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Eine fundierte Biographie des führenden Bach-Spezialisten Christoph Wolff. Das Leben Johann Sebastian Bachs und die Bedingungen seiner Zeit sind höchst anschaulich dargestellt, sein musikalisches Werk wird so eindringlich beschrieben und analysiert, daß das Lesen sogleich zum Hören verlockt. "Brillant." Die Welt "Gewaltig." Die Zeit

Produktbeschreibung
Eine fundierte Biographie des führenden Bach-Spezialisten Christoph Wolff. Das Leben Johann Sebastian Bachs und die Bedingungen seiner Zeit sind höchst anschaulich dargestellt, sein musikalisches Werk wird so eindringlich beschrieben und analysiert, daß das Lesen sogleich zum Hören verlockt.
"Brillant." Die Welt
"Gewaltig." Die Zeit
Autorenporträt
Christoph Wolff, geboren 1940, ist Direktor des Leipziger Bach-Archivs, Ordinarius für Musikwissenschaft an der Harvard University und Honorarprofessor der Universität Freiburg. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge zur Musikgeschichte des 15. bis 20. Jahrhunderts, vor allem zu Bach und Mozart. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten erhielt er 1978 die Dent-Medaille der Royal Musical Association in London, 1992 den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen und 1996 den Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung. 1999 entdeckte er in Kiew den verlorengeglaubten Nachlaß des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel mit einer großen Zahl bisher unbekannter Kompositionen sowie Handschriften seiner Brüder und seines Vaters. In der dritten Klasse beschloss Bettina Obrecht, Schriftstellerin zu werden ... und tat das dann auch. Seit 1994 hat sie knapp sechzig Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Sie schreibt auch für Rundfunk, Zeitung und Bühne und übersetzt aus dem Englischen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2000

Unter himmlischer Käseglocke
Christoph Wolff recherchiert Bachs Leben · Von Julia Spinola

"Wozu noch Biographien?", fragte vor fünfundzwanzig Jahren der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus und stellte provokant das Existenzrecht eines altehrwürdigen Betätigungszweiges seiner Disziplin in Zweifel. Die Zeit der metaphysisch aufgeladenen Monumentalbiografien, die das Leben ihrer Helden in kunstreligiöser Verklärung zwischen Märtyrer- und Heroengeschichte schillern ließen, sollte endlich vorbei sein. Der Idealisierungen, der biografistischen Kurz- und der hermeneutischen Zirkelschlüsse überdrüssig, stellte Dahlhaus klar, "dass biographische Momente zwar in die Entstehung . . . eines Werkes eingreifen, aber über dessen Sinn und ästhetische Geltung nichts besagen". Daraus folgerte er apodiktisch, dass Komponistenbiografien überflüssig seien.

Eine Ahnung davon, dass hinter jedem autonomen OEuvre etwas wie ein ästhetisches Subjekt stehe, eine übergreifende Dynamik, in der die Verklammerung der einzelnen Werke ebenso zu suchen wäre wie jene von Leben und künstlerischer Produktion, trieb ihn dennoch weiter um. Diese zu fassen, hielt der Wissenschaftler jedoch für unmöglich. Zwölf Jahre nach der Anti-Biografien-Kolumne stellt Dahlhaus in seinem Beethoven-Buch das Problem einer "biographischen Methode" als unlösbares Dilemma dar: Entweder erschöpft sich die Darstellung in einer zusammenhanglosen Aneinanderreihung von Dokumenten - dann gibt sie keinen Aufschluss über inneren Zusammenhang und Besonderheit des Künstlerlebens. Oder es gelingt ihr, dem Datenhaufen ein Gesicht zu verleihen - dann, meint Dahlhaus, sei sie zwangsläufig unwissenschaftlich: "Das ,Wesentliche' scheint sich erst im ,Roman' zu erschließen, den sich die Wissenschaft versagen muss", denn dort sei man "gezwungen, intuitiv zu konstruieren, statt sich auf das zu beschränken, was dokumentarisch zu ermitteln ist".

Vor den entscheidenden Fragen streicht die Zunft also die Segel: Der Musikologe als quellenkritisch beflissener Ermittler muss sich den riskant-hypothetischen Blick auf innere Zusammenhänge von vornherein verwehren.

Dass Biografik auch jenseits bloßer Faktenhuberei durchaus nicht in einen frei fabulierenden Biografismus verfallen muss, zeigt nun Christoph Wolffs ebenso akribische wie spannende Veröffentlichung zum Bach-Jahr. Denn seinem aus umfassender Quellenkenntnis erschlossenen "biographischen Porträt" des Komponisten gelingt, was Dahlhaus immerhin der Händel-Biografie des Romanciers Romain Rolland zugebilligt hatte: "die Kunst, ein Stück Vergangenheit so zu schildern, dass in dem Gewirr von Materialien, die sich vor dem Historiker häufen, eine Form sichtbar wird, die den Leser davon überzeugt, dass sie nicht von außen herangetragen und dem Stoffe gewaltsam aufgeprägt, sondern in der Sache selbst entdeckt wurde".

Minutiöse Kleinarbeit und liebevolle Versenkung in die Details züchten auf gut sechshundert Seiten einmal keinen archivalisch zusammengestückten Frankenstein heran, sondern lassen die geistige Physiognomie jenes Komponisten plastisch werden, dessen Bild in unserer Vorstellung meist in Extreme zu zerfallen droht: Alternativ zu jenem demütig dienenden Mann mit Perücke, dessen braves Antlitz zur Universalität und Sprengkraft des bachschen OEuvres so wenig passen will, denkt man sich Bach als Protagonisten einer freischwebenden musikalischen Intelligenz, als Hirn im Glas sozusagen.

Bei Wolff hingegen tritt uns ein seiner selbst und seiner Begabung bewusster Musiker entgegen, der sich schon früh durchzusetzen verstand und sich seinen Weg im Sinne einer Perfektionierung seiner Kunst bahnte - ein autonomer Künstler also, lange bevor es diesen als kulturellen Typus gab. Aufgewachsen war er als jüngster Spross einer weitverzweigten und herausgehobenen Musikerfamilie, deren Name, die "Bache", in der thüringischen Umgebung geradezu als Synonym galt für hohen musikalischen Standard. Eingebunden in die vielseitigen Aufgaben seines Vaters, der als Direktor der Eisenacher Ratsmusik für das gesamte städtische Musikleben verantwortlich zeichnete, war der tägliche Umgang mit Instrumenten und Noten eine Selbstverständlichkeit, die Spielerisches und Professionelles unmittelbar verband.

Zum Paradies der kindlichen Neugierde wurde die Orgel, als gewaltige klangkosmische Maschine, in der es sich zunächst vor allem wunderbar herumkriechen ließ. Sodann hat der kleine Johann Sebastian, dessen "Lust zur Musik", wie der Nekrolog berichtet, "schon im zarten Alter ungemein war", "in kurtzer Zeit alle Stücke, die ihm sein Bruder freywillig zum Lernen aufgegeben hatte, völlig in die Faust gebracht". Ein in nächtlicher Heimlichkeit kopiertes Buch mit Klavierstücken, die der große Bruder dem kleinen vorenthielt, ging als "Mondschein-Manuskript" in die Bach-Biografik ein: Das Kind war nämlich noch "nicht einmal eines Lichtes mächtig", als er sechs lange Monate darauf verwandte, es Note für Note abzuschreiben, mit dem Erfolg, dass es ihm am Ende wieder weggenommen wurde.

In Wolffs zuspitzender Darstellung gewinnen diese viel strapazierten Zitate aus dem Nekrolog mehr als rührend anekdotische Bedeutung. Denn der Autor zeigt, wie der früh erkennbare musikalische Entfaltungsdrang zum Motor der gesamten biografischen Entwicklung wird. Bach der Alltagsmensch ist nicht zu trennen von Bach dem Künstler, auch dort nicht, wo er sich mit den institutionellen Gegebenheiten seiner Epoche zu arrangieren hatte. Wolff hebt die wichtigen Entscheidungsstellen dieses Lebens heraus. Zunächst den ungewöhnlichen Entschluss des Fünfzehnjährigen - der, seitdem er mit zehn Jahren zum Vollwaisen geworden war, in Ohrdruf bei seinem ältesten Bruder Johann Christoph wohnte -, ins ferne Lüneburg aufzubrechen, um dort eine Lateinschule zu besuchen: Etwas, was noch keiner der "Bache" vor ihm getan hatte. Was manch anderer Biograf mit umständlichen Erörterungen über die Höhe des "Mettengeldes" hie und dort vergeblich zu erklären versucht, das erhält bei Wolff schlagend einfach Plausibilität: Norddeutschland war das Schlaraffenland berühmter Wunderorgeln. Bach war auch intellektuell wissbegierig und versprach sich von einem Schulabschluss an einer angesehenen Instituion zu Recht bessere berufliche Ausgangschancen. Schließlich strebte er nach Unabhängigkeit.

Ähnlich zeigt Wolff an späterer Stelle, wie auch das Ausschlagen der Organistenstelle in Halle 1714 nicht damit zu erklären sei, dass der Weimarer Hof ihn nicht hätte gehen lassen. Zwar sei das Hallenser Angebot sehr attraktiv gewesen, vor allem in Hinblick auf die dort gerade im Bau befindliche Cuntzius-Orgel. Musikalisch aber bot die Weimarer Hofkapelle weitaus bessere Möglichkeiten als das Kirchenensemble in Halle. Wolff zufolge führte Bach nicht nur selbstbewusst eine Art "Bleibeverhandlung" mit Weimar, die ihm neben einer Gehaltserhöhung auch einen neuen Titel einbrachte, sondern er veränderte mit dieser Entscheidung seine berufliche Orientierung fundamental: weg von der primären Konzentration auf Orgel und Klavier, hin zur Horizonterweiterung des Komponisten.

Der Knackpunkt lag in einer neu erhandelten Verpflichtung, jeden Monat eine Kantate zu schreiben - eine Herausforderung, die Bach zur systematischen Erkundung und Auslotung aller nur erdenklichen kompositorischen Möglichkeiten der vokal-instrumentalen Musik nutzte: Gattungen, Formen, Satztechniken, Tonarten, thematischer, rhythmischer und harmonischer Strukturen. Und mehr als das: Unterstützt von den Ergebnissen seiner akribischen Detektivarbeit zu Bachs Papierverbrauch, kommt Wolff zur Hypothese, "dass die meisten, vielleicht sogar sämtliche Brandenburgischen Konzerte aus den Weimer Jahren stammen" und nicht erst in Köthen komponiert wurden. Katalysierend wirkte in der Weimarer Zeit nicht zuletzt auch die Auseinandersetzung mit dem modernen, italienischen Konzertstil Vivaldis.

Schon in seiner vor zwanzig Jahren skizzierten Programmatik "Probleme und Neuansätze der Bach-Biographik" hatte Wolff den Finger darauf gelegt, dass "Bach im Grunde nur eine Biographik dient, die . . . sich um die Darstellung und Erklärung der vielschichtigen Entfaltung seines Lebenswerks bemüht". Nun hielt er zwar an dieser Überzeugung fest, schreckte aber vor der aus ihr erwachsenden Aufgabe einer monumentalen Gesamtdarstellung zurück. Dem OEuvre soll ein zweiter Band gewidmet werden.

Gleichwohl stellt seine Biografie die Ansatzstellen einer wechselseitigen Verflechtung von Werk und Leben heraus und zeigt sich so auf dem Weg, die Dichotomie von biografischer Forschung und ästhetischer Werkinterpretation zu überwinden. Mit seiner Generalthese jedoch, die Bach als einen "Gelehrten" zum Protagonisten einer "musikalischen Wissenschaft" stempeln möchte, raubt der Autor seinem Ansatz die Spitze. Dies nicht nur aufgrund der Vermischung von Wissenschaft und Kunst, die das je Spezifische beider Sphären verschenkt, sondern auch, weil er die Wissenschaft reduziert auf ein oberstes System. So verwandelt sich die künstlerische Dynamik spätestens in den Kapiteln über den Leipziger Thomaskantor schleichend in die Planungsrationalität eines Elite-Professors, der ein Pensum zu bewältigen hat.

Hinter alldem lugt am Ende aber noch etwas anderes hervor als das Bild eines in seiner Geistigkeit zum Wissenschaftler "aufgestiegenen" Musikus: Ohne mit der Wimper zu zucken, wechselt Wolff vom Vergleich Bachs mit Newton über zur Theologie. Der Fluchtpunkt aller musikalischen "Forschungen", meint der Autor, sei es womöglich gewesen, einen klingenden empirischen Gottesbeweis zu führen. Unter der theologischen Käseglocke wird freilich nicht nur die Ausdrucksqualität der bachschen Musik erstickt, sondern auch ihre zeitlose Modernität: Bachs Kosmos ist kein geschlossener Ordo mehr, sondern eine unendlich expansive schöpferische Bewegung.

Christoph Wolff: "Johann Sebastian Bach". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Obrecht. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 622 S., mit Abb. und Notenbeispielen, geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2017

Lasset das Zagen
Die Ausgabe der Werke Johann Sebastian Bachs wird um eine „Lebensgeschichte in Bildern“
ergänzt – ein faszinierender, wenn auch teurer Blick in die Zeitumstände des Komponisten
VON JOHAN SCHLOEMANN
Johann Sebastian Bach, damals schon einer der berühmtesten Komponisten und Organisten seiner Zeit, wurde im Frühjahr des Jahres 1723 zum Thomaskantor in Leipzig berufen und blieb es bis zu seinem Tod im Jahr 1750. Dort entstanden Johannespassion und Matthäuspassion, Weihnachtsoratorium, h-moll-Messe, die Violinkonzerte, die Goldberg-Variationen, und das sind nur einige Hauptwerke aus dieser Zeit.
Als Thomaskantor hatte Bach nicht nur unzählige Schüler in Musik zu unterrichten, begabte und unbegabte, und jeden Sonntag Kantaten aufzuführen – sein Arbeitstag begann um fünf, im Winter um sechs Uhr morgens. Er hatte auch politische Verpflichtungen: Bald nach seinem Amtsantritt, im August 1723, erklang in einem Festgottesdienst in der Nikolaikirche Bachs erste Musik zur Wahl des neuen Rates des Stadt Leipzig, ein jährliches Großereignis der stolzen Handelsmetropole. Seine Kantate, die an musikalischer Kunst und instrumentaler Pracht alles in den Schatten stellte, was man in Leipzig bei dem politischen Festakt bis dahin gehört hatte, enthielt auch eine Arie mit diesem Text: „Die Obrigkeit ist Gottes Gabe, / Ja selber Gottes Ebenbild. / Wer ihre Macht nicht will ermessen, / Der muss auch Gottes gar vergessen: / Wie würde sonst sein Wort erfüllt.“
Zwar hat Bach sich gerade in Leipzig mehr mit dieser Obrigkeit herumschlagen müssen, als es der Ausdruck protestantischer Staatsfrömmigkeit in jener Arie nahelegt: Er klagte bei seinen Vorgesetzten über ein sanierungsbedürftiges, beengtes Schulhaus, in dem er mit seiner Familie selber wohnte, über knappe Probezeiten, über zu wenig gute Musiker, von denen er die besten, es waren ja Schüler und Studenten, immer wieder ziehen lassen musste.
Und doch war auch Bach, Spross einer riesigen Musikerfamilie, geprägt von dem Verständnis, dass man sich bei allem kreativen Genie in die Vorgaben seiner Dienstherren fügte, die schließlich vom allerobersten Dienstherren im Himmel in ihre Ämter eingesetzt worden waren. Die sechs Kantaten des Weihnachtsoratoriums etwa, das man jetzt überall wieder spielt und hört, enthalten viel Material, das Bach aus Auftragskantaten für das sächsische Herrscherhaus umarbeitete.
Und da man in den historischen Quellen von der Persönlichkeit dieses Mannes, dem elf seiner zwanzig Kinder gestorben sind, nicht allzu viel zu fassen kriegt, muss man also sein Leben als eine Reihe von Ausbildungs- und Dienstorten betrachten. Diese Dienstorte in Thüringen, Anhalt und Sachsen lassen sich beschreiben, sie werden aber besonders auch in Dokumenten und Bildern anschaulich. Genau dies leistet jetzt ein imposanter Bildband. Er erscheint als eine Ergänzung zur Neuen Bach-Ausgabe (NBA). Die Ausgabe, die im Jahr 2007 abgeschlossen wurde, umfasst 104 Notenbände und 101 kritische Berichte; nun wird sie seit einigen Jahren in einzelnen Bänden, die neue Forschungsergebnisse bieten, revidiert.
Christoph Wolff, der maßgebliche Bach-Biograf, emeritierter Professor in Harvard und früherer Leiter des Leipziger Bach-Archivs, hat die Auswahl zu einer „Lebensgeschichte in Bildern“ zusammengestellt und kommentiert. Diese Geschichte hat, geografisch gesehen, keinen großen Radius: Eisenach, Ohrdruf, Lüneburg, Weimar, Arnstadt, Mühlhausen, Weimar, Köthen, Leipzig. Doch in diesem Radius ereignete sich ein großes Musikwunder, man fand eine Kulturfülle und -dichte im damaligen kleinteiligen Mitteldeutschland, die schon den Zeitgenossen ungewöhnlich erschien.
Man sieht in dem Bildband nun ebenjene Dienstherren und versucht die Menschen unter den Perücken zu entdecken, man sieht Stadtansichten, Ratsprotokolle, Gebäude, Urkunden, Orgeln, so manchen barocken Schnörkel und immer wieder Notenblätter von Bachs Hand, von denen viele in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt sind. Und wenn auch Bachs Werke das Wichtigste bleiben, entsteht so doch ein faszinierendes Bild von seinen Zeitumständen, bis hin zur klitzekleinen Notiz in einer Zeitschrift von 1739, dass man jetzt Bach mit neuer Instrumentalmusik „auf dem Zimmermannischen Caffe=Hauß in der Cather=Strasse Freytags Abends von 8 biß 10 Uhr“ hören könne.
298 Euro sind ein happiger Preis. Aber die hohe Druckqualität im Faksimile rechtfertigt ihn nicht nur für Bach-Forscher. Hier wird tatsächlich eine andere Nähe erzeugt, als wenn man die historischen Dokumente digital betrachtet.
Christoph Wolff: Bach. Eine Lebensgeschichte in Bildern. Redaktionelle Mitarbeit: Marion Söhnel und Markus Zepf. Bach-Dokumente, Band IX. Supplement zu: Johann Sebastian Bach, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, revidierte Edition. Hrsg. vom Bach-Archiv Leipzig. Bärenreiter-Verlag, Kassel u. a. 2017. 469 Seiten, 298 Euro.
Freitagabend im „Caffe=Hauß“:
neue Instrumentalmusik von Bach
– da wär’ man gern dabei gewesen
Arbeitsplatz Leipziger Thomaskirche – oben eine Ansicht von 1749,
unten die Schulordnung von 1723. Links das Weihnachtsoratorium,
rechts das „Wohltemperierte Klavier“
.
Fotos: Stadtgeschichtl. Museum Leipzig, Bach-Acrhiv Leipzig, SPK
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"In einer Sammelbesprechung untersucht Thomas Schacher zehn Bücher über Johann Sebastian Bach. Dabei sind die ersten fünf der besprochenen Bücher eher der musikwissenschaftlichen Literatur zuzuordnen, während die letzten fünf populärwissenschaftlichen Charakters sind. Schacher stellt fest, dass sich die Bilder über den Komponisten in diesen Büchern teilweise erheblich von einander unterscheiden, ja widersprechen. Diese Widersprüche stellt er selbst innerhalb der musikwissenschaftlichen Literatur fest, wofür er nicht zuletzt die spärlichen Quellen zu Bachs privatem Leben verantwortlich macht. Letztlich sei aber jegliche Erkenntnis über Bach immer nur eine vorläufige, die auch in Zukunft um neue Aspekte ergänzt werden wird.
1.) Martin Geck: "Bach. Leben und Werk" (Rowohlt Verlag)
Schacher hält es für einigermaßen mutig, dass Geck sich dem Komponisten und seinem Werk "aus der Sicht von heute" nähert. Diese Haltung scheint der Rezensent durchaus zu begrüßen, denn der Autor geht, wie er feststellt, dem heutigen Bedürfnis nach "Mythos" nach, dem Wunsch nach Identifikation, der gerade bei Bach - nicht zuletzt wegen der lückenhaften Quellen zu seiner Person - kaum zu erfüllen ist. Ein zweiter Aspekt, den Schacher betont, ist dass Geck das Denken des Komponisten "zwischen Alt und Neu" einordnet, also nicht - wie so viele seiner forschenden Kollegen - primär der Vergangenheit verhaftet sieht. Der Autor sieht in Bachs Musik sowohl Anzeichen eines mittelalterlichen "Ordnungsdenkens" als auch ein neuzeitliches "am Subjekt orientiertes Denken", so Schacher.
2.) Christoph Wolff: "Johann Sebastian Bach" (Fischer-Verlag)
Schacher betont ausdrücklich, dass der Autor durch intensives Quellenstudium "das Wissen über Bach auf den neuesten Stand der Forschung" gebracht hat. Dennoch zeigt sich der Rezensent ein wenig überrascht, dass Wolff den Komponisten in seinem Denken der Zeit vor der Aufklärung zuordnet. So sehe Wolff in Bachs Komponieren die "aristotelische Nachahmungslehre als ein Abbilden der Natur" und die mittelalterliche Vorstellung des Quadriviums aus Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie angestrebt.
3.) Konrad Küster (Hrsg.): "Bach-Handbuch" (Bärenreiter und Metzler)
An diesem Band hebt der Rezensent besonders den Beitrag von Hans-Joachim Hinrichsen hervor, der hier - wie Schacher feststellt - einen "fundierten Überblick über die Rezeptionsgeschichte der letzten 250 Jahre" gibt. Besonders interessant erscheint ihm dabei die Bach-Rezeption in den beiden deutschen Staaten. Während in der DDR Bach als fortschrittlich galt, um auch in das "marxistisch-atheistische Weltbild" zu passen, betrachtete man Bach in der damaligen Bundesrepublik primär als Kirchenmusiker und Komponisten religiöser Werke, so Schacher.
4.) Klaus Eidam: "Das wahre Leben des Johann Sebastian Bach (Piper)
"Geradezu peinlich" findet es Schacher, dass der von ihm geschätzte Piper-Verlag ein Buch dieses Schlages herausgebracht hat. Die hervorstechendsten Merkmale des Bandes sind seiner Ansicht nach "Arroganz und Selbstüberschätzung" des Autors, was sich bereits im Titel ankündige. Der Rezensent zeigt sich geradezu abgestoßen von Eidams polemischen Angriffen gegen dessen Kollegen und die Bach-Forschung insgesamt. Seinerseits scheint Eidam jedoch nicht viel Neues zur Bach-Forschung beizutragen, jedenfalls erwähnt der Rezensent nicht einen einzigen Aspekt, der ihm interessant genug erschienen wäre.
5.) Arno Forchert: "Johann Sebastian Bach und seine Zeit" (Laaber-Verlag)
An diesem Buch lobt der Rezensent, dass es offenbar auch möglich ist, Bach als modern und aufgeklärt zu zeigen, ohne dabei zwangsläufig von "einer linken Ideologie geprägt zu sein" (Schacher bezieht sich mit dieser Anmerkung augenscheinlich auf die Bach-Rezeption in der DDR). Forchert habe bei der Beschäftigung mit Bach zahlreiche Hinweise gefunden, die darauf hindeuten, dass Bach durchaus Kontakt mit Vertretern "‘moderner‘ Lebensweise" gepflegt hat, wofür Schacher einige Beispiele aufzählt.
6.) Christoph Rueger: "Johann Sebastian Bach. Wie im Himmel so auf Erden" (Heyne)
Diesem Buch kann der Rezensent nicht wirklich etwas abgewinnen und deutet an, dass sich der ehemalige Thomaner Christoph Rueger offenbar sehr stark "mit seinem Gegenstand" identifiziert. Rueger lobt - so der Rezensent - bei Bach "innere Ordnung, Pflichterfüllung und Gemeinsinn", und möchte seinen Lesern diese Tugenden in den heutigen Zeiten von Werteverlust ans Herz legen. Schacher bemängelt dabei, dass der Autor unkritisch "sämtliche Klischees der Bach-Literatur" aufgewärmt habe.
7.) Günter Jena: "Das gehet meiner Seele nah" (Herder)
Auch hier macht Schacher eine starke Identifikation aus, allerdings im positiven Sinne. Der Rezensent weist darauf hin, dass Jena lange Jahre Kirchenmusikdirektor an St. Michaelis in Hamburg war und mit diesem Band seine Erfahrungen als Musiker weitergeben möchte. Schacher gefällt es, dass Jena "nicht belehren, sondern berühren" möchte. Dabei geht der Autor nach Schacher nicht nur auf rein musikalische Aspekte ein, sondern beispielsweise auch auf moderne Deutungen des Verrates von Judas (z. B. der Konflikt zwischen Treue und Ehrlichkeit zu sich selbst).
8.) Franz Rueb: "Achtundvierzig Variationen über Bach" (Reclam)
Nur beiläufig geht Schacher auf dieses Buch ein und weist darauf hin, dass der Titel des Buchs auf die 48 Präludien und Fugen des "Wohltemperierten Klaviers" anspielt. Dementsprechend habe der Autor seine Variationen mit "korrespondierenden Paaren wie `Vergessen` und `Erinnern`" betitelt.
9.) Maarten t‘Hart: "Bach und ich" (Arche)
Der Titel des Buchs erscheint dem Rezensenten zwar ein wenig "unbescheiden", dennoch kann er sich für diesen Band durchaus begeistern. Offensichtlich hat er nicht erwartet, mit welcher Sachkenntnis der Autor (der bisher vor allem durch Romane bekannt geworden ist), hier zu Werke gegangen ist. So staunt Schacher über das ausgiebige Quellen- und Literaturstudium des Autors ebenso, wie über die Tatsache, dass das "Wohltemperierte Klavier" nach Angaben des Autors zu dessen "täglichem musikalischen Brot" gehört. Dass t‘Hart anhand von Bachs Orgel- und Klavierwerken "seine eigenen Entdeckungsreisen nachzeichnet", scheint dem Rezensenten ausnehmend gut zu gefallen.
10.) Andreas Liebert "Mein Vater, der Kantor Bach" (Lichtenberg/Droemersche Verlagsanstalt)
Schacher weist darauf hin, dass es sich bei diesem Buch um ein fiktives Tagebuch von Bachs Tocher Catharina Dorothea handelt. Das findet der Rezensent durchaus "spannend zu lesen". Liebert habe einerseits zahlreiche überlieferte Anekdoten zusammengetragen, andererseits die vielen Lücken in Bachs Biografie mit Phantasie "ausgefüllt". Dass Liebert auch auf Themen wie "Frauenemanzipation" oder Normenkonflikte eingangen ist, erleichtert nach Ansicht des Rezensenten die Identifikation "für die Leserschaft der heutigen Zeit".

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