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Leonore sitzt im Bungalow der Grotewohl-Villa. Im ehemaligen Gästehaus der Schriftstellerverbandes der DDR haben "Freunde der DDR", hier mitten in Pankow, gewohnt. Die Gegend ist wie verödet, die Metropole sonderbar weit weg. Scheue Rentner wohnen hier, hin und wieder wird ein Hund spazieren geführt. Die im Gästehaus seit zwanzig Jahren arbeitende Putzfrau, die immer noch jeden Tag die Mülltonnen durchsucht, weiß Geschichten zu erzählen.

Produktbeschreibung
Leonore sitzt im Bungalow der Grotewohl-Villa. Im ehemaligen Gästehaus der Schriftstellerverbandes der DDR haben "Freunde der DDR", hier mitten in Pankow, gewohnt. Die Gegend ist wie verödet, die Metropole sonderbar weit weg. Scheue Rentner wohnen hier, hin und wieder wird ein Hund spazieren geführt. Die im Gästehaus seit zwanzig Jahren arbeitende Putzfrau, die immer noch jeden Tag die Mülltonnen durchsucht, weiß Geschichten zu erzählen.
Autorenporträt
Marlene Streeruwitz, in Baden bei Wien geboren, studierte Slawistik und Kunstgeschichte und begann als Regisseurin und Autorin von Theaterstücken und Hörspielen. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter zuletzt den Bremer Literaturpreis und den Preis der Literaturhäuser. Ihr Roman »Die Schmerzmacherin.« stand 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen der Roman »Flammenwand.« (Longlist Deutscher Buchpreis 2019), die Breitbach-Poetikvorlesung »Geschlecht. Zahl. Fall.« (2021) sowie der Roman »Tage im Mai.« (2023). Literaturpreise (u.a.):Mara-Cassens-Preis 1996Österreichischer Würdigungsstaatspreis für Literatur 1999Hermann-Hesse-Literaturpreis 2001 (für "Nachwelt")Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2002Bremer Literaturpreis 2012Franz-Nabl-Preis 2015Preis der Literaturhäuser 2020Wiener Buchpreis 2023
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2000

Nicht schlafen hatte können
Wie die Wienerin Marlene Streeruwitz dem Logozentrismus den Krieg erklärt – in den Kulissen von Berlin: „Majakowskiring”
Kein Als kein Wenn kein Ob, das sich gerettet hätte. Vernachlässigte Zeitadverbien auf der Suche nach syntaktischem Anschluss, kaltgestellte Prädikate, kastrierte Plusquamperfekte. Eine Sprache, die sich nicht denken kann, ein Denksprechen nach Innen oder, genauer gesagt, ein Sprechfühlen, die Grammatik einer heiß gelaufenen Seelenmaschine, die um den leeren Fleck kreist, der das Subjekt ist. Das Zerstörungswerk einer von sich selbst verlassenen Sprache, das ist Majakowskiring, die neue Erzählung von Marlene Streeruwitz.
Im Zentrum steht Lore, Journalistin aus Wien, geschieden, kinderlos alternd, von Satzzeichen festgenagelt im Käfig der Selbstzerfleischung. Mai 1998, der Bungalow eines exsozialistischen Gästehauses in Berlin-Pankow, wo früher die Staatsdelegationen ihren politischen und sexuellen Perversionen nachgingen. Lore geht nicht hinaus. Lore wartet, wie das Viertel um den Majakowskiring, auf irgendwas, das nun kommen müsste, irgendwas mit Zukunft. Der Eisschrank brummt, die Sitzmöbel zerschlissen, vergilbte Gardinen, Ostblock-Ambiente. Gipsbüsten hinter Glasvitrinen.
„Dieses Zimmer war eine Falle. Eine Fallgrube. ” Eher lustlos wird das marode Projekt Sozialismus, acht Jahre nach seinem Zusammenbruch, als passable Kulisse für den eigenen Jammer registriert. „Hatte die Geiselnahme, hinter dieser Mauer sein zu müssen, den Körper gemeint . . . Hatte er einem dann mehr gehört. Wenn er immer wieder aufgegeben worden war. ” Dieses Nach-innen-Sprechen ist so mit sich selbst beschäftigt, dass es Wirklichkeit nur in Partikeln herein lässt, kurze Schnitte durch ein Frauenleben auf der Suche nach Liebe. Die Männer heißen Richard, polnisch oder deutsch, oder Paul. Lore, ein literarischer Zwilling der Lisa in Streeruwitz’ zweitem Buch Lisas Liebe, hat das Malina-Syndrom, bekannt durch Ingeborg Bachmann. Frauenalltag, Opferalltag – die Unfähigkeit, den Zumutungen von Eltern, Geliebten, von Strukturen der Ordnung, Anpassung und Verwertung etwas Eigenes entgegenzusetzen, weil die Sucht nach dem Anderen immer wieder das Eigene absorbiert.
Die Erzählweise verweist auf frühere Versuche der Theater- und Prosaautorin, aus der Bewusstseinsstrom-Technik der französischen Surrealisten eine Revolution der weiblichen Sprache zu generieren. Wo die Schriftsprache die Abwesenheit des Sprechers in den ontologischen Strukturen markiert, ist dieses verstümmelte Sprechen, wir wissen es längst, ein mimetisches Abbild der verstümmelten weiblichen Psyche. Wie rettet sie sich aber aus der stets drohenden Redundanz, wenn diese weibliche Sprache vor allem Modulation, Anwesenheit der lebendigen Stimme im Text ist? Wie entgeht sie der Oberfläche der Welt, dem Klischee, während sie um jeden Preis den erkenntnistheoretischen Anspruch zu leugnen sucht, den die rationale, logozentrische, „männliche” Sprache seit der europäischen Aufklärung mit sich führt? Was bleibt von einer Sprache, die von allen Geistern männlich-patriarchaler Ordnungen verlassen ist, die den rationalen Strukturen der Syntax abschwört und jenes unselige Wittgensteinsche Gesetz, wonach die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt sind, zum Sündenfall einer Geschichte der weiblichen Unterdrückung macht? Ein Lore-Romänchen für epistemologisch fortgebildete Leser/innen.
In diesem Prosatext ist vorläufig zu besichtigen, wohin es führt, wenn die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meines Körpers sind, von den kleinen blauen Schuhen bis zum Jil-Sander-Modell. Gegen die männliche „Besetzung durch Nichtanwesenheit” wird Vegetabilität, Körperhaftes, Präsenz aufgeboten. „Warten hatten müssen. Abhängigkeiten des Lebens gut ausfüllten . . . Früher. Nach einer Trennung. Nach der Scheidung von Richard. Nicht schlafen hatte können. Getrunken hatte. ”
Dieser Text kann gelesen werden als eine Kriegserklärung, ein Angriff auf die Festungen der logozentrischen Schriftsprache, die ihren Ursprung im lebendigen Sprechen vergessen hat. Das ganze Arsenal hysterischer Selbstinszenierung wird durchgespielt, von hasserfüllten Männermordphantasien bis zur Erwägung, sich den kleinen Finger abzuhacken. Die Theatralität der weiblichen Präsenz ist verbergend und entlarvend zugleich. Sie nutzt, in der kunstvollen Verfertigung himmelschreiender Naivität, den Wiedererkennungseffekt serieller Frauenromane und sprengt zugleich die Materialität der Literatur auf in seine sprachlich-mimentischen und seine ästhetisch-strukturellen Komponenten.
Dieser Text ist also nicht, was er darstellt. Er ist seine eigene Negation als Kritik. Seine eigentliche Heldin ist die Literatur, weiblich. Das Diktum der Kritischen Theorie, dass die Aufklärung umschlägt in den Mythos, dem sie entkommen will, kommt hier zu neuen Ehren. Das Bild, das sich Frauen von sich selbst machen, wird von Marlene Streeruwitz in den toten Winkel zwischen realer Unfreiheit und imaginärem Selbstentwurf, Mythos und Aufklärung verschoben. Neu an diesem Diktum ist lediglich, dass eine österreichische Autorin auf einmal die verblichene DDR als thematisches Feld, als strukturellen Kontext einer gescheiterten Frauenemanzipation aus westlicher Sicht okkupiert und daraus ein westöstliches Auslaufmodell zusammenbaut, das den Leser/die Leserin in nicht geringes Erstaunen setzt angesichts seiner Weltentrücktheit. Was Streeruwitz in ihren Büchern und Theatertexten daher immer wieder verteidigt, den Widerstand gegen die Kolonialisierung der Weiblichkeit, das tut der weibliche Blick hier selbst, die Kolonialisierung einer fremden Wirklichkeit – „. . . warum rutschten alle DDR-Phantasien immer ins Sexuelle. Warum war das ihr erster Gedanke hier gewesen?”
Nüchtern und geradezu parodistisch ungerührt bewegt sich Streeruwitz zwischen den Klischees einer beschädigten, männlich dominierten weiblichen Identität, gleichsam einer Emanzipation im Wartezustand, und einer DDR, die schließlich genauso im herrschaftlichen Wartezustand verendete. Von diesem Ort kann frau nicht irgendwohin aufbrechen, von hier kann eine nur flüchten, zum Flughafen, ohne Koffer und alles. Und genau das tut dann Lore, dem Himmel sei dank, und verschwindet im Plusquamperfekt, wie die DDR, „als hätte es sie nie gegeben”.
BEATRIX LANGNER
MARLENE STREERUWITZ: Majakowskiring. Erzählung. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2000. 100 S. , 38 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2000

Örtlich betäubt
Gestrandetes Leben: "Majakowskiring" von Marlene Streeruwitz

Drei der Betonplatten auf dem Weg zum Bungalow haben einen Sprung, an den Rändern kommen Grasbüschel durch. Über den Funktionärsvillen am Pankower Majakowskiring liegt jetzt die Einflugschneise. Die Nachbarschaft klumpt zusammen zu sonntäglichen Familienfeiern und spazierenden Hundehaltern; eine ältere Dame irrt als hilflose Person umher. Die Putzfrau kommt täglich.

Endlos dehnt sich der Nachmittag, allein der Schatten des Magnolienbaums sorgt dafür, daß die Zeit vergeht. Ein Literaturhaus hat, bis auf weiteres, seine Veranstaltungen und Autoren in der Villa untergebracht, die früher Gäste des DDR-Außenministeriums beherbergte. Das Mobiliar ist zerschlissen, der Teppichboden hat ein wolkiges Muster, dem sich Altersund Schmutzspuren ideal anpassen konnten. Hier wurden "die Befehlsketten der internationalen Freundschaft aufgefrischt", denkt Leonore. Bei kleinen Konspirationen, Lauschangriffen, Gelagen und Orgien womöglich? Nicht einmal mit Schmuddelphantasien ist die muffige Langeweile zu vertreiben.

Nicht im mindesten gibt sich Marlene Streeruwitz' Erzählung autobiographisch oder auch nur insiderisch. Aufschlüsse über die Berliner "LiteraturWerkstatt" sucht man vergeblich. Wie und warum die Wirtschaftsjournalistin Leonore in die Gästewohnung am Majakowskiring gelangt sein mag, bleibt unklar. Um so spürbarer wird, wie der lähmende Autismus des Ortes auf sie übergeht. "Sie sollte nichts versäumen", souffliert sich die Zweiundfünfzigjährige. Schließlich ist Mai, und die Stadt wallt vor Hitze. Vielleicht einen Callboy nehmen oder wenigstens einmal um den Block spazieren. Unterdessen gibt sie den Erinnerungsfetzen nach, die sich in ihre Einsamkeit drängen. An Richard, mit dem sie verheiratet war; an Paul, der nie hatte zu ihr ziehen wollen; an den stets eifersüchtigen Polen schließlich, den sie durch ein falsches Geständnis verlor. Die Leonore-Figur hat Schaden genommen, und ihre Erzählung muß ihn aushalten. Oft ist der Satzbau lückenhaft, manchmal zu einem abgehackten Stammeln verkürzt, als lohnten ihre Selbstgespräche der Mühe nicht mehr.

Die Männer, die in diesem trüben Bewußtseinsstrom vorbeiziehen, sind keine ausgesucht unangenehmen Exemplare ihrer Art. Aber sie füllen den Raum aus, sind achtlose Verdränger seelischen Volumens, während die Frau immer Platz macht. Ihre Geschichte lebt allein noch vom Strandgut der anderen. Zerbrochen, gesprungen, zerschlissen auch sie; aber immer noch bewohnt.

Der Erzählung eignet eine leise, figurennahe Sprachkunst und die Fähigkeit der bedeutenden Auslassung. Über weite Strecken versieht Streeruwitz die Perspektive ihrer Protagonistin mit einem niedrig eingepegelten ironischen Ton und verpflichtet sie auf präzise Beschreibungen. Die Erinnerung an einen Flughafen namens "Berlin-Schöneberg" sollte sie freilich überdenken. Jedenfalls tut Leonore, als sie am Ende Ort und Text ergebnislos verläßt, gut daran, ihr Taxi zum Flughafen Tegel zu dirigieren.

ALEXANDER HONOLD.

Marlene Streeruwitz: "Majakowskiring". Erzählung. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 112 S., br., 18,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Katharina Döbler nimmt die Erzählungen dreier Autorinnen zum Anlass, eine Lanze für das viel geschmähte Genre der Frauenliteratur zu brechen. Dem Kitschverdacht und dem Innerlichkeitsvorwurf sieht sie dabei auf ganz verschiedene Weise begegnet.
1) Maike Wetzel: "Hochzeiten"
Zu Maike Wetzels Roman bemerkt Döbler, dass die Autorin mit ihrer knappen, klaren Sprache, die auf unnötiges schmückendes Beiwerk verzichte, "Fragmente aus der Wirklichkeit" liefere. Dabei entstehen "Dialogfetzen im Originalton", die für Döbler einen hohen Grad an Authentizität haben. Ein wenig erinnert sie der lakonische Ton an Raymond Carver - allerdings gebe es bei Wetzel nur glatte Oberflächen, bei Carver dagegen "schwindelerregende Transparenz". Wetzels Sprache verliert ihre Klarheit nur dann, wenn sie Gefühle beschreibt, dann "rutschen und kippen die Texte ins Angestrengte", beobachtet Döbler.
2) Alissa Walser: "Die kleinere Hälfte der Welt"
Die Erzählungen von Alissa Walser seien dagegen mit Bedeutung aufgeladen. Döbler bewundert Walsers "außerordentliches Gespür für das sexuell Aufreizende, aber auch das Bedrohliche und Gemeine". Wenn Wetzel mit "achselzuckendem Zynismus" die Dinge nimmt, wie sie sind, beschreibe Walser die Entstehung dieser Haltung als "schmerzhaften Prozess". Besonders lobt Döbler auch die elegante Sprache, die das Derbe mit dem nur Angedeuteten gekonnt kombiniere.
3) Marlene Streeruwitz: "Majakowskiring"
Auch an dieser Erzählung lobt Döbler besonders die Sprache Streeruwitz`, die mit ihrer Rhythmisierung und Künstlichkeit bereits zum Markenzeichen der Autorin geworden sei. Dieser "irritierende Sprachduktus" ist für Döbler ein überzeugendes literarisches Verfahren. Das sich bei Liebesgeschichten immer einstellende Problem der Verkitschung löse die Autorin geschickt, indem sie den "Kitschverdacht offensiv in ihre Erzählung hineinzitiert".

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