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Benny Poteat lebt im heißen Süden der Vereinigten Staaten. Seit er fünfzehn ist, repariert er Strommasten und streicht Wassertürme und Getreidesilos. Von seinen hohen Aussichtspunkten hat Benny schon so einiges beobachten können. An einem Frühlingstag sieht er aus 70 Metern Höhe inmitten der Naturschönheit des Carolina Piedmonts, wie eine junge Frau vor ihrer laufenden Videokamera in den Fluß steigt und nicht wieder auftaucht. Benny meldet es nicht der Polizei, er nimmt die acht zurückgelassenen Videobänder des Mädchens und eine Visitenkarte an sich. Die führt ihn zu einer luxuriösen…mehr

Produktbeschreibung
Benny Poteat lebt im heißen Süden der Vereinigten Staaten. Seit er fünfzehn ist, repariert er Strommasten und streicht Wassertürme und Getreidesilos. Von seinen hohen Aussichtspunkten hat Benny schon so einiges beobachten können. An einem Frühlingstag sieht er aus 70 Metern Höhe inmitten der Naturschönheit des Carolina Piedmonts, wie eine junge Frau vor ihrer laufenden Videokamera in den Fluß steigt und nicht wieder auftaucht. Benny meldet es nicht der Polizei, er nimmt die acht zurückgelassenen Videobänder des Mädchens und eine Visitenkarte an sich. Die führt ihn zu einer luxuriösen Wohnanlage und zu Becky, die wie sich herausstellt die Schwester der Ertrunkenen ist. Auch ihr sagt Benny nicht, was er gesehen hat. Er beginnt eine Affäre mit ihr. Und er schaut sich die von der Toten zurückgelassenen Videokassetten an, Zeugnisse einer prekären Intimität. Benny weiß viel, zu viel, und immer weiter verstrickt er sich in ein gefährliches Lügengebilde.
Autorenporträt
Werner Schmitz wurde 2011 mit dem "Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis" ausgezeichnet. Er wurde für seine Übersetzungen zeitgenössischer amerikanischer Literatur, insbesondere für seine Übertragung der Romane Paul Austers geehrt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Was bedeutet es, etwas zu sehen?" Diese Frage, die Steven Sherrill gleich zu Beginn seines Romans stellt, als der Handwerker Benny von einem Sendemast aus beobachtet, wie eine Frau an den nahegelegenen Fluss tritt, eine Kamera aufstellt und sich daraufhin in die Fluten stürzt, hat den Rezensenten Florian Welle gleich in den Bann gezogen. Zumal Benny den Tod der Frau nicht melden wird, nicht als er ihre am Ufer zurückgelassenen Sachen an sich nimmt, und auch nicht später. Denn Benny, so der Rezensent, ist einer, der nicht gelernt hat zu handeln. Oder nur auf hinterhältige Art und Weise, denn nachdem er sich die autobiografischen Videos der Frau angesehen hat, nimmt er mit ihrer - um das Schicksal der vermissten Tochter besorgten - Familie und insbesondere mit ihrer Schwester Kontakt auf, im berauschenden Bewusstsein seines Wissensvorsprungs und ohne sein Wissen jemals preiszugeben. Morbid und spannend findet das der Rezensent, doch leider gelängen Sherrill nur wenige packende, "erbarmungslos verdichtete" Schilderungen, wie etwa das auf Video gebannte Zerwürfnis zwischen der Tochter und der erzreligösen Familie. Dazu komme, dass Sherrill zu viele Erzählstränge auswerfe. Zuletzt gerate der Roman mehr und mehr zur Schilderung des verkommenen Lebens in einer südstaatlichen Kleinstadt zwischen moralischem Anspruch und hintergründiger Perversion. Dabei, schließt der Rezensent, gerät die eigentliche Frage "Was bedeutet es, etwas zu sehen?" bedauerlicherweise ins Hintertreffen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2006

Das Böse im Auge des Betrachters
Steven Sherrills Südstaatenroman „Die Tote vom Big Toe River”
Steven Sherrill beginnt seinen Roman „Die Tote vom Big Toe River” ganz klassisch: mit einem Blick aus der Vogelperspektive, der Übersicht garantiert. Benny Poteat, Anfang dreißig, hängt angeseilt an einem Sendemast in 70 Metern Höhe und geht seinen Ausbesserungsarbeiten nach, als sich unter ihm eine schemenhafte Gestalt dem Big Toe River nähert. Es ist eine junge Frau, die, als sie am Ufer angekommen ist, ihre Tasche ablegt, eine Kamera auf ein Stativ montiert und dann ins Wasser geht, immer weiter, bis sie der Fluss aufnimmt und fortspült. Ihre Leiche wird man nie finden.
„Was bedeutet es, etwas zu sehen?” Sherrill umkreist in seinem zweiten Roman nach seinem Debüt „The Minotaur Takes a Cigarette Break” die Frage, ob das, was wir tagtäglich sehen, nicht stets auch eine Aufforderung zu handeln einschließt. Was macht Benny als einziger Zeuge des Selbstmords? Nichts. Benny greift sich Kamera und Tasche, in der sich weitere neun Videokassetten befinden, und fährt nach Hause. „Warum? Warum hatte er den Tod des Mädchens nicht gemeldet? Warum hatte er ihre Sachen behalten?” Es ist ein gefährlicher Moment des Verschleppens einer moralischen Handlung, der an dieser Stelle seinen Ausgang nimmt und im Verlauf des Romans immer perfidere Folgen zeitigt. Ist man zunächst geneigt, Bennys Passivität auf die schockartige Situation zurückzuführen, zeigt er sich schon bald als ein Mensch, der es nicht gelernt hat, zu agieren: Er war und ist stets Zuschauer; ein nicht sonderlich intelligenter dazu; daran lassen die kritischen Kommentare des Erzählers keinen Zweifel.
Heimlich schaut sich Benny die autobiografischen Videos an, welche die Kunststudentin Jenna, so der Name der Toten, über ihr Leben, ihre Happenings gedreht hat. Durch die Videos, die er zurückhält wie einen Schatz, wird sich Benny seines Charakterzuges bewusst. Jetzt wird es für seine Umwelt gefährlich, denn Benny weiß um das Zerstörungspotential seines Geheimnisses. Er freundet sich mit Rebecca, der kleinwüchsigen Schwester der Toten und ihren streng religiösen Eltern an, und bezieht eine sadistische Befriedigung aus dem Hoffen und Bangen der Familie Hinkey: „Zwar hatte es nicht in seiner Macht gestanden, ihren Selbstmord zu verhindern, aber die Macht, die Kontrolle darüber, wie und wann ihr Tod sich auf alle diese Leute auswirkte, berauschte ihn. . . ”.
Jenna will nicht Esther sein
Sherrill hat seine morbide Geschichte im Süden der Vereinigten Staaten angesiedelt, in einem Nest namens Buffallo Shoals, „einem Gitter aus einem halben Dutzend Straßen”. Es ist heiß, staubig und verdammt langweilig. Es ist eine Stadt, wie man sie aus unzähligen Romanen und Filmen kennt, bigott, von rücksichtslosen Menschen mit zweifelhafter Intelligenz bewohnt - in der Autowaschanlage verpasst ein Junge seinen männlichen Kunden regelmäßig Blowjobs, während eine Ecke weiter Erweckungsprediger und Pfingstbewegungskirche gegen ein Pornokino demonstrieren.
Vater Hinkey ist Diakon der Pfingstbewegungskirche, erzkonservativ bis fanatisch, die Videos seiner Tochter dokumentieren ihr Aufbegehren gegen die erdrückende Enge des Elternhauses. Eines zeigt die hasserfüllte Reaktion der Eltern, als sie ihnen ankündigt, sie werde fortan Jenna heißen und nicht mehr auf ihren Taufnamen Esther hören. Der Familienkampf, am Esstisch ausgetragen, gehört zu den stärksten Szenen des Romans. Sie ist schonungslos brutal. Der autoritäre Vater beendet kurzerhand jegliche Diskussion: „Falls und wenn ich spreche, spreche ich mit Esther.”
Sherrill gelingen insgesamt zu wenige solcher erbarmungslos verdichteten Passagen. Er wirft zu viele Erzählstränge aus, die am Ende nicht mehr eingeholt werden - so wird einmal erwähnt, Benny habe sich durch das Ansehen der Videos in Jenna verliebt, ohne dass diese doch einigermaßen bedeutsame Wendung weiter verfolgt wird. Stattdessen verliert sich Sherrill im Verlauf des Romans in ausufernden Schilderungen des Alltags der Stadt und des Lebens ihrer Bewohner, die alle nur ein Ziel haben: zu zeigen, wie verkommen Buffallo Shoals ist. Darüber verliert der Roman sein eigentliches Thema, das er doch so behutsam und klug zu Beginn durch die Frage angeschlagen hatte: „Was bedeutet es, etwas zu sehen?” FLORIAN WELLE
STEVEN SHERRILL: Die Tote vom Big Toe River. Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2005. 380 Seiten, 24 Euro.
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"Ein hervorragender Roman: Sherrill ist ein wunderbarer Schriftsteller. Er schreibt gelassen und poetisch. Die Tote vom Big Toe River handelt von Menschen, die Dinge tun, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken." (Daily Telegraph)