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Anne Weber hat ihre Erzählerin in ein Schweizer Großraumbüro versetzt: feste Arbeitszeiten, telefonierende Kollegen, klappernde Tastaturen, ein Durcheinander von Stimmen und Bürogeräuschen - ein idealer Ort zum Schreiben? Eine Zimmerpflanze, die Zahnmodelle und der Blick aus dem Fenster ... Die Gedanken der Erzählerin schweifen vom Ende des Kapitalismus zu den Naturgesetzen und dem abwesenden Direktor. Anne Weber schreibt »einen philosophisch-witzigen Text, der ein Großraumbüro zum Menschheitslabor erweitert« (Iris Radisch) - aber auch eine wütende Tirade, eine furiose Verabschiedung von der Angestelltenexistenz. …mehr

Produktbeschreibung
Anne Weber hat ihre Erzählerin in ein Schweizer Großraumbüro versetzt: feste Arbeitszeiten, telefonierende Kollegen, klappernde Tastaturen, ein Durcheinander von Stimmen und Bürogeräuschen - ein idealer Ort zum Schreiben? Eine Zimmerpflanze, die Zahnmodelle und der Blick aus dem Fenster ... Die Gedanken der Erzählerin schweifen vom Ende des Kapitalismus zu den Naturgesetzen und dem abwesenden Direktor. Anne Weber schreibt »einen philosophisch-witzigen Text, der ein Großraumbüro zum Menschheitslabor erweitert« (Iris Radisch) - aber auch eine wütende Tirade, eine furiose Verabschiedung von der Angestelltenexistenz.
Autorenporträt
Weber, AnneAnne Weber, geboren 1964 in Offenbach, lebt als Autorin und Übersetzerin in Paris. Zuletzt erschienen bei S. Fischer »Kirio«, »Ahnen«, »Tal der Herrlichkeiten«, »August« und »Luft und Liebe«. Ihr Werk wurde unter anderem mit dem Heimito-von-Doderer-Preis, dem 3sat-Preis, dem Kranichsteiner Literaturpreis und dem Johann-Heinrich-Voß-Preis ausgezeichnet. 2020 wurde sie zur Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim ernannt und erhielt den Deutschen Buchpreis. Ihre Bücher schreibt Anne Weber auf Deutsch und Französisch.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2005

So viele Gefangene in einem phantasierenden Kopf
Anne Weber hat ihren Schreibort vorübergehend in ein Großraumbüro verlegt: „Gold im Mund” erzählt von einem schrägen Vogel
Ein bunter Vogel im Großraumbüro ist sie allemal: Während die Angestellten der Schweizer Firma „Cendres et Métaux” ihrer Arbeit nachgehen, sitzt die Erzählerin - hinter der die Autorin A.W. steckt - an ihrem Schreibtisch und verfertigt Literatur. Ein spezieller Fall von Mäzenatentum liegt hier vor, Anne Weber ist so etwas wie der „Unternehmensschreiber” jener Bieler Firma, die ihr, wie es in der Dankeswidmung heißt, „erlaubte, ihren Schreibort vorübergehend in ihre Räume zu verlegen.” Gebisse werden hier gefertigt, Inlays gegossen. Der Titel des schmalen Bändchens „Gold im Mund” ist wortwörtlich zu nehmen.
Über dem Wortsinn allerdings - und das ist offenbar der Ehrgeiz der Autorin - spannen sich kühne metaphorisch-symbolische Sinnebenen, geht der Blick ins Weite, ins Soziologische, Philosophische, Spekulative, zu Begriffen und Denksystemen, die Ordnung und Identität, Existenz und Wahrnehmung, Zeichenhaftigkeit und Sinngebung zum Gegenstand haben: an die Grenzen des Sagbaren also, dorthin, wo sonst nur Dichter reden. Anne Weber zählt sich jedenfalls zu ihnen: In bloßer Mimikry eines Angestelltendaseins an ihrem Schreibtisch sitzend, lässt sie ihre Gedanken schweifen und schaut ihnen zu wie spielenden Kindern: Die springen hierhin und dorthin, schlagen Purzelbäume, klingen mal klug, mal altklug, manchmal naseweis, oft übermütig: „Die Ordnung des Hirns ist die Assoziation.”
Die Gedankensprünge wollen Dichte herstellen, Anne Webers Ziel ist ehrgeizig: In der Bürowelt sieht die Autorin „die Welt in verkleinertem Maßstab noch einmal ganz enthalten”. Sie beobachtet alles mit der gleichen gelassenen Aufmerksamkeit - den Käfer etwa, den Ameisen verspeisen, und der sie an Alain Robbe-Grillet denken lässt („der nun wirklich nichts hier zu suchen hat, sich aber nicht dagegen wehren kann, als Gefangener meines Kopfes über diesem von Tausenden dünner Ameisenbeine gekitzelten Quadratmeter Erde zu schweben”). Ihr Blick belebt Gegenstände und lässt Menschen wie Möbelstücke aussehen, er zoomt zu den Berggipfeln draußen und immer weiter in die große Welt. Den Leser zieht Anne Weber ins Vertrauen und macht ihn mit allerhand rhetorischen Kniffen („an den Leser denkt man nicht”) zum Komplizen.
Ein Angestelltendasein ausgerechnet in Biel, Robert Walsers „Kleiner Metropole”? Anne Webers Aufzeichnungen sind auch eine Hommage an den großen Schweizer Schriftsteller, der aus Biel stammte und dort in seiner Jugend als Bankangestellter arbeitete. Jetzt macht sie sich auf, ihre Form von „Wirklichkeitsroman” à la Walser zu entwerfen. Auch Wilhelm Genazinos Beschreibungen der Angestelltenwelt klingen an; seine Romane hat die in Frankreich lebende Autorin ins Französische übersetzt, an Genazinos Wahrnehmungskollagen und Augenblickskomik schult sie ihren eigenen Sprachstil. Dass sie damit kokettiert, dem Leser die Zeit zu stehlen, ist Teil des selbstironischen Spiels. Webers Perspektive ist allerdings egozentrierter als die Genazinos, die Angestellten um sie herum interessieren sie weniger als die eigenen Befindlichkeiten.
Vielleicht bleibt Anne Webers Prosa deswegen am Ende im Charmanten stecken - die großen Vorbilder werfen übermächtige Schatten. Dass Kunst und die Wirklichkeit, jene „treulose Tomate, der es gelingt, sich dauerhaft an unseren kümmerlichen Wahrnehmungsorganen vorbeizuwinden”, in der Schreibsituation im Großraumbüro aufeinander prallen, wird nur behauptet. Spannend wird die Lektüre allerdings, wenn die Erzählerin beobachtet, wie selbstverständlich rings um sie herum Leben und Produktivität organisiert werden, in der „engen Freiheit” des Angestelltendaseins. Was einengt, stellt Anne Weber fest, nämlich die fremdbestimmte Arbeit, gibt gleichzeitig Halt. Solche Geborgenheit lässt ihre eigene Unbehaustheit umso deutlicher hervortreten. Webers Schaffensprozess und ihre Freiheit sind erkauft durch Selbstzweifel und Verwerfungen aller Art - darüber täuscht das muntere parlando nicht hinweg. Am Ende aber scheitert das mäzenatische „Experiment”, die beiden Welten Kunst und Arbeit begegnen einander nicht. Die Erzählerin bleibt inmitten der Angestellten für sich, vielleicht hat sie es so auch gewollt. Dass Anne Weber mit ihrem Ausflug in die „Großraumwelt” auch eine alte Wunde heilt, darf man vermuten: Ein zweiter, älterer Text folgt auf „Gold im Mund” - ein fiktiver Brief in 31 Abschnitten an die „lieben Bürovögel”, eine harsche Abrechnung mit den „verehrten Raubkollegen”, die ihr das Leben schwer gemacht haben: „Wo fliegt ihr hin? Ich sehe euch näher kommen: Ein Schwarm von Federhaltern, stürzt ihr euch zielsicher auf mich, um mir die Flügel zu stutzen, nackt und gänsehäutig bleibe ich zurück und schließe die Augen.” Diesem Albtraum ist sie jedenfalls entflogen.
BETTINA EHRHARDT
ANNE WEBER: Gold im Mund. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005. 127 Seiten, 14,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2005

Wer den Singular nicht ehrt, ist des Plurals nicht wert
Im Großraum geht das Leben weiter, egal, was geschieht: Anne Webers nonchalante Prosa aus einem Schweizer Dentallabor

Wo schreiben, wenn nicht im Großraumbüro einer Schweizer Zahntechnikfirma? Alle wissen, was zu tun ist, keiner trödelt oder zögert: "Im Großraum geht das Leben weiter, egal, was am Himmel und auf Erden geschieht." Sich auf diesem Helikon wahrer Alltäglichkeit inspirieren zu lassen muß der Plan Anne Webers gewesen sein, als sie bei Cendres & Metaux in Biel für ein paar Monate als Gast einen Schreibtisch bezog. Die Autorin, die in den letzten Jahren mehrere Prosa-Reflexionen publiziert und dafür 2004 den Heimito-von-Doderer-Preis und kürzlich in Klagenfurt den 3Sat-Preis erhalten hat, weiß aber auch, wo sie nicht hinwill: "Der Weg nach Bitterfeld führt, wie die meisten Wege, in die Irre." Wie entsteht aber dann in einem Industriebüro Kunst?

Man füge ein wenig Metaphysik dazu, eine Prise Kapitalismuskritik, einen Schuß Satire, einige Löffel Schreibreflexion, rühre und knete, bis die Masse geschmeidig ohne Sinnklumpen von der Hand geht und sich fein ausziehen läßt. Darein fülle man Topfpflanzen, Flachbildschirme, schrullige Schweizer und Dental-Geräte, forme aus allem eine Rolle und schiebe sie ins Rohr, bis der Strudel einen goldigen Farbton annimmt. Er macht nicht dick, aber auch nicht satt. Für die "Du darfst"-Kultur ist dies genau das Richtige, doch wer die Wahrheitsfrage nicht vorweg aus der Literatur verbannt, wird dies anders sehen.

Kritiker müssen sich freilich in acht nehmen, denn Anne Weber stellt sie pauschal unter Realismusverdacht. Indes, dieser Rezensent will keinen Realismus, sondern einzig Kunst, deren sprachliche Erkenntnisqualität sie von Kitsch und Kunstgewerbe trennt. Da Leser und Kritiker im Text mehrfach explizit angesprochen werden, wollen wir einmal der Autorin beim Schreiben zuhören: "Wie soll es nun weitergehen? Drei Sätze bieten sich an, den nächsten Absatz anzuführen: 1. Von den Metallen kann man einiges lernen. 2. Wer den Singular nicht ehrt, ist den Plural nicht wert. 3. Die Schweiz ist die Heimat der Ovomaltine."

Geht man diesen Katalog rückläufig durch wie Homer, ergibt sich folgender Befund. Zur "Ovomaltine" ist der Autorin gar nichts, zum Plural (außer dem richtigen Kasus) einiges eingefallen: Aus den Komposita Naturgesetz und Gesetzgeber in Verbindung mit dem Plural erschafft sie etwa die Ein-Wort-Anthropologie "die Naturgesetzgeber". Chapeau! Aber Anne Weber macht nichts daraus, es bleibt ein Gag, wie ihn die meisten Menschen in ihren täglichen fünfzehn Genie-Sekunden hinkriegen. Ähnlich steht es mit dem Lernen von den Metallen. Anne Weber entdeckt im unabschaltbaren Hochtemperaturschmelzofen der Firma den "Dauerblitz", der alle Sprachalchemisten von Heraklit bis René Char begeistert hätte, aber Weber macht daraus nichts, kein Symbol (zum Glück!), aber leider auch kein Kriterium für Kunst: "Ich will ja der Realität nicht habhaft werden, verteidige ich mich, sondern ihr als Stimme, als Filter, als Durchlauferhitzer und Kühlapparat dienen." Die Autorin läßt ihr Double im Text, das man in der Mitte des Bandes sogar auf einem Foto des realen Großraumbüros sieht, plötzlich sehr kleinlaut werden: Kunst als sirrende Klimaanlage - ist das nicht ein bißchen wenig?

Vermutlich ist es nur Mimikry, denn die Autorin ist mit vielen literarischen Finten vertraut. Französische Autoren werden herbei- und wieder fortzitiert, Alain Robbe-Grillet wird namentlich verleugnet, erhält aber eine Sonder-Hommage durch die Beschreibung der Jalousie im Großraumbüro. Anne Weber formuliert alltagstaugliche Aphorismen ("Jeder hat Zähne, zumindest gehabt"), wirft zwei rasante Seiten Filmskript für eine Dreiecksgeschichte hin und stülpt beiläufig unsere Weltsicht um: "Die Vögel fliegen an unseren verglasten Großräumen vorbei, wie Zoobesucher, die aus Mitleid oder Gedankenverlorenheit keinen Blick in die Käfige werfen." Ja, so könnte Literatur anfangen - und gleich daneben steht Läppisches, das man gar nicht zitieren mag. Anne Weber kann offensichtlich alles, was sie will, aber sie will nichts. Taoistisch gesehen, bedeutet dies die Vollkommenheit, literarisch ist Nonchalance auf Dauer zuwenig. Denn nicht einmal in einem Büro kann es vierzig Jahre lang immer so weitergehen, geschweige denn in der Literatur. Der Rezensent wünscht sich daher von Anne Weber keineswegs mehr Realismus, sondern den Mut zur Konstruktion von Kunst, von Unerhörtem, dessen erhellende Macht uns vom Bürostuhl reißt - oder lesend darauf bannt.

So weit war diese Kritik geschrieben, als der Rezensent die Homepage des genannten Bieler Unternehmens anklickte - und sich vom prismatischen Realismus all der Brücken, Implantate und Schrauben überzeugen ließ. Mit welcher Liebe preisen diese Schweizer High-Tech-Schmiede ihren Spezialschraubenzieher, der auf alle fünf Schraubentypen im Mund paßt! Im Ernstfall möchte man nur solche Spezialisten an Kopf und Kiefer heranlassen, die offenbar Doderers Erzähl- und Wirklichkeitsprinzip verinnerlicht haben: "Die Tiefe ist außen." Zahntechnik und Poetik treffen sich idealerweise im Mund.

Anne Weber: "Gold im Mund". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 127 S., geb., 19,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Es fällt dem Rezensenten Stefan Kister schwer zu sagen, worum es in diesem Buch überhaupt geht. Auf jeden Fall wird ihm schon während der Lektüre klar, dass der Ansatz der Autorin Anne Weber nicht aufgeht, durch müßiggängerische Reflexionen und Assoziationsketten das große Ganze in Detailbeobachtungen zu spiegeln, während sie im tristen Büro-Umfeld eines Dentallabors sitzt. Kister sieht sich weniger die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten vor Augen geführt als eine eine anstrengende, "heikle Bastelarbeit". Weil die Autorin ihre reduzierte Versuchsanordnung mit Bedeutung und Inhalt aufzuladen versucht, bekämen ihre Beobachtungen laut Kister "die intellektualistische Schlagseite aphoristischer Seelenverkäufer." Im Laufe des Schreibens entwickele Weber durchaus ein paar unterhaltsame Ideen, doch lohnenswert macht dieser Umstand die Lektüre in den Augen des Rezensenten deshalb noch lange nicht - dazu passiert hier einfach zu wenig.

© Perlentaucher Medien GmbH
Klagenfurt: 3sat-Preis für Anne Weber
"Der literarisch gereifteste Text des Wettbewerbs" Ijoma Mangold Frankfurter Rundschau