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Ein märkischer Arzt will Nobelpreisträger werden - eine Provinzgroteske als Brennspiegel deutscher Geschichte
Günter Rochus Konarske ist ein angesehener und vollkommen skrupelloser Arzt. Er führt an Menschen Experimente durch, strebt allen Ernstes den Nobelpreis an, und seine Ehefrau kann neben diesem aufgeblähten männlichen Ego nur noch in der Welt der Oper Zuflucht nehmen. Zwei Lebensläufe, in denen der Aberwitz der letzten 60 Jahre deutscher Geschichte in einer Direktheit auflebt, als würde man diese Zeit noch einmal durchleben können.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wird in dem
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Produktbeschreibung
Ein märkischer Arzt will Nobelpreisträger werden - eine Provinzgroteske als Brennspiegel deutscher Geschichte

Günter Rochus Konarske ist ein angesehener und vollkommen skrupelloser Arzt. Er führt an Menschen Experimente durch, strebt allen Ernstes den Nobelpreis an, und seine Ehefrau kann neben diesem aufgeblähten männlichen Ego nur noch in der Welt der Oper Zuflucht nehmen. Zwei Lebensläufe, in denen der Aberwitz der letzten 60 Jahre deutscher Geschichte in einer Direktheit auflebt, als würde man diese Zeit noch einmal durchleben können.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wird in dem märkischen Dorf Lärchenau Günter Rochus Konarske geboren. Der Junge entwickelt sich prächtig, hat allerdings bizarre Vorlieben. Gläserne Spritzenkörper und Ampullen haben es ihm angetan, später ist er fasziniert von blitzenden Messern. Er studiert Medizin, macht als Arzt glänzende Karriere, erst in der DDR und dann auch in der Zeit nach deren Zusammenbruch. Von seinem Vater hat er dabei nicht viel übernommen. Dieser Mann, ebenfalls Arzt, hat sich rührend um seine Patienten gekümmert. Nach den Sprechstunden setzte er sich mit wehendem Schal ans Klavier und spielte Bach und Mozart, bis ihn die Nazis abtransportierten. Diese Sensibilität und dieser musische Sinn sind Günter fremd, für ihn zählt nur sein Ehrgeiz und eine diabolische Passion: Er erfindet Medikamente und probiert sie großzügig an Patienten aus, denn sein Ziel ist, eines Tages den Nobelpreis zu gewinnen. Selbst vor seiner eigenen Ehefrau Adele macht er dabei nicht halt, und diese, statt sich zu wehren, hat längst schon vor ihm kapituliert: Lieber sucht sie Zuflucht in schönen Träumen, wie sie die Oper "Der Rosenkavalier" in ihr anstößt, als von ihrem Mann wissen zu wollen, welche Injektionen sie täglich verabreicht bekommt ...

Kerstin Hensel hat einen ins Groteske umgeschlagenen Arztroman geschrieben. Ihre Figuren streben möglichst nach immerwährendem Glück, nach Liebe und Erfolg. Sie verfangen sich dabei aber immer weiter in ihren entgleisenden Lebensentwürfen. Über mehrere Generationen verfolgt Kerstin Hensel diese Traumtänzereien in der Familie Konarske. Wie in einem Brennspiegel gebündelt, lebt dabei auch die deutsche Geschichte der letzten sechzig Jahre wieder auf.

Autorenporträt
Kerstin Hensel wurde 1961 in Karl-Marx-Stadt geboren. Sie studierte am Institut für Literatur in Leipzig und unterrichtet heute an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin. Bei Luchterhand sind erschienen: die Gedichtbände "Bahnhof verstehen"ter"omane "Falscher Hase"au"vellen "Federspiel""Das verspielte Papier - über starke, schwache und vollkommen misslungene Gedichte"
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.08.2008

Ein Kessel Grobes
Kerstin Hensels Roman „Lärchenau” lässt es krachen, bis der Arzt kommt
Der Arztroman gilt als Synonym für maximalen Kitsch und minimale Raffinesse: schmachtende Frau, schöner Doktor, Liebesspiele, Heirat, Idylle. Ob allerdings ein ins Gegenteil gewendeter Arztroman – sadistischer Doktor, heulende Frau, Genmanipulationsspiele, keine Spur von Happy End – auch automatisch von den Risiken und Nebenwirkungen des Genres befreit, ist fraglich. Je nachdrücklicher die ironische Umkehrung ausgestellt wird, desto schlichter fällt im Allgemeinen ihre Botschaft aus.
Einen „ins Groteske umgeschlagenen Arztroman” verspricht der Klappentext von Kerstin Hensels Roman „Lärchenau”, und tatsächlich wird fast 450 Seiten lang sehr ausdauernd gespritzt, gezüchtet, gegrunzt, besamt, totgeboren und gestorben. Im märkischen Dorf Lärchenau, Schauplatz für das Wachsen und Vergehen von vier Generationen, haben Mensch und Tier ein ähnliches Schicksal und manchmal auch denselben Arzt. Doktor Gunter Konarske, der im Zentrum dieser weit ausgreifenden Familiengeschichte steht, legt zwar eine glänzende Karriere als Humanmediziner und Genforscher hin, hat aber immer auch die Zeugungskraft der Zuchteber in der LPG „Hoffnung” im Auge.
Dass er seine Wundermittel gleichzeitig an den Dorfbewohnern ausprobiert – die Fehlgeburten, „blutige Klumpen”, bewahrt er in Spiritus auf –, weist ihn als Karikatur des gewissenlosen Menschenzüchters aus, als Frankenstein, der gerne auch an der eigenen Frau herumexperimentiert. Konarske, Jahrgang 1944, verkörpert einen durch und durch widerwärtigen Typus, das wird dem Leser von Beginn an eingebläut: Was kann wohl aus einem Baby werden, das ausschließlich mit scharfkantigem Medizinalbesteck spielt? Ganz ähnlich Gattin Adele: Sie hält sich für eine leibhaftige Tochter des Führers, und so führt der Roman ein lächerlich finsteres Paar zusammen.
Überhaupt könnte man meinen, dass jede einzelne Figur, jedes Detail noch einmal eigens durch einen speziellen Derbheitswolf gedreht wurde, um den Umschlag ins Groteske so gründlich wie möglich zu erledigen. Der Weißkohleintopf bläht die Gedärme auf, Brüste sind „Prachtwummen”, und der heimlich schwule IM lässt im Wald vor seinem Opfer die Hosen runter. Selbst die Rosen müssen stinken in Lärchenau.
Im Dorfzombie-Panorama aus tumben, verschlagenen, schicksalsergebenen oder machtbesessenen Charakteren ist jede menschliche Schwäche vertreten. „Alles ist vergiftet” heißt die Romanformel, die vom pervertierten Forschergeist bis zum tödlichen Pilzkompott überdeutlich zur Anwendung kommt. Der Dialekt der direkten Rede erzeugt dabei den Provinz-Effekt. Kerstin Hensel, geboren 1961 in Karl-Marx-Stadt, lässt die Dorfbewohner permanent kieken, jrüßen und icke sagen: „Da hört sich denn doch de Weltjeschichte uff”, wundert sich das Volk beim Einmarsch des Russen.
Der massive Einsatz von Lokalkolorit geht einher mit wechselnder historischer Deko – Hitler-Bilder werden ab-, Stalin-Bilder aufgehängt, dann kommt Ulbricht und irgendwann das „Brudavolk”. „Ick kann det allet jar nich fassen”, haucht der LPG-Vorsitzende der sowjetischen Agraringenieurin ins Ohr, „Sie haben mir persönlich jezeigt, det wir in ’ner rewollutionären Zeit leben”. So krachledern zünftig geht es zu, dass die Groteske vor lauter „Jenossen”, Riesenwummen und Kuhpissekübeln im Grobgehackten versinkt. JUTTA PERSON
KERSTIN HENSEL: Lärchenau. Roman. Luchterhand, München 2008. 448 Seiten, 19,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2008

Die DDR als Schweinestall
Kerstin Hensel liebt es neuerdings animalisch

Die Kolportage tendiert seit dem neunzehnten Jahrhundert unwillkürlich zur Parodie ihrer selbst. Vorsätzliches Parodieren aber sterilisiert leicht das Träumerische im Trivialen und lässt das Kunstgewerbliche der Konstruktion hervortreten. Kerstin Hensel hat schon in "Falscher Hase" (2005) und "Im Spinnhaus" (2003) mit zwiespältigem Erfolg versucht, Heimatgeschichten aus der Berliner Region und dem Erzgebirge in Allegorien der deutschen Geschichte zu verwandeln. Nun hat sie eine märkische Dorfgeschichte als Arztroman verkleidet, dessen Handlung sie durch drei Epochen der deutschen Geschichte treibt, in der es zugeht wie im Schweinestall der LPG "Hoffnung".

Doktor Rochus Lingott betreut seine Patientinnen liebevoll, und das nicht nur mit pflanzlichen Balsamen. Über das Bild des Führers hat er eine Abbildung der Schierlingspflanze gehängt. Wer ihm den deutschen Gruß entbietet, dem wird zur Strafe eine Tasse Rizinusöl eingeflößt. Bevor er 1944 von der Gestapo abgeholt wird, zeugt er schnell noch ein Kind mit der Krankenschwester Rosie. Der Tupfer-Schlüpfer-Verbindung entspringt Gunter Konarske, der spritzende Held von Lärchenau, der Professor an der Charité werden wird. Diese Frankenstein-Knallcharge glaubt angeblich fest daran, dass er mit seinen Versuchen am lebenden Objekt, vorzugsweise an seiner Ehefrau Adele, die er versehentlich verjüngt, den Nobelpreis für Medizin erringen wird. Bei ihrem Spross Timm ist die genetische Disposition aber nicht durchgeschlagen, er wird Schlachter, außerdem schwul.

Mit seinen Wundermitteln hat Konarske vor allem bei Schweinen Erfolg. "Schon nach der ersten Injektion legte Prolet los, konnte nicht abwarten, bis ihm brünstige Sauen unterkamen, besprang im Deckstand ein Astloch, um sogleich kraftvoll abzusamen. Von Eden zur Sauherde umgeleitet, stand Prolet weiter unermüdlich im Dienst, schnaufte, grunzte, blies Schaum zwischen den Zähnen hervor, so dass die Begehrten aus ihrem Rausche nicht herausfinden wollten." Schlimmer geht es in der Menschenwelt zu. "Du dreckiges Tier", sagt Adele, bevor sie es mit dem Schlachtermeister treibt, während der vermeint, "in ihr eine abgebrühte Sau zu erkennen." Fortwährend wird nicht nur im Gasthof "Zum Ochsen" gesoffen und gefressen, gerülpst, gefurzt und gekotzt.

Was grotesk und provokant sein soll, wirkt bald nur noch nervtötend. Die Umkehrung von Orwells Allegorie der Schweine als Menschen tendiert überdies zum abstoßend Mitleidlosen. Einzig dem kunstsinnigen Doktor Lingott wird gelungenes Leben zugeschrieben, alle anderen Protagonisten werden höhnisch denunziert. Animalisch plantschen sie in der Jauche der deutschen Geschichte herum. Die wird auch stilistisch und kompositorisch als Gemetzel inszeniert. Erzählende Passagen, Milieubeschreibungen, fiktive Stasi-Berichte, deftige Dialoge in verschiedenen Dialekten und Chronistisches werden durch den Fleischwolf schlecht gemachter Satire gedreht und lieblos in die Form gestopft wie Innereien in die Pelle.

So gleicht das auf dem Umschlag als Mullbinden-Epos angekündigte Werk mehr einer geplatzten Riesenbratwurst, aus der fettig das Bindegewebe quillt. Es ist rätselhaft, warum Kerstin Hensel ihre sprachlichen Fähigkeiten wie ihren Vorrat an Beobachtungen und Kenntnissen in dieser plumpen Konzeption verhackstücken musste. Die Lösung ist vielleicht im verdreht Hasserfüllten ihrer Menschendarstellung zu finden. Hass aber ist selten produktiv.

FRIEDMAR APEL

Kerstin Hensel: "Lärchenau". Roman. Luchterhand Verlag, München 2008. 448 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hass als Movens für ein Buch hält Friedmar Apel für keine so gute Idee. Wieso Kerstin Hensel ihr Talent in einer derart "hasserfüllten Menschendarstellung" verpulvert, in einer Umkehrung der Orwell'schen Allegorie, in der die Menschen in einem märkischen Dorf zu Schweinen mutieren und in der fortwährend gesoffen, gerülpst und gekotzt wird, ist dem Rezensenten ein Rätsel. Der Wunsch, deutsche Geschichte zu verarbeiten, kann es kaum sein. Zu sehr scheint Apel das Animalische in den Vordergrund gestellt, scheinen ihm die Figuren mitleidlos denunziert zu werden. Mit seinem wilden Mix aus Milieu, Deftigkeit und Chronistischem geht ihm der Text auch stilistisch und kompositorisch schnell auf die Nerven. Für Apel ist das einfach schlechte Satire.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Kerstin Hensels Romane sind richtige Schätze: Sie bewahren - mit großer sprachlicher Präzision - Geschichten aus unserer Geschichte, die nur sie erzählen kann und die unter keinen Umständen verloren gehen dürfen." Die literarische Welt

"... eine der außergewöhnlichsten Schriftstellerinnen Deutschlands." dpa
"... eine der außergewöhnlichsten Schriftstellerinnen Deutschlands." dpa