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Benvolio Antonio Olivio Julio Toto Meo Ho Schmitt weiß Bescheid: Lea wird sterben. Drei Mal darf er seine große Liebe treffen, beim vierten Mal kommt der Tod und steckt sie in seinen Stoffbeutel. Um sie zu retten, flieht Ben. Unterwegs verliert er seine Namen, verursacht den Weltuntergang hinter dem Spiegel und stellt fest: Alleinbleiben ist gar nicht so einfach.
"Wenn wir uns treffen, muss es der schönste Tag unser aller Leben werden, das steht fest. Wenn es nicht der allerschönste Tag unseres Lebens wird, haben wir uns nicht getroffen. So einfach ist das."

Produktbeschreibung
Benvolio Antonio Olivio Julio Toto Meo Ho Schmitt weiß Bescheid: Lea wird sterben. Drei Mal darf er seine große Liebe treffen, beim vierten Mal kommt der Tod und steckt sie in seinen Stoffbeutel. Um sie zu retten, flieht Ben. Unterwegs verliert er seine Namen, verursacht den Weltuntergang hinter dem Spiegel und stellt fest: Alleinbleiben ist gar nicht so einfach.

"Wenn wir uns treffen, muss es der schönste Tag unser aller Leben werden, das steht fest. Wenn es nicht der allerschönste Tag unseres Lebens wird, haben wir uns nicht getroffen. So einfach ist das."
Autorenporträt
Scheffel, Annika
Annika Scheffel wurde 1983 in Hannover geboren und lebt in Berlin. Sie studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und schreibt Drehbücher. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit einem Stipendium der Drehbuchwerkstatt München und dem Förderpreis zum Grimmelshausen-Preis für »Ben«.Literaturpreise:Förderpreis zum Grimmelshausen-Preis 2011SWR-Bestenliste September 2010
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2012

Zorn und Wut und Haarausfall

Annika Scheffel lässt die Welt untergehen. Bringt die Grammatik zum Umsturz. Geht um ihre Sätze herum und schaut sich an, wie man es anders machen kann, damit etwas bleibt

So wird das sein, am nächsten Mittwoch, auf dem sogenannten Suhrkamp-Kritiker-Empfang in Frankfurt, in der alten Unseld-Villa. Da werden sie stehen mit ihren grauen Haaren und in ihren grauen Anzügen, genau an der Stelle des Parketts, an der man sie vor einem Jahr stehen ließ. Robert Walser wird aus seinem kleinen Goldrahmen herabsehen auf die Sektgläser in den Händen der Kritiker, auf den Notizblock in den Händen des Rainald Goetz, auf den Teppich, auf die Bücherregale, die sich langsam leeren in diesem toten Haus, auf das kleine Pult, den Dichterstuhl, auf dem schon Peter Handke saß und las und Siegfried Unseld und Giorgio Agamben und Alexander Kluge. Und dieses Mal wird da eine junge Frau Platz nehmen, mit roten Haaren, schwimmbadblauen Augen, leicht elfenhaftem Wesen, ihren sehr kleinen Sohn wird sie dabeihaben, und sie wird vom Untergang der Welt vorlesen.

"Bevor alles verschwindet", so heißt ihr neuer Roman, der erst im nächsten Frühjahr erscheint. Das Motto: "Gegen die verdammte Endlichkeit". Und wer schon einmal kurz vorab etwas darin lesen konnte, der weiß, dass Annika Scheffel darin herrlich und triumphal das Versprechen eingelöst hat, das sie mit ihrem ersten Buch "Ben", das vor zwei Jahren erschienen ist, gegeben hat. Ach, das war ja schon viel mehr als ein Versprechen. Es ging darin um die Liebe, die vergeht, um die Angst vor dem Tod, um den Kampf gegen ein Leben in Grau, um eine bessere Welt. Um alles also, vor allem um diesen Ben mit vielen Namen. Mit jeder Liebe, die er verliert, mit jedem Leben, das er abstreift, um weiterzuziehen Richtung Tod, verliert er einen dieser Namen. Am Ende bleibt nur Ben. Und eine Erinnerung an Glück.

Mittendrin las sich das so: "Er kann sein Glück nicht fassen, sie weicht noch aus und er auch, wenn man ehrlich ist, und das ist man. Mund zu Mund Verabschiedung und dann geht jeder seines Weges. Man sieht sich. Lapidar präsentiert sich die Nacht in ihrer ganzen Herrlichkeit." So klingt das. Annika Scheffels Prosa folgt einer eigenen Grammatik. Seufzergrammatik, wie Irmgard Keun das nannte, aber klarer die Worte, wie auf Glas geschrieben. Und sie, die Schriftstellerin, steht dann vor den Sätzen und verschiebt die Wörter, bis der Satz klingt wie eine kleine neue Welt. Ist einer krank und hat noch Hoffnung, dann klingt das zum Beispiel so: "Herr May, nachmittäglich im Bett, jedoch kurz vor dem Aufstehen, zählt die Schritte auf dem Flur und freut sich auf das nächste Mal, wenn sie von ihm stammen." Annika Scheffel geht um ihre Sätze einmal herum und schaut, ob sich die Welt von der anderen Seite öffnen lässt.

Sie schreibt gegen vieles an. Vor allem gegen die Zufriedenheit beziehungsweise gegen die Lethargie. Oder gegen das Gefühl ihrer Altersgenossen, sowieso nichts ausrichten zu können. Resignation wird abgelehnt, und zwar zack, zack: "Sie nehmen es hin, wie man Abschiede hinnimmt und Weltuntergänge und die Abendnachrichten und alles so an sich." Heißt es im neuen Buch. Scheffels Revolutionsgrammatik ist für ein solches Hinnehmen nicht gemacht. In "Ben" ging das so: "Gib mir Liebe, gib mir Hass und Zorn und Wut und Haarausfall, das ist doch alles nicht mehr nötig. Regt euch ab! - Ich will aber, ich will aber, ich will aber, schreit er. Ich will hier raus!"

Annika Scheffel hat einmal hier in dieser Zeitung über die Leute geschrieben, die so alt sind wie sie selbst, die sich ihren Idealismus nicht wegquatschen lassen wollen und die immer wieder tollen Momente in ihrem Leben auch nicht: "Dass sie Luxusärsche sind in ihrem mitunter undefinierten Wollen und sich dafür manchmal schämen. Dass sie alles richtig machen wollen, und zwar ohne Gebrauchsanweisung und am besten aus eigener Kraft. Dass sie sich selbst oft nicht folgen können und trotzdem dranbleiben. Dass sie träumen, auch wenn das als kitschig gilt, dass sie immer noch nach dem Neuen suchen, auch wenn es doch angeblich nichts gibt, dass es nicht . . . Dass sie auf jeden Fall glücklich sein wollen, und man hat ja nur eins davon, von diesem Leben."

Annika Scheffel hat Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und in Bergen studiert. Da lernt man, wenn ich das richtig verstanden habe, Videos zu zerschnipseln und auf der Bühne zu stehen und zu "performen", so direkt schauspielern wird von den anwendenden Theaterwissenschaftlern eher verachtet. So ungefähr klingt es, wenn Annika Scheffel davon erzählt. Wir haben uns kurz getroffen, in Berlin-Moabit, zwischen Schloss Bellevue und Knast, in einem Café, das heißt tatsächlich "Coffee-Mamas", und es sind auch wirklich jede Menge Mamas darin und trinken Schaumcafés und haben ihre Minis auf dem Schoß. Auch Annika Scheffel ist mit einem kleinen Herrn auf dem Arm gekommen, er trägt eine lustige Mütze, ist noch kein halbes Jahr alt, aber schon sehr interessiert daran, Dinge umzuwerfen.

Das hat er vielleicht von seiner Mutter, um hier mal schnell und halbwegs elegant zu den Texten zurückzukehren. Grammatikumsturz ist jedenfalls das auffälligste Merkmal ihres Schreibens. Das kommende Buch liest sich fast so, als spiele es unter Wasser. Als habe jemand die Handlung in einen tiefen See verlegt, so ruhig und tieftönend und sich langsam ausbreitend liest sich das über weite Strecken. Wie gesagt: Vom Untergang ist hier die Rede. Eine kleine Welt, ein Dorf ist dem Untergang geweiht. Eine Talsperre wird errichtet, das Dorf wird geflutet. Eine Welt wird verschwinden. Noch ist sie da, noch stehen die Häuser, das Leben findet nicht unter Wasser statt, es klingt nur so, wenn die Menschen sprechen.

Und sie bewegen sich wie Taucher, so scheint es mir. Eine apokalyptische Gesellschaft ist da zusammengekommen. Das Schlimmste am Verschwinden von allem ist, dass die Vergangenheit des Ortes damit etwas Endgültiges bekommt. Zum Beispiel ist die Frau des Bürgermeisters abgehauen. Das ist schon Jahre her. Aber Herr Wacholder, so heißt der Bürgermeister, die Bürger nennen ihn Wacho, hat immer noch Hoffnung auf ein Wiedersehen. Sein schlechtes Leben könnte irgendwie noch gut ausgehen am Ende. Wenn jetzt die Flut alles verschlingt, sein bisheriges Leben, die Orte, an denen er glücklich war und elend, dann ist es eben vorbei für immer, und man kann auch nichts mehr korrigieren im Leben. Das ist eben vorbei, vorbei, für immer vorbei.

"Gegen die verdammte Endlichkeit", hat Annika Scheffel an den Anfang gesetzt. Einen komisch aussichtslosen Kampf kämpft sie da und kämpfen ihre Figuren. Ist es nicht gut, dass alles endlich ist? Ist das nicht die Formel für Glück? Vielleicht ja, vielleicht nein. Es gibt keinen Grund, sich festzulegen. Es ist eben nur so unglaublich schade, dass man in manche Momente seines Lebens nicht zurückkehren kann. Darum geht es hier. Und geht es nicht auch um den Klimawandel, um von Fluten verschlungene Küstenstädte, um die ganze Welt? Ja, klar geht es darum auch. Einen Moment hat man Angst, ob man dem leichtfüßigen Buch damit nicht eine zu große Last aufbürdet. Aber bürdet man nicht.

Am Anfang stand ein Bild, das erzählt sie eben noch bei den "Coffee-Mamas", die Erzählungen ihrer Großmutter von einem Dorf in Süddeutschland, das auf diese Weise verschwunden ist, von Häusern, die man mitnehmen konnte. Und von einem Friedhof, der blieb. Und von einem Totensonntag schließlich, als die alte Dorfgemeinschaft, es herrschte große Trockenheit, noch einmal an die Gräber ihrer Vorfahren zog. Ein Besuch im Totenreich, eine Möglichkeit, mit der niemand mehr gerechnet hatte. Für einen Moment standen sie inmitten ihrer Vergangenheit, bei den Toten.

Annika Scheffel kämpft ihren eigenen Kampf gegen die Vergänglichkeit. Einen Schriftstellerkampf auf ihre Art. Menschen, Leben, Liebe so beschreiben, dass sie währt. Dass sie lebendig bleibt und schön.

Das könnte lustig werden und überraschend lebendig, am Mittwoch bei Suhrkamps.

VOLKER WEIDERMANN

Annika Scheffels "Ben" erschien 2010 bei Kookbooks (269 Seiten, 19,90 Euro). "Bevor alles verschwindet" kommt im Frühjahr 2013 bei Suhrkamp heraus.

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