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Christopher ist 37 Jahre alt. Er hat nie eine normale Schule besucht und lebt in einem Heim einer betreuten Wohngruppe. Aber er beherrscht sieben Fremdsprachen. Christopher ist das, was man früher einen 'Idiot savant' genannt hat, also jemand, der trotz schwerwiegender Lernschwierigkeiten eine hervorstechende Begabung auf einem bestimmten Gebiet besitzt. Die international bekannte Autismusforscherin Beate Hermelin erzählt uns seine Geschichte und die anderer "Savants", die sie über mehr als zwanzig Jahre beobachtet und betreut hat. Sie geht dabei der Frage auf den Grund, ob diese so…mehr

Produktbeschreibung
Christopher ist 37 Jahre alt. Er hat nie eine normale Schule besucht und lebt in einem Heim einer betreuten Wohngruppe. Aber er beherrscht sieben Fremdsprachen. Christopher ist das, was man früher einen 'Idiot savant' genannt hat, also jemand, der trotz schwerwiegender Lernschwierigkeiten eine hervorstechende Begabung auf einem bestimmten Gebiet besitzt.
Die international bekannte Autismusforscherin Beate Hermelin erzählt uns seine Geschichte und die anderer "Savants", die sie über mehr als zwanzig Jahre beobachtet und betreut hat. Sie geht dabei der Frage auf den Grund, ob diese so erstaunlichen Phänomene ein Schlüssel sind zum Verständnis menschlicher Intelligenz und des menschlichen Denkens.

Da ist zum Beispiel Kate, 40 Jahre alt, die nicht in der Lage ist, eine Konversation zu führen, und dennoch wunderschöne Gedichte verfasst. Da ist der Kalenderrechner, der aus dem Stegreif den Wochentag eines beliebigen Datums in der Vergangenheit nennen kann, und da ist der 'Savant', dessen Rechenleistung die von Spitzenmathematikern übertrifft. Die Autorin zeigt uns nicht nur, zu welchen außerordentlichen Leistungen sie fähig sind, sie erklärt auch, wie sie dieses anstellen.
Es ist ein Buch, das viel von der Faszination, der Freude und der Neugier vermittelt, die die Autorin im Umgang mit diesen Menschen verspürt hat. Viele Leser werden von dem Buch innerlich bewegt und fasziniert sein.
Autorenporträt
Dr. phil. Beate Hermelin, geboren in Berlin gebore, lebt seit 1948 in England. Sie arbeitete am Institut für Psychiatrie der Universität London und ist Ehrenprofessorin des Goldsmith College.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2003

Bewundernswerte
Idioten
Beate Hermelin erklärt das Rätsel
autistischer Sonderbegabungen
Leslie ist ein Autist. Mit fünf Jahren spricht er kaum. Er ist verschlossen und unruhig. Als er sieben Jahre alt ist, ergibt ein Intelligenztest, dass seine geistigen Fähigkeiten denen eines Vierjährigen entsprechen. Und doch bringt Leslie seine Eltern zum Staunen: Er singt und hört jeden Tag stundenlang Musik. Obwohl er kaum mit Messer und Gabel hantieren kann, spielt er virtuos Klavier. Mit 14 Jahren überrascht er seine Mutter eines Nachts damit, dass er Tschaikowskys Klavierkonzert Nr.1 fast fehlerlos spielt – am Abend zuvor hat der Junge es zum ersten Mal in seinem Leben gehört. Inzwischen gibt Leslie öffentliche Konzerte.
Michael dagegen interessiert sich besonders für Zahlen. Eigentlich nur für Zahlen – denn auch er ist ein Autist. Er spricht nicht und reagiert weder auf Worte noch auf Gesten. Dafür kann er sekundenschnell im Kopf mit großen Zahlen rechnen, erkennt aus einer Reihe von mehrstelligen Zahlen auf Anhieb eine Primzahl und stellt komplizierte Kalenderberechnungen an: Zu einem beliebigen Datum in der Vergangenheit kann Michael den entsprechenden Wochentag nennen.
Leslie und Michael sind „Savants” oder, wie es früher hieß, „Idiots savants”: Diese meist autistischen Menschen sind zwar geistig und psychisch stark eingeschränkt. Auf einem speziellen Gebiet aber zeigen sie außergewöhnliche Fähigkeiten. Wie ist das möglich?
Die britische Experimentalpsychologin Beate Hermelin geht über das Staunen hinaus. Seit den sechziger Jahren sucht die renommierte Forscherin solche Inselbegabungen zu begreifen. Nun berichtet sie einem breiten Publikum von den Ergebnissen ihrer Arbeit mit rund 50 Savants. Ihre „Entdeckungsreise in die faszinierende Welt außergewöhnlicher Autisten” folgt dabei einer Spur: Warum sind die meisten der Savants Autisten – nämlich zwischen 70 und 80 Prozent? Was ist am Denken von Autisten für die Entwicklung von Sonderbegabungen charakteristisch? Hermelin sucht nach den Denkstrategien, die zu solitären Leistungen führen.
Autisten begreifen die Welt in Teilen, nicht als Ganzes. Ihre Aufmerksamkeit bemüht sich nicht darum, Wahrnehmung, Denken und Gedächtnis zu integrieren. Statt auf den Gesamteindruck oder dessen Bedeutung konzentrieren sie sich auf Teilinformationen. Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Jedoch: Beate Hermelin versteht das nicht als geistiges Defizit. Die Forscherin erkennt darin eine eigene Denkstrategie.
Wie bei Michael, dem erwähnten Rechenkünstler. Mit drei Jahren konnte er ein Puzzle aus 100 Teilen zusammensetzen – wahrscheinlich gerade weil er kein Gesamtbild darin sah. Es schien für ihn keinen Unterschied zu machen, ob er sehen konnte, was das Puzzle darstellte. Oder ob er leere Teile vor sich hatte.
Machen, was man kann
Man macht, was man gut kann. So entwickeln manche Autisten ihr Talent. Leslie etwa, der Tschaikowsky aus dem Kopf nachspielt: Am Anfang steht das Erkennen und Merken einzelner Töne. Daraus entwickelt er die Bausteine, aus denen er mit der Zeit sein großes Wissen über musikalische Strukturen erwirbt.
Das Prinzip der Inselbegabung erklärt Beate Hermelin auch an einem anderen Beispiel, Christopher. Er versteht, liest und spricht 16 Sprachen. Zudem übersetzt er rasch eine neue Sprache in seine Muttersprache, das Englische. Doch eines fällt ihm schwer: Die unbekannte Grammatik vermag er kaum zu meistern. Immer wieder macht er Fehler, die darauf hinweisen, dass Christopher Semantik und Struktur der Sprache schlicht ausblendet.
„Die Arbeit mit Savants könnte uns weit reichende Einsichten eröffnen, was Begabung überhaupt ist und wie bestimmte Funktionsbereiche des menschlichen Geistes aufgebaut sind”, sagt Beate Hermelin. Autistische Denkstrategien sind stark spezialisiert. Wie in Christophers Fall die Sprache, sind einzelne kognitive Funktionen nicht als einheitliche Gebilde aufzufassen. Sie sind vielmehr in „Sub-Universen” aufgegliedert.
Das betrifft nicht nur Autisten. Beate Hermelin bezieht ihre Erkenntnisse auch auf die Begabung des Wunderkinds Mozart. Und Noam Chomskys Begriff der „Universalgrammatik” nimmt sie zu Hilfe, um Christophers Sprachentalent zu ergründen. Die Gespräche Hermelins mit dem Kunsthistoriker Sir Ernst Gombrich etwa sollen beleuchten, was die zeichnerischen Savant- Begabungen mit Kunst zu tun haben.
Beate Hermelin schreibt interessant und verständlich. Ihr Forschungsbericht gleicht einer Analyse von Sherlock Holmes: Von Hypothese zu Hypothese wird der Leser geführt, von Versuch zu Versuch. Klar und transparent macht Hermelin auf feinste Poppersche Art ihre Schlussfolgerungen der Revision zugänglich.
Jetzt verstehen wir das Rätsel der Savants besser. Das Staunen bleibt. Am Ende ist es ein trauriges Staunen über die Sinnlosigkeit mancher Wunder. Soviel Talent und Können, aber so wenig Bezug und Bedeutung: 16 Fremdsprachen sprechen, aber sich mit niemanden unterhalten können. Ein Puzzle aus leeren Teilen.
KATHRIN KOMMERELL
BEATE HERMELIN: Rätselhafte Begabungen. Eine Entdeckungsreise in die faszinierende Welt außergewöhnlicher Autisten. Deutsch von Christoph Trunk. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2002. 239 Seiten, 19 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die britische Experimentalpsychologin Beate Hermelin arbeitet seit den sechziger Jahren mit sogenannten "Savants" und versucht deren "Inselbegabungen" zu begreifen. Dabei folgt Hermelin laut Rezensentin Katrin Kommerell einer bestimmten Spur: "Warum sind die meisten der Savants Autisten - nämlich zwischen 70 und 80 Prozent?" Autisten verstehen die Welt nicht als Ganzes, sondern in Teilen; solche "Denkstrategien" können dann zu "solitären Leistungen" führen, weiß die Rezensentin zu berichten. Hermelins Forschungsbericht zu lesen, gestalte sich dazu ungefähr so spannend wie eine "Analyse von Sherlock Holmes". Ganz in der Tradition Karl Poppers wird der Leser "von Hypothese zu Hypothese geführt, von Versuch zu Versuch". Am Ende bleibe ein "trauriges Staunen über die Sinnlosigkeit mancher Wunder" resümiert Kommerell, so etwa über den im Buch beschriebenen Christopher, der zwar 16 Sprachen spricht, aber sich "mit niemanden unterhalten kann".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Text ist großartig erzählt und zeigt Beate Hermelins großes Engagement und ihre Leidenschaft für dieses Thema. Beate Hermelin steht für gründliche und wegweisende Forschung, die aber auch immer das Menschliche berücksichtigt. Ihr Buch ist - einfach gesagt - wunderbar geschrieben und wird, da bin ich sicher, eine breite Spanne von Lesern ansprechen und faszinieren." (Oliver Sacks)