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"Sie werden verstehen, daß ich Ihnen schreiben muß" - Christa Wolf eröffnet den Briefwechsel mit ihrer Namensvetterin Charlotte Wolff, weil sie bei der Lektüre von Wolffs Autobiographie unverhofft auf ihren eigenen Namen stößt. Denn Charlotte Wolff war auch Schriftstellerin, die bei der Lektüre von Christa Wolfs "Kein Ort. Nirgends" ein poetisches Bild entdeckte, das sie auf ganz ähnliche Weise in einem ihrer Gedichte verwendet hatte. "Meiner Ansicht nach ist es ein Wunder, daß ein solch ähnlicher poetischer Ausdruck von zwei Geistern geschaffen werden konnte", schreibt sie in ihrer…mehr

Produktbeschreibung
"Sie werden verstehen, daß ich Ihnen schreiben muß" - Christa Wolf eröffnet den Briefwechsel mit ihrer Namensvetterin Charlotte Wolff, weil sie bei der Lektüre von Wolffs Autobiographie unverhofft auf ihren eigenen Namen stößt. Denn Charlotte Wolff war auch Schriftstellerin, die bei der Lektüre von Christa Wolfs "Kein Ort. Nirgends" ein poetisches Bild entdeckte, das sie auf ganz ähnliche Weise in einem ihrer Gedichte verwendet hatte. "Meiner Ansicht nach ist es ein Wunder, daß ein solch ähnlicher poetischer Ausdruck von zwei Geistern geschaffen werden konnte", schreibt sie in ihrer Autobiographie. Der Briefwechsel handelt oft von solchen "Wundern", von Koinzidenzen und Zusammentreffen, die die Rationalität zunächst herausfordern. Denn es ist die Zeit, als Christa Wolfs "Kassandra" gerade veröffentlicht war, in der sie die Frage nach der selbstzerstörerischen Tendenz in der Zivilisation des Abendlandes zum Ursprung patriarchaler Strukturen zurückverfolgt. Meist aber ist von Persönlichem die Rede, davon, ob sich für Charlotte Wolff am Ende eines langen Lebens im Exil so etwas wie Heimat einstellen kann, von den Herausforderungen und Erschöpfungen immer wieder sich neu anbahnender Projekte. Christa Wolf arbeitet während des Briefwechsels unter anderem auch an der Konzeption von "Sommerstück", Charlotte Wolff schreibt an ihrer großen Biographie zu Magnus Hirschfeld, dem Pionier der Erforschung der menschlichen Sexualität. Es wird ihr letztes Buch sein, sie stirbt im September 1986. So bleibt beider immer wieder ausgesprochener Wunsch, einander zu begegnen, unerfüllt.
Autorenporträt
Christa Wolf, 1929 in Landsberg an der Warthe geboren, lebt mit ihrem Mann Gerhard Wolf in Berlin. Sie zählt zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart; ihr umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk wurde in alle Weltsprachen übersetzt und mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR (1963), dem Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (1977), dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt (1980), dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur (1985), dem Geschwister-Scholl-Preis der Stadt München (1987), dem Nationalpreis 1. Klasse für Kunst und Literatur (1987), der Ehrendoktorwürde der Freien Universität Brüssel (1990), dem Orden Officier des Arts et des Lettres (1990), dem Elisabeth-Langgässer-Preis (1999) und dem Nelly Sachs-Preis (1999). 2009 wurde Christa Wolf zur Ehrenpräsidentin des P.E.N. ernannt. 2010 erhielt sie den Thomas-Mann-Preis für ihr Lebenswerk.
Im Dezember 2011 verstarb Christa Wolf in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2004

Sehnsucht nach Verdoppelung
Abnehmender Selbstbetrug: Christa Wolf in Briefen und Bildern

Anfang der neunziger Jahre schrieb Christa Wolf im Vorwort eines Bildbandes zu Anna Seghers, jener Schriftstellerin also, von der sie so vieles gelernt, über die sie vielfältig gearbeitet hat: "Nein, ich kann diese Bilder nicht zum Sprechen bringen. Als ich die Fotos, die in diesem Band versammelt sind, nacheinander ansah, fiel mir ein, wie oft ich seit Anna Seghers' Tod gedacht habe, ich würde noch einmal über sie schreiben müssen, so, als hätte ich noch nie über sie geschrieben ... Daß ich ,objektiv' sein würde, habe ich nicht erwartet oder gewünscht. Im Gegenteil, ich bin sicher, mit Distanz und Kühle würde ich ihr nicht besser gerecht werden als mit jenem lebhaften, warmen Interesse, das ich von Anfang an für sie empfand und das mir geblieben ist, über ihren Tod hinaus. Nun hat die Umwertung aller Werte auch sie erfaßt ..."

Es ist ein Buch erschienen, in dem alles versammelt ist, was Christa Wolf in Interviews mit Anna Seghers gesprochen, mit ihr in Briefen besprochen und was sie über sie geschrieben hat, und darin steht auch der letzte Text Christa Wolfs zum hundertsten Geburtstag von Anna Seghers aus dem Jahre 2000. Er ist eine Abfolge von nachgetragenen "Begebenheiten" und Anekdoten, und gerade sie lesen sich, bei aller Achtung, distanzierter als alles andere in diesem Bändchen. Oder jedenfalls objektiver, auch befreiter. Und gleich anfangs stellt Christa Wolf die Fragen: "Hat es für sie zeitlebens das ,richtige' Publikum gegeben? War nicht auch in der übermäßigen Verehrung, die ihr in der DDR von ihren Lesern entgegengebracht wurde, ein gut Teil - oder ein schlecht Teil - Verkennung, zu schweigen von der bis zur Gehässigkeit gehenden Ablehnung, die sie immer wieder von anderer Seite auf sich zog, bis heute auf sich zieht?"

Solche Fragen nach Bildern und Lebensbildern, nach ihren Wirkungen und Ansichten könnte man nun auch an Christa Wolf selbst stellen anläßlich eines Bildbandes, einer "Biographie in Bildern und Texten", die zu ihrem fünfundsiebzigsten Geburtstag erschienen ist. Deren Herausgeber, Peter Böthig, ebenso wie Angela Drescher, die Herausgeberin des Seghers-Buchs, im Bildband als dem Hause Wolf befreundet erkennbar, eröffnet den Band nicht mit einer Frage, sondern mit der Sentenz: "Wohl jeder Leser, jede Leserin von Christa Wolf wird Sätze von ihr aufsagen können, die er eine Zeit seines Lebens mit sich getragen hat, Sätze, die ihn in Frage stellten, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Von Buch zu Buch schuf sie ein eigenes, unverwechselbares und glaubwürdiges geistiges Universum und blieb doch nah bei ihren Lesern."

So vollmundig hat Christa Wolf nie über Anna Seghers geschrieben, auch nicht in den fünfziger, den sechziger Jahren, als sie eher noch Funktionärin im Literaturbetrieb der DDR war denn Schriftstellerin - die wurde sie erst 1961 mit der "Moskauer Novelle", die sie später mit Recht aus ihrem Gesamtwerk verstoßen hat - und als sie sich im Überschwang des sozialistischen Startens sehr kurzfristig zur harmlosen und wegen ihrer Harmlosigkeit bald aufgekündigten Mitarbeit mit den geheimdienstlichen Genossen einließ. Ihre ideologisierte Parteilichkeit überkommt sie nachlesbar nur einmal, 1959 im Gespräch mit Anna Seghers über deren "Entscheidung", als sie sagt, sie finde es richtig, daß im Buch eine Figur "der anderen Seite" erschossen wird, und daß sie sich für ",unsere' Leute durchweg mehr interessiert (habe) als (für) ,die anderen'". Vermutlich ärgert diese Äußerung, obwohl literarisch-strategisch gemeint, Christa Wolf noch heute.

Denn sie hat sich bald nach Erscheinen ihres ersten seriösen Buchs "Der geteilte Himmel" auf einen langen Weg gemacht, der im Bildband zutreffend mit dem Zitat eröffnet wird, das über diesen Jahren 1960 bis 1965 steht: "Mich interessiert das Subjekt, das hinter dem Geschriebenen steht." Und dieses Subjekt war vor allem sie selbst: "Diese Sehnsucht, sich zu verdoppeln, sich ausgedrückt zu sehen, mehrere Leben in dieses eine schachteln, auf mehreren Plätzen der Welt gleichzeitig sein zu können - das ist, glaube ich, einer der mächtigsten und am wenigsten beachteten Antriebe zum Schreiben." Das hat Christa Wolf 1965 formuliert, drei Jahre bevor sie Max Frisch in der Sowjetunion auch persönlich begegnete - unverkennbar, daß sich auf solch einer Schreibsehnsucht eine Geistes- und Schreibverwandtschaft aufbauen konnte. Ein Jahr vor dieser Begegnung, 1967, hatte Christa Wolf ihr Manuskript "Nachdenken über Christa T." abgeschlossen - vielleicht war beides nun ein Grund für die Staatssicherheit, im Februar 1969 Christa und ihren Mann Gerhard Wolf genauer unter Beobachtung zu nehmen; jedenfalls datiert von da ihre Akte "Operativer Vorgang Doppelzüngler", die bis 1989, dem Ende der alten DDR, ins Unermeßliche anschwoll. Erst danach ist "Nachdenken über Christa T." erschienen.

Das Subjekt hinter dem Geschriebenen zu entdecken, den Menschen hinter einer unselbstverständlich gewordenen Realität zu orten wie in "Kindheitsmuster" (1976) und in "Kein Ort. Nirgends" von 1979 und im schon damals entstandenen Manuskript "Was bleibt" und gleichwohl mit solch gewonnener Erkenntnis über die Schwierigkeiten der Verständigung zwischen innerem Bedürfnis und äußerer Anforderung konsequent den eigenen Weg zu gehen wie in "Kassandra" (1983): die Überschriften der einzelnen Kapitel dieses sehr gut gemachten Bandes - Zitate als Wegmarken - benennen den inneren, den literarischen Weg der Christa Wolf.

Bilder machen diesen Weg anschaulich: vom unverbrüchlich getreuen Lebenspartner und wichtigsten kritischen Arbeitsecho Gerhard Wolf, von den Töchtern, den Enkeln, den Freundinnen und Freunden, dann den mit der Zeit immer berühmter werdenden Kolleginnen und Kollegen und schließlich auch die - immer spärlicher werdenden - Bilder von den offiziellen Gelegenheiten.

Selten strahlt ein Bildband über einen Menschen so viel Aura aus, aber Aura nicht als distanzierender Schein, sondern als sympathetisches Angebot. Man betrachtet lang die Bilder, die etwas Selbstverständliches haben, und empfindet sich nicht als Voyeur: blickt in die Wohnung, in die privaten und in die Arbeitsräume, in die Augen der abgebildeten Personen und immer wieder in die ausdrucksvollen Augen von Christa Wolf selbst: neugierig, skeptisch, freundlich, voller Empathie und Offenheit.

Was da schauend erkennbar wird, offenbart auch ein drittes Buch: Christa Wolfs Briefwechsel mit der 32 Jahre älteren Charlotte Wolff, einer deutschen Jüdin, Ärztin und Psychologin, die 1933 Deutschland verließ, in Paris und schließlich in London lebte, wo sie 1986 gestorben ist. Charlotte Wolff hat ihr Leben lang für die öffentliche Anerkennung von Bisexualität und Homosexualität gefochten, und sie hat die menschliche Hand als Ausdruck der menschlichen Natur studiert - Christa Wolf schrieb postum über sie, 1997: "Sie war unglaublich aufnahmebereit für alle Schwingungen zwischen Menschen, die kein Apparat messen kann, und sie war wie ein Medium für Vorahnungen, für die oft wunderbaren Zusammenhänge, die uns ,passieren' und die wir meistens nicht wahrnehmen, weil wir zu abgestumpft sind." Der Satz macht verständlich, warum sich die beiden in all ihrer Lebensdifferenz auf Anhieb verstanden, nachdem sie 1983 durch einen Brief Christa Wolfs Verbindung zueinander bekamen: Über sechzig Briefe wechselten die beiden in den dreieinhalb Jahren bis zu Charlottes Tod, und sie kommen sich, obgleich sie sich nie sehen, nur ein paarmal miteinander telefonierten, ganz nahe.

Im Februar 1984, nach "Kassandra", schreibt Christa an Charlotte: "Wissen Sie, daß Sie und Ihre Briefe mich sehr ermutigen? Ermutigen zu dem, was ich eigentlich auch denke und empfinde: Daß man, auch bei schlechten Zukunftsaussichten, nicht zaghaft leben soll. Übrigens kann ich es gar nicht. Ich habe schon drei Enkelkinder ... In den letzten Jahren habe ich, glaube ich, einen großen Schritt in Richtung auf innere Freiheit, Unabhängigkeit, Autonomie getan: Von Ideologien und falschen Idealen. Und von den dazugehörigen Institutionen. Jetzt erfreue ich mich oft einer Gelassenheit, die ich früher kaum für möglich gehalten hätte." Genau ein Jahr später - in den Briefen hat sich inzwischen das Du ergeben - schreibt Charlotte hinsichtlich der Anfälligkeit zum Selbstbetrug: "Aber ich bin überzeugt, daß Du (wie ich auch) das nicht nur wissen, sondern den Weg zur absoluten Selbstehrlichkeit gefunden haben. Das ist die wahre Erlösung des Menschen. Und falls man von Emanzipation spricht (ein Wort, das mir zum Hals raus wächst), die einzige Emanzipation ist - worth having -." Worauf Christa Wolf antwortet: "Übrigens stimme ich Dir zu: Selbstbetrug, Eitelkeit scheinen im Alter, beim Altern eher abzunehmen. Und das wird mir auch immer deutlicher, daß die Realität, die ich darzustellen habe, mir durch Selbstkenntnis und den sich erweiternden Zugang zu meinem Unbewußten vermittelt wird. Trotzdem bricht immer mal wieder Trauer durch, wenn mir klar wird, wie weit und auf welchen Gebieten ich durch meine Lebensgeschichte ,brainwasted' bin - und um wieviel mehr so viele Angehörige gerade meiner Generation es sind. Das muß ich wohl schreiben."

Wer so denkt, den muß persönlich tief getroffen haben, was nach 1989, ausgehend von der Kritik an ihrer Erzählung "Was bleibt", über ihr ganzes Werk geschrieben wurde: Es sei einer Ästhetik der Gesinnung verpflichtet gewesen. Nichts falscher als dies: Es wurde mit hiesiger wie dortiger Gesinnung gelesen und wahrgenommen. Das wissen inzwischen auch Christa Wolfs kritische Leser.

HEINZ LUDWIG ARNOLD.

Christa Wolf/Anna Seghers: "Das dicht besetzte Leben". Briefe, Gespräche und Essays. Herausgegeben von Angela Drescher. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2003. 236 S., br., 7,95 [Euro].

Christa Wolf/Charlotte Wolff: "Ja, unsere Kreise berühren sich". Briefe. Luchterhand Literaturverlag, München 2004. 160 S., geb., 15,- [Euro].

Christa Wolf: "Eine Biographie in Bildern und Texten". Herausgegeben von Peter Böthig. Luchterhand Literaturverlag, München 2004. 224 S., geb., 35,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Selbst ihre Initialen waren gleich, und auch sonst fühlten sich die beiden Frauen in Gedanken und Ideen eng miteinander verbunden, die sie einander per Brief über viele Jahre mitteilten, schreibt Verena Auffermann über den Briefwechsel Christa Wolfs Wolf mit der Psychiaterin Charlotte Wolff. Diese, Jahrgang 1897, war eine Generation älter als Christa Wolf; sie emigrierte 1933 erst nach Paris, floh dann nach London, schrieb Bücher über die gleichgeschlechtliche Liebe und verfasste eine Biografie über den Sexualforscher Magnus Hirschfeld. Was das Thema Sexualität angeht, antwortet Christa Wolf "wie eine errötende Schülerin", hält Auffermann fest, die auch sonst trotz gedanklicher Nähe gravierende Unterschiede zwischen den beiden Frauen sieht. Für Wolff hieß Fortgehen Fortschritt, führt die Rezensentin weiter aus, für die andere, familiengebundene Wolf bot sich keine überzeugende Alternative zum Dableiben. Nach Wolffs Tod im Jahr 1986 weihte die Brieffreundin eine Berliner Oberschule auf deren Namen, so Auffermann, doch leibhaftig kennen gelernt hätten sich die beiden Frauen nie.

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