darüber lässt, ob die Trauernde zu einem Neuanfang jenseits ihres Lebens mit Jerome finden wird. Dieser Verzicht auf wohlfeilen Trost verleiht diesem Buch trotz mancher Unausgewogenheiten in seinen Proportionen eine eigene Würde und Wahrhaftigkeit.

SABINE DOERING

Anna Mitgutsch: "Wenn du wiederkommst". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München. 2010. 272 S., geb., 19.95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eines scheint Rezensent Karl-Markus Gauß sicher: Der schon traditionelle Kritikerstreit über Anna Mitgutschs Romane wird bei ihrer neuen, einfach meisterlichen Erzählung "Wenn du wiederkommst" nicht ausbrechen. Auf der Höhe ihres Könnens erzähle die Autorin die unkonventionelle Liebesgeschichte zwischen einer europäischen Schriftstellerin und ihrem in Boston lebenden Mann, einem Anwalt mit jüdischen Wurzeln. Die eigentliche Handlung setzt aber erst ein, als der Geliebte stirbt: der Leser begleitet die namenlose Ich-Erzählerin durch das jüdische Trauerjahr. Nicht nur die ablehnende Haltung der Verwandten gegenüber der aus Liebe zu ihrem Mann zum jüdischen Glauben konvertierten Erzählerin, sondern auch das Entdecken verschiedener biografischer Details, mehrerer Liebhaberinnen zum Beispiel, muss die Witwe über sich ergehen lassen. Ihre eigene Lebenserfahrung kunstvoll verwebend, schildere die ebenfalls zum Judentum konvertierte Autorin akribisch genau und beklemmend, wie sich die Trauer während des Trauerjahres verändere, so der Rezensent. Dabei gehe der Roman aber über den "betörenden Totengesang" auf eine oft unglückliche Liebe hinaus; vielmehr gerate er zur "radikalen Inventur" einer Beziehung, bei der es letztendlich darum ginge, eine Erinnerung zu finden, mit der es sich leben lasse.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein herzergreifendes Kammerspiel" Falter
"'Wenn du wiederkommst' ist ein beeindruckendes Tagebuch der Trauer, eine Anatomie des Todes, ein souverän verfasster Cantus, bei dem selbst die Dinge des Alltags zu rätselhaften Chiffren des Abschieds werden."