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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2002

Leben für das geschriebene Wort
Erbe des Büchersammlers: Publikationen der Fondation Bodmer

"A propos de tout", zu allem etwas, nannte der Schweizer Schriftsteller Charles Ferdinand Ramuz eine Feuilletonserie, die er zwischen 1913 bis 1918 für die "Gazette de Lausanne" verfaßte. Darin berichtete er über kleine Alltagsbeobachtungen und Seltsamkeiten jenes originellen Völkchens in den Alpen, das vom gleichzeitig ringsum tobenden Krieg so segensreich unberührt blieb. Ramuz schrieb seine Texte auf kariertem Papier in akkurater Handschrift und nahm nur wenige nachträgliche Veränderungen vor. Er war sich seiner Feder sicher.

Was schert uns ein hierzulande leider eher unbekannter Autor? "A propos de tout" steht Pars pro toto: Denn eines dieser Feuilletons ist jetzt in einer hinreißenden Ausgabe erschienen, die dem Text eine Reproduktion der fünf Manuskriptseiten beigibt, auf denen er verfaßt wurde. Damit nicht genug: Es sind in dem schmalen Bändchen auch die Rückseiten der Karoblätter faksimiliert, so daß man sich ansehen kann, wie die Tinte durchschimmert. Eine solche Perfektion der Präsentation muß das Werk eines Bibliomanen sein, doch dahinter steckt mehr, nämlich eine ganze bibliomane Institution, die Fondation Bodmer in Cologny bei Genf.

In ihrer von Martin Bircher herausgegebenen Reihe von Schriften ist Ramuz' kurzer Text "Pays" nun als dritter Band erschienen, leider nur auf französisch. Doch was kümmert sich eine Einrichtung wie die Fondation Bodmer um Sprachbarrieren? Ihr Gründer, der Zürcher Millionärserbe Martin Bodmer, war ein Mann, auf dessen Interessen der Titel von Ramuz zutrifft: à propos de tout. Er verstand von allem was, sofern es nur Bücher betraf. Als junger Mann stürzte sich der 1899 geborene Bodmer in die Sammelleidenschaft und nutzte die Zeitläufe aus: 1936 etwa erwarb er den größten Teil der Autographen aus Stefan Zweigs Sammlung, die der Schriftsteller verkaufen mußte, um seine Reise ins Exil zu finanzieren, und zuvor hatte er bei den Auktionen zugeschlagen, auf denen die junge Sowjetunion die Reichtümer des Zarenhauses versilberte, um den Siegeszug des Kommunismus zu finanzieren. Seitdem besaß Bodmer in seiner Bibliotheca Bodmeriana eines der besterhaltenen Exemplare der Gutenberg-Bibel.

In den Antiquariaten ganz Europas und Amerikas war er nicht weniger aktiv, und so fand auch das Leibnizsche Handexemplar von Newtons "Philosophiae naturalis principia mathematica", das die Universitätsbibliothek Göttingen in einem Anfall von Wahnsinn als Dublette ausgesondert hatte, seinen Weg in die Bodmeriana. Um die persönlichen Schwerpunkte Dante und Goethe herum stockte der Sammler seinen Bestand mit immer neuen Inkunabeln und Manuskripten auf. Und wie es sich für einen fanatischen Literaturliebhaber gehörte, leistete er sich von 1932 bis 1944 eine eigene Zeitschrift, die "Corona", die von einer Schriftenreihe ergänzt wurde, in der zahlreiche Texte und Verzeichnisse der Bodmeriana publiziert wurden.

Bodmer starb 1971, und obwohl er dafür gesorgt hatte, daß seine Bücher- und Autographensammlung, die gewiß weltweit beste in privater Hand, durch die Gründung der Stiftung zusammengehalten und öffentlich zugänglich gemacht wurde, begann nach seinem Tod eine harte Zeit. Mittel zu weiteren Ankäufen fehlten; erst Ende der neunziger Jahre wurde die Stiftung durch Zuwendungen in die Lage versetzt, ihren Sitz umbauen zu lassen, wieder auf dem Autographenmarkt aktiv zu werden - und eine neue Schriftenreihen zu begründen. Flaggschiff ist die zweisprachige (deutsch und französisch) Zeitschrift "Corona nova", die künftig einmal jährlich erscheinen soll und deren erste Ausgabe zum Schönsten zählt, was der deutschsprachige Büchermarkt im letzten Jahr hervorgebracht hat. Denn den zahlreichen Beiträgen zur Geschichte der Sammlung und zu einzelnen Beständen sind mehrere Faksimiles beigegeben, darunter das Autograph des Barlach-Gedichts "Der feurige Peter im Schnee" und als Höhepunkt die Korrekturfahnen der ersten Seiten von Marcel Prousts "Recherche", die die Fondation Bodmer unlängst ersteigert hat - ein Fest für Proust-Liebhaber.

Verlegt wird die Schriftenreihe, in der außerdem bereits die Erstpublikation von Beethovens Allegretto in h-Moll, dessen Manuskript die Stiftung zum hundertsten Geburtstag ihres Gründers von dessen Sohn Gaspard Bodmer geschenkt bekam, und ein reichbebildertes Verzeichnis der ägyptischen Kunst im Besitz der Fondation Bodmer, erschienen sind, beim Münchner K. G. Saur Verlag, der vor zwei Jahren schon die wissenschaftliche Edition der berühmten "Bodmer Papyri" übernommen hatte. Man darf gespannt sein, welche Schätze noch im Rahmen dieser makellosen Schriftenreihe präsentiert werden.

ANDREAS PLATTHAUS

"Corona nova". Bulletin de la Bibliotheca Bodmeriana. Hrsg. von Martin Bircher. Série 1, volume 1. K. G. Saur Verlag, München 2001. 270 S., Faksimiles, br., 24,- , im Abonnement 19,80 .

Charles Ferdinand Ramuz: "Pays". Corona nova, Série 2, cahier 3. K. G. Saur Verlag, München 2001. 40 S., Abb., geb., 20,- .

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Bücher- und Zeitschriftensammler Martin Bodmer hatte eine bedeutende Bibliothek erstellt, über deren Bestand er in den Jahren 1930 bis 1942 in einer Zeitschrift Auskunft erteilte, berichtet Hanno Helbling. Nun gibt es eine "Neuauflage", treffender ein Bulletin, das über Neuerwerbungen, unbekannte Texte und den Bestand der Bibliothek informieren soll, kündigt der Rezensent an. Der erste Band dieses Bulletins soll, informiert Helbling über den Einführungstext von Jean Starobinski, zum Genuss und zur Teilnahme an den wertvollen Bänden Bodmers einladen. So ist es dem Rezensenten aber nicht ergangen. Anstatt bibliophiler Freuden werde dem Leser, kritisiert Helbling, ein Prozess der Ausarbeitung und Rechenschaft präsentiert.

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