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Paris in den fünfziger Jahren: Als Soffie, die jungen Deutsche, sich auf Raphaels Anzeige hin als Hausmädchen vorstellt, ist er sogleich gefangen von ihrer rätselhaften distanzierten Aura. Er, der erfolgreiche Konzertflötist aus gutbürgerlichem Hause, stürzt sich in diese Liebe und ehelicht Soffie Hals über Kopf. Doch diese scheint wie hinter einer Wand aus Eis zu leben. Bald schon wird deutlich, dass weder Raphaels Liebe noch der wenig später zur Welt kommende Emil Soffie in eine heitere, liebevolle Frau verwandeln können. Erst als Raphael sie mit einem Auftrag zu dem Instrumentenbauer…mehr

Produktbeschreibung
Paris in den fünfziger Jahren: Als Soffie, die jungen Deutsche, sich auf Raphaels Anzeige hin als Hausmädchen vorstellt, ist er sogleich gefangen von ihrer rätselhaften distanzierten Aura. Er, der erfolgreiche Konzertflötist aus gutbürgerlichem Hause, stürzt sich in diese Liebe und ehelicht Soffie Hals über Kopf. Doch diese scheint wie hinter einer Wand aus Eis zu leben. Bald schon wird deutlich, dass weder Raphaels Liebe noch der wenig später zur Welt kommende Emil Soffie in eine heitere, liebevolle Frau verwandeln können. Erst als Raphael sie mit einem Auftrag zu dem Instrumentenbauer Andros, einem ungarischen Juden, schickt, ändert sich alles. Zwischen Soffie und Andros ist es der "coup de foudre" ... Andross beginnt, mit der Spitze seines Zeigefingers ihr Profil nachzuzeichnen, er fähr zart zwischen den Brauen hinunter, folgt dem schmalen Kamm der Nase und gleitet in das Grübchen zwischen Nasenwurzel und Lippen. "Hier", sagt er, "legt der Engel unmittelbar vor der Geburt ei nen Finger auf die Lippen des Babys - Pssst!, und das Kind vergisst alles. Alles, was es vorher, im Paradies, gelernt hat. Auf diese Weise kommt es unschuldig zur Welt."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2001

Dreiecksverhältnis in Paris
Geschichtscocktail: Nancy Hustons Roman "Das Engelsmal"

Eine Deutsche, ein Ungar und ein Franzose treffen sich in Paris. Es ist Frühling, die Franzosen haben die Stühle vor ihre Cafés geschoben, sie lesen Sartre, man liebt sich lang und ausführlich, denn dies ist ein französischer Roman, und auch sonst gleicht die Welt einem Abziehbild.

Man schreibt das Jahr 1957, die Erinnerung an den Weltkrieg ist noch frisch, sie steht den familiären und amourösen Bindungen der Beteiligten im Wege. Die Mutter des Franzosen beispielsweise haßt den Erbfeind, also auch ihre künftige deutsche Schwiegertochter, was zum Zerwürfnis mit ihrem Sohn führt. Der Ungar hat keine Familie mehr, denn die wurde von den Deutschen vergast, weshalb sich seine Affäre mit der Deutschen schwierig gestaltet. Und die Deutsche? Die Symmetrie eines solchen Plots gebietet, daß ihre Familie schwere Schuld auf sich geladen hat. Vielleicht hat der Vater der Deutschen 1943 am Wannsee gekellnert. Oder er hat die Weichen nach Auschwitz gestellt oder Hitler noch im Bunker die Schuhe geputzt. "Was für ein Geschenk des Himmels für die Romanschriftsteller, dieser Hitler!" bemerkt die Autorin ganz recht auf Seite 207.

Anhand von Nancy Hustons neuem Roman "Das Engelsmal" läßt sich beobachten, wie der Holocaust vom historischen Ereignis in das epische Gedächtnis überführt wird. Jetzt, wo das Zeugnis der Überlebenden dünn wird, dürfen die Nachlaßverwalter ran, die auktorialen Erzähler, Drehbuchautoren und Musicalkomponisten. Nancy Huston ist zuletzt als Verfasserin eines erfolgreichen Historienromans (Mittelalter) aufgefallen. Nun verfährt sie mit einem Stoff, dem Historiker immerhin den Rang der "Neuen Geschichte" zuweisen, so, als läge er so weit entfernt wie die Rituale keltischer Druiden. Ist es nun kleinlich oder müßig, darauf hinzuweisen, daß die Flucht im Winter übers Eis nicht von Berlin ausging, sondern von Pommern und Schlesien? Daß de Gaulle keineswegs eine ganze Generation von französischen Abiturienten in Foltermethoden unterwies, damit sie sich ansonsten die algerischen Eingeborenen unterwerfen konnten? Daß der Vater der Heldin, wenn er denn wirklich bei Bayer in Leverkusen das Zyklon B für die Gaskammer mischte, seiner Familie wohl kaum erzählt hätte, er entwickele Medikamente "für die Menschen, damit sie besser schlafen können"?

Neben dem Holocaust setzt Nancy Huston den Algerien-Krieg in Szene, Kennedy und den Sputnik, die Bardot und Doris Day. Der Roman ist in der dritten Person geschrieben, der Erzähler bewahrt einen distanzierten Blick auf das Getümmel, was immerhin verhindert, daß das ganze Unternehmen im Kitsch verendet. Es geht um ein klassisches Dreiecksverhältnis. Mit zwanzig Jahren kommt die Deutsche Soffie aus Düsseldorf nach Paris. Sie tritt eine Stelle als Haushälterin bei dem jungen Flötisten Raphael Lepage an, der sie erstens ehelicht und zweitens in den folgenden Jahren eine ordentliche Karriere macht. Er liebt Soffie und auch den gemeinsamen Sprößling Emil.

Soffie verschließt sich vor Raphael, denn sie leidet an einem Kriegstrauma, sie vermutet hinter jeder Türglocke einen Bombenalarm. Erst ihr Geliebter, der ungarische Instrumentenbauer András, bricht Soffies Eis, wozu ihn seine jüdische Herkunft besonders befähigt: "Es ist der Feind, den sie im andern lieben." Nach fünf oder sechs Jahren fliegt der Ehebruch auf, der betrogene Flötist sinnt auf Rache. Letztes Bild: Stark gealtert, treffen sich András und Raphael in einer Bar, ihre Blicke kreuzen sich im Spiegel. Es hätte auch ohne die historische Staffage gehen können, denn Nancy Huston bearbeitet ein ihr vertrautes Terrain. Die gebürtige Kanadierin, die selbst mit zwanzig nach Paris kam und seither in Französisch schreibt, weiß genug von Entwurzelung und der identitätsstiftenden Wirkung der Muttersprache.

Hinzu kommt das Thema der Mutterschaft, das Huston im ersten Drittel des Romans in seinen interessanteren Tabuzonen berührt. Soffie ist keine liebende Mutter, sie versucht sogar eine Abtreibung. Doch auch Soffies Gefühlskälte entspringt ihrer kriegsversehrten Kindheit und wird später relativiert - mit der Liebe zu András erwacht auch Soffies Mutterliebe. Der Roman "Das Engelsmal" gehört zu der Sorte Buch, die Lektoren, Verlagsvertreter und Buchhändler als "Frauenbuch" vermarkten, er bekam den Preis der französischen Frauenzeitschrift "Elle". Frauenbücher werden von Frauen geschrieben, gelesen und rezensiert. Deshalb endet diese Rezension mit einem Hinweis an alle Leserinnen: Sparen Sie sich Ihre kostbare Zeit. Tun Sie lieber etwas für Ihre vielen K. Gehen Sie mit den Kindern spazieren. Sagen Sie ihm, daß er dran ist, die Küche zu putzen. Wenn es partout der Lesetip für den Kamin sein soll: Lesen Sie zum gleichen Thema Barbara Honigmann.

TANYA LIESKE

Nancy Huston: "Das Engelsmal". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Michael von Killisch-Horn. Luchterhand Verlag, München 2000. 250 S., geb., 36,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Gehen Sie mit den Kindern spazieren" anstatt dieses Buch zu lesen, empfiehlt Tanya Lieske, die sich für diese Art von "Frauenliteratur" nicht erwärmen kann. Zwar bringt die Rezensentin noch einiges an Verständnis auf für die mangelnde Mutterliebe der vom Krieg traumatisierten Protagonistin, die ja dann durch eine Liebesaffäre schließlich doch noch von ihrer Gefühlskälte - auch den Kindern gegenüber - befreit wird. Doch insgesamt gleicht in diesem Roman die "Welt einem Abziehbild", wie die Rezensentin moniert: Franzosen sitzen im Cafe und lesen Sartre, "man liebt sich lang und ausführlich". Was macht es da schon, dass für Huston die Flucht übers Eis von Berlin ausging und ähnliche Ungereimtheiten auftauchen, fragt die Rezensentin rhetorisch. Die "historische Staffage" ist hier nach Lieske ohnehin eher zweitrangig, denn im Mittelpunkt steht schließlich eine Dreiecksgeschichte zwischen der Deutschen Soffie, ihrem französischen Ehemann und ihrem ungarischen Liebhaber. Dass das Ganze nicht "im Kitsch verendet", liegt nach Lieske einzig und allein daran, dass die Autorin diese Geschichte aus der Distanz einer dritten Person erzählt.

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