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Der junge Ich-Erzähler ist überzeugt: er wird ein berühmter Schriftsteller werden. Um seinem Ziel näher zu kommen, hat er mit einem abgehalfterten Kulturkritiker einen Deal gemacht: je nach finanziellem Bedarf verhökert er dessen Bibliothek, doch erst nachdem er die Bücher in schlaflosen Nächten förmlich verschlungen hat. Ein Name, zufällig in einem Sammelband mit Essays gefunden, fesselt ihn: Ana Maria Martinez Sagi. Eine von einem Geheimnis umgebene junge Frau, eine glänzende Lyrikerin, eine selbstbewußte, eigenwillige Erscheinung (so jedenfalls wird sie beschrieben). Das war in den späten…mehr

Produktbeschreibung
Der junge Ich-Erzähler ist überzeugt: er wird ein berühmter Schriftsteller werden. Um seinem Ziel näher zu kommen, hat er mit einem abgehalfterten Kulturkritiker einen Deal gemacht: je nach finanziellem Bedarf verhökert er dessen Bibliothek, doch erst nachdem er die Bücher in schlaflosen Nächten förmlich verschlungen hat.
Ein Name, zufällig in einem Sammelband mit Essays gefunden, fesselt ihn: Ana Maria Martinez Sagi. Eine von einem Geheimnis umgebene junge Frau, eine glänzende Lyrikerin, eine selbstbewußte, eigenwillige Erscheinung (so jedenfalls wird sie beschrieben). Das war in den späten zwanziger Jahren. Die Suche nach ihr wird zur Passion.
Wie Detektive durchstöbern er und zwei Freunde Archive, sie graben Dokumente aus, gehen jedem Hinweis nach, finden noch lebende Zeitgenossen.
Allmählich setzt sich aus dem Gefundenen ein faszinierendes Bild einer ungewöhnlichen Frau zusammen. Doch der Höhepunkt ist, als es ihnen tatsächlich gelingt, Ana Maria Martinez Sagi zu finde n, eine hochbetagte, einsam lebende, immer noch stolze Frau.
Juan Manuel de Prada hat mit diesem rasanten, sehr ungewöhnlichen, spannenden Roman einer der interessantesten Frauen des 20. Jahrhunderts ein grandioses Denkmal gesetzt. Einer Frau, die es wegen ihrer Stärke, ihres politischen Engagements, ihres unkonventionellen Lebens und ihrer zarten Lyrik verdient, daß sie nicht vergessen wird. Der Roman einer Biographie: In der subtilen Vermischung von realen Fakten und erfundener Handlung zeigt sich de Prada als ein Meister des Vexierspiels.
Autorenporträt
Juan Manuel de Prada, geboren 1970 in Baracaldo/Baskenland, studierte Jura und lebt heute als freier Autor und Literaturkritiker in Madrid. In Spanien hatte er bereits zuvor mit Kurzgeschichten und einem Roman Aufsehen erregt. Für "Trügerisches Licht der Nacht" erhielt er 1997 den höchstdotierten Literaturpreis Spaniens, den "Premio Planeta".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2002

Wie im echten Roman
Juan Manuel de Prada auf den Spuren einer vergessenen Dichterin

Kaum ein philologisches Werk könnte für den Kanon eine vergleichbare Revolution bedeuten, wie es eine Literaturgeschichte apokrypher Dichtung wäre. Der Literaturnobelpreis würde an Pierre Menard verliehen, den Autor des "Don Quijote"; Literatur- und Musikwissenschaftler analysierten interdisziplinär die Gedichtvertonungen des P. D. Q. Bach; Biographen diskutierten kontrovers Details aus dem Leben von Álvaro de Campos; und Staatstheater führten das Monumentaldrama "Das Rad der Geschichte" auf. Verbindendes Merkmal all dieser Werke: daß sie nie existiert haben.

Einen Logenplatz im Pantheon der potentiellen Poesie müßte, so scheint es jedenfalls, auch die Zentralfigur von Juan Manuel de Pradas Roman "In den Winkeln der Lüfte" erhalten: Ana María Martínez Sagi, katalanische Feministin, spanische Leichtathletik- und Skimeisterin, bis heute einzige weibliche Präsidentin des FC Barcelona in der Vereinsgeschichte, Aktivistin auf seiten des Anarchistenführers Durruti im spanischen Bürgerkrieg - und Lyrikerin in kastilischer Sprache. "All meine Gedanken / sind weiße Rosen", dichtete Ana María und deutete damit vielleicht auch an, wie schnell sie zu Nichts vermodern. Denn, in keiner Literaturgeschichte vertreten, ist sie selbst nicht mehr als die literarische Fiktion eines Kreises von Schriftstellern aus der Zeit der spanischen Republik.

Das zumindest mutmaßt der Ich-Erzähler des Romans, nachdem er in einer Artikelsammlung von 1930 die rätselhafte Figur der Ana María Martínez Sagi entdeckt. Von da an läßt das Schattenwesen ihn nicht mehr los. Sein Forscherinteresse steigert sich zu einer Obsession, in die er auch den Buchhändler Tabares und die Bibliothekarsgehilfin Jimena und sogar Pere Gimferer hineinzieht, den wohl bedeutendsten katalanischen Gegenwartslyriker. Doch immer mehr verdichten sich die Hinweise auf die reale Existenz der Martínez Sagi. An den Tag treten ihre skandalumwitterte Liebesbeziehung zur Schriftstellerin Elisabeth Mulder, ihr Exil nach dem Sieg Francos, bevor sich die Spuren verwischen. Bis schließlich das Forscherteam die Autorin, alt und verhärmt, in einer Ortschaft bei Barcelona dingfest machen und ihrer erschütternden Lebensbeichte Gehör schenken kann.

Pradas Spurensuche im Spanien vor dem Bürgerkrieg erscheint zunächst als eine postmoderne, aufpolierte Neuauflage der Technik, ein authentisches historisches Umfeld durch fiktive Protagonisten zu porträtieren - wenn die dem Romantext beigefügten Dokumente, Reproduktionen von Fotos, Handschriften, Buchpublikationen und ein Anhang mit Gedichten der Ana María Martínez Sagi im Verlauf der Lektüre nicht untrüglich zu verstehen gäben, daß diese mehr als eine Ausgeburt der Phantasie ist. Kein Zweifel: "In den Winkeln der Lüfte", übrigens ein Zitat aus dem Werk der Dichterin, ist der Bericht einer tatsächlichen Recherche und zugleich der schriftstellerischen Initiation des 1970 geborenen Autors Juan Manuel de Prada. Literarisch beinhaltet das zweifellos den Reiz, das traditionelle Spiel mit apokryphen Figuren, mit der Fiktion im Gewande des Dokuments, auf den Kopf zu stellen.

Allerdings ist das Spiel mit der Grenze von Schein und Wirklichkeit bei Prada kein Selbstzweck. Vielmehr unterstreicht es das Unbegreifliche, ja Skandalöse des Falls Martínez Sagi: wie eine Dichterin, die, allein den wenigen im Anhang abgedruckten Werken nach zu schließen, vielleicht zu den bedeutendsten ihrer Zeit gehört, so sehr dem Vergessen anheimfallen konnte, daß bereits ihre bloße physische Existenz den Anschein einer literarischen Fiktion erhalten muß. Gleichsam als sei es der größte Triumph derer, die sie als dem faschistischen Menschenbild Inkompatible, als Republikanerin, Feministin und Homosexuelle physisch nicht zu liquidieren vermochten, sie noch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Franco-Diktatur aus der kollektiven Erinnerung gelöscht zu haben. "In den Winkeln der Lüfte" eröffnet insofern den Blick in den toten Winkel des Vergessens, auf die Besiegten, die nach dem Fall der Republik, von Freunden und Familien verstoßen, ins Exil gedrängt, schließlich als Fremde ins eigene Land zurückkehrten.

Spätestens wenn am Ende des Buches Ana María Martínez Sagi ihren eigenen Lebensbericht liefert, ist allerdings eine gewisse Tragik de Pradas nicht zu verbergen. Sein Buch lebt in erster Linie von der ungeheuren Kraft der Protagonistin, und sobald diese selbst das Wort erhält, wird das sprachliche und gedankliche Qualitätsgefälle zwischen beiden Autoren offensichtlich. "Nietzsche hat gesagt", so Ana María, "die Griechen hätten weiße Skulpturen über dem Abgrund errichtet, um ihn zu verbergen. Vielleicht versucht der Dichter sie umzureißen, um eben diesen Abgrund bloßzulegen, daher seine innere Tragödie, seine leidenschaftlich empfundene, geheime Folter."

Dieses Reflektions- und Sprachniveau erreicht Prada, in seiner Mischung aus großsprecherischem Neobarockstil und politisch unkorrekter Flapsigkeit, in keinem Moment. Ihn, den unermüdlich und leidenschaftlich Forschenden, ereilt das Schicksal des Fackelträgers: Neben der von ihm Beleuchteten versinkt er in der Dunkelheit. Immerhin ist es aber dies Licht, dem wir das Überleben der Dichterin zu verdanken haben, und zwar, wie es in einem ihrer Gedichte heißt, noch "durch die Ascheschleier des Todes". Ana Maria Martínez Sagi verstarb am 2. Januar 2000 in Santpedor bei Barcelona, ohne die Erscheinung des Buches erleben zu dürfen.

FLORIAN BORCHMEYER

Juan Manuel de Prada: "In den Winkeln der Lüfte". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Barbara Mesquita. Gedichtübertragung von Petra Strien. Verlag Klett Cotta, Stuttgart 2002. 575 S., geb., 25,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Zusammen mit drei anderen spanischen Neuerscheinungen bespricht der Rezensent Albrecht Buschmann den jüngsten Roman von Juan Manuel de Prada, der mit dem Leben der wahren Ana Maria Martinez Sagi "ein exemplarisches Schicksal aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg rekonstruiert". De Prada, so der Rezensent, lässt einen jungen Autor zufällig auf ein Interview mit Sagi stoßen, "einer der bekanntesten Frauen" ihrer Zeit, die allerdings vollkommen aus dem kollektiven Bewusstsein ausradiert wurde. Dichterin, engagierte Journalistin, Sportlertin und Frauenrechtlerin, all das war Sagi, erklärt der Rezensent, doch "unter Franco durfte es solch eine Frau nicht geben, es durfte sie nicht einmal gegeben haben". Und so nähert sich de Prada, durch seine Hauptfigur, "detektivisch" dieser ausradierten Frau, doch seine Recherche ist keine postmoderne Spielerei, sondern "postfranquistischer Ernst", wie an den zahlreichen Fotos, Faksimiles und ganzen Zeitschriftenseiten abzulesen ist. Und doch geht es hier nicht um die eine Wahrheit, bemerkt der Rezensent, denn neben seinem "dokumentarischen Fleiß" ist da noch de Pradas barocke Sprache, die nicht "verdünnt", sondern zum Glänzen bringt und "unterstreicht". Es gehe um das Selbstverständnis des Schriftstellers als "Gestalter möglicher Welten" und darum, dass "die Literatur mehr ist als Diskussion von Fakten, Fakten, Fakten".

© Perlentaucher Medien GmbH
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