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"Zweite Botschaft an Gottfried Benn. Die erste vor dreißig Jahren hat ihn nicht erreicht." Ernst Jünger, 1949 Dieser kleine Austausch zweier großer Autoren der literarischen Moderne, die im Feuilleton so gern in einem Atemzug genannt werden, kreist um die Themen ihrer Bücher, um Drogen, das Reisen und kulturpolitischen Klatsch. Er ist aber auch das Dokument der Empfindlichkeiten und der Konkurrenz zweier sprachlich und gedanklich eminent radikaler Autoren, die uns noch heute erstaunen.
"Wir sind von außen oft verbunden, / wir sind von innen meist getrennt, / doch teilen wir den Strom, die
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Produktbeschreibung
"Zweite Botschaft an Gottfried Benn. Die erste vor dreißig Jahren hat ihn nicht erreicht." Ernst Jünger, 1949
Dieser kleine Austausch zweier großer Autoren der literarischen Moderne, die im Feuilleton so gern in einem Atemzug genannt werden, kreist um die Themen ihrer Bücher, um Drogen, das Reisen und kulturpolitischen Klatsch. Er ist aber auch das Dokument der Empfindlichkeiten und der Konkurrenz zweier sprachlich und gedanklich eminent radikaler Autoren, die uns noch heute erstaunen.
"Wir sind von außen oft verbunden, /
wir sind von innen meist getrennt, /
doch teilen wir den Strom, die Stunden /
den Ecce-Zug, den Wahn, die Wunden /
des, das sich das Jahrhundert nennt."

Dieses berühmte Gedicht Gottfried Benns ist überschrieben: "An Ernst Jünger". Es ist wohl der künstlerische Kulminationspunkt einer Beziehung, die mit einem Brief Jüngers Anfang der zwanziger Jahre begann: Jünger hatte damals Benns "Rönne"-Prosa bewundert. 1949 dann beginnt eine schriftliche Annäherung Jüngers an den bewunderten Dichterkollegen. Im Lauf der nächsten sechs Jahre, bis zu Benns Tod im Juli 1956, wechseln die beiden ca. 50 Briefe, Telegramme, Postkarten und Widmungsexemplare. Im Mai 1952 kommt es zum einzigen persönlichen Zusammentreffen in Benns Wohnung, Berlin Schöneberg. Dieser Abend, an dem auch der Cognac reichlich fließt, ist in einer hinreißenden Passage der "Annäherungen" Jüngers beschrieben.
Autorenporträt
Gottfried Benn (1886-1956) ist einer der bedeutendsten deutschen Lyriker des 20. Jahrhunderts. Auch in seiner Prosa, seinen Essays, autobiographischen Schriften und Briefen ist er der "Phänotyp" seiner Epoche. 1951 erhielt der den Georg-Büchner-Preis.

Ernst Jünger, geb. in Heidelberg am 29. 3. 1895, war Soldat in der Fremdenlegion, dann in der Reichswehr und der Wehrmacht. Er ist der Bruder von Friedrich G. Jünger. Seine Schriften 'In Stahlgewittern' (Tageb., 1920), 'Der Kampf als inneres Erlebnis' (Essay, 1922) und 'Feuer und Blut' (En., 1925) gelten als Verherrlichung von Soldatentum und Krieg. Später Schriften gegen Gewalt und Macht. Jüngers Teilzeitideologien sind bis heute ebenso umstritten wie seine literarischen Werke.

Dr. Holger Hof ist Herausgeber der Stuttgarter Ausgabe der Sämtlichen Werke Gottfried Benns.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Wir müssen über Mescalin reden
Experimente zweier älterer Herren: Der Briefwechsel von Gottfried Benn und Ernst Jünger / Von Frank Schirrmacher

Briefe, die ohne Antwort bleiben, nagen am Absender. Warum kommt keine Antwort? Ging der Brief verloren? Wurde man vergessen, verleugnet, verdammt? Auch dieses Gefühl wird in Zeiten des elektronischen Benachrichtigungsassistenten verschwinden. Bei Ernst Jünger hatte es sich 29 Jahre erhalten. Am 30. November 1949 sendet er Gottfried Benn ein Exemplar seines Romans "Heliopolis" mit der Einzeichnung: "Zweite Botschaft an Gottfried Benn. Die erste vor dreißig Jahren hat ihn nicht erreicht. Wenn Sie kein Monument darin erblicken, so nehmen Sie es als Marmorbruch. Vielleicht sind auch Fossilien darin."

Drei Jahrzehnte Warten, obwohl es unterdessen tausendfach Gelegenheit gegeben hätte, mit dem in der Weimarer Republik immer berühmter werdenden Benn Kontakt aufzunehmen. Der Privatsekretär Armin Mohler fügt, den ominösen Brief erklärend, hinzu: "Er muß ihn um 1920 geschrieben haben. Anlaß war: ,Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel / wäre zu weit und litte schon zu sehr', welche Verse er heute noch auswendig weiß. Einen Brief dieser Art schrieb er, später, nur noch an Spengler."

Ernst Jünger war kein großer Briefschreiber. Die Energie ging in die Tagebücher. Um so bedeutsamer war ihm, was er selbst immer wieder betonte, daß er zeitlebens nur an zwei Autoren aus eigenem Antrieb schrieb: den Verfasser des "Untergangs des Abendlands" und den damals vierunddreißigjährigen Gottfried Benn. Der verlorene Brief wäre womöglich der substantiellste gewesen - denn das, was sich die beiden Herren schrieben, ist eben die Prosa zweier älterer Herren, Nachrichten über die Gesundheit und Elegien über die Geburtstage (Benn wird 65), über Reisen und Lektüren. Aber, und das ist eben das Faszinierende am Trivialen, diese beiden Gentlemen zählen zu den bedeutenden Geistern der Epoche, wachsen, so scheint es, noch heute zu neuer, größerer Bedeutung heran.

Benn hat 1933 - anders als der hellsichtige Jünger - nicht nur an die Nationalsozialisten geglaubt; er wurde, wie Klaus Mann erbittert vermerkte, die einzige literarisch relevante Stimme, die sich Hitler zur Verfügung stellte. Zwar endete dieses Abenteuer, wie man weiß, schon bald in Ernüchterung und Angst; doch im Jahre 1949, als Jünger und Benn den Kontakt aufnahmen, waren beide Kronzeugen einer sittlichen und auch literarischen Urschuld.

Interessant, daß beide darüber fast niemals reden. Die Verführung, die im Nationalsozialismus lag - bei Jünger war es mit der Sympathie bekanntlich bereits Ende der zwanziger Jahre vorbei - wird von keinem der beiden thematisiert. Benns Satz, "über mich können Sie schreiben, daß ich Kommandant von Dachau war oder mit Stubenfliegen Geschlechtsverkehr ausübe, von mir werden Sie keine Entgegnung vernehmen", galt auch hier: auch bei dem, auf dessen Verstehen er rechnen konnte, blieb er stumm. Es blieb das berühmte Widmungsgedicht an Jünger: "Wir sind von außen oft verbunden, / wir sind von innen meist getrennt, / doch teilen wir den Strom, die Stunden / den Ecce-Zug, den Wahn, die Wunden / des, das sich das Jahrhundert nennt." Jünger hat später in seiner typisch verknappenden Art festgestellt, daß er Benn von seinem Irrtum abgehalten hätte, wenn er ihn 1933 konsultiert hätte.

Der Briefwechsel der beiden ist keine Gedankenprosa. Der aktivere, werbendere Teil ist ohne Zweifel Ernst Jünger. Seine Ansichtskarten von der Côte d'Azur mit dem ständigen Drängen, Benn solle doch vorbeikommen, mögen den seßhaften Buddha in seiner Bozener Straße mehr provoziert als gefreut haben. Jünger ist es auch, der Benn für seine berühmten Drogenexperimente mit dem LSD-Erfinder Hofmann gewinnen wollte. Erst ganz behutsam ("Wir müssen über Mescalin reden"), schließlich ihn direkt zu einer Session einladend ("seit langem bin ich der Meinung, daß es sich hier nicht lediglich um literarische Betrachtungen handeln darf, sondern daß praktische Vorstöße nötig sind"). Darauf Benns Antwort, auf die der erschreckte Jünger sogleich mit einem Rückzieher reagiert: "Darf ich bei der Gelegenheit erwähnen, daß ich selber Drogen weder nehme noch genommen habe?"

In Wahrheit verhielt es sich so: Gottfried Benn mochte Ernst Jünger nicht. Der verschwundene Brief von 1920, dafür spricht einiges, war gar nicht verschwunden, sondern wurde von Benn einfach nicht beachtet. Wie sonderbar muß ihm diese Kontaktaufnahme vorgekommen sein, in einem Augenblick, als er, anders als 1920, nicht der junge Gott, sondern der verbannte, der gefallene, sogar verachtete Poet war! Benn mißfiel sehr, daß beider Namen stets in einem Atemzug genannt wurden. An Oelze, den einzigen wahren Freund (den er freilich auch zeitweise verdächtigte, mit ihm eine homosexuelle Affäre zu suchen), schreibt er über den Autor der "Stahlgewitter": "Weichlich, eingebildet, wichtigtuerisch und stillos. Sprachlich unsicher, charakterlich unbedeutend."

Darin steckte nicht nur Neid und der Wille zur Ungerechtigkeit; es war auch das völlige Unverständnis für die Lebensform, die der Waldgänger sich gesucht hatte. Nein, sehr viel zu sagen hatten sich die beiden Ausnahmeexistenzen nicht, aber das gerade macht diesen leicht betulichen Briefwechsel so amüsant: der Sportsmann Jünger, der Ratschläge für eine Tänzerin erbittet und Afrika-Expeditionen plant, gegen diesen Bierschaffner Benn, der in seiner kleinen, dunklen Wohnung, die er fast nie verläßt, Gedichte verfaßt, die zum Schönsten und Tiefsten zählen, das in deutscher Sprache geschrieben wurde.

Ein einziges Mal begegnen sie sich. Jünger besucht den schon rein organisatorisch völlig überforderten Benn in seiner Wohnung. An Oelze schreibt er: "Groß angekündigt: er käme inkognito usw. War ganz nett. Bescheidener als ich erwartet hatte. Wie sieht er aus? Nicht so eitel u. affektiert wie seine Bilder . . .Wir tranken ganz reichlich u dabei kamen wir uns näher u wurden offen miteinander." Es muß an diesem Abend gewesen sein, daß Rat für Jüngers Tänzerin erteilt wurde. Was es für ein Rat war, werden wir nie erfahren und auch nicht, worum es ging. Was immer wir an Tagebüchern und Briefen versammeln: das, was wirklich zählt, bleibt so ungelesen wie Ernst Jüngers verschwundener Brief.

Gottfried Benn/Ernst Jünger: "Briefwechsel 1949 - 1956". Herausgegeben von Holger Hof. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2006. 154 S., geb., 14,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2006

Biere zischen in der Boxerkneipe
Nett im Nichts: Die Briefwechsel Gottfried Benns mit Ernst Jünger und mit seinem Verleger Max Niedermayer
1949, im Jahr der zwei deutschen Staatsgründungen, erlebte Gottfried Benn seine triumphale Rückkehr auf die literarische Bühne. Dem seit den dreißiger Jahren zum Schweigen verdammten Dichter gelang, so sagt es einer seiner jüngsten Biografen mit angemessener Schnoddrigkeit, „das größte Comeback seit Lazarus”. Bereits 1948 war im Zürcher Arche-Verlag der Band „Statische Gedichte”, die kühl geordnete Ernte der stummen Jahre, erschienen, und sie erhielten nun auch Lizenz für den immer noch regulierten deutschen Buchmarkt.
Zu Weihnachten 1948 waren „Drei alte Männer” erschienen, 1949 folgten weitere Titel, die Benn zur überragenden geistigen Figur der frühen Bundesrepublik machten (auch wenn er deren abendländischen Zeitstil gering schätzte): die antigeschichtsphilosophische Prosadichtung „Der Ptolemäer”, der Essayband „Ausdruckswelt” und „Trunkene Flut”, ein Querschnitt durch die gesamte Lyrik. 1950 machte sich Benn dann an die Revision seiner problematischen Biografie in der Zeit von Diktatur und Krieg, und er legte mit dem Band „Doppelleben” wiederum ein Stück Anti-Historie vor, das einer ganzen Generation schon im Titel eine Lösung vieler Dilemmata lieferte: Die Brüche der Geschichte fanden ihr Gegengewicht im stoisch ertragenen Zerfall kontinuierlicher Ich-Erfahrung.
Die literarische Restauration
Benn war nun aus der geistigen Inneneinrichtung Deutschlands nicht mehr wegzudenken. Niemand verkörperte den die fünfziger Jahre durchaus mitprägenden Widerstand gegen „deutsche Biederkeit und Grundsuppigkeit” glaubwürdiger. Benn und im Osten Bertolt Brecht waren die ungekrönten Könige der deutschen Dichtung - jene beiden Lyriker, die schon in den zwanziger Jahren Kurt Tucholsky in einer hellsichtigen Doppelrezension nebeneinander gestellt hatte. Wenn man bedenkt, dass im selben Jahr Thomas Mann anlässlich des Goethe-Jahres erstmals wieder nach Deutschland reiste, dass man sich in Ost-Berlin um die Heimkehr Heinrich Manns bemühte, dann darf man wohl auch von einem Jahr der literarischen Restauration sprechen.
Und noch jemand kehrte zurück auf die Bühne: Ernst Jünger. Mit den Pariser Tagebüchern des Zweiten Weltkriegs und dem Roman „Heliopolis” legte auch er Epochenbilanzen vor, die eine stilisiert berichtend, die andere fiktiv erzählerisch. Der elegante Krieger versäumte es nicht, Verbindung, ja Bündnis zu suchen mit dem zu neuer Berühmtheit gelangten Wehrmachtskollegen und Mitnaturwissenschaftler Dr. Benn. Er sandte ihm „Heliopolis” mit anspielungsreicher Widmung: „Wenn Sie kein Monument darin erblicken, so nehmen Sie es als Marmorbruch. Vielleicht sind auch Fossilien darin.” Der so Angesprochene revanchierte sich mit einem Gedicht: „Wir sind von Aussen oft verbunden,/ wir sind von Innen meist getrennt,/ doch teilen wir den Strom, die Stunden,/ den Ecce-Zug, den Wahn, die Wunden/ dess’, das sich das Jahrhundert nennt.” „Mit empfehlendem Gruss.”
Die simplen Verse enthalten schon den Ertrag des kleinen, feinen Briefwechsels Benn-Jünger: Benn lässt Jünger nicht an sich heran. Dieser ist höchlich interessiert, voller Zuwendung und Respekt, Benn ist geschmeichelt und auch etwas enerviert. Man ist sich vor allem einig in der Verachtung der Gegner: „Über mich können Sie schreiben, dass ich Kommandant von Dachau war oder mit Stubenfliegen Geschlechtsverkehr ausübe, von mir werden Sie keine Entgegnung vernehmen”, empfiehlt Benn wenig zartsinnig als Haltung. Jüngers Ersuchen um fachärztlichen Austausch über Drogen entzieht sich Benn ebenso wie möglichen Erörterungen zur Frage, wann die „Weltherrschaft entschieden ist”.
Jünger versucht auf Benns Vortrag „Probleme der Lyrik” einzugehen („dicht am Worte”) und fragt, was gegen Farbadjektive spreche: „Was wäre denn Trakl ohne seine Skala, die ihm ganz eigentümlich ist?” Vorschläge zu gemeinsamen Reisen ans Mittelmeer schlägt Benn aus, mit gesundheitlicher Resignation. Er zeigt sich als Stubenhocker: „Wald mag ich nicht, mochte ich nie, aber Blumen über alles.” Die interessanten Äußerungen Benns findet man im ausführlichen Anmerkungsapparat, wo nicht nur die berühmte ablehnende Charakteristik Jüngers gegenüber dem Brieffreund Oelze steht („katastrophal! Weichlich, eingebildet, wichtigtuerisch und stillos. . . ”), sondern auch ruhigere, hellsichtigere: „Ein wenig viel Apparatur ist ja doch an ihmu um ihn. . . . Er erinnert in dieser Hinsicht etwas an St. George.”
Benn hing das ewige Zusammengestelltwerden mit Jünger zum Halse heraus - „Ptolemäer und Mauretanier” hieß die bald von Max Bense ausgegebene Parole -, und das eine Mal, als Jünger ihn in Berlin am 16. Mai 1952 endlich besuchte, stürzte den gesellschaftlich wenig Versierten in die Sorge, „was ich diesem Schilderer von Weinen, Gläsern, Wohlleben u Fischdelicatessen zum Abendbrod vorsetzen soll. ,Heliopolis' ist ja die reine Folge von Vorstellungen eleganter Tafeln u. funkelnder Kristalle - nun, wahrscheinlich isst er selber Milch und trocken Brod.” Der Abend scheint dann doch ganz zufriedenstellend verlaufen zu sein, und immerhin gedachte Benn seiner am Jahrestag danach mit Freundlichkeit. Viel mehr als Diplomatie und gemeinsame Presse-Verachtung war also nicht, der eine wichtige gemeinsame Punkt beider Autoren, ihre naturhistorisch eingekleidete Verachtung der geschichtlichen Welt, Politik und Moral, kommt nicht zur Sprache. Dabei zeigt sich, dass Benn sich über treffende Kritik durchaus aufregen konnte: Als 1952 Peter de Mendelssohn mit ausführlichen Polemiken gegen Benn und Jünger (1953 aufgenommen in de Mendelssohns Band „Der Geist in der Despotie”) hervortrat, reagierte der Stoiker aus der Bozener Straße mit Androhung gerichtlicher Schritte (während es nun Jünger ist, der zum Ignorieren rät). Peter de Mendelssohn wird man sich also wieder einmal anschauen müssen.
Junger Mann, großer Ernst
Der Manager und Macher von Benns großem Nachkriegserfolg war sein Verleger Max Niedermayer vom Limes-Verlag in Wiesbaden. Der junge Bayer hatte sich 1948 energisch bei Benn um die Rechte beworben, im vollen Bewusstsein von dessen Umstrittenheit, vor allem auf Grund des Flirts mit dem Nationalsozialismus 1933/34. Die Briefe Benns an seinen Nachkriegsverlag liegen nun in doppelter Gestalt vor, als ausgewählte Leseausgabe in Buchform und als CD-Rom mit vierfachem Umfang von 1249 Seiten, wo auch die Gegenbriefe Niedermayers und der Lektorin Marguerite Schlüter, die die beispielhaft sorgfältige Edition betreut hat, zu lesen sind. Der Rezensent gesteht, dass es ihm nicht möglich war, über 1000 Seiten am Bildschirm zu lesen, und so hat er sich darauf beschränkt, durch eifriges Scrollen nach vielleicht im gedruckten Band übersehenen Goldnuggets zu suchen. Kein Fund, überwiegend Sand des Lektoratsalltages, den man heute im Mailverkehr erledigen würde, vergessene Vorsatzblätter, ja es wird umpaginiert usw. Was menschlich und literarisch von Interesse ist, steht im Leseband der Bennschen Briefe an Niedermayer.
Hier erwuchs nämlich eine freundschaftliche Verbindung, bei der Benn väterliche Gefühle entwickelte, die ihm gut stehen. Der schmale junge Mann imponiert ihm - „grosser Ernst, der überhaupt über der ganzen Persönlichkeit liegt u ihr fast gelegentlich etwas Tragisches giebt” - nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Bedürfnislosigkeit: Beim ersten Besuch reist Niedermayer mit nur 5 Mark in der Tasche an und fast ohne Toilettengegenstände, ist dabei aber akkurat gut gekleidet. Die beiden arbeiten reibungslos zusammen, bald ergibt sich der Brauch, dass Niedermayer für ein längeres Gespräch am Sonntagnachmittag in der Bozener Straße anruft. Vor allem beobachten beide mit Argusaugen die deutsche Öffentlichkeit, und dem wie ein Frosch regungslos im Wasser liegenden Benn entgeht keine Fliege, die da auf dem Sumpf herumsummt. Friedrich Sieburg, der mit einer spektakulären Rezension der „Statischen Gedichte” Benns Nachkriegsruhm eingeläutet hatte, spricht vier Wochen nach Jünger bei ihm vor: „Elegant, gepflegt, apart, sehr lebhaft, etwas vordrängend. (Hellgraue Seidenstrümpfe u. schwarze Pumps an den Füßen, exquisites Hemd, sehr eleganter Anzug). Alles in allem eine unterhaltende Erscheinung.”
Benn ist kein Society-Typ, zu einer Soiree mit T.S. Eliot schickt er nur seine Frau, weil er keinen passenden Anzug habe. Er zieht es vor, abends in einer nahegelegene Boxerkneipe „einzuschieben”, das eine oder andere Bier zu „zischen” und stumm den Schlagern zu lauschen, deren Geist und Rhythmus in seiner Lyrik so nachdrückliche Spuren hinterlassen haben. Dem jungen Niedermayer öffnet er sein Herz mehr als den gleichzeitig hochtaktisch angehimmelten jungen Damen, denen der alte Roué gern etwas vormachte. Das muss er bei Niedermayer nicht, und so erlebt der Leser immer wieder einen depressiven, verstimmten Dichter, der „down” ist und dankbar für ein Gespräch: „Es ist so nett, wenn man auf seiner Couch liegt, herbstlich-melancholisch im halbdunklen Hof- und Hinterzimmer, die Welt resultatlos an sich vorüberziehen sieht, aus dem Nichts hervorgestiegen und im Nichts vergehend - es ist so nett, dann Ihre freundliche Stimme zu hören, nachdem man aufgesprungen ist und das Fräulein ,Wiesbaden‘ ruft! Nochmals: haben Sie vielen Dank!”
Kein Raum, keine Hoffnung
Nett im Nichts: Das ist doch der beste Benn, der überhaupt zu haben ist. „Für mich gibt es ja wirklich nur das Eine: in seiner Wohnung bleiben und möglichst wenig reden müssen.” Dabei leidet er durchaus unter der Berliner Gefangenschaft: „Dies West-Berlin liegt wirklich wie eine Klammer um das Leben, keine Freiheit, kein Raum, keine Natur, keine Hoffnung” - also doch wohl der ideale Benn-Raum. Dass man nicht zu gering von Ernst Jüngers menschlicher Einfühlung denken soll, zeigt der Umstand, dass er im Stande war, dieses Benn-Gefühl von sich aus zu formulieren: „Sie wohnen in der Bozener Straße. Im gleichen Stadtviertel habe ich etliche Berliner Jahre verbracht. Auf submarine Weise. . . Als Taucher. Erinnere ich mich dieser Zeit, ist mir immer, als ob ich in ein tiefes Aquarium, gefüllt mit Schleierschwänzen, eintauche. Gläserner Inhalt. Vor und hinter den Scheiben eines Café’s regen sich die Menschen wie Fische.” GUSTAV SEIBT
GOTTFRIED BENN/ERNST JÜNGER: Briefwechsel 1949-1956. Herausgegeben von Holger Hof. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2006. 154 Seiten, 14,50 Euro.
GOTTFRIED BENN: Briefe an den Limes Verlag 1948-1956. Herausgegeben und kommentiert von Marguerite Valerie Schlüter und Holger Hof. Mit der vollständigen Korrespondenz auf CD-ROM. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2006. 271 Seiten, 42 Euro.
Kein Näheverhältnis: Ernst Jünger, Gottfried Benn.
Fotos: Seeger/Georg Ebert
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dass Briefe über literarisches "Potenzial" verfügen, steht für Ina Hartwig zwar fest, dem Briefwechsel zwischen Gottfried Benn und Ernst Jünger mag sie dies allerdings nicht im "emphatischen Sinne" zugestehen. Gottfried Benn ist in ihren Augen durchaus ein "begnadeter" wenn auch "zwanghafter" Briefeschreiber, gegen dessen "epistolarische Kunst" Ernst Jüngers Briefe nicht ankommen, urteilt die Rezensentin. Zudem liest sie den Korrespondenzband auch als "Zeugnis einer ungleichen Zuneigung", denn es sei offensichtlich, dass sich Jünger zwar stark zu Benn hingezogen fühlte, dieser sich aber bei seinen Versuchen, ihn sich vom Leibe zu halten, in allerlei "Abwehrstilisierung" übte und Jünger "nicht besonders" mochte. Hartung lobt den "vorzüglichen Anmerkungsapparat" des Herausgebers Holger Hof, der zu ihrem Bedauern aber nicht herauskriegen konnte, wer die "Tänzerin" war, wegen der Jünger sich bei Benn Rat holte, wie man einem Brief entnehmen kann. Die abgedruckten Briefe haben für sie den großen Vorzug, dass sie die Beziehung der beiden Schriftsteller so "komplex bündeln" wie nie zuvor. Die Entscheidung des Herausgebers, dem Briefwechsel auch noch Jüngers "Annäherungen" beizugeben, findet die Rezensentin deshalb gerechtfertigt, weil sie, wie sie betont, dessen "literarischem Talent" sicherlich "gerechter" werden als seine Briefe.

© Perlentaucher Medien GmbH
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