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Als Körper veranschaulicht, gewinnen unsichtbare Gebilde wie Staat, Gesellschaft, Kirche oder andere 'Korporationen' den Charakter einer imaginären Einheit und Ganzheit. Der historische Bogen dieser Untersuchung der Körper-Metaphorik reicht von der politischen Mythologie des alten Rom über die Konstruktionsprobleme des frühneuzeitlichen Absolutismus und die Erfindung der juristischen Staatsperson im 19. Jahrhundert bis hin zu der heute beobachtbaren Ablösung der körperschaftlichen Bildwelt durch die Metapher des Netzes.

Produktbeschreibung
Als Körper veranschaulicht, gewinnen unsichtbare Gebilde wie Staat, Gesellschaft, Kirche oder andere 'Korporationen' den Charakter einer imaginären Einheit und Ganzheit. Der historische Bogen dieser Untersuchung der Körper-Metaphorik reicht von der politischen Mythologie des alten Rom über die Konstruktionsprobleme des frühneuzeitlichen Absolutismus und die Erfindung der juristischen Staatsperson im 19. Jahrhundert bis hin zu der heute beobachtbaren Ablösung der körperschaftlichen Bildwelt durch die Metapher des Netzes.
Autorenporträt
Albrecht Koschorke,geb. 1958, ist Professor für Deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft in Konstanz und Gastprofessor an der University of Chicago. Seit 2006 gehört er dem Konstanzer Exzellenzcluster 'Kulturelle Grundlagen von Integration' an und ist seit 2010 Sprecher des Graduiertenkollegs 'Das Reale in der Kultur der Moderne'. Mit den Mitteln seines Leibnizpreises 2003 wurde die Forschungsstelle 'Kulturtheorie und Theorie des politischen Imaginären' eingerichtet. Im Fischer Verlag erschien zuletzt 'Die Heilige Familie und ihre Folgen' (4. Aufl. 2011) sowie 'Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas' (2007). Thomas Frank, geboren 1958, ist Privatdozent für Mittelaltergeschichte an der Freien Universität Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschergruppe 'Topik und Tradition'. Ethel Matala de Mazza studierte Neuere Deutsche Literatur, Philosophie, Linguistik und Kunstgeschichte an den Universitäten Bochum, Paris I (Panthéon-Sorbonne) und München. Nach der Promotion arbeitete sie am Institut für Deutsche Philologie der Universität München, nahm anschließend Gastprofessuren in Chicago und Harvard an und wurde dann Professorin für Kulturtheorie und kulturwissenschaftliche Methoden an der Universität Konstanz. Seit 2010 ist sie Professorin am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin. Im S. FISCHER Verlag sind von ihr 'Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas' (2007, zusammen mit Th. Frank, A. Koschorke und S. Lüdemann) und 'Der populäre Pakt. Verhandlungen der Moderne zwischen Operette und  Feuilleton' (2018) erschienen. Susanne Lüdemann, geboren 1960, ist Philosophin und Literaturwissenschaftlerin und war bis Herbst 2000 Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin. Zu ihren Veröffentlichungen gehört ¿Mythos und Selbstdarstellung. Zur Poetik der Psychoanalyse¿ (Rombach 1994).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.07.2008

Und der König steht doch noch am Rednerpult
Eine Frage der Sitzordnung: Philip Manow und ein Berliner Forschungsprojekt über die Körperlichkeit unserer Demokratie
Wenn es um Europa geht, geben sich alle nüchtern. Alle? Nicht ganz. Nicolas Sarkozy, der als Ratspräsident der EU bis zum Jahresende das brüchige Gemeinwesen der 27 repräsentiert, setzt auf den Zauber des Symbolischen. Mit Zwei-Euro-Gedenkmünzen aus dem Atelier von Philippe Starck und der neuen Briefmarkenserie „Marianne et l’Europe” bekommen die Franzosen und ihre Nachbarn Europäisches zum Anfassen. Dabei sind im Lissabonner Vertrag, den Sarkozy irgendwie retten will, vom symbolschweren Pathos des gescheiterten Verfassungsvertrages nur Leerstellen geblieben. Kein Wort mehr von Fahne und Hymne, Motto und Feiertag. Die vormals feierliche Präambel ist auf wenige Sätze zusammengestutzt.
So einfach, wie sich das Brüsseler Identitätskonstrukteure gedacht hatten, ließ sich eine politische Gemeinschaft dann doch nicht imaginieren. Denn auch in der supranationalen Mehrebenendemokratie ist das Metaphysische allgegenwärtig. Auf jede parlamentarische Debatte fällt der lange Schatten des königlichen Körpers – und den gibt es, wie es Ernst Kantorowicz für die Vormoderne beschrieben hat, natürlich immer doppelt.
Auch die Demokratie benötige und produziere ihre eigene politische Mythologie, betont der Konstanzer Politikwissenschaftler Philip Manow in seinem erhellenden, glänzend geschriebenen Essay über die politische Anatomie demokratischer Legitimation. Konzis und überzeugend widerlegt Manow die These von der Bild- und Körperlosigkeit moderner Herrschaft. Mag der König am Ende des Ancien Régime auch unter der Guillotine den Kopf verloren haben – in den Parlamenten lebt sein Körper bis heute weiter. In jeder Inszenierung findet eine konkrete politische Ordnung Ausdruck.
Der Blick ins Parlament erleichtert dabei die Theoriebildung. Manow belegt, dass in der parlamentarischen Sitzanordnung noch heute eine politische Theologie fortlebt, in deren Mittelpunkt die Vorstellung vom sakral aufgeladenen politischen Körper steht, vom „body politic”, wie ihn Thomas Hobbes im „Leviathan” beschrieben und auf dem berühmten Frontiszpiz seines Buches dargestellt hat. An zwei Grundformen parlamentarischer Sitzordnungen zeigt der Autor den Wandel der politischen Repräsentation durch die Französische Revolution. Die Sitzanordnung, wie wir sie aus dem britischen Unterhaus kennen, erinnert mit den zwei sich gegenüberstehenden Bankreihen von Regierung und Opposition und dem Präsidium (Speaker) an der Stirnseite des Saales an mittelalterliche Formen ständischer Repräsentation. Die französische Form des Halbkreises hingegen, die sich nach 1789 in den meisten westlichen Demokratien durchgesetzt hat, füllt das königsleere Vakuum durch eine neue Verkörperung der nationalen Idee: die Repräsentation des Volkes durch den Redner am Rednerpult. Der revolutionäre Umbruch hat die Bilder verändert, und doch ist unübersehbar, dass der Halbkreis „in einer unmittelbaren legitimatorischen Kontinuitätslinie” zu dem abgelösten Herrschaftsregime steht.
Beim Rundgang durch die Parlamentssäle von London und Paris erschließen sich auch Antworten auf viele weitere Fragen politischer Theorie, vom Prinzip parlamentarischer Immunität über die Dauer der Legislaturperiode bis zur Öffentlichkeit parlamentarischer Debatten. Dass uns Angela Merkel neulich bei der Fußballeuropameisterschaft im trauten Beratungsgespräch mit Bastian Schweinsteiger von fern an die „wundertätigen Könige” erinnerte, dürfte Philip Manow nicht wundern. Ganz geheuer scheint ihm die politiktheoretisch verzauberte Moderne aber trotzdem nicht, er resümiert: „Sogar in unseren soziologischen Kategorien zur Analyse politischer Herrschaft spukt der heilige Herrscher also offensichtlich noch herum.”
Dabei sind die Konstruktionen des politischen Körpers, die Manow untersucht, viel mehr als ein flüchtiger Spuk. Das kann man in einem fulminanten „Parcours durch die europäische Staatsgeschichte” nachlesen, den Albrecht Koschorke, Susanne Lüdemann, Thomas Frank und Ethel Matala de Mazza als Ergebnis eines langjährigen interdisziplinären Projekts am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung vorgelegt haben. Der „fiktive Staat”, dessen Körper-Metaphorik das Autorenkollektiv in fünf detailreichen, ungemein spannenden Kapiteln nachgeht, ist nämlich auch als „Erfindung” ganz real. Wenn Kollektive sich als Körper imaginieren, verfügt die Metapher über institutionenbildende Kraft. Die Fiktion ist unverzichtbar.
Um zu verstehen, wie politische Imaginationen entstehen und soziale Metaphern funktionieren, haben die Autoren literarische, staatstheoretische und juristische Quellen aufgearbeitet. Entstanden ist daraus ein beeindruckend einheitliches Buch, aus dem doch viele Stimmen mit je eigenen Schwerpunkten und Fachprägungen sprechen. Es scheint, als hätten sich die Autoren selbst die Fabel vom Magen und den Gliedern zu eigen gemacht, die Livius den Menenius Agrippa dem murrenden Volk erzählen lässt und mit der auch in diesem Band alles beginnt. Unterwegs zu einer „Grammatik des sozialen Körpers” begegnet der Leser Paulus und Savigny, Bodin und Gryphius, Hobbes und Tertullian.
Die Wandlungsprozesse des Imaginären münden in eine grundlegende Veränderung. Neue „supranationale Gebilde und Organisationsformen” greifen in der Selbstbeschreibung kaum noch auf das herkömmliche körperschaftliche Vokabular zurück, liest man. Stattdessen habe es sich eingebürgert, für diese neuen Formen der Koordination politischer, militärischer, wirtschaftlicher und ideologischer Macht die Metapher des Netzwerks zu bemühen. Doch „was heißt es, sich inmitten von unabgeschlossenen, hybriden Strukturen statt in korporativen Zugehörigkeiten mitsamt ihren Inklusionen und Exklusionen zu imaginieren?”
Natürlich wird sich nicht jede gesellschaftliche Einheit in flexible Netzwerke auflösen. Soziale Körper und variabel geknüpfte Netze werden mit- und nebeneinander bestehen. „Das große Problem wird sein, wie unter solchen neuartigen Bedingungen ein notwendiges Maß an gesellschaftlichem Ausgleich und Zusammenhang erzeugt werden kann.” Metaphern des Politischen dürften dabei, nicht nur fiktiv, eine entscheidende Rolle spielen. Schließlich haben sie auch in der modernen Demokratie ihren Zauber nicht verloren. ALEXANDRA KEMMERER
PHILIP MANOW: Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 170 S.,10 Euro.
ALBRECHT KOSCHORKE, SUSANNE LÜDEMANN, THOMAS FRANK, ETHEL MATALA DE MAZZA: Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2007. 414 Seiten. 14, 95 Euro.
Ohne Fiktionen geht es auch in Zeiten der Netzwerke nicht
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Überzeugt hat Alexandra Kemmerer die Untersuchung über die Konstruktion des politischen Körpers als "fiktiver Staat", die aus einem langjährigen interdisziplinären Projekt am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung hervorgegangen ist. Als "fulminanten Parcours durch die europäische Staatsgeschichte" bezeichnet sie das vorliegende Buch, das erfreulicherweise viele Stimmen aus unterschiedlichen Fachrichtungen zu Wort kommen lässt, wie die Rezensentin feststellt. Gefesselt ist sie von den fünf Kapiteln des Autorenkollektivs, die konstatieren, dass Kollektive, die sich als Körper imaginieren, über eine institutionenbildende Kraft verfügen. Die Rezensentin fragt sich außerdem, welche Rolle die Metapher des "Netzwerks", mit der heutzutage die Koordination politischer, militärischer, wirtschaftlicher und ideologischer Macht beschrieben wird, für die Identität einer Politischen Gemeinschaft spielt.

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