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Zu Beginn dieses meisterhaften Debütromans liegt Vishnu sterbenskrank auf der Treppe, auf der er wohnt, seine Nachbarn streiten sich darüber, wer den Krankenwagen bezahlt. Während sich die Handlung allmählich durch die Stockwerke des Mietshauses nach oben schraubt, werden wir in die Lebensdramen der verschiedenen Bewohner hineingezogen: die ständigen Zänkereien zwischen den Asranis und den Pathaks; die besessene Suche Mr. Jalas, eines Muslims, nach dem Sinn von Leben und Religion, während seine Frau um seinen Verstand fürchtet; Vinod Tanejas Sehnsucht nach seiner Frau, die er schon vor vielen…mehr

Produktbeschreibung
Zu Beginn dieses meisterhaften Debütromans liegt Vishnu sterbenskrank auf der Treppe, auf der er wohnt, seine Nachbarn streiten sich darüber, wer den Krankenwagen bezahlt. Während sich die Handlung allmählich durch die Stockwerke des Mietshauses nach oben schraubt, werden wir in die Lebensdramen der verschiedenen Bewohner hineingezogen: die ständigen Zänkereien zwischen den Asranis und den Pathaks; die besessene Suche Mr. Jalas, eines Muslims, nach dem Sinn von Leben und Religion, während seine Frau um seinen Verstand fürchtet; Vinod Tanejas Sehnsucht nach seiner Frau, die er schon vor vielen Jahren verloren hat; die Teenagerträume von Kavita Asrani, die sich als Heldin eines Hindi-Films sieht und eines Nachts heimlich mit dem Muslim-Jung en Salim durchbrennt. Die Geschichte dieses Mietshauses wird zu einer Metapher für die sozialen und religiösen Spaltungen im heutigen Indien, und Vishnus Aufstieg im Treppenhaus spiegelt die Wanderung der Seele durch die verschiedenen Seinsstadien wider. Seine Erinnerungen und Visionen - Erinnerungen an die schöne Padmini, die er mehr als alles andere auf der Welt liebte, obwohl sie eine Hure war; Erinnerungen an seine Mutter, die ihm alle Legenden über den Gott Vishnu beibrachte; Visionen, die an Szenen aus den heiligen Schriften des Hinduismus erinnern - bilden die mit Witz und liebevoller Ironie geschilderten Geschichten der Hausbewohner ab und geben dem Leser Rätsel auf: Ist Vishnu womöglich der Gott Vishnu, nicht nur der Hüter des Mietshauses und seiner Bewohner, sondern der Erhalter des gesamten Universums?
Autorenporträt
Manil Suri wurde 1959 in Bombay (Mumbai) geboren. Mit zwanzig begann er in den USA Mathematik zu studieren. Manil Suri ist ordentlicher Professor für Mathematik und Statistik an der University of Maryland Baltimore County. Seit 1990 hat er die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2002

Der Milchmann von Bombay
Instant-Indien: Manil Suris globalisierter Roman "Vishnus Tod"

Im Jahr 1997 wurde in Indien ein heftiger Streit um Salman Rushdie geführt. Diesmal ging es nicht um Religion und Wahn, sondern um Sprache und Kolonialismus. Zusammen mit Elizabeth West hatte Rushdie eine monumentale Anthologie herausgegeben und mit dem "Vintage Book of Indian Writing" den Anspruch erhoben, die indische Literatur des halben Jahrhunderts zwischen 1947 und 1997 vorzustellen (F.A.Z. vom 13. November 1997). Allein unter den Dutzenden Autoren war ein einziger, der in einer der achtzehn offiziellen Staatssprachen Indiens schrieb, alle anderen bedienten sich des Englischen. Viele indische Autoren leben heute in Großbritannien, den Vereinigten Staaten oder Kanada; dennoch mußte eine Auswahl, die der ganzen indischen Literatur galt und doch eine Sprache bevorzugte, die keine fünf Prozent der Bevölkerung als ihre Erst- oder auch nur Zweitsprache verwenden, auf Kritik stoßen. Die Empörung unter indischen Autoren, die etwa in Urdu, Hindi, Bengali oder Dogri schreiben, war denn auch groß. Tatsächlich identifiziert Rushdie die indische Literatur fast vollständig mit jenen Autoren, die an englischen Universitäten ausgebildet wurden, irgendwo im angloamerikanischen Raum leben und über Indien für ein Publikum schreiben, das von Indien in der Regel fast nichts weiß.

Der enorme Erfolg, den etliche dieser Autoren in den letzten Jahren weltweit hatten, mit den grandiosen Romanen eines Salman Rushdie, Vikram Seth, Amitav Gosh, Rohinton Mistry, einer Anita Desai oder Arundhati Roy, ist ohne das Englische als universelle Sprache und die Orientierung auf eine mehrheitlich nichtindische Leserschaft gar nicht denkbar. Daß die angloindischen Erzähler schon beim Schreiben Leser vor Augen haben, die nicht in Indien leben, hat Folgen für das, was sie erzählen, und dafür, wie sie es tun. Ihr Blick auf Indien ist ein anderer, als ihn jene haben, die im Lande selbst leben und in einer der Volkssprachen publizieren. Besonders deutlich wird dies bei einem Autor, der bisher völlig unbekannt war und nun, mit seinem Erstling, gleich global vermarktet wird.

Manil Suri, 1959 in Bombay geboren, ging als Zwanzigjähriger nach Amerika, wo er heute als anerkannter Fachmann für Numerische Mathematik an der University of Maryland lehrt. Vor ein paar Jahren hat der Professor einen Schreibkurs des Pulitzer-Preisträgers Michael Cunningham besucht. Das blieb nicht ohne Folgen.

Was soll man sagen? Nicht daß es ein schlechtes Buch wäre! Es hat Witz und Sinnlichkeit, führt in eine reizvoll fremde Welt und handelt vor exotischer Kulisse die großen Themen ab, Liebe, Gewalt, Religion, Tod. Das Buch hat nur einen Fehler: Es bietet genau das, was man sich im Kurs für Creative Writing inzwischen unter einem prallen Dritte-Welt-Roman vorstellt, und es ist gerade so gearbeitet, wie man das von einem Text erwartet, aus dem nach den Gesetzen des numerischen Marketing ein internationaler Bestseller werden soll. Manil Suri übererfüllt das Programm, das ist seine Schwäche, es ist, als suchte er alles, wofür Indien in der Welt steht, in einen Roman zu zwängen, der spannend und philosophisch, sentimental und satirisch, sozialkritisch und erotisch in einem sein möchte: Askese und Kamasutra, Gewalt und Lehre der Gewaltlosigkeit, Armut und Lebensfreude, Müll und Meditation.

Ein Mietshaus in Bombay. Vishnu liegt an der Krümmung, die die Treppe zwischen Erdgeschoß und erstem Stock macht, und stirbt. Hier hat er viele Jahre gewohnt, seitdem er sich Platz und Beruf von seiner Vorgängerin um teure Rupien gekauft hat. Seine Pflicht ist es, den Parteien die Milchflaschen hinauf- und hinunterzutragen und ein paar Besorgungen für sie zu erledigen. Dafür darf er hier wohnen, hat Anrecht darauf, respektiert zu werden und von den Bewohnern ein wenig Tee und Gebäck zu bekommen. Jetzt aber stirbt er, und die Probleme, die er den Hausbewohnern dadurch schafft, daß sie ihn nicht auf ihre Kosten ins Spital bringen lassen wollen, hält die äußere Handlung des Romans in Gang. Die innere wird von den Halluzinationen und Erinnerungen gebildet, die dem Sterbenden durch das erlöschende Bewußtsein ziehen. Entsprechend hinduistischen Vorstellungen erlebt Vishnu einen Prozeß der Entkörperlichung; während ihn die Hausbewohner noch unter seiner Decke liegen sehen, sein Röcheln hören, seine Ausdünstungen riechen, steigt seine Seele bereits Stockwerk um Stockwerk höher. Diese Seelenwanderung, vom Erdgeschoß bis unter das Dach, bietet dem Autor reichlich Gelegenheit, die Hausbewohner mit ihren familiären Problemen, sozialen Konflikten, privaten Wunschträumen und kollektiven Ressentiments vorzustellen.

Die erzählerische Wanderung durch den sozialen Kosmos des Hauses wie die Wanderung der Seele hinaus in den Kosmos gestaltet Manil Suri geschickt als doppelte Bewegung. Mit einem bemerkenswerten Kunstgriff erzählt er das gegenwärtige Geschehen in der Erzählzeit des Präteritums, während er die weit in die Kindheit zurückreichenden Erinnerungen Vishnus im Präsens darbietet. Dadurch gelingt es ihm einerseits, die bedrängenden Vorkommnisse im Haus in ironische Distanz zu rücken und andrerseits am sterbenden Vishnu die philosophische These zu veranschaulichen, daß am Ende dem Menschen alle seine Zeiten in eins fallen. Vishnu widerfährt die Entkörperlichung paradox als befreiender Verlust: Indem er auf seinen eigenen Körper niederschaut, sieht er den "Raum, den er in der Welt einnimmt. Er hat so hart daran gearbeitet, seinen Raum abzustecken. Jeder Zentimeter, den sein Körper gewachsen ist, jede Zelle, die er geschaffen hat, jedes Haar, jede Wimper hat Raum gebraucht. Er hat ihn der Außenwelt abgetrotzt, hat ihn Stück für Stück wie aus hartem Gestein herausgemeißelt. Er hat ihn gehütet, ihn gehortet, seinen Körper in seine Grenzen gezwungen. Er haßt es, diesen Raum aufgeben zu müssen."

In der bald satirischen, bald melancholischen Sicht auf die Hausgemeinschaft hat der Roman starke Passagen. Aber bei allem kompositorischen Geschick, trotz klug kalkulierter Themenwechsel, abwechslungsreicher Handlung - warum vermag der Roman nicht zu überzeugen? Was ist es, das ihn, erst gar im Vergleich zu Rohinton Mistrys themenverwandtem Roman eines Mietshauses von Bombay, "Das Kaleidoskop des Lebens", als bemühte Etüde erscheinen läßt? Es ist die Absicht, die verstimmt, weil man sie hinter jedem Einfall, jeder Wendung und Figur allzu deutlich merkt. Die Figuren stehen nicht so sehr für sich als für eine bestimmte Facette im sozialen Gefüge Indiens; selbst seine besten Einfälle bezieht der Autor auf ein Schema zurück, und reichlich bietet er exotische Ingredienzen auf, um seinem in alle Welt verstreuten Publikum das Bild eines farbenprächtigen Subkontinents zu zeigen.

Kommt hinzu, daß der Roman dazu neigt, ins Extrem zu kippen: Wenn es leidenschaftlich wird, geraten die Szenen kitschig, als wären sie für einen Heftchenroman geschrieben, wenn aber Vishnus religiöse Erfahrungen anstehen, neigen sie zum theologischen Traktat. Ironisch ist viel von den in Indien so populären Hindi-Filmen die Rede, aber "Vishnus Tod" scheint selbst als Vorlage für einen Hollywood-Film verfaßt worden zu sein. Manil Suri hat einen Roman geschrieben, der gewiß viele Leser finden wird. Denn der Autor hat fast nichts und fast niemanden vergessen. Außer dem Wesentlichen hat dieser Roman fast alles zu bieten. Und das ist auf merkwürdige Weise zuviel und zuwenig zugleich.

KARL-MARKUS GAUSS

Manil Suri: "Vishnus Tod". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Anette Grube. Luchterhand Verlag, München 2001. 399 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Was für ein Szenario! denkt die Rezensentin. Ein Stoff, wie geschaffen für ein zorniges Sozialdrama. Allein es ist: eine Komödie. Eine, die im übrigen nach der Bühne oder der Kinoleinwand geradezu schreit, wie Katharina Granzin anmerkt. Die turbulente Handlung um das Leben und Leiden der ("wunderbar ironisch gezeichneten") Bewohner eines Bombayer Mietshauses, um Hindus im Clinch mit muslimischen Nachbarn, hätte ihr allerdings vollauf genügt. Wozu das Ganze mit Hilfe künstlicher Symbolik zum religiös-mythologischen Götterreigen stilisieren? Sofern jemand wirklich erzählen kann, findet Granzin, tun's auch "die kleinen Dinge".

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