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In einem spannenden Epos lässt Hochschild diesen Krieg, dessen Echo bis in unsere Zeit nachhallt, anschaulich, lebensnah und erschütternd wie nie zuvor lebendig werden. Er richtet seinen Blick auf das Kriegsgeschehen und die diplomatischen Verwicklungen der großen Mächte. Im Zentrum der Darstellung stehen nicht nur die prominenten Befürworter des Krieges (u.a. Rudyard Kipling, H. G. Wells, Conan Doyle und John Galsworthy); viele, wenig beachtete Kritiker und Gegner aus allen Schichten kommen zu Wort. Zahlreiche meisterhafte Porträts von Kaiser Wilhelm II., Kaiser Franz Joseph, den Romanows und…mehr

Produktbeschreibung
In einem spannenden Epos lässt Hochschild diesen Krieg, dessen Echo bis in unsere Zeit nachhallt, anschaulich, lebensnah und erschütternd wie nie zuvor lebendig werden. Er richtet seinen Blick auf das Kriegsgeschehen und die diplomatischen Verwicklungen der großen Mächte. Im Zentrum der Darstellung stehen nicht nur die prominenten Befürworter des Krieges (u.a. Rudyard Kipling,
H. G. Wells, Conan Doyle und John Galsworthy); viele, wenig beachtete Kritiker und Gegner aus allen Schichten kommen zu Wort. Zahlreiche meisterhafte Porträts von Kaiser Wilhelm II., Kaiser Franz Joseph, den Romanows und der Generäle wie von Hindenburg, von Moltke, Ludendorff, French, Haig, Milner und des jungen Churchill runden das Panorama ab. Hunderte von Soldatenfriedhöfen säumen die Felder in Belgien und Frankreich; dort kamen Millionen Soldaten in dem Krieg ums Leben, der allen Kriegen ein Ende machen sollte. Gelingt es uns, die Wiederholung dieser Geschichte zu vermeiden?
Autorenporträt
Adam Hochschild wurde 1942 in New York City geboren. Er lehrt an der Graduate School of Journalism der University of California, Berkeley. Er lebt als Autor und Journalist in San Francisco und schreibt im »New Yorker«, in »Harpers Magazine «, »The New York Review of Books«, »The New York Times Magazine«, »Mother Jones« u. a. m.Seine Bücher wurden in fünf Sprachen übersetzt und gewannen zahlreiche Preise, u. a. den Preis des World Affairs Council und der Society of American Travel Writers.»Schatten über dem Kongo« erhielt 1998 die Goldmedaille des California Book Awards für Nonfiction.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013

Die tödliche Arroganz der Kavallerie

Der Niedergang Europas aus Sicht des British Empire: Adam Hochschild versammelt Pazifisten, Generale, Politiker, Sozialisten, Sufragetten und Philantropen, um eine Gegengeschichte des Ersten Weltkriegs zu schreiben. Herausgekommen ist eine Art historischer Roman - aber kein schlechter.

Von Gerd Krumeich

Adam Hochschild ist ein amerikanischer Journalist und Historiker, der in Deutschland vor allem durch seine Bücher über die Ausrottungspolitik im belgischen Kongo sowie über den Kampf um die Abschaffung der Sklaverei bekannt und geachtet ist. Nun erscheint pünktlich zum Jahrhundertereignis seine Geschichte des Ersten Weltkrieges, deren Originalversion 2011 unter dem Titel "To End all Wars. A Story of Loyalty and Rebellion 1914-1918" erschienen ist. Der deutsche Titel stellt eine Irreführung des Lesers dar, denn dieser muss ja glauben, eine Überblicksgeschichte des Ersten Weltkrieges zu erhalten.

Selbstverständlich erfährt man auch hier in oft äußerst detaillierter Form vieles aus den Schlachten und politischen Ereignissen des Krieges, aber "Der Untergang des alten Europa" ist in dieser Form wirklich nicht erkennbar. Dazu ist das Buch für den unvorbereiteten Leser zu sehr aus britischer Perspektive geschrieben. Die Geschichte des Empire, seiner Entwicklung und seines Niedergangs, spielt eine dominierende Rolle. Hinzu kommt noch ein "typisch britisches" Strukturelement, nämlich die Verzahnung von individuellen Schicksalen, sozialen Gruppen und Klassen mit der politischen und militärischen Geschichte.

Wir kennen in Deutschland diesen Stil der Geschichtsschreibung nicht, weil sich für uns der Bogen nicht mehr so spannt zwischen der Geschichte des erlebten Krieges, des erinnerten Krieges und des auch für die heutige Identität jedes Einzelnen noch irgendwie gestaltenden Krieges. Das war der Erste Weltkrieg für Briten, Franzosen, Amerikaner, aber nicht mehr für diejenigen, die ihn verloren haben und deren Imperien verschwunden sind. Eine sehr "britische" Geschichte also, die den deutschen Leser vor einige Herausforderungen stellt. Die anspruchslose und leider holprige Übersetzung erleichtert die Lektüre nicht gerade.

Die Quellen von Hochschilds Erzählung sind zumeist zuverlässige und international akzeptierte Autoren, wie etwa Barbara Tuchman, deren Buch "August 1914" eine sichere Leitschnur ist. Auch "Facing Armageddon" von Hugh Cecil und Peter Liddle sowie David Fromkins in Deutschland ebenfalls beachtetes "Europas letzter Sommer" werden immer wieder als Quelle genannt. Die Erzählung basiert dazu auf einer Reihe von Personalquellen in verschiedenen Nachlässen, etwa dem Nachlass von Charlotte Despard.

Charlotte Despard? Das ist eine in England und Irland sehr bekannte Frau aus einfachen Verhältnissen, die durch Heirat in ein wohlhabendes bürgerliches Milieu gelangte und sich gleichwohl mit größter Energie um das Schicksal der ärmsten Ausgebeuteten vor allem irischer Herkunft in Battersea, dem Londoner Ruhrgebiet, kümmerte. Nicht weniger als vier Seiten werden ihr im ersten Kapitel gewidmet, ihre gesellschafts- und kriegskritischen Aktivitäten während des Krieges sind ein roter Faden der Erzählung.

Oder Keir Hardie, der große Führer der britischen Arbeiter, einem Bebel oder Jaurcs vergleichbar, dessen erbittertem und verzweifeltem Kampf gegen den Krieg vor und nach 1914 in allen Einzelheiten nachgegangen wird. Ein ganzes Kapitel wird allein dieser Persönlichkeit gewidmet, deren Engagement so detailliert und liebevoll beschrieben wird, dass dahinter schließlich der gesamte Kampf der Zweiten Internationale gegen den Krieg geradezu ins Dunkel gerät. Pars pro toto? Daran mag man bei einer solchen Ungleichgewichtigkeit zweifeln. Aber es lohnt sich, den Schicksalen dieser britischen Helden des Klassenkampfes und der Antikriegsbewegung nachzugehen.

Hochschild will, wie er im Prolog sagt, eine Geschichte der Verweigerung dieses wahnsinnigen Krieges schreiben. Aus den über den Text verstreuten biographischen Skizzen von Arbeiterführern, Generalen, Politikern und Schriftstellern soll sich die ganze Geschichte des Großen Krieges erschließen. Hochschild gesteht gleich zu, dass man auf diese Weise eigentlich eher einen Roman schreiben könnte, will uns dann mit folgendem leicht enigmatischen Hinweis beruhigen: "Die Geschichte bietet uns, von Nahem betrachtet, stets Menschen, Ereignisse und moralische Versuchsfelder, wie sie sonst nur von den bedeutendsten Schriftstellern erdacht werden können."

Am besten also, wenn der Historiker selbst ein "bedeutender Schriftsteller" ist. Hochschild kann wirklich gut und fesselnd schreiben, und wenn man sich ganz auf seine auf Großbritannien zentrierte Sicht des Krieges einlassen will, dann ist dieses Buch eine intensive Lektüre wert.

So wird in dem mehr als einhundert Seiten langen Teil über die Vorgeschichte des Krieges ganz besonders die Karriere einiger im Krieg bestimmender Militärs beschrieben, nämlich John French und Douglas Haig, deren Aufstieg in den Kolonialkriegen ausführlich dargestellt wird. Aus der Kavallerie stammend, sahen sie den Krieg als ein kavalleristisches Abenteuer an und ließen sich durch die Evidenz Tausender Pferdekadaver vor den Maschinengewehrstellungen nicht davon abbringen. Haig war überzeugt, dass ein heranpreschender Kavallerist "die Nerven und Zielsicherheit eines MG-Schützen entscheidend beeinträchtige", und äußerte gelegentlich, dass die kleine Kugel der heutigen Gewehre "ein Pferd kaum aufzuhalten vermag".

Die Arroganz der britischen Militärs, ihre imperialistische Brutalität, hat Hochschild ganz besonders ins Visier genommen - wie schon in seinen früheren Büchern. Das zeigt sich in der ausführlichen Beschreibung des Burenkrieges, mit den entsetzlichen Konzentrationslagern, in welche die rebellische Bevölkerung gnadenlos eingepfercht wurde. Und wo als ein wirklicher Lichtblick die Gestalt von Emily Hobhouse auftaucht, deren Leben und Leiden vor und im Krieg ein weiterer roter Faden des Buches bleibt. Hobhouse, aus vornehmen Stand, organisierte auf ungeheuer couragierte Weise die Hilfe für die unterdrückten Buren.

Die Geschichte des Ersten Weltkrieges wird in fünf Kapiteln erzählt - eines für jedes Kriegsjahr, wo die heldischen und kriegerischen Persönlichkeiten mit den Kriegsereignissen munter durcheinandergewirbelt werden. Das bleibt immer interessant, wenn man diese Art von Erzählung schätzt, kann aber in keiner Weise den Anspruch erfüllen, eine Geschichte des Ersten Weltkrieges zu sein: Für die Marneschlacht hat Hochschild gerade einmal vier Zeilen übrig, und über Tannenberg erfährt man auf anekdotische Weise, wie die kampfunfähigen und verlumpten russischen Soldaten von betrunkenen und fetten Generalen in die Niederlage geführt wurden. Ludendorff und Hindenburg spielen dabei keine nennenswerte Rolle; Langemarck ist nahezu zur Karikatur vereinfacht. Verdun spielt kaum eine Rolle, weil es dort keine Briten gab. Dafür ist die Somme-Schlacht großartig intensiv geschildert - sie war ja auch das Menetekel der britischen Armee.

Wenn also die Geschichte der Schlachten und der Kriegspolitik frustrierend einseitig bleibt, so gibt es zwischendurch immer wieder überzeugende und sonst kaum einmal so dicht erzählte Darstellungen, etwa wie sich die Heere im Spätherbst 1914 einbuddeln mussten oder welche Rolle der Stacheldraht im gesamten Krieg gespielt hat. Irgendwie ist dann doch das gesamte alte Europa in diesem Krieg zugrunde gegangen, aber das steht vor allem im deutschen Titel und betrifft die Erzählung eher am Rande.

Adam Hochschild: "Der Große Krieg". Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg.

Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2013. 525 S., geb., 26,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Cord Aschenbrenner befasst sich in einer Sammelrezension zu aktuellen Büchern über den Ersten Weltkrieg auch mit Adam Hochschilds Buch "Der Große Krieg". Der Autor schildert den Krieg vornehmlich aus britischer Perspektive, sowohl aus der der Kriegsbefürworter als auch der Kriegsgegner und Kriegsverweigerer in Grossbritannien, so der Rezensent. Er lobt Hochschilds die Quellen gekonnt nutzende Darstellung als besonders packend. Angst, Leid, Tod der Opfer, Wahnsinn und Verblendung der Befehlshaber macht der Autor für Aschenbrenner eindringlich lebendig. Er sieht in dem Buch zwar keine umfassende "Geschichte des Großen Krieges" wie der Titel nahelegt, aber eine Geschichte der Schrecken des Zweiten Weltkriegs.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2013

Je höher die Verluste, desto unnachgiebiger wurde gekämpft
Ein Kontinent in Verblendung: In schockierender Anschaulichkeit erzählt Adam Hochschild vom Wahnsinn des Ersten Weltkriegs
Am Vormittag des 25. September 1915 begannen britische Truppen einen Angriff auf die deutsche Front bei Loos in Flandern. Etwa 10 000 Soldaten marschierten „in großer Breitenausdehnung“ auf den Gegner zu. Ein deutscher Bericht schrieb später: „Die Richtschützen an den M.Gew. leisteten die sauberste Arbeit, die sie je geleistet haben . . . die Schlösser schwimmen im Öl . .  . Von links nach rechts, von rechts nach links; 12 500 Patronen speien allein unsre M.Gew!“ Die wenigen Briten, die überhaupt bis zu den deutschen Drahtverhauen gelangt waren, mussten dort kehrtmachen. Als sie sich zurückzogen, hörten die Deutschen auf zu feuern. „Meine Maschinengewehrschützen waren so voller Mitleid, Betroffenheit und Enkel“, sagte später ein deutscher Kommandeur, „dass sie sich weigerten, auch nur einen einzigen Schuss abzugeben.“
  Einen anderen Angriff an diesem Tag führten die Northumberland Fusiliers. Ihr Kommandeur hatte befohlen, dass „der Angriff nach echter nothumbrischer Manier mit dem Bajonett geführt wird“. An die 10000 Soldaten rückten unter Hurra-Rufen vor. Noch 100 Meter von den deutschen Drahtverhauen entfernt, eröffneten die feindlichen Maschinengewehrstellungen das Feuer. Die Männer, so ein britischer Bericht, fielen „wie Getreide vor der Sense“. Die Briten verloren 8000 Mann: gefallen, verwundet, vermisst.
  Ein Jahr später eröffnen die Briten die große Offensive an der Somme. Am ersten Tag, dem schwärzesten der britischen Militärgeschichte, starben mehr als 20 000 Mann. Es war das gleiche grauenvolle Bild. Die Angreifer verbluteten im Maschinengewehrfeuer. Seit zwei Jahren war das die beherrschende Tatsache an der Westfront, nachdem der Krieg sich festgefressen hatte: Gegen MGs und Stacheldraht kam keine Offensive an. Und doch wurde sie Mal um Mal befohlen. Die Soldaten machten mit. Für den ersten Tag der Sommeschlacht hatte der Befehlshaber des 8. East Surrey Battalion jedem seiner vier Züge einen Fußball spendiert und dem Zug einen Preis versprochen, der den Ball bis zum deutschen Graben träte. Ein Zug schrieb auf den Ball: „Der große Europacup / Das Finale: East Surreys gegen Bayern.“
  Das sind drei der Geschichten, die Adam Hochschild über den Ersten Weltkrieg erzählt. Hochschild lehrte Journalismus in Berkeley, er ist mit Büchern über den Kongo-Freistaat und über den Kampf gegen die Sklaverei bekannt geworden. Sein neues Buch ist deutsch als „Der große Krieg. Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg“ betitelt. Das führt ein wenig in die Irre. Hochschild konzentriert sich auf die Haltung zum Krieg, wie es der amerikanische Untertitel andeutet: „A Story of Loyalty and Rebellion“. Dabei richtet er den Blick auf Großbritannien. Die anderen kriegführenden Staaten kommen nur vor, wo es unumgänglich ist.
  Die Rebellen, von denen Hochschild berichtet, sind die Kriegsgegner. Mehr also irgendwo sonst meldeten sie sich in Großbritannien, dem politisch fortgeschrittensten Land, zu Wort. Ihren Vorkämpfern – viele von ihnen waren Frauen – gehört Hochschilds Bewunderung, dies umso mehr, als sie auch unter den Briten eine kleine Minderheit waren, von der Mehrheit angefeindet, oft genug auch bedroht. Die Arbeiterbewegung hatte sich vor dem Krieg als große Kraft für den Frieden gezeigt, während der Julikrise 1914 gab es Friedenskundgebungen in ganz Europa. Doch als die Heere sich in Bewegung setzten, da zeigten sich die Bevölkerungen in der übergroßen Mehrheit loyal mit ihren Soldaten. Ein Kongress von Gewerkschaftsdelegierten, die zwei Millionen Mitglieder vertraten, stimmte noch 1917 in Manchester mit 5:1 dafür, den Krieg bis zur völligen Niederlage Deutschlands weiterzuführen.
  Ganz ähnlich sah es in der britischen Frauenbewegung aus. Bis 1914 war sie ausgesprochen kämpferisch, zuckte auch nicht davor zurück, die Scheiben in Downing Street einzuwerfen. Den Krieg sah sie als männliche Dummheit an. Doch die größte Organisation, die Woman’s Social and Political Union (WSPU) schwenkte mit Kriegsbeginn auf einen patriotischen Kurs ein – und die Regierung begnadigte alle inhaftierten Suffragetten. Militante Frauen sollten nun ihre Aufgabe darin sehen, „den Geist der Militanz in den Männern zu wecken“. Leicht konnte der Pazifismus aussehen wie Verrat an den Brüdern, Söhnen, Männern, die an der Front standen. Selbst der berühmteste der Pazifisten, der Mathematiker Bertrand Russell, ein in fast jeder Hinsicht unkonventioneller Mann, bekannte: „Die Liebe zu England ist fast das stärkste Gefühl, das ich habe.“
  Dieser ohnedies schon tiefe Patriotismus wurde propagandistisch angeheizt, mit einer Hemmungslosigkeit, die alles Dagewesene übertraf. Dass der Krieg eine im Wohlstand erschlaffte Zeit moralisch reinigen und kräftigen werde („Frischer Wind“ oder „Desinfektion“ waren gern benutzte Metaphern), das wurde in England nicht anders als in Deutschland verbreitet. In der Daily Mail hieß es 1912: „Der Frieden hätte und hat manch eine Nation zugrundegerichtet, versorgt er uns doch mit einem Übermaß an allen Dingen, ausgenommen die Stärkungsmittel Entbehrung und Opfer.“ Und der Autor fuhr fort: „Selbst der schlimmste Krieg richtet wenig realen Schaden an.“
  Nichts hätte falscher sein können. Ganz Europa hatte Teil an diesem Irrtum, niemand hatte den Krieg in diesen Dimensionen vorhergesehen, in seinem Materialverbrauch und seinen menschlichen Opfern. Gerade deswegen kam es zu den schrecklichen Verlusten. Als die ersten Katastrophen sich ereignet hatten, wollten die Verantwortlichen sie nicht zur Kenntnis nehmen. Bis zuletzt und über den November 1918 hinaus etwa glaubte die britische Führung, die Kavallerie werde wie in den vergangenen Jahrhunderten zuletzt die Entscheidung bringen – grotesk angesichts der von Grabensystemen durchzogenen Schlachtfelder. Der Kolonialkrieg hätte auf die neuen Bedingungen aufmerksam machen müssen. In der Schlacht bei Omdurman 1898 griffen die Truppen des Mahdis, bewaffnet mit Schwertern und Lanzen, an; das britische Maschinengewehrfeuer metzelte sie nieder. Circa 10 500 Sudanesen fielen, die Briten (und die mit ihnen kämpfenden Ägypter) verloren 48 Mann. Der Kampf mit der „blanken Waffe“ war völlig sinnlos geworden gegen Maschinengewehrstellungen. Wie konnte 1915 noch ein Bajonettangriff befohlen werden „nach echter nothumbrischer Manier“?
  Dazu trat die moralische Verblendung. Die Armeeführung nahm die riesigen Verluste hin, gewöhnte sich an sie, und nahm sie bald schon als Zeichen militärischer Bewährung. Der naheliegende Verdacht, die Elite habe hier die kleinen Leute geopfert, geht allerdings fehl. Die Verluste unter den Offizieren waren höher als unter den Mannschaften, auch die Spitzen der Gesellschaften bleiben nicht verschont. Violet Cecil, Schwiegertochter Lord Salisburys, der im 19. Jahrhundert mehrfach Premierminister gewesen war, musste erleben, dass ihr einziger Sohn fiel. Sie war untröstlich, wollte auch nichts von „künftigem Leben“ hören. Um den toten Sohn zu ehren, setzte sie seinem Internat Winchester eine Stiftung aus. Und dann war es ein Schießstand, den sie bauen ließ. So pflanzte sich die Kriegsbereitschaft fort: Je höher die Verluste wurden, desto unnachgiebiger wurde gekämpft. Die schon gebrachten Opfer sollten nicht umsonst sein.
  Warum ist Hochschilds Buch, ein Buch, wie es in Deutschland kaum geschrieben werden könnte, ein so großer Eindruck? Gewiss ist für hiesige Leser der Blick auf die britischen Verhältnisse interessant, auch da, wo sie den deutschen ähneln, zum Beispiel in der Kriegsbejahung aus kulturpessimistischem Geist. Aber man wird Hochschild nicht einfach lesen, um etwas über Großbritannien 1914/18 zu erfahren. Warum dann? Adam Hochschilds Buch zeigt kein neues Bild des Gegenstandes. Trotzdem wühlt es den Leser auf, auch den, der über die wesentlichen Dinge informiert zu sein glaubt. Es schockiert die Anschaulichkeit, die quellennahe Darstellung, die, wenn man so will, kunstvolle Naivität, mit der Hochschild den Opfern nahekommt. Sieht man von den wenigen Kämpfern für den Frieden ab, scheinen alle verblendet zu sein bis zum Wahnsinn.
  In dieser Verblendung zeigt sie Hochschild, doch ohne das Bild mit seinem moralischen Urteilsspruch zu bekrönen. Das ist vielleicht die größte der Fähigkeiten des Autors: die Ereignisse aus einer moralischen Ergriffenheit zu schildern, die nicht auf Richtertum zielt. Richten hält uns die Dinge vom Leib. Wer Hochschild liest, der fühlt sich wie von Wellen des Entsetzens mitgerissen.
  John Buchan, einer der Chefpropagandisten des Kriegs, bekannte nach dem Krieg einmal nebenbei, er könne nicht mehr den Homer lesen, dessen Verherrlichung des Krieges sei ihm unerträglich geworden. Die Einsicht, von riesigen Propagandaapparaten in die Irre geführt worden zu sein, führte zu einem Zynismus, wie Hochschild schreibt, oder vielleicht besser: zu einer moralischen Unsicherheit, der von England aus den Aufstieg Hitlers begünstigte. Viscount Rothermere, Herausgeber der Daily Mail, gab schon 1917 einem Journalisten gegenüber zu: „Wir erzählen Lügen . . . Sie haben die Korrespondenten gesehen . . . Sie sagen nicht die Wahrheit und wir wissen, dass sie lügen.“ Rothermere verlor zwei Söhne im Krieg, den er mit angeheizt hatte. In den Dreißigerjahren wurde er zu einem Vertreter der Appeasement-Politik.
STEPHAN SPEICHER
Mehr als irgendwo sonst
meldeten sich in Großbritannien
die Kriegsgegner zu Wort
Wer Hochschild liest, wird von
Wellen des Entsetzens mitgerissen
    
  
Adam Hochschild: Der
große Krieg. Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg. Aus dem
Englischen von Hainer
Kober. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 525 Seiten, 26,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Dem US-amerikanischen Journalisten Adam Hochschild gelingt ein beeindruckendes und vielschichtig gezeichnetes Zeitpanorama, indem er die Biographien von zahlreichen Zeitgenossen zu einem umfassenden Gesamtbild verwebt.« Matthias Schmid, Das Historisch-Politische Buch, Juni 2014 »Es überzeugt in dieser quellennahen Darstellung nicht zuletzt immer wieder die schockierende Anschaulichkeit, die einfühlsame Mitmenschlichkeit, mit der Hochschild die Opfer ins Blickfeld rückt.« Christian Ruf, Dresdner Neueste Nachrichten, 9.3.2015 »Hochschild stößt über die Fakten hinaus zu den Emotionen der Betroffenen vor - sehr zum Gewinn des Lesers.« Damals, Dezember 2014 »Der US-Publizist erzählt aus für uns ungewohnter, nämlich britischer Perspektive und anhand vieler bunt gemischter Biografien - leicht und dennoch sachlich, informativ, treffend.« Tim Schleider, Stuttgarter Zeitung, 24.7.2014 »Es ist eine Geschichte "von unten", die den vergeblichen Protest in der britischen Gesellschaft und das Leiden der einfachen Soldaten an der Front ins Zentrum stellt.« Christian Hacke, Politische Studien, 5 6/2014 »Aufwühlend ... Augenzeugenberichte und Porträts lassen ein selten lebendiges Werk entstehen.« Geschichte, Mai 2014 »Adam Hochschilds Buch zum Ersten Weltkrieg liefert eine fesselnde Lektüre.« Bernhard Schulz, Der Tagesspiegel, 5.3.2014 »... prägnant und kompetent ...« Prof. Dr. Matthias Becher, Damals, März 2014 »Dem Journalisten Adam Hochschild ist es in einzigartiger Weise gelungen, detailliert das Denken der europäischen Gesellschaften des frühen 20. Jahrhunderts zur Sprache zu bringen.« Holger Zeigan, lehrerbibliothek.de, 26.8.2013…mehr